JudikaturOGH

2Ob95/25x – OGH Entscheidung

Entscheidung
Arbeitsrecht
29. Juli 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richterin und weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*, vertreten durch Dr. Leitinger Dr. Leitinger Rechtsanwälte GmbH in Weiz, gegen die beklagte Partei M*, vertreten durch hba Rechtsanwälte GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei B*, vertreten durch Mag. Brunner Mag. Stummvoll Rechtsanwälte OG in Graz wegen 10.159,44 EUR sA und Feststellung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 26. Februar 2025, GZ 5 R 184/24a-21, womit der Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 12. November 2024, GZ 257 C 317/24z-11, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Dem Rekursgericht wird die Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten des Zwischenstreits.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerinbegehrte die Zahlung von Schadenersatz und die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden. Sie habe sich in einer im Eigentum der Beklagten stehenden Halle bei einem Arbeitsunfall verletzt, weil die Beklagte ihren Verkehrssicherungspflichten durch Offenlassen eines ungesicherten Schachts nicht nachgekommen sei. Der Unfall habe sich im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als Arbeitnehmerin der Nebenintervenientin bei einem zu Sicherheitszwecken durchgeführten Kontrollgang ereignet. Sie habe ihre Arbeitsleistung ausschließlich für die Nebenintervenientin erbracht und sei nicht in den Betrieb der Beklagten eingegliedert gewesen. Das Dienstgeberhaftungsprivileg komme nicht zur Anwendung. Es liege keine Arbeitsrechtssache iSd § 50 Abs 1 Z 1 ASGG vor.

[2] Die Beklagtebestritt und wandte ein, dass das Dienstgeberhaftungsprivileg gemäß § 333 Abs 4 ASVG zur Anwendung komme, weil die Klägerin in den Betrieb der Beklagten eingegliedert gewesen sei.

[3] Nach Einräumung einer Äußerungsmöglichkeit für die Klägerin wies das Erstgericht die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück. Die Beklagte berufe sich auf eine arbeitgeberähnliche Stellung. Die „durchaus nicht triviale“ Frage, ob eine solche Stellung vorliege, sei vom Arbeits- und Sozialgericht – im konkreten Fall vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht – zu lösen. Die unprorogable Unzuständigkeit sei in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen.

[4] Das Rekursgerichtwies den Rekurs der Klägerin zurück. Es komme der Rechtsmittelausschluss nach § 45 JN zur Anwendung. Die jüngere Rechtsprechung, wonach im Verhältnis zwischen Arbeits- und Sozialgerichten und anderen ordentlichen Gerichten § 45 JN nicht zur Anwendung komme, sei nicht einschlägig, weil das Erstgericht nicht implizit auch über die Gerichtsbesetzung entschieden habe.

[5]Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine gesicherte Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob der Rechtsmittelausschluss des § 45 JN auch dann greife, wenn sich ein Bezirksgericht mit der Begründung für sachlich unzuständig erkläre, dass ein Landesgericht als Arbeits- und Sozialgericht zuständig sei.

[6] In ihrem dagegen gerichteten Revisionsrekurs beantragt die Klägerin , ihrem Rekurs stattzugeben; hilfsweise solle dem Rekursgericht die inhaltliche Entscheidung über den Rekurs aufgetragen werden.

[7] Die Beklagte beantragt, den Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.

[8] Die Nebenintervenientin beteiligt sich nicht am Revisionsrekursverfahren.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der Revisionsrekurs ist wegen einer aufzugreifenden Fehlbeurteilung zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Antrags auch berechtigt .

[10]1. Gemäß § 45 JN sind nach Eintritt der Streitanhängigkeit getroffene Entscheidungen, mit denen ein Gericht seine sachliche Zuständigkeit bejaht, nicht anfechtbar, solche, mit denen es seine sachliche Unzuständigkeit ausspricht, nur dann, wenn das Gericht, das nach dieser Entscheidung sachlich zuständig wäre, seinen Sitz nicht in derselben Gemeinde hat.

[11]2. Der Oberste Gerichtshof hat in Abkehr von älterer Rechtsprechung (RS0046314) in der Entscheidung 8 Ob 9/18h (= RS0132530) ausgesprochen, dass im Verhältnis zwischen Arbeits- und Sozialgerichten und anderen ordentlichen Gerichten mit einer Entscheidung über die sachliche (Un-)Zuständigkeit implizit auch über die Gerichtsbesetzung entschieden werde. Der Bedeutung der Entscheidung dieser Frage habe der Gesetzgeber durch die spezifische Regelung des § 37 ASGG Rechnung getragen, der die Abgrenzung der Arbeitsrechtssachen – anders als §§ 61 ff JN – nicht nur als Frage der Zuständigkeit behandle. Besonders ins Gewicht falle zudem, dass mit der Entscheidung über die Gerichtsbesetzung auch die Frage der Anwendung der Verfahrensbesonderheiten des ASGG (§§ 36 ff ASGG; aber auch § 502 Abs 4 Z 5 ZPO) mitentschieden werde. Dieser letztlich dreifache Entscheidungsinhalt einer Zuständigkeitsentscheidung werde auch bei einer außerhalb Wiens vorgenommenen Verneinung der Zuständigkeit durch ein Bezirksgericht wegen des Vorliegens einer Arbeitsrechtssache und der Überweisung nach § 38 ASGG an ein – allenfalls in derselben Gemeinde liegendes (§ 45 JN) – Landesgericht „als Arbeits- und Sozialgericht“ deutlich. Nach § 38 Abs 4 ASGG sei das Gericht, an das überwiesen worden sei, an die „rechtskräftige“ Entscheidung über die sachliche Zuständigkeit gebunden. Dies umfasse auch die Gerichtsbesetzung und die Verfahrensbesonderheiten. Insgesamt erscheine es damit nicht gerechtfertigt, die Anfechtungsmöglichkeit iSd § 45 JN zu verkürzen, wenn mit der Entscheidung über die sachliche Zuständigkeit implizit auch bindend über die Gerichtsbesetzung und die Anwendung der Verfahrensbesonderheiten für Arbeitsrechtssachen entschieden werde.

[12] Der 8. Senat hielt diese Rechtsprechung in weiterer Folge ungeachtet der in der Literatur teilweise geübten Kritik ( Schoditsch, EAnm zu 8 Ob 9/18h, DRdA 2019/38; zustimmend hingegen ua Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO 5§ 7 JN Rz 5, § 45 JN Rz 8; Neumayr in Neumayr/Reissner , ZellKomm 3§ 37 ASGG Rz 9; Nademleinsky in Höllwerth/Ziehensack, ZPO TaKomm 2 § 45 Rz 7) in den Entscheidungen 8 ObA 17/20p und 8 ObA 32/20v aufrecht. Dabei lehnte er die Kritik von Schoditsch, dass eine teleologische Reduktion von § 45 JN nicht berechtigt sei, mit ausführlicher Begründung ab.

[13]Während der Ausgangsfall 8 Ob 9/18h den Ausspruch der sachlichen Unzuständigkeit durch das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien und eine Überweisung an das Arbeits- und Sozialgericht Wien betraf, lag der Folgeentscheidung 8 ObA 17/20p die Verwerfung der Einrede der sachlichen Unzuständigkeit durch das Landesgericht Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht zu Grunde. In 8 ObA 32/20v war (erneut) die Verwerfung der Einrede der sachlichen Unzuständigkeit durch ein Arbeits- und Sozialgericht (im Anlassfall: Wien) zu beurteilen.

[14] 3. Die Parteien zeigen im Revisionsrekursverfahren keine Gründe für ein Abgehen von dieser jüngeren Rechtsprechung auf. Der nicht im Detail ausformulierten Kritik von Rassi (in Kodek/Oberhammer, ZPO-ON § 45 JN Rz 7) liegen im Kern die von Schoditsch geäußerten und vom 8. Senat bereits abgelehnten Bedenken zu Grunde.

[15]4. Auch im hier zu beurteilenden Fall hat das Erstgericht mit seiner Entscheidung über die Zurückweisung der Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit implizit über die Frage der Gerichtsbesetzung und der Anwendung der Verfahrensbesonderheiten für Arbeitsrechtssachen abgesprochen. Der Rechtsmittelausschluss des § 45 JN kommt damit aus den in der Entscheidung 8 Ob 9/18f, die den hier zu beurteilenden Fall einer Verneinung der (sachlichen) Zuständigkeit durch ein Bezirksgericht außerhalb Wiens wegen des Vorliegens einer Arbeitsrechtssache in Punkt 6.6. ausdrücklich als der dort entschiedenen Fallkonstellation ganz vergleichbar ansieht, im Einzelnen dargelegten Erwägungen nicht zur Anwendung.

[16]5. Schon deswegen, weil das Erstgericht – entgegen § 38 Abs 2 ASGG – keine amtswegige Überweisung der Rechtssache vorgenommen hat, kann der weitere Rechtsmittelausschluss des § 261 Abs 6 ZPO (vgl dazu im Zusammenhang mit einem Beschluss nach § 38 ASGG 1 Ob 69/23p) nicht zur Anwendung kommen (vgl RS0040480).

[17]6. Dem Revisionsrekurs war damit Folge zu geben und dem Rekursgericht im Sinn des Eventualantrags die Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme vom Zurückweisungsgrund aufzutragen. Die im Revisionsrekurs primär angestrebte sofortige Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über den Rekurs der Klägerin kommt nicht in Betracht (RS0007037).

[18]7. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.