3R21/25s – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht durch Senatspräsident Mag. Hans Peter Frixeder als Vorsitzenden sowie Mag. Carina Habringer-Koller und Dr. Gert Schernthanner in der Rechtssache der Klägerin A* , geboren am **, Pensionistin, **, vertreten durch Dr. Siegfried Zachhuber, LL.M., Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, gegen die Beklagten 1. B* GmbH , FN **, **, **straße **, und 2. C*-Aktiengesellschaft , FN **, **, **, vertreten durch Dr. Günther Klepp und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen EUR 17.360,00 sA und Feststellung (EUR 3.000,00) über die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 20. Dezember 2024, Cg*-13, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, den Beklagten die mit EUR 2.586,36 (darin EUR 431,06 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt insgesamt EUR 30.000,00.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin buchte gemeinsam mit ihrem Gatten bei der Erstbeklagten einen Badeurlaub in ** zwischen 20. August und 3. September 2023. Die Anreise erfolgte mit dem von der Erstbeklagten gehaltenen, bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Bus. Im Zuge der Anreise stürzte die Klägerin im Bus und verletzte sich.
Die Klägerin begehrt Zahlung von EUR 17.360,00 sA und die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche künftigen, aus dem Sturz resultierenden Schäden. Der Buslenker habe ohne Notwendigkeit eine extrem starke Bremsung eingeleitet, wodurch sie zu Sturz gekommen sei.
Die Beklagten bestritten . Es habe sich um eine verkehrsbedingt notwendige, normale Betriebsbremsung gehandelt. Die Klägerin habe die Sicherheitsanweisungen missachtet und sich keinen ausreichenden Halt im Bus verschafft. Sie hätte den Sturz verhindern können.
Mit dem angefochtenen Urteilwies das Erstgericht die Klage ab. Dieser Entscheidung legte es den auf US 3 festgestellten Sachverhalt zugrunde, auf den verwiesen wird (§ 500a ZPO). Folgende Feststellungen sind hervorzuheben:
D* E*, der Buslenker, wies alle Fährgäste zu Beginn der Reise auf die Gurtenpflicht hin. Ein entsprechendes Piktogramm befindet sich im Bus oberhalb der Sitzplätze.
Die Klägerin hatte die erste Sitzreihe gebucht, zog es aber vor, sich in der letzten Reihe des Busses hinzulegen. Nach einer Rast in Kärnten nahm sie wiederum in der letzten Reihe Platz.
Ca. 1 km vor der Mautstelle ** herrschte auf der Autobahn Kolonnenverkehr. D* E* schloss auf die Kolonne auf. Weil die Kolonne bremste, bremste auch er „stärker“. Dabei handelte es sich um eine normale Betriebsbremsung. Die Klägerin, die ihrem in der ersten Sitzreihe befindlichem Gatten ein Obstsackerl bringen wollte, verlor durch die Bremsung den Halt, stürzte und schlug mit dem Kopf gegen das Armaturenbrett. Dazu wäre es nicht gekommen, wenn sie sich mit den Händen festgehalten hätte. Sie hielt in der rechten Hand jedoch das Obstsackerl, mit der linken Hand „hantelte“ sie sich von Griff zu Griff.
In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht eine die Haftungsbefreiung nach § 9 Abs 1 EKHG ausschließende außergewöhnliche Betriebsgefahr. Den Beklagten sei der Entlastungsbeweis gelungen. Die Klägerin habe auch das weit überwiegende Verschulden am Sturz zu verantworten.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem auf Klagsstattgabe („allenfalls dem Grunde nach“) gerichteten Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Mit ihrer Berufungsbeantwortung streben die Beklagten die Bestätigung des Ersturteils an.
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
I. Zur Tatsachen- und Verfahrensrüge:
1. Die Klägerin bekämpft die Feststellung zur ihrerseits gegebenen Unfallverhinderungs-möglichkeit. Sie begehrt folgende Ersatzfeststellung: „Obwohl sich die Klägerin während der Bremsung festgehalten hat, wurde sie losgerissen und nach vorne geschleudert.“
Aus den Feststellungen ergebe sich nicht, dass sie sich im Unfallzeitpunkt nicht festgehalten habe. Ihren Angaben lasse sich entnehmen, dass sie sich festgehalten habe. Sollte sich dies nicht aus ihren Angaben ergeben, liege ein Stoffsammlungsmangel vor. Das Erstgericht hätte sie fragen müssen, ob sie sich (zumindest mit einer Hand) festgehalten habe, als sie zu ihrem Gatten gegangen sei.
2.1. Aus der bekämpften Feststellung ergibt sich problemlos, dass sich die Klägerin nicht mit beiden Händen festgehalten hat.
Das Erstgericht hat die bekämpfte Feststellung auf Basis der Angaben der Klägerin getroffen (vgl US 3). Diese gab an (vgl ON 12.5, S 3), dass sie ihrem Mann ein Obstsackerl habe bringen wollen. In der rechten Hand habe sie das „Jausensackerl“ gehabt, mit der linken Hand habe sie sich „von Griff zu Griff nach vorne gehantelt“. Die bekämpfte Feststellung ist damit von den Angaben der Klägerin gedeckt (wenngleich sie im Folgenden in Widerspruch dazu [aber rechtlich irrelevant] erklärte, das Obstsackerl in der linken Hand gehabt und sich mit der rechten Hand nach vorne „gehantelt“ zu haben). Aus ihren in der Berufung zusätzlich wiedergegebenen Angaben ergibt sich nichts Gegenteiliges. Die begehrte Ersatzfeststellung, dass sie sich während des Bremsvorgangs „festgehalten“ - wohl gemeint mit beiden Händen festgehalten - habe, lässt sich ihrer Aussage nicht entnehmen.
2.2.Ein Stoffsammlungsmangel, zu dem unter anderem die Nichtzulassung von Beweisen zählt (RS0037055 [T7], RS0037041 [T8]), liegt in diesem Zusammenhang nicht vor. Die Klägerin wurde umfassend - unter anderem zum von ihr in der Berufung aufgezeigten Thema - befragt. Aus ihren Angaben ergibt sich, dass sie sich zum Zeitpunkt des Bremsvorgangs nicht mit beiden Händen festgehalten hatte.
3.1. Die Klägerin kritisiert auch die Feststellung, dass der Buslenker eine normale Betriebsbremsung vorgenommen hat. Sie wünscht die Ersatzfeststellung, dass es sich um eine Vollbremsung handelte.
Das Erstgericht habe die bekämpfte Feststellung auf die Angaben der Zeugen E* und F* gestützt. Der Zeuge E* habe ein „erhebliches Eigeninteresse“, weil er in einem Vertragsverhältnis zur Erstbeklagten gestanden sei bzw. stehe. Die Angaben des Zeugen F* würden den Standpunkt der Klägerin stützen, habe dieser doch angegeben, dass sie bei ihm „vorbeigeflogen“ sei. Dieser Umstand schließe eine normale Betriebsbremsung aus.
3.2. Das Erstgericht hat die bekämpfte Feststellung nicht nur auf die Angaben der Zeugen E* und F* gestützt, sondern - wie sich der Beweiswürdigung entnehmen lässt (vgl US 4) - auch auf die Aussage der Zeugin G*.
Letztere gab an (vgl ON 12.5, S 8), die Bremsung sei so gewesen „wie wenn halt gach einmal wer herausfährt“. Darauf geht die Klägerin in ihrer Berufung nicht ein.
Allein der Umstand, dass der Zeuge E*, dessen Angaben die bekämpfte Feststellung stützen, seit Februar 2023 bei der Erstbeklagten als Buslenker beschäftigt ist, führt nicht per se dazu, dass dieser unglaubwürdig wäre.
Mit der Wortwahl des Zeugen F*, demzufolge die Klägerin bei ihm „vorbeigeflogen“ sei, hat sich das Erstgericht auseinandergesetzt (vgl US 4). Es ging nicht davon aus, dass die Klägerin „in der Tat vorbeigeflogen“ sei. Dagegen trägt die Klägerin nichts vor. Auch die Angaben des Zeugen F* in ihrer Gesamtheit (vgl ON 12.5, S 8f) stützen die vom Erstgericht festgestellte normale Betriebsbremsung.
Insgesamt gelingt es der Klägerin mit ihren Ausführungen nicht, Bedenken beim Senat gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes hervorzurufen. Dessen Beweiswürdigung hält einer Plausibilitätsprüfung stand.
II. Zur Rechtsrüge:
1. Die Klägerin verweist (nur) darauf, dass es eine Überspannung ihrer Sorgfaltspflicht bedeute, würde man verlangen, dass sie sich mit beiden Händen hätte festhalten müssen.
2.Die Klägerin wendet sich nicht gegen die Rechtsansicht des Erstgerichtes, dass eine die Haftungsbefreiung nach § 9 Abs 1 EKHG ausschließende außergewöhnliche Betriebsgefahr vor dem Hintergrund einer gewöhnlichen (wenngleich stärkeren) Betriebsbremsung nicht vorlag (vgl dazu etwa RS0058467, RS0058461 insbesondere [T13] = 2 Ob 134/23d, RS0128516, RS0058870). Sie zieht auch den Zugang des Erstgerichtes, dass den Beklagten der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 1 EKHG gelungen sei, nicht in Kritik. Darauf ist daher auch nicht einzugehen (vgl etwa RS0043352 [T15], [T17], [T23], [T25], [T26] uva; 2 Ob 67/18v). Damit liegt ein unabwendbares Ereignis vor, das auch eine auf EKHG gestützte Ersatzpflicht der Beklagten ausschließt.
Vor diesem Hintergrund ist die von der Klägerin in der Rechtsrüge (allein) angesprochene Frage der Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten ebenso wenig relevant wie die vom Erstgericht (wohl vertretene) Ansicht, dass eine gewöhnliche Betriebsgefahr auch durch das Verschulden der Klägerin zurückgedrängt würde (vgl etwa RS0058551; 2 Ob 131/22m).
III. Ergebnis, Kosten, Bewertung, Zulassung:
1. Der Berufung war kein Erfolg zuzuerkennen.
2.Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 41 ZPO.
3. Bei der Bewertung des Entscheidungsgegenstandes mit insgesamt EUR 30.000,00 übersteigend berücksichtigte der Senat, dass der Klägerin in Zukunft Schäden entstehen können, deren Wert höher anzusetzen ist als das von ihr angegebene Interesse an ihrem Feststellungsbegehren.
4.Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die Entscheidung des Berufungsgerichtes nicht von der Lösung erheblicher, im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO qualifizierter Rechtsfragen abhängig war.