11Bs25/25a – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten Mag. Dampf als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. a Hagen und Mag. a Obwieser als weitere Mitglieder des Senats in der Strafsache gegen A* wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB über die Berufungen des Angeklagten wegen Nichtigkeit und der Aussprüche über die Schuld, Strafe und privatrechtlichen Ansprüche und der Staatsanwaltschaft Innsbruck wegen des Ausspruchs über die Strafe gegen das einzelrichterliche Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 26.11.2024, GZ ** 33, sowie die Beschwerden des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen einen Beschluss nach § 494a StPO, nach der am 20.5.2025 in Anwesenheit der Schriftführerin Rp Mag. a Scherl, der Sitzungsvertreterin der Oberstaatsanwaltschaft StA in GL in Dr. in B*, der Privatbeteiligtenvertreterin RAA Dr. in C* (für D*), des Angeklagten und seines Verteidigers RA Dr. Bernhard Kettl öffentlich durchgeführten Berufungsverhandlung am selben Tag
I. zu Recht erkannt:
Spruch
Den Berufungen wird n i c h t Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last;
II. beschlossen:
Der (implizierten) Beschwerde des Angeklagten und jener der Staatsanwaltschaft wird n i c h t Folge gegeben.
Entscheidungsgründe:
Text
Ein Einzelrichter des Landesgerichts Innsbruck erkannte mit dem angefochtenen Urteil den am ** geborenen A* des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB schuldig.
Demnach hat er am 17.02.2024 in ** D* am Körper verletzt, und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Körperverletzung des Genannten herbeigeführt, indem er dem Genannten einen Faustschlag gegen den linken Unterkiefer versetzte, wodurch der Genannte eine Fraktur des linken Unterkiefers, mithin eine medizinisch an sich schwere Verletzung verbunden mit einer 24 Tage übersteigenden Gesundheitsschädigung erlitt .
Hiefür verhängte der Einzelrichter über den Angeklagten nach § 84 Abs 4 StGB eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten und verurteilte ihn gemäß § 369 Abs 1 StPO zur Zahlung von EUR 1.000,-- an D* binnen 14 Tagen ab Rechtskraft des Urteils sowie gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens. Unter einem wurde gemäß § 494 Abs 1 Z 2 StPO vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu E* des Landesgerichts (richtig:) Salzburg abgesehen, jedoch die Probezeit gemäß § 494a Abs 6 StPO auf fünf Jahre verlängert.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Angeklagten rechtzeitig angemeldete (ON 30) Berufung wegen Nichtigkeit sowie der Aussprüche über die Schuld, Strafe und privatrechtlichen Ansprüche, die er fristgerecht schriftlich ausführte (ON 40). Das Rechtsmittel zielt auf einen Freispruch, in eventu die Zurückverweisung der Strafsache zu neuerlicher Verhandlung an das Erstgericht ab, in eventu in Stattgebung der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe die ausgesprochene Strafe herabzusetzen bzw teilweise bedingt nachzusehen sowie in Stattgebung der Berufung wegen der privatrechtlichen Ansprüche das Adhäsionserkenntnis aufzuheben und die Privatbeteiligte mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg zu verweisen. Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe impliziert auch eine Beschwerde gegen den Beschluss auf Probezeitverlängerung (§ 498 Abs 3 StPO).
Die Staatsanwaltschaft bekämpft dieses Urteil mit einer rechtzeitig angemeldeten und schriftlich fristgerecht ausgeführten Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe zum Nachteil des Angeklagten und verband damit eine Beschwerde gegen den Beschluss gemäß § 494a StPO (ON 31 und ON 34 bzw ON 35). Beantragt wird, die verhängte Freiheitsstrafe auf ein schuld- und tatangemessenes Ausmaß zu erhöhen und die bedingte Strafnachsicht zu E* des Landesgerichts Salzburg zu widerrufen.
Während die Staatsanwaltschaft ausdrücklich auf die Erstattung von Gegenausführungen verzichtete (ON 41 bzw 42), begehrt der Angeklagte in seiner Gegenäußerung, dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft keine Folge zu geben (ON 40).
Der Privatbeteiligte beantragte in seiner Gegenausführung mit dem Argument, dass auch im Falle eines Mitverschuldens der Privatbeteiligtenzuspruch gerechtfertigt sei, der Berufung des Angeklagten nicht Folge zu geben (ON 43).
Die Oberstaatsanwaltschaft vertrat in ihrer schriftlichen Stellungnahme den Standpunkt, dass der Berufung und (implizierten) Beschwerde des Angeklagten nicht Folge zu geben sein werde, wohl aber der Berufung und Beschwerde der Staatsanwaltschaft.
Rechtliche Beurteilung
Beide Berufungen dringen nicht durch.
In Erledigung der Schuldberufung unterzog der Berufungssenat die Beweiswürdigung des Erstgerichts einer Überprüfung anhand des Akteninhalts. Diese ergab keine Bedenken an der inhaltlichen Richtigkeit der entscheidenden Urteilsannahmen. Der Erstrichter konnte sich sowohl vom Angeklagten als auch den Zeugen F*, G* und D* (alle in ON 33) ein Bild verschaffen und legte in einer lebensnahen und auch subjektiv überzeugenden, auf alle Verfahrensergebnisse eingehenden Beweiswürdigung dar, weshalb er von der Schuld des Angeklagten überzeugt war. Unter Verwertung dieses persönlichen Eindrucks begründete er nachvollziehbar, warum er der leugnenden Verantwortung des Angeklagten und der dessen Angaben bestätigenden Aussage des F* in Anbetracht der als glaubwürdig erachteten, widerspruchsfreien und in sich konsistenten Schilderungen der Zeugen G* und D* nicht zu folgen vermochte.
Mit dem Berufungsvorbringen, dass der Angeklagte und dessen Begleiter weder D* noch G* schief angesehen oder zu irgendeinem Zeitpunkt Kontakt gesucht hätten, kritisiert der Angeklagte, dass das Erstgericht die der angeklagten Tat vorausgehenden Geschehnisse bei seiner Beurteilung nicht oder nicht entsprechend berücksichtigt habe. Tatsächlich habe D* Streit gesucht und den Angeklagten und dessen Begleiter mehrfach bedrängt, in dem er wiederholt deren intime Distanzzone betreten hätte. Das durch den Stoß erfolgte Straucheln des Opfers sei jedenfalls kein Grund gewesen, den Arm in die Höhe zu nehmen, vielmehr habe D* den Arm zu einem Schlag gegen den Angeklagten erhoben und diesen schlagen wollen.
Mit diesen Ausführungen, die auf das Vorliegen einer Notwehr- bzw Putativnotwehrsituation abzielen, gelingt es dem Berufungswerber nicht, die vom Erstgericht den Zeugen D* und G* zuerkannte Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Dass der Angeklagte keinen Kontakt mit dem Opfer suchte, sondern vielmehr D* ein in seinen Augen vorliegendes Problem klären wollte und nicht davon abließ, wurde vom Erstgericht auf Grund der in diesem Punkt in Einklang stehenden Angaben aller Beteiligten entsprechend festgestellt. Allerdings schilderten D* und G* im Kerngeschehen und dies auch bereits anlässlich ihrer polizeilichen Vernehmung übereinstimmend, dass der Faustschlag des Angeklagten unmittelbar nach dem Stoß des F* erfolgte und kein Angriff von Seiten des Opfers vorlag, wobei angemerkt sei, das das „Aufsuchen der intimen Distanzzone“ keinen Angriff darstellt. Die Schilderungen dieser beiden Zeugen lassen auch in zeitlicher Hinsicht keinen Spielraum für einen Angriff zu, da der Faustschlag unmittelbar auf den Stoß erfolgt ist.
Soweit in diesem Zusammenhang damit argumentiert wird, dass sich das Erstgericht mit dem vorliegenden Videomaterial nicht hinreichend auseinandergesetzt habe und die Bilder der Videoüberwachung ein gänzlich anderes Bild liefern, gelingt es dem Berufungswerber ebenso wenig Zweifel an der erstrichterlichen Beweiswürdigung hervorzurufen. Vielmehr hat sich der Erstrichter mit dem Video (nach Vertagung der Hauptverhandlung zur Herstellung einer Vergrößerung der entscheidenden Sequenzen) eingehend auseinandergesetzt. Ein Tatgeschehen wie vom Rechtsmittelwerber dargestellt ist auch für das Berufungsgericht nicht zu erkennen, sondern ist der gesamte Vorfall nur aus einiger Entfernung zu sehen und sehr schlecht wahrnehmbar.
Die Kritik, dass das Erstgericht die Angaben des Zeugen F* und dessen Verhalten dem Angeklagten zurechne, ist unberechtigt und wird auf die lebensnahe und nachvollziehbare Beweiswürdigung des Erstgerichts verwiesen, der sich auch der Berufungssenat ausdrücklich anschließt.
Die Ableitung der inneren Tatseite aus einer lebensnahen Betrachtung des äußeren Tatgeschehens begegnet ebenfalls keinen Bedenken des Berufungsgerichts. Damit hat es bei den Feststellungen zur äußeren und inneren Tatseite zu bleiben.
Das im Rahmen der Schuldberufung angesprochene Überwachungsvideo, dessen (neuerliche) Vorführung zum Beweis dafür beantragt wird, dass der Angeklagte sich lediglich in Notwehr gegen einen unmittelbar drohenden Angriff des D* gewehrt habe, da dieser einen Schlag gegen den Angeklagten ausführen habe wollen, ist durch Vorführung in der Hauptverhandlung bereits im Verfahren vorgekommen und daher auch im Rechtsmittelverfahren ohne neuerliche Vorführung verwertbar.
Die Rechtsrüge (§ 489 Abs 1 iVm § 281 Abs 1 Z 9 lit b) moniert unter Zitierung der vom Erstgericht getroffenen Feststellung „ein Angriff des D* gegenüber A* lag zu keinem Zeitpunkt vor und konnte A* auch nicht in Verkennung der Lage von einem Angriff des D* ihm gegenüber ausgehen, sondern versetzte er D* diesen Faustschlag lediglich aus dem Grund, weil D* weiter mit den Personen diskutieren und nicht weggehen wollte und weil der Angeklagte und F* ihre Ruhe haben wollten“ einen Feststellungsmangel zum Verhalten des D* vor dem Faustschlag des Angeklagten. Es sei so gewesen, dass D* der Aggressor gewesen sei und den Angeklagten bedrängt habe, dessen intime Distanzzone gegen dessen Willen wiederholt aufgesucht und zu einem Schlag gegen das Gesicht des Angeklagten ausgeholt und in diese Richtung geführt habe.
Mit diesem Vorbringen übergeht der Berufungswerber prozessordnungswidrig die von ihm selbst zitierten und unbedenklichen erstrichterlichen Sachverhaltsannahmen, wonach für den Angeklagten weder eine Notwehr- noch eine Putativnotwehrsituation vorlag (US 5; RIS Justiz RS0099810) und bekämpft damit vielmehr die Beweiswürdigung des Erstgerichts.
Insoweit die Rechtsrüge im Weiteren das Fehlen von Feststellungen zu einer starken Alkoholisierung des Opfers kritisiert und dazu ausführt, dass gerade bei betrunkenen Personen von einer erhöhten Gefährlichkeit auszugehen ist, da die Angriffslust durch Alkohol oder gar andere berauschende Mittel enthemmt ist und daher der Angegriffene einem leicht reizbaren Gegner ausgesetzt ist, übergeht sie erneut die erstrichterlichen Feststellungen zum Nichtvorliegen eines Angriffs seitens des Opfers. Die zur Untermauerung dieses Vorbringens vorgelegte Fotografie lässt einen Angriff des D* ebenfalls nicht erkennen. Im Übrigen zielt die Rechtsrüge mit der Forderung nach Konstatierungen einer massiven Alkoholisierung des Opfers nicht auf eine für die rechtliche Beurteilung oder für die Annahme eines Ausnahmesatzes entscheidenden Tatsache ab.
Bei der Strafbemessung hat das Erstgericht „die gewisse Uneinsichtigkeit des Geschädigten, der fortlaufend das Gespräch mit dem Angeklagten suchen wollte“ mildernd berücksichtigt, erschwerend demgegenüber, dass die Körperverletzung an sich schwer und mit einer 24 Tage überschreitende Gesundheitsbeeinträchtigung einherging sowie „die Vorstrafenbelastung“.
Die vom Erstgericht herangezogenen besonderen Strafzumessungsgründe treffen grundsätzlich zu. Sie sind zunächst dahingehend zu präzisieren, dass Anknüpfungspunkt des Erschwerungsgrundes nach § 33 Abs 1 Z 2 StGB nur eine Verurteilung wegen einer auf der gleichen schädlichen Neigung (§ 71 StGB) beruhenden Tat ist ( Riffel in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 33 Rz 6), so dass fallaktuell von 5 einschlägigen, teils länger zurückliegenden Vorstrafen auszugehen ist. Zusätzlich aggravierend ist, wie die Staatsanwaltschaft zutreffend aufzeigt, die Tatbegehung innerhalb offener Probezeit zum bedingt nachgesehenen Teil der zu E* des Landesgerichts Salzburg erfolgten Verurteilung.
Die vom Angeklagten behauptete Tatprovokation, da er durch D* bedrängt worden sei und dessen intime Distanzzone verletzt habe und es ohne Verhalten des Opfers nicht zum Vorfall gekommen wäre, wurde vom Erstgericht durch die berücksichtigte Uneinsichtigkeit des Opfers bereits in Anschlag gebracht.
Dass der Angeklagte an jenem Abend nicht auf Streit aus war spricht keinen mildernden Umstand an. Ebenso wenig die Tatsache, dass er einen Schlag gegen D* niemals verneinte.
Das weitere Berufungsvorbringen, wonach der Angeklagte auf dem besten Weg gewesen sei sich wieder in die Gesellschaft einzufinden, ist aufgrund der letzten Verurteilung im Jahr 2023 und der Begehung während offener Probezeit nicht nachvollziehbar. Aus dem Vollzug des unbedingten Teils der im Verfahren E* verhängten Freiheitsstrafe wurde er am 14.4.2023 entlassen. Mit Blick auf den gegenständlichen Tatzeitpunkt, rund 10 Monate später, kann von einem langen Wohlverhalten nicht gesprochen werden, da sich der Milderungsgrund nach § 34 Abs 1 Z 18 StGB an der fünfjährigen Rückfallsverjährungsfrist des § 39 Abs 2 StGB (RIS Justiz RS0108563) orientiert.
Ausgehend von diesen geringfügig ergänzten Strafzumessungsgründen und mit Rücksicht auf allgemeine Strafbemessungskriterien nach § 32 StGB ist beim heranzuziehenden Strafrahmen von sechs Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe die vom Erstgericht verhängte Sanktion schuld- und tatangemessen. Sie ist weder einer Herabsetzung zugänglich, bedarf dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft zuwider aber auch keiner Erhöhung.
Eine bedingte Nachsicht auch nur eines Teils der Freiheitsstrafe nach § 43 Abs 1, 43a Abs 2 bzw Abs 3 StGB scheitert allerdings am einschlägig getrübten Vorleben des Berufungswerbers.
Letztlich dringt auch die Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche nicht durch. Da D* nach den unbedenklichen Feststellungen des Erstgerichts durch den vom Angeklagten versetzten Faustschlag eine Fraktur des linken Unterkiefers, verbunden mit einer 24 Tage übersteigenden Gesundheitsschädigung erlitten hat und nach seinen eigenen Angaben wochenlang keine feste Nahrung zu sich nehmen konnte, ist der vom Erstgericht in freier Überzeugung (§ 369 Abs 2 StPO, § 273 ZPO, Spenling in Fuchs/Ratz, WK StPO § 369 Rz 6 mwN) zuerkannte Teilschmerzensgeldbetrag von EUR 1.000,-- weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden. Insofern der Angeklagte mit einem Mitverschulden des D* aufgrund dessen vorangegangener Provokation argumentiert, ist er darauf zu verweisen, dass bloße wörtliche Provokationen in der Regel nicht genügen, um ein Mitverschulden des Geschädigten zu begründen (vgl RIS Justiz RS0027232 [T3, T8]).
Die Verurteilung zum Kostenersatz ist Folge des Ausgangs des Berufungsverfahrens. Sie gründet in der angezogenen Gesetzesstelle.
Zur (implizierten) Beschwerde des Angeklagten und jener der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss nach § 494a StPO:
Obwohl der Angeklagte während der Probezeit der zu E* des Landesgerichts Salzburg gewährten bedingten Strafnachsicht erneut einschlägig delinquierte, bedarf es nach Ansicht des Berufungsgerichts nicht zusätzlich zur nunmehr ausgesprochenen Freiheitsstrafe von 10 Monaten des Widerrufs der bedingten Strafnachsicht und des Vollzugs der 12-monatigen Freiheitsstrafe, um den Angeklagten von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten. Die vom Erstgericht beschlossene Probezeitverlängerung auf fünf Jahre ist in spezialpräventiver Hinsicht eine ausreichende Reaktion auf den einschlägigen Rückfall.