18OCg3/24a – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny, den Hofrat Mag. Painsi, die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., und den Hofrat Dr. Thunhart als weitere Richter in der Schiedssache der klagenden Partei D*, a.s., *, vertreten durch die Summer Schertler Kaufmann Rechtsanwälte GmbH in Bregenz, gegen die beklagte Partei I* S.p.A., *, vertreten durch die DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Aufhebung eines Schiedsspruchs (Streitwert 627.874,97 EUR), nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:
Spruch
Der durch das Vienna International Arbitral Centre gefällte Schiedsspruch vom 19. September 2024 zu * wird aufgehoben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 54.410,86 EUR (darin 3.251,77 EUR USt und 37.020,94 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Zwischen den Streitteilen war beim Vienna International Arbitral Centre (VIAC) in Wien zu * ein Schiedsverfahren anhängig, in dem Dr. L* zum Schiedsrichter bestellt wurde. Mit dem in diesem Verfahren ergangenen Schiedsspruch vom 19. 9. 2024 wurde die Klägerin zur Zahlung von 627.874,97 EUR sA verpflichtet.
[2] Die Klägerin begehrt die Aufhebung des Schiedsspruchs. Der im VIAC Verfahren bestellte Schiedsrichter habe in einem ICC Schiedsverfahren (GZ 26345/HBH), das eine von der Klägerin gemeinsam mit der S* S.p.A eingebrachte Schiedsklage über 270 Mio EUR betreffe, als Rechtsvertreter der dort beklagten N*, a.s. teilgenommen. Das sei von einem Rechtsvertreter der Klägerin am 23. 9. 2024 bemerkt worden. Dass der Schiedsrichter sich im ICC Verfahren aktiv an einer Beweisanhörung beteiligt habe und als Rechtsanwalt der Gegenseite gegen die Interessen der Klägerin aufgetreten sei, begründe seine Befangenheit im VIAC Verfahren, was die Aufhebung des Schiedsspruchs erfordere.
[3] Die Beklagte wandte ein, dass der Schiedsrichter schon anlässlich seiner Bestellung im VIAC Verfahren seine Beteiligung am ICC Schiedsverfahren offengelegt und die Klägerin dagegen keine Einwände erhoben habe. Der Schiedsrichter sei im ICC Schiedsverfahren nur als Berater tätig gewesen und habe keine aktive Rolle innegehabt. Da der gegenständliche Schiedsspruch schon am 2. 9. 2024 an das VIAC zur Abfertigung übergeben worden sei, könne die nachfolgende Teilnahme an den Verhandlungen keine Befangenheit mehr begründen. Keinesfalls aber liege ein derart schwerwiegender Verstoß gegen tragende Rechtsgrundsätze vor, der eine Aufhebung des Schiedsspruchs rechtfertigen könnte.
[4] Die Klägerin habe bereits am 11. 9. 2024 eine Teilnehmerliste erhalten, aus der die Teilnahme von Dr. L* an der Schiedsverhandlung ersichtlich gewesen sei, was angesichts der 15 Tage Frist des Art 20 der Wiener Regeln des VIAC eine Verfristung der Befangenheit bedeute. Außerdem habe die Klägerin noch am 13. 9. 2024 einer Erhöhung des Schiedsrichterhonorars zugestimmt und am 24. 10. 2024 einen Antrag auf Konkretisierung des Schiedsspruchs gestellt. Dadurch habe sie ihr Ablehnungsrecht verwirkt. Schließlich gelte die vierwöchige Frist des § 589 Abs 2 ZPO auch für die Aufhebungsklage, wenn damit eine Befangenheit des Schiedsrichters geltend gemacht wird, sodass die Aufhebungsklage verfristet sei.
Aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens trifft der Oberste Gerichtshof folgende
Feststellungen:
[5] Bereits anlässlich der Auswahl des Schiedsrichters im VIAC Schiedsverfahren im Sommer 2023 teilte Dr. L* dem Rechtsvertreter der Klägerin telefonisch mit, dass er für die Prozessgegnerin der Klägerin im ICC Schiedsverfahren Beratungsleistungen erbracht habe. Dieses Schiedsverfahren betrifft eine von der Klägerin gemeinsam mit der S* S.p.A. gegen die N*, a.s. eingebrachte Schiedsklage über 270 Mio EUR. Dennoch war die Klägerin mit der Bestellung von Dr. L* zum Schiedsrichter einverstanden. Sie ging nämlich davon aus, dass diese Beratungsleistungen auf seine Stellung als Schiedsrechtsexperte zurückzuführen seien , nur untergeordnete Bedeutung gehabt h ä tten und im Übrigen bereits abgeschlossen seien. Hätte Dr. L* der Klägerin mitgeteilt, dass er diese Beratungen fortsetzen werde oder gar für ihre Verfahrensgegnerin an einer Schiedsverhandlung teilnehmen würde, wäre sie mit seiner Bestellung nicht einverstanden gewesen (Zeuge Dr. P* PA ON 27 Seite 4; PV Geschäftsführer der Klägerin PA ON 27 Seite 14).
[6] Mit Erklärung vom 30. 10. 2023 nahm Dr. L* seine Bestellung zum Schiedsrichter im VIAC Schiedsverfahren an und erklärte seine Unparteilichkeit und Unabhängigkeit, wobei er den Parteien seine Beteiligung am ICC Schiedsverfahren wie folgt offenlegte:
„In the ongoing arbitration proceedings ICC Case 26345/HBH (concerning a road construction project in the *), one of the Claimants is the company D*, a.s. (being the Respondent in the current arbitration proceedings VIAC Case *). The Respondent in the arbitration proceedings ICC Case 26345/HBH, a Slovak entity fully owned by the *, is represented by the law firm S* (main counsel), assisted by the law firm S*, s.r.o. (local counsel). I have provided particular legal consultancy to the local counsel in this matter. This consultancy was however of very limited nature, dealing with arbitration procedural issues, etc. I have neither been directly engaged in a communication with the tribunal or the claimants, nor have l been presented at the Hearing in the arbitration proceedings ICC Case 26345/HBH.“
(Unbefangenheitserklärung Blg ./D)
[7] Tatsächlich war Dr. L* weiterhin und auch während seiner Tätigkeit als Schiedsrichter im VIAC Schiedsverfahren zu * als Berater der Kanzleien S*, s.r.o. und der Kanzlei S* tätig, die die Prozessgegnerin der Klägerin im ICC Schiedsverfahren vertreten. Dr. L* erbrachte mehrere hundert Stunden an Beratungsleistungen, wofür er mehrere zehntausend Euro an Honorar vereinnahmte. Im Sommer 2024 wurde entschieden, dass Dr. L* auch an der für 16. bis 27. 9. 2024 anberaumten Verhandlung im ICC Schiedsverfahren teilnehmen soll. Er erhielt dafür ein Honorar von 5.000 EUR zuzüglich Umsatzsteuer (Zeugin Dr. M* PA ON 27 Seite 8 ff; Zeuge Dr. L* PA ON 27 Seite 11 ff). In der Teilnehmerliste zur ICC-Verhandlung (16. bis 27. 9. 2024) wurde Dr. L* als „Counsel“ (Rechtsanwalt) geführt (Blg ./B und Blg ./G).
[8] Dr. L* wollte das VIAC Schiedsverfahren noch vor Beginn der Verhandlung im ICC Schiedsverfahren abschließen und übermittelte deshalb am 2. 9. 2024 den von ihm verfassten Schiedsspruch dem VIAC, damit die Entscheidung den Parteien zugestellt werde (Schiedsspruch Blg ./A; E Mail Blg ./1; Zeuge Dr. L* PA ON 27 Seite 12).
[9] Die Rechtsvertreterin der Klägerin im ICC Schiedsverfahren erhielt am 11. 9. 2024 eine Teilnehmerliste, aus der bereits ersichtlich war, dass Dr. L* als Rechtsbeistand der Gegenpartei an der Verhandlung teilnehmen werde. Am 23. 9. 2024 besuchte der Rechtsvertreter der Klägerin im VIAC Schiedsverfahren als Zuhörer die Verhandlung im ICC Schiedsverfahren. Er erkannte dort Dr. L*, der im Verhandlungssaal bei den Rechtsvertretern der Prozessgegnerin der Klägerin saß, woraufhin er den Geschäftsführer der Klägerin informierte (Teilnehmerliste Blg ./I; Zeuge Dr. P* PA ON 27 Seite 4 f; PV Geschäftsführer der Klägerin PA ON 27 Seite 15).
[10] Am folgenden Tag, dem 24. 9. 2024, wurde der klagsgegenständliche VIAC Schiedsspruch der Klägerin zugestellt. Am 8. 10. 2024 machte die Klägerin im VIAC Schiedsverfahren die Befangenheit des Dr. L* geltend. Das VIAC teilte der Klägerin daraufhin mit, dass die behauptete Befangenheit im Hinblick auf den bereits ergangenen Schiedsspruch und das abgeschlossene Verfahren nicht mehr aufgegriffen werden könne (Sendebestätigung Blg ./12; Befangenheitsanzeige Blg ./C; Schreiben des VIAC Blg ./13).
Beweiswürdigung:
[11] Die Feststellungen beruhen auf den in Klammer angeführten Beweismitteln. In beweiswürdigender Hinsicht ist ergänzend auszuführen, dass die Angaben des Zeugen Dr. L*, wonach er dem Rechtsvertreter der Klägerin mitgeteilt habe, dass er im ICC Schiedsverfahren als „Konsultant“ auftrete, und die Klägerin deshalb wissen hätte können, dass er seine Beratungstätigkeit fortsetzen werde, nicht glaubwürdig waren. Das widerspricht seiner Aussage, wonach er damals noch gar nicht gewusst habe, dass er diese Tätigkeit im ICC Verfahren fortsetzen werde. Auch in seiner schriftlichen Erklärung vom 30. 10. 2023 verwendete er eine Vergangenheitsform. Demgegenüber waren die Angaben des Zeugen Dr. P* und des Geschäftsführers der Klägerin, wonach sie mit seiner Bestellung als Schiedsrichter nicht einverstanden gewesen wären, wenn er gleichzeitig ihre Verfahrensgegnerin im Parallelverfahren berät, schon deshalb glaubwürdig, weil nicht anzunehmen ist, dass sie das mit einer solchen Interessenkollision verbundene Risiko einer Parteilichkeit des Schiedsrichters wissentlich auf sich nehmen hätten wollen.
Rechtliche Beurteilung
[12] Der Antrag auf Einholung eines Gutachtens eines linguistischen Sachverständigen zur Bedeutung der Erklärung des Schiedsrichters vom 30. 10. 2023 war mangels Relevanz zurückzuweisen, zumal es zur rechtlichen Beurteilung gehört, wie dessen Erklärung auszulegen ist.
Rechtliche Beurteilung:
[13] 1. Nach § 589 ZPO richtet sich das Verfahren zur Ablehnung eines Schiedsrichters nach der Vereinbarung. Im Anlassfall ist unstrittig, dass dem Schiedsverfahren die VIAC Schiedsordnung (Wiener Regeln) zugrundeliegt. Nach Art 20 Abs 2 dieser Schiedsordnung ist der Ablehnungsantrag innerhalb von 15 Tagen beim VIAC Sekretariat einzureichen, nachdem die Partei vom Ablehnungsgrund Kenntnis erlangt hat. Tritt der abgelehnte Schiedsrichter von seinem Amt nicht zurück, entscheidet nach Abs 3 das Präsidium der VIAC über die Ablehnung. Bleibt die Ablehnung erfolglos, so kann die ablehnende Partei nach § 589 Abs 3 ZPO binnen vier Wochen nach Zugang der Entscheidung des Präsidiums der VIAC bei Gericht eine Entscheidung über die Ablehnung beantragen. Eine Ablehnung nach § 589 ZPO bzw Art 20 der Wiener Regeln kann aber nur während des laufenden Schiedsverfahrens geltend gemacht werden (RS0126434).
[14] 2.1 Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass ein nachträglich bekanntgewordener Ablehnungsgrund in „krassen Fällen“ auch noch mit Aufhebungsklage geltend gemacht werden kann (RS0128994). Nach § 611 Abs 2 Z 5 ZPO ist ein Schiedsspruch nämlich aufzuheben, wenn das Schiedsverfahren in einer Weise durchgeführt wurde, die Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) widerspricht.
[15] 2.2 Die Beschränkung der Aufgreifbarkeit von Ablehnungsgründen auf „krasse“ Fälle wurde allerdings im Hinblick auf Art 6 EMRK kritisiert, sodass der Oberste Gerichtshof zu 18 OCg 5/19p (ErwGr 1.2 [c]) seine Rechtsprechung dahin geändert hat, dass die Befangenheit von Schiedsrichtern nicht nur in krassen Fällen, sondern ganz allgemein als Besetzungsmangel nach § 611 Abs 2 Z 4 ZPO mit Aufhebungsklage wahrgenommen werden kann.
[16] 2.3 Die Möglichkeit einer solchen Aufhebungsklage darf allerdings nicht dazu führen, dass sich eine Partei die Geltendmachung des Aufhebungsgrundes – abhängig vom Ausgang des Schiedsverfahrens – „vorbehalten“ kann, weshalb die Ablehnung vorrangig nach § 589 ZPO im Schiedsverfahren zu erfolgen hat. Der Oberste Gerichtshof hat deshalb zu 18 OCg 5/19p (ErwGr 1.2 [c]) ausgesprochen, dass ein Geltendmachen des Ablehnungsgrundes in der Aufhebungsklage voraussetzt, dass eine Ablehnung des Schiedsrichters „vor Erlass des Schiedsspruchs“ nicht mehr möglich war.
[17] 3. Was die Unmöglichkeit der Geltendmachung des Ablehnungsgrundes im Schiedsverfahren betrifft, kann es nach Ansicht des Senats keinen Unterschied machen, ob der Ablehnungsgrund erst nach der Erlassung des Schiedsspruchs bekannt geworden ist oder der Schiedsspruch vor Ablauf der zur Geltendmachung der Ablehnung vorgesehenen Frist gefällt wurde, weil die Partei auch in diesem Fall an einer Geltendmachung des Ablehnungsgrundes im Schiedsverfahren gehindert wurde. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Klägerin schon mit Zugang der Teilnehmerliste des ICC Schiedsverfahrens am 11. 9. 2024 vom Ablehnungsgrund Kenntnis erlangte, wurde ihr noch vor Ablauf der 15 tägigen Frist des Art 20 der Wiener Regeln der Schiedsspruch zugestellt, sodass ihr nicht zuzumuten war, den Ablehnungsgrund noch im Schiedsverfahren geltend zu machen, zumal ihr dafür die volle Frist zur Verfügung stehen muss. Damit kann sie den Ablehnungsgrund in der Aufhebungsklage nach § 611 Abs 2 Z 4 ZPO geltend machen.
[18] 4.1. Nach § 611 Abs 4 ZPO ist die Klage auf Aufhebung des Schiedsspruchs innerhalb von drei Monaten zu erheben.
[19] 4.2. Teile des Schrifttums vertreten die Auffassung, dass die Ablehnungsfrist des § 589 Abs 2 ZPO auch für die Aufhebungsklage gelte, sodass, wenn nicht schon vor Fällung des Schiedsspruchs ein Ablehnungsantrag beim staatlichen Gericht eingebracht wurde, die Aufhebungsklage wegen eines Ablehnungsgrundes nur innerhalb von vier Wochen ab Kenntnis des Ablehnungsgrundes – und nicht ab Fällung des Schiedsspruchs – erhoben werden könne ( Hanusch in Klausegger ua, Austrian Arbitration Yearbook 2007, 82; Hausmaninger in Fasching / Konecny 3 § 589 ZPO Rz 100; aA Riegler / Petsche in Liebscher / Oberhammer / Rechberger , Schiedsverfahrensrecht I Rz 5/240).
[20] 4.3. Demgegenüber hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass die Frist von drei Monaten auch für die Geltendmachung von Ablehnungsgründen gilt ( 18 OCg 5/19p , ErwGr 1.2 [c]). Daran ist auch in der hier vorliegenden Konstellation festzuhalten. Die von der Dreimonatsfrist zu trennende vergleichsweise kurze Frist, die einer Partei nach § 589 Abs 2 ZPO bzw Art 20 der Wiener Regeln während des Schiedsverfahrens zur Ablehnung des Schiedsrichters zur Verfügung steht, soll verhindern, dass bei längerem Zuwarten der zwischenzeitliche Verfahrensaufwand frustriert wird. Wenn das Verfahren aber bereits abgeschlossen ist und ein Schiedsspruch vorliegt, ist diese Gefahr nicht mehr gegeben. Damit besteht kein Grund, die dreimonatige Frist des § 611 Abs 4 ZPO zu verkürzen. Die von der Klägerin am 24. 10. 2024 beim Obersten Gerichtshof eingebrachte Aufhebungsklage ist damit rechtzeitig.
[21] 5. Nach § 588 Abs 2 ZPO und Art 20 Abs 1 der Wiener Regeln kann ein Schiedsrichter nur abgelehnt werden, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit wecken, oder wenn er die zwischen den Parteien vereinbarten Voraussetzungen nicht erfüllt. Der Wortlaut des § 588 ZPO idF des SchiedsRÄG 2006 verweist – anders als die Bestimmung des früheren § 586 ZPO – nicht mehr auf die Bestimmungen über die Befangenheit und Ausgeschlossenheit von Richtern in §§ 19 f JN. Ungeachtet dessen können die Gründe für die Ablehnung der Richter staatlicher Gerichte – unter spezieller Berücksichtigung der Besonderheiten der Schiedsgerichtsbarkeit – auch im Schiedsverfahren weiterhin als Richtlinien herangezogen werden ( 18 ONc 2/19t, ErwGr III.2. ; 18 ONc 1/20x, Rz 17; 18 OCg 5/20i, Rz 17 ).
[22] 6.1 Ablehnungsregeln sollen den Parteien keineswegs die Möglichkeit bieten, sich eines ihnen nicht genehm erscheinenden Richters zu entledigen ( RS0046087; RS0109379 ). Dennoch ist bei der Prüfung der Unbefangenheit eines Richters im Interesse des Ansehens der Justiz ein strenger Maßstab anzulegen ( RS0045949 ; RS0109379 ). Eine Befangenheit ist bereits dann anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, den Anschein zu begründen, der Richter lasse sich bei der Entscheidung von anderen als rein sachlichen Gesichtspunkten leiten ( RS0045935 ; RS0046052 ).
[23] 6.2 Das Ansehen der Schiedsgerichtsbarkeit ist jenem der staatlichen Gerichtsbarkeit gleichzuhalten, weil auch die Akzeptanz der Schiedsgerichtsbarkeit nicht nur Fachkompetenz, sondern auch das Vertrauen der Rechtssuchenden in unabhängige, unparteiische und frei von Interessenkollisionen agierende Schiedsrichter voraussetzt ( 18 ONc 3/15h, ErwGr III.3 ; 18 O N c 1/19w, ErwGr 2.3 ; 18 OCg 5/20i, Rz 18 ).
[24] 7.1 Auch die von der IBA erlassenen Richtlinien zu Interessenkonflikten in internationalen Schiedsverfahren (IBA Guidelines on Conflicts of Interest in International Arbitration) können – ungeachtet dessen, dass sie keinen normativen Charakter haben – bei der Beurteilung von Befangenheitsgründen als Orientierungshilfe dienen ( RS0132687 ). Die dort ersichtliche „orange Liste“ enthält eine demonstrative Aufzählung von Situationen, die aus der Sicht der Verfahrensparteien im Einzelfall Zweifel an der Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit des Schiedsrichters begründen können und deshalb vom Schiedsrichter offengelegt werden müssen (IBA Guidelines II.3). Dazu zählt nach Punkt 3.1.2. der „orangen Liste“ der Fall, dass der Schiedsrichter innerhalb der letzten drei Jahre in einem anderen, nicht zusammenhängenden Rechtsstreit als Rechtsanwalt („Counsel“) gegen eine der Parteien des Schiedsverfahrens tätig war.
[25] 7.2 Der vorliegende Fall begründet umso mehr den Anschein einer Befangenheit, weil der Schiedsrichter nicht bloß in der Vergangenheit, sondern während des gesamten Schiedsverfahrens für die Prozessgegnerin der Klägerin tätig war und sich seine Aufgaben hier nicht auf eine bloße (Rechts )Beratung beschränkten, sondern er sogar an einer mehrwöchigen Verhandlung teilgenommen hat. Dort war er in der Teilnehmerliste als „Counsel“ der Gegenseite eingetragen. Der Anschein der Befangenheit ergibt sich hier aus der Doppelrolle des Schiedsrichters, der im ICC Schiedsverfahrens gegen den Rechtsstandpunkt der Klägerin ankämpfen, im VIAC Schiedsverfahren den Rechtsstandpunkt der Klägerin aber objektiv beurteilen sollte.
[26] 8. Nach § 588 Abs 2 Satz 2 ZPO und Art 20 Abs 1 Satz 2 der Wiener Regeln kann eine Partei einen Schiedsrichter, den sie bestellt hat, nur aus Gründen ablehnen, die ihr erst nach der Bestellung bekannt geworden sind. Im vorliegenden Fall hat der Schiedsrichter gegenüber der Klägerin lediglich offengelegt, dass er in der Vergangenheit als Berater der Prozessgegnerin der Klägerin tätig war. Auch die schriftliche Erklärung vom 30. 10. 2023 war in den entscheidenden/hier wesentlichen Punkten in der Vergangenheitsform abgefasst. Aufgrund dieser Umstände musste die Klägerin keinen Grund zur Annahme haben, dass der Schiedsrichter diese Beratungstätigkeit für ihre Prozessgegnerin während seiner Tätigkeit als Schiedsrichter fortsetzen und sogar an Verhandlungen teilnehmen und dort gegen die Klägerin auftreten werde. Die Offenlegung des Schiedsrichters vom 30. 10. 2023 steht der Geltendmachung des nunmehrigen Ablehnungsgrundes damit nicht entgegen.
[27] 9. Da § 589 ZPO und Art 20 der Wiener Regeln die Verfristung des Ablehnungsgrundes dahin regeln, dass der Ablehnungsgrund innerhalb von vier Wochen bzw 15 Tagen nach Kenntnis vom Ablehnungsgrund geltend gemacht werden muss, ist § 21 Abs 2 JN, wonach eine Partei einen Richter nicht mehr ablehnen kann, wenn sie sich in Kenntnis des Ablehnungsgrundes in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, im Schiedsverfahren nicht anzuwenden ( 18 ONc 2/19t, ErwGr II.2 ; Plavec in Kodek / Oberhammer , ZPO ON § 589 ZPO Rz 5). Damit steht der Umstand, dass die Klägerin am 13. 9. 2024 einer Erhöhung des Schiedsrichterhonorars zustimmte und am 24. 10. 2024 einen Antrag auf Konkretisierung des Schiedsspruchs stellte, der Ablehnung daher nicht entgegen.
[28] 10. Im Ergebnis ist die Ablehnung des Schiedsrichters damit berechtigt, weshalb der Schiedsspruchs nach § 611 Abs 2 Z 4 ZPO aufzuheben war.
[29] 11. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 ZPO.
[30] Die gegen das Kostenverzeichnis der Klägerin erhobenen Einwendungen der Beklagten sind dahin berechtigt, dass der mit Beschluss vom 31. 3. 2025 abgewiesene und mit Schriftsatz vom 1. 4. 2025 zurückgezogene Antrag vom 19. 3. 2025 nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich war. Die Äußerungen samt Urkundenvorlage vom 1. 4. 2025 und vom 22. 4. 2025 hätten mit dem vorbereitenden Schriftsatz vom 14. 4. 2025 verbunden werden können, was einer gesonderten Honorierung entgegensteht.