JudikaturOGH

8Ob22/22a – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Juni 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W* GmbH, *, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei A* AG, *, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 25.370 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Dezember 2021, GZ 13 R 138/21s 29.1, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 3. August 2021, GZ 34 Cg 7/21f 22, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das mit Beschluss vom 22. April 2022 unterbrochene Revisionsverfahren wird fortgesetzt.

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 23. 3. 2015 bei der Autohaus K* GmbH einen Audi A6 Avant 3.0 TDI zum Preis von 77.900 EUR, wobei sie eine Anzahlung von 7.000 EUR leistete und einen Gebrauchtwagen eintauschte, für den ihr weitere 7.000 EUR auf den Kaufpreis angerechnet wurden. Darüber hinaus verpflichtete sich die Klägerin, bis zur Auslieferung des Fahrzeugs den restlichen Kaufpreis zu bezahlen oder eine verbindliche Kredit- oder Leasingfinanzierung nachzuweisen.

[2] Die Klägerin schloss daraufhin mit der N* Leasinggesellschaft mbH Co KG einen Leasingvertrag, mit dem sie sich verpflichtete, weitere 13.000 EUR direkt an die Autohaus K* GmbH und 60 monatliche Leasingraten von jeweils 703,69 EUR, insgesamt also 42.221,40 EUR an die Leasinggesellschaft zu bezahlen.

[3] N ach A b lauf des Leasingvertrags erwarb die Klägerin im November 2020 das Fahrzeug von der Leasinggesellschaft zu dem im Leasingvertrag vereinbarten Restwert von 13.125,55 EUR , obwohl sie mittlerweile Kenntnis von de m gegen die Beklagte als Fahrzeugherstellerin erhobenen Vorwurf der Abgasmanipulation hatte. Die Klägerin wäre nicht verpflichtet gewesen, das Fahrzeug nach dem Auslaufen des Leasingvertrags zu erwerben, doch lag der Marktwert des Fahrzeugs weit über dem vereinbarten Restwert.

[4] Die Klägerin begehrt 25.370 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden, die ihr aus de m im Fahrzeug verbauten unzulässigen Emissionskontrollsystem entstehen w ü rden. Die Beklagte habe vorsätzlich Fahrzeuge in Verkehr gebracht, die weder typengenehmigungsfähig noch zulassungsfähig gewesen seien. B ei Kenntnis diese r Manipulationen hätte d ie Klägerin für ihr Fahrzeug einen um 30 % verminderten Kaufpreis bezahlt, was auch dem objektiven Minderwert entspreche. Die B eklagte hafte für diesen Schaden, weil sie eine listige Irreführung verantworte und den T atbestand des Betrugs verwirklicht habe.

[5] Das Erstgericht wies das Zahlungsbegehren wegen Unschlüssigkeit ab, weil die Klägerin als bloße Leasingnehmerin weder Eigentum am Neufahrzeug erworben noch den dafür vereinbarten Kaufpreis bezahlt habe, sodass ein allfälliger Vermögensschaden nicht anhand des Kaufpreises für das Neufahrzeug berechnet werden könne.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision mit der Begründung zu, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein Leasingnehmer aus der Wertminderung des Leasingobjekts Schadenersatzansprüche ableiten kann, wenn es sich um ein bloßes Finanzierungsleasing handelt.

[7] Mit ihrer Revision strebt die Klägerin eine Abänderung des Urteils des Berufungsgerichts dahin an, dass ihrem Zahlungsbegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Die Beklagte beantragt, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[9] Das Revisionsverfahren wurde mit Beschluss vom 22. 4. 2022 bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über den vom Obersten Gerichtshof am 17. 3. 2020 zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen und ist nunmehr aufgrund des Vorliegens der Entscheidung des EuGH vom 14. 7. 2022, C-145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen , fortzusetzen.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[11] 1. Der EuGH hat zu C 145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen , ausgesprochen, dass Art 5 Abs 2 lit a der Verordnung 715/2007/EG dahin auszulegen ist, dass eine Abschalteinrichtung, welche die Einhaltung der vorgeschriebenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt, nur zulässig ist, wenn diese Einrichtung notwendig ist, um Risiken zu vermeiden, die eine konkrete Gefahr beim Betrieb des Fahrzeugs darstellen, wobei aber eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren muss, um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, jedenfalls unzulässig ist.

[12] 2. Darüber hinaus hat der EuGH zu C-100/21, QB gegen Mercedes Benz Group AG , festgehalten, dass die Richtlinie 2007/46/EG und die Verordnung 715/2007/EG dahin auszulegen sind, dass sie neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dem Hersteller schützen, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, und die Mitgliedstaaten deshalb einen Schadenersatzanspruch des Käufers gegenüber dem Hersteller vorsehen müssen, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist. Dementsprechend hat der Oberste Gerichtshof zu 10 Ob 2/23a und 10 Ob 16/23k eine Haftung des Herstellers für Abgasmanipulationen bejaht, auch wenn er in keinem unmittelbaren Vertragsverhältnis zum Käufer steht.

[13] 3. Es handelt sich dabei um einen Schadenersatzanspruch, der sich nach den Vorgaben des nationalen Rechts richtet, aber am unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz zu messen ist, also eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion für den Verstoß darstellen muss (10 Ob 2/23a; 10 Ob 16/23k). Schon der EuGH hat darauf hingewiesen, dass ein solcher Schadenersatzanspruch voraussetzt, dass tatsächlich ein Schaden entstanden ist (C-100/21, QB gegen Mercedes Benz Group AG , Rn 91). Der weite Schadensbegriff des ABGB umfasst jeden Zustand, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, wobei der Vermögensschaden im durch die schädigende Handlung herbeigeführten Geldwertverlust gelegen ist (RIS Justiz RS0022537; RS0022834). Aber auch der EuGH hat schon zu C-343/19, VKI gegen Volkswagen AG , darauf hingewiesen, dass sich der Schaden aus der Differenz zwischen dem Preis, den der Erwerber für ein solches Fahrzeug gezahlt hat, und dessen tatsächlichem Wert aufgrund des Einbaus eines manipulierten Emissionskontrollsystems ergeben kann.

[14] 4. Die Schlüssigkeit einer Klage kann nur anhand der konkreten Behauptungen im Einzelfall geprüft werden (RS0037780). Die Vorinstanzen haben sich auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 9 Ob 53/20i gestützt, welche die Klage einer Leasingnehmerin betraf, die wegen angeblicher Abgasmanipulationen den Ersatz von 30 % des Neuwagenkaufpreises begehrte, obwohl sie das Fahrzeug erst nach Ablauf der fünfjährigen Leasingsvertragsdauer erworben hatte. Damals erachtete der Oberste Gerichtshof die Abweisung des Klagebegehrens wegen Unschlüssigkeit als vom den Gerichten gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraum gedeckt, weil die Leasingnehmerin das Fahrzeug aufgrund der gewählten Vertragskonstruktion gerade nicht als Neuwagen erworben hatte. Diese Entscheidung ist aber nicht auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar.

[15] 5. Nach dem Vorbringen in der Klage und den Feststellungen des Erstgerichts hat die Klägerin das Neufahrzeug nämlich im eigenen Namen von der Autohaus K* GmbH zum Preis von 77.900 EUR erworben und den Leasingvertrag mit der N* Leasinggesellschaft mbH Co KG erst nachträglich zur Finanzierung des von ihr geschuldeten Kaufpreises abgeschlossen. Durch ihr Vorbringen, dass sie bei Kenntnis der behaupteten Manipulationen für das Fahrzeug 30 % weniger bezahlt hätte, hat die Klägerin – auch wenn der Kaufpreis über einen Leasingvertrag finanziert wurde – einen eigenen Schaden behauptet, der Grundlage eines Ersatzanspruchs sein kann.

[16] 6. Die Berechtigung des geltend gemachten Schadenersatzanspruchs lässt sich mangels Feststellungen zu den von der Klägerin behaupteten Manipulationen am Emissionskontrollsystem des Fahrzeugs noch nicht beurteilen, was zur Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanzen führen muss. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht die Voraussetzungen des Schadenersatzanspruchs im Hinblick auf die nunmehrige Rechtsprechung des EuGH erörtern und sodann Feststellungen zu dem im Fahrzeug verbauten Emissionskontrollsystem und einem damit allenfalls verbundenen Minderwert des Fahrzeugs treffen müssen.

[17] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

Rückverweise