5Ob77/25x – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Painsi, Dr. Weixelbraun Mohr, Dr. Steger und Dr. Pfurtscheller als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache des Antragstellers Dr. G* O*, vertreten durch Mag. Nicole Nossek, Mag. Wolfgang Polster Rechtsanwälte in Purkersdorf, gegen die Antragsgegner 1. Dipl. Ing. A* R*, 2. K*, 3. S* M*, 4. D* K*, 5. C* S*, 6. K* C*, 7. H* G*, 8. C* K*, 9. Mag. H* S*, 10. S* R*, 11. M* S*, 12. Z* M*, 13. M* C*, 14. H* K*, 15. D* K*, 16. B* W*, 17. S* S*, 18. Dipl. Ing. H* S*, 19. A* B*, 20. Ing. A* B*, 21. C* Ka*, 22. A* K*, 23. Mag. A* W*, 24. P* W*, 25. G* Z*, 26. W* Z*, 27. M* P*, 28. M* Po*, 29. R* J*, 30. W* J*, 31. G* B*, 32. A* Be*, 33. W* R*, 34. L* R*, 35. I* R*, 36. H* R*, 37. M* K*, 38. C* Ke*, 39. M* Ki*, 40. B* K*, 41. M* R*, 42. Q* N*, 43. M* Cz*, 44. H* C*, 45. Mag. B* Kr*, 46. Mag. M* K*, 47. G* K*, 48. H* M*, 49. C* O*, 50. M* V*, 51. S* A*, 52. T* W*, 53. D* P*, 54. S* F*, 55. J* A*, 56. O* C*, 57. H* V*, 58. S* Mi*, 59. M* Ra*, 60. Ing. M* L*, die 33. und 34. Antragsgegner vertreten durch Dr. Walter Schuhmeister, Mag. Franz Haydn, Rechtsanwälte in Schwechat, wegen § 52 Abs 1 Z 4 iVm § 24 Abs 6 WEG, über den Revisionsrekurs der 33. und 34. Antragsgegner gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 28. Jänner 2025, GZ 22 R 159/24y 21, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Schwechat vom 8. Mai 2024, GZ 3 MSch 8/23p 7, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung:
[1] Die Parteien sind Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft.
[2] Die 33. und der 34. Antragsgegner verfassten zur Durchführung einer Abstimmung ein an die „Wohnungseigentümergemeinschaft“ gerichtetes Schreiben mit dem Inhalt:
„Betreff: Wechsel Hausverwaltung
Liebe MiteigentümerInnen!
Aus mehreren Gründen [...] haben wir uns dazu entschlossen, einen Verwalterwechsel zu initiieren. Die Hausverwaltung P* GmbH [...] verwaltet Liegenschaften in unmittelbarer Nähe [...] und ist uns bekannt, daher haben wir ein entsprechendes Anbot eingeholt. Die Kostenersparnis liegt bei ca. 10 % jährlich [...]. Als Beilagen sind das Verwaltungsanbot [...] sowie die Abstimmungsblätter für den erforderlichen Umlaufbeschluss beigelegt.
Wir ersuchen um entsprechende Abstimmung (bitte beide Abstimmungsblätter ausfüllen und unterfertigen) innerhalb der nächsten 2 Wochen (= bis 31. 08. 2023). Sie können die Abstimmungsblätter in den Postkasten [...] werfen oder per Mail an [...] übermitteln. Das Abstimmungsergebnis wird anschließend [...] im Schaukasten ausgehängt. [...]“
[3] Das Schreiben wurde an die Wohnungseigentümer verschickt; ihm waren zwei Abstimmungsblätter (das eine für die Kündigung, das andere für die Neubestellung) angehängt.
[4] Der Antragsteller, der 10 % der Geschäftsanteile an der bisher bestellten Immobilienverwaltung hält, erhielt das Schreiben mit den Abstimmungsblättern urlaubsbedingt am 22. August 2023. Er verfasste daraufhin am 24. August 2023 einen per E Mail verschickten Brief an die 33. und den 34. Antragsgegner sowie an die weiteren „Miteigentümer“, in welchem er sich gegen die im Schreiben gegen die bisherige Hausverwaltung enthaltenen Vorwürfe wendete, Bedenken gegen die vorgeschlagene neue Hausverwaltung äußerte und abschließend bat, den Antrag abzulehnen oder diesem zumindest nicht zuzustimmen. Abstimmungsblätter übermittelte er zu diesem Zeitpunkt nicht.
[5] Bis zum 29. August 2023 nahmen Wohnungseigentümer, deren Anteile insgesamt 74,09 % betrugen, an der Abstimmung teil und stimmten sämtlich für die Kündigung der alten und die Bestellung der neuen Hausverwaltung. Die 33. und der 34. Antragsgegner gaben dieses Abstimmungsergebnis in der Nacht vom 29. auf den 30. August 2023 zwischen etwa 23:00 Uhr und 01:00 Uhr in einem Aushang schriftlich bekannt und wiesen darin auf den Beginn der Frist zur allfälligen gerichtlichen Anfechtung des Beschlusses mit dem Datum des Hausanschlags (29. August 2023) hin.
[6] Der Antragsteller übermittelte am 31. August 2023 seine Abstimmungszettel, womit er die Abberufung und die Neubestellung ablehnte. Zwei weitere nach dem 29. August 2023 eingelangte Stimmabgaben wurden bei der Auswertung nicht berücksichtigt (sie befürworteten den Wechsel der Hausverwaltung).
[7] Der Antragsteller begehrte die Festellung der Unwirksamkeit der Beschlüsse der Eigentümergemeinschaft über die Abbestellung und Neubestellung der Hausverwaltung. Ihm seien weniger als zwei Wochen zur Stellungnahme zur Verfügung gestanden; der Hausanschlag über das Ergebnis sei zwei Tage vor Ablauf der gesetzten Abstimmungsfrist erfolgt und seine Gegenstimme nicht berücksichtigt worden.
[8] Die 33. und der 34. Antragsgegner wendeten ein, die Frist sei ausreichend gewesen; die Stimmabgabe des Antragstellers sei verspätet erfolgt. Aufgrund seines wirtschaftlichen Naheverhältnisses zur bisherigen Hausverwaltung sei er gar nicht stimmberechtigt gewesen.
[9] Das Erstgericht wies den Antrag ab.
[10] § 24 WEG sehe keine bestimmte Frist für die Abstimmung bei einem Umlaufbeschluss vor. Der Antragsteller habe sich fünf Tage vor der Beendigung der Abstimmung geäußert; eine Beeinträchtigung seiner Äußerungsmöglichkeiten sei nicht erkennbar. Auch daraus, dass die Initiatoren das Ergebnis der Abstimmung zwei Tage vor Ablauf der Frist ausgehängt hätten, sei keine Unwirksamkeit des Beschlusses abzuleiten, zumal eine Berücksichtigung der später eingetroffenen Meinungen sich auf das Ergebnis nicht ausgewirkt hätten.
[11] Das Rekursgericht änderte den Beschluss im stattgebenden Sinn ab.
[12] Der Antragsteller habe zwar seine Meinung den anderen Miteigentümern zur Kenntnis bringen können, aber diese hätten kaum Zeit gehabt, diese Gegenposition zu reflektieren. Hinzu komme, dass die Initiatoren zwei Tage vor dem von ihnen selbst angegebenen Endtermin rund ein Viertel der Anteile als Stimmenthaltung gewertet hätten, ohne weitere Stimmabgaben abzuwarten. Durch die Bekanntgabe der Frist bis 31. August 2023 sei bei den Miteigentümern die Erwartungshaltung geweckt worden, bis zu diesem Datum noch Zeit zu haben, die jeweilige Entscheidung zu überdenken und allenfalls „die Seite zu wechseln“. Vom Stimmrecht Ausgeschlossene seien an der Willensbildung zu beteiligen, weshalb es nicht relevant sei, dass der Antragsteller an der bisherigen Hausverwaltung Anteile halte. Es sei auch davon auszugehen, dass diese Vorgangsweise der Initiatoren die Mitwirkungsbefugnisse einzelner Wohnungseigentümer tatsächlich habe beeinträchtigen können.
[13] Der Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, welche Folgen die nachträgliche Verkürzung der von den Beschlussinitiatoren gesetzten Abstimmungsfrist im Fall eines Umlaufbeschlusses habe, und ob im Fall einer Beschlussfassung über eine Verwalterkündigung und -neubestellung die Einräumung einer siebentägigen Frist ausreichend sei.
[14] In ihrem Revisionsrekurs wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragen die 33. und der 34. Antragsgegner, die Entscheidung im abweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[15] Der Antragsteller beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben und den angefochtenen Sachbeschluss zu bestätigen.
Rechtliche Beurteilung
[16] Der Revisionsrekurs ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruchs des Rekursgerichts nicht zulässig. Er kann auch keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufzeigen.
[17] 1. Der Umstand, dass der Obersten Gerichtshof zu einer bestimmten Frage oder Sachverhaltskonstellation noch nicht ausdrücklich Stellung genommen hat, kann die Zulässigkeit des Revisionsrekurses für sich allein noch nicht begründen, wenn – wie hier – die für vergleichbare Sachverhalte entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung auf den konkreten Sachverhalt anwendbar sind und ohne grobe Subsumtionsfehler auch angewendet wurden ( RS0107773 [T3]; RS0102181 [T20]).
[18] 2.1 Ein Umlaufbeschluss kommt zufolge § 24 Abs 1 WEG 2002 erst dann wirksam zustande, wenn allen Wohnungseigentümern Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde; bis dahin ist ein Wohnungseigentümer an seine bereits abgegebene Erklärung nicht gebunden. Beim schriftlichen Umlaufbeschluss kommt die Entscheidung daher erst dann zustande, wenn auch dem letzten Miteigentümer die Gelegenheit zur Äußerung geboten wurde (RS0108769 [T1]). Nach ständiger Rechtsprechung hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, ob den Miteigentümern ausreichend Gelegenheit zur Äußerung geboten wurde, vor allem vom Gegenstand der Abstimmung und dessen Komplexität; eine zwingende Orientierung an der starren Zweiwochenfrist nach § 25 Abs 2 WEG 2002 ist nicht erforderlich (RS0124152). Ob ein konkreter Formfehler Mitwirkungsbefugnisse Einzelner beeinträchtigen konnte, hängt ebenfalls von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0112201 [T2]).
[19] 2.2 Die Überlegungsfrist dient nicht nur der eigenen Stimmabgabe, sondern auch der Werbung für den eigenen Standpunkt (RS0124152 [T2]). Ein das Anhörungsrecht beeinträchtigender formeller Mangel kann daher etwa verwirklicht sein, wenn einzelnen Wohnungseigentümern der Eindruck vermittelt wird, es könnte die Beschlussfassung ohnehin nicht mehr verhindert werden (5 Ob 26/25x mwN).
[20] 3.1 Dem Antragsteller stand die von den Initiatoren des Umlaufbeschlusses für die Abstimmung gesetzte Frist von 14 Tagen nicht im vollen Umfang zu, weil er das mit 17. August 2023 datierte Schreiben urlaubsbedingt erst am 22. August erhielt. Die Beurteilung des Rekursgerichts, nach der durch den Umstand, dass die Initiatoren die von ihnen selbst angegebene Frist zur Abstimmung um zwei Tage verkürzten, eine – zumindest mögliche – Beeinträchtigung der Mitwirkungsbefugnisse des Antragstellers gegeben war, ist nicht korrekturbedürftig. Die Möglichkeit des Antragstellers, auch noch andere der insgesamt rund 60 Mit und Wohnungseigentümer für seinen Standpunkt gewinnen zu können, wurde durch diese Vorgangsweise nicht unbedeutend verkürzt. Nach der Rechtsprechung zu § 24 WEG ist allen Mit und Wohnungseigentümern – auch jenen mit einer voraussichtlich chancenlosen Gegenposition – Gelegenheit zur Äußerung zu geben, was die Möglichkeit einer Werbung für den eigenen Standpunkt einzuschließen hat ( RS0108769 [T10]).
[21] 3.2 Ein Umlaufbeschluss kommt nicht bereits mit dem Erreichen der Mehrheit zustande, sondern es ist die Bekanntgabe des Ergebnisses erforderlich, um die Entscheidung rechtswirksam werden zu lassen ( RS0106052 [T11]). Nicht sachgerecht wäre es nach der Rechtsprechung des Fachsenats, die Festlegung der Beendigung der Abstimmung und damit die Feststellung eines wirksamen Beschlusses dem alleinigen Verhalten des Initiators des Abstimmungsvorgangs in der Weise zu überlassen, dass der Initiator unmittelbar nach Zugang der (seiner Ansicht nach) die Mehrheit bildenden Unterschriften die Abstimmung für beendet und das Ergebnis für verbindlich erklärt ( 5 Ob 191/13v [Pkt 4.1] mwN).
[22] 3.3 Mit diesen Grundsätzen stimmt die Entscheidung des Rekursgerichts überein. Der Hinweis der Antragsgegner darauf, dass die Miteigentümer den „Streit“ mit der bisherigen Hausverwaltung bereits gekannt hätten und die Abstimmung „keinesfalls komplex“ gewesen sei, vermag weder eine Korrekturbedürftigkeit im Einzelfall noch eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Soweit die Antragsgegner ein Vorbringen des Antragstellers zu einer möglichen „Gegenoffensive“ vermissen und darauf verweisen, dass zwei nachträgliche Stimmen ebenfalls dem Antrag zugestimmt hätten, übersehen sie, dass es auf das tatsächliche Ergebnis der Abstimmung allein nicht ankommt. Der formelle Mangel der (willkürlichen) Verkürzung der von den Initiatoren selbst festgelegten Abstimmungsfrist samt der Wertung der bisher nicht aktiv gewordenen Miteigentümer als Stimmenthaltungen war grundsätzlich geeignet, die Mitwirkungsbefugnisse des Antragstellers (als Gegner des Antrags) zu beeinträchtigen.
[23] 4. In seiner Revisionsrekursbeantwortung hat der Antragsteller nicht auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen, weshalb er die Kosten seiner Rechtsmittelbeantwortung selbst zu tragen hat (vgl RS0035979 ; RS0035962 ).