10Ob69/24f – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Stefula, Dr. Annerl und Dr. Vollmaier sowie die Hofrätin Dr. Wallner Friedl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, Deutschland, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen (eingeschränkt) 10.350 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 14. November 2024, GZ 53 R 289/24t 40, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom 25. Juli 2024, GZ 17 C 497/22g 33, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und es wird in der Sache selbst dahin erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.550,29 EUR (darin enthalten 163,54 EUR 19%ige USt und 1.526 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens sowie die mit 1.421,87 EUR (darin enthalten 227,02 EUR 19%ige USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger schloss am 1. 3. 2016 mit einem Fahrzeughändler einen Kaufvertrag über einen Audi A4 Avant 2.0 TDI quattro intense um einen Kaufpreis von 34.500 EUR. Der im Fahrzeug verbaute 2.0 Liter Motor des Typs EA189 wurde von der Beklagten entwickelt.
[2] In einer Anlage zum Kaufvertrag erklärte der Kläger „ rechtsverbindlich für den gegenständlichen Kauf des Kraftfahrzeuges eine Finanzierung im Sinne des Verbraucherkreditgesetzes in Anspruch genommen zu haben bzw. in Anspruch zu nehmen “. Der Kläger hatte seine vorherigen Fahrzeuge geleast und wandte sich bezüglich der Finanzierung des gegenständlichen Fahrzeugs an seine Hausbank. Dort wurde ihm mitgeteilt, dass auch aufgrund der Kaskoversicherung ein Leasingvertrag besser sei als eine sonstige Finanzierung. Der Kläger schloss mit seiner Hausbank daher am 9. 3. 2016 einen Leasingvertrag ab. Das Fahrzeug wurde dem Kläger erst nach Abschluss des Leasingvertrags übergeben, nachdem die Bank die Zahlung mit dem Autohändler abgewickelt hatte. Das Fahrzeug wurde am 11. 3. 2016 zum Verkehr zugelassen. Der Kläger wurde als Leasingnehmer in der Zulassungsbescheinigung eingetragen.
[3] Der Klägerbegehrte gestützt auf listige Irreführung und § 1295 Abs 2 ABGB Schadenersatz in Höhe von 30 % des ursprünglichen Kaufpreises, weil im Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei. Aufgrund der Vertragsgestaltung als Restwertleasing trage der Kläger als Leasingnehmer das Risiko eines geringeren Werts des Fahrzeugs, sodass der Schaden bereits zum Erwerbszeitpunkt unmittelbar bei ihm eingetreten sei. Außerdem habe der Kläger den Leasingvertrag erst nachträglich abgeschlossen.
[4] Die Beklagte bestritt und wandte unter anderem ein, die Klage sei unschlüssig, weil der Kläger als Leasingnehmer keinen eigenen Schaden geltend mache.
[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren nach Erörterung des Einwands der Unschlüssigkeit ab. Da der Kläger von Anfang an beabsichtigt habe, das Fahrzeug zu leasen und ein Eigentumsübergang an ihn nie stattgefunden habe, sei in seinem Vermögen kein Schaden eingetreten.
[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Der Kläger habe seinen Anspruch aufgrund einer Schadensverlagerung schlüssig geltend gemacht. Im Leasingvertrag sei ein Restwert von 17.250 EUR vereinbart worden sowie, dass sich bei Rückgabe des Leasingobjekts am Ende der Kalkulationsdauer zusätzliche Kosten ergeben, sofern der vereinbarte Restwert den Wert (Schätzwert, Verkaufserlös) des Leasingobjekts übersteigt. Wegen dieses vertraglich dem Kläger zugewiesenen Risikos wirke sich eine mögliche Schädigung der Substanz in seinem Vermögen aus. Er sei damit zur Geltendmachung eines aus einem Substanzeingriff resultierenden Schadens aktivlegitimiert. Zur Beurteilung der Höhe des Schadens fehlten aber Feststellungen zum konkreten Minderwert des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses.
[7] Den Rekurs ließ das Berufungsgericht zu, weil keine gefestigte Rechtsprechung zur Frage der Schadensverlagerung bei Leasingfinanzierung des Kaufs eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs vorliege, sowie zur Frage, ob/wie sich ein Hinweis im Kaufvertrag „Fahrzeug ist von der EA189 Thematik betroffen“ auswirke.
[8] Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteils, hilfsweise stellt sie einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.
[9] Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung die Zurückweisung des Rekurses, hilfsweise dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der Rekurs der Beklagten ist zulässig und berechtigt.
[11]1. Das – auch hier vorliegende – Finanzierungs-leasing ist eine Form des Investitionsleasing, bei dem an die Stelle des Eigentumserwerbs an den Anlagegütern die bloße Gebrauchsüberlassung tritt. Der Leasinggeber erwirbt eine den Wünschen des Leasingnehmers, der das Leasinggut seinerseits bei einem Dritten (Lieferanten, Hersteller, Händler) ausgesucht hat, entsprechende Sache, um sie diesem für bestimmte Zeit zum Gebrauch zu überlassen (zB 9 Ob 17/25b Rz 15). Nach ständiger Rechtsprechung gehört beim Finanzierungsleasing jedenfalls die erstmalige Verschaffung des ordnungsgemäßen Gebrauchs des Leasingobjekts zur unabdingbaren Verpflichtung des Leasinggebers im Austausch zu den Leasingraten (RS0020739). Wenngleich sich der Leasinggeber ähnlich dem drittfinanzierten Kauf wirtschaftlich der Rolle des Kreditgebers annähert, schließt der Leasingnehmer keinen Kaufvertrag mit dem Lieferanten ab. Ihm stehen daher gegenüber dem Lieferanten weder Eigentumsverschaffungs-ansprüche noch eigene vertragliche Gewährleistungsansprüche noch ein Anspruch auf Gebrauchsüberlassung zu. Aber auch eine Kredit- oder Darlehensgewährung durch den Leasinggeber erfolgt nicht. Vielmehr besteht die vertragliche Hauptverpflichtung des Leasinggebers darin, dem Leasingnehmer ein zum vereinbarten Gebrauch taugliches Leasinggut zur Verfügung zu stellen. Auch die Auswahl des Lieferanten durch den Leasingnehmer ändert nichts an der Pflicht des Leasinggebers, dem Leasingnehmer die Gebrauchsmöglichkeit zu verschaffen (7 Ob 88/23a Rz 9; zuletzt 9 Ob 98/24p Rz 13).
[12]2. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist bei der Finanzierung des Kaufs eines mit einer Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs durch Leasing danach zu unterscheiden, ob ein Kaufvertrag des Leasingnehmers mit dem Fahrzeughändler nur der Spezifikation des Fahrzeugs diente (sodass der Leasinggeber unmittelbar in den Kaufvertrag eintrat) oder ob der Leasingvertrag erst nach dem Erwerb des Fahrzeugs (und unabhängig davon) abgeschlossen wurde (4 Ob 21/25d Rz 10; 10 Ob 7/25i Rz 13; 10 Ob 70/24b Rz 14; 1 Ob 12/24g Rz 31). Ausschließlich im letztgenannten Fall erleidet der spätere Leasingnehmer (schon) durch den Abschluss des Kaufvertrags einen aus diesem resultierenden Schaden in seinem Vermögen. Tritt der Leasinggeber dagegen unmittelbar in den Kaufvertrag ein, entsteht daraus nur ihm und nicht dem Leasingnehmer ein Schaden (10 Ob 46/24y Rz 12 mwN; 4 Ob 21/25d Rz 10 mwN).
[13]3. Der Oberste Gerichtshof verneinte auch bereits in einem vergleichbaren Fall, in dem der Kläger zunächst einen Kaufvertrag für ein Fahrzeug unterfertigte, beim Abschluss des Kaufvertrags noch nicht wusste, ob er den Kaufpreis selbst aufbringen oder einen Leasingvertrag abschließen werde, tatsächlich am nächsten Tag einen Leasingvertrag abschloss und von Anfang an plante, das Fahrzeug später zum Restwert zu kaufen, die Aktivlegitimation des Klägers (9 Ob 98/24p).
[14] Auch im vorliegenden Fall war, selbst wenn der Kläger zum Zeitpunkt der Unterfertigung des Kaufvertrags noch nicht sicher war, wie das Fahrzeug finanziert wird, Leasing eine der von ihm angedachten Optionen, er hatte auch seine früheren Fahrzeuge per Leasing finanziert. Es ist davon auszugehen, dass der (unter ausdrücklicher rechtsverbindlicher Erklärung einer Inanspruchnahme einer Finanzierung im Sinn des Verbraucherkreditgesetzes geschlossene) Kaufvertrag mit dem Händler lediglich zur Spezifikation des Fahrzeugs diente. Letztlich erwarb die Leasingnehmerin das Fahrzeug und überließ es dem Kläger zum Gebrauch. Eine derartige Einheit von Kaufund Leasingvertrag ergibt sich auch aus den unstrittigen Urkunden (zur Verwertbarkeit im Rechtsmittelverfahren siehe RS0121557; RS0040083 [T1]; vgl in diesem Sinn auch jüngst 9 Ob 98/24p Rz 16 mwN sowie 4 Ob 21/25d Rz 11).
[15] Das Vorbringen des Klägers in der Rekurs-beantwortung, wonach gar nicht klar sei, wann der Leasingantrag des Klägers angenommen worden wäre, widerspricht im Übrigen den eindeutigen Feststellungen, dass der Kläger am 9. 3. 2016 den Leasingvertrag mit der Bank geschlossen hatte.
[16]4. Soweit der Kläger in seiner Rekursbeantwortung auf die Entscheidungen 8 Ob 109/23x sowie 8 Ob 22/22a Bezug nimmt, ist ihm Folgendes zu entgegnen:
[17]Die Entscheidung 8 Ob 109/23x, der zugrunde gelegt wurde, dass der Abschluss eines zivilrechtlich voll wirksamen Kaufvertrags des dortigen Klägers mit dem Händler und die Leistung einer Anzahlung nicht ausschließlich der Spezifikation des Fahrzeugs für den Abschluss eines (Finanzierungs )Leasingvertrags gedient hat, zumal der Leasingvertrag erst rund einen Monat nach Abschluss des Kaufvertrags abgeschlossen wurde, ist mit dem hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht vergleichbar.
[18]Auch die Entscheidung 8 Ob 22/22a stützt die Rechtsauffassung des Klägers, er mache mit der Klage einen eigenen Schaden geltend, der in der Verpflichtung zur überhöhten Kaufpreiszahlung bestehe, nicht. Auch dieser Beurteilung lag – anders als hier – keine Einheit des Kaufvertrags (mit Anzahlung) mit dem erst nachträglich zur Finanzierung des von der dortigen Klägerin geschuldeten Kaufpreises abgeschlossenen Leasingvertrags zugrunde.
[19] 5. Der Kläger kann seine Aktivlegitimation auch nicht mit der Judikatur zu Substanzschäden begründen. Denn diese betrifft Fälle, bei denen das Leasinggut nach Übergabe an den Leasingnehmer beschädigt wird. Dieses Risiko kann durch den Leasingvertrag auf den Leasingnehmer verlagert werden, der dann insofern auch aktiv klagslegitimiert ist. Die hier in Rede stehende (Kardinal)Pflicht des Leasinggebers zur erstmaligen Verschaffung des ordnungsgemäßen Gebrauchs bzw Übergabe der Sache im bedungenen Zustand kann aber nicht auf den Leasingnehmer überwälzt werden (10 Ob 7/24p Rz 18; RS0020735 [T8, T16]). Die Entscheidung 2 Ob 172/22s, in der die Aktivlegitimation einer Klägerin – sei es aufgrund der Annahme einer bloßen Schadensverlagerung oder eines originären Anspruchs – zur Geltendmachung des aus dem Substanzeingriff resultierenden Schadens („Substanzschadens“) grundsätzlich bejaht wurde, ist hier nicht einschlägig, betraf sie doch eine ganz andere Rechtsfrage, nämlich die Geltendmachung offener Umsatzsteuer aus einer Totalschadensabrechnung nach einem Verkehrsunfall gegenüber Lenker und Halter, die die dortige Klägerin an die Leasinggeberin zu zahlen hatte. Gleiches gilt für die Entscheidung 2 Ob 29/20h, die ebenfalls Schadenersatzansprüche eines Leasingnehmers aus einem Verkehrsunfall betraf (dazu idS 3 Ob 166/24v Rz 10; 9 Ob 98/24p Rz 20).
[20]6. Die vom Kläger genannte Entscheidung des EuGH vom 9. 7. 2020 zu C-343/19 erfordert schon deshalb keine davon abweichende Beurteilung, weil dort nur die internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO – und der Schadensbegriff nach dieser Verordnung – zu beurteilen war (idS bereits 1 Ob 9/25t Rz 10).
[21] 7. Soweit der Kläger in seiner Rekursbeantwortung meint, er stütze seinen Schaden auch auf überhöhte Leasingraten, ist ihm zu entgegnen, dass er einen solchen Schaden in erster Instanz nicht behauptete und er damit gegen das Neuerungsverbot verstößt.
[22]Zudem stellt auch das erst in der klägerischen Berufung erstattete bloße Vorbringen, er habe für das Fahrzeug insgesamt (nämlich durch die Leistung der Einmalzahlung, der Leasingraten und des Restwerts an die Leasinggeberin) erheblich mehr bezahlt als nur den Kaufpreis, keine schlüssige Behauptung eines Schadens aus dem Leasingvertrag selbst, etwa wegen überhöhter Leasingentgelte, dar (3 Ob 166/24v Rz 9).
[23]8. Die Ausführungen des Klägers in seiner Rekursbeantwortung zur „Drittschadensliquidation“ verfangen nicht. Die in diesem Zusammenhang ins Treffen geführten Entscheidungen zu 6 Ob 600/90, 4 Ob 3/19y sowie 5 Ob 100/22z betrafen keine Fälle einer vertraglichen Schadensverlagerung. Soweit der Kläger aus diesen die (allgemeine) Möglichkeit zur Geltendmachung des objektiv-abstrakten Schadens ableitet, legt er nicht dar, warum er dazu als Leasingnehmer berechtigt wäre (idS bereits 1 Ob 9/25t Rz 11).
[24]9. Soweit der Kläger auch eine durch die unzulässige Abschalteinrichtung beeinträchtigte Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs behauptet, legt er auch insoweit nicht dar, warum ihm – und nicht dem Leasinggeber – ein daraus abgeleiteter Vermögensschaden entstanden wäre (vgl bereits 1 Ob 9/25t Rz 14; vgl im Übrigen dazu auch bereits 10 Ob 7/25i Rz 23).
[25]10. Aufgrund der im Anlassfall zu verneinenden Aktivlegitimation des Klägers kommt es daher weder auf die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage, ob der Hinweis im Kaufvertrag („Fahrzeug ist von der EA189Thematik betroffen“) geeignet war, eine sittenwidrige Schädigung des Klägers auszuschließen (vgl 6 Ob 114/23t Rz 13 = RS0134616 [T4]; 8 Ob 17/24v Rz 45), noch auf die Haftungsgrundlagen gegen die Beklagte als bloße Motorenherstellerin (vgl RS0134616 [insb T2, T5]) an.
[26] 11. Da somit die vom Berufungsgericht verfügten Verfahrensergänzungen nicht erforderlich sind und über die Ansprüche des Klägers bereits jetzt endgültig im klagsabweisenden Sinn entschieden werden kann, ist dem Rekurs Folge zu geben, der angefochtene Beschluss aufzuheben und in der Sache selbst im Sinn der Wiederherstellung des klagsabweisenden Urteils des Erstgerichts zu erkennen.
[27] 12. Die Entscheidung über die Kosten des Rekurssowie des Berufungsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.