JudikaturOGH

5Ob12/25p – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. März 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Painsi, Dr. Weixelbraun Mohr, Dr. Steger und Dr. Pfurtscheller als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj 1. A*, 2. S*, beide wohnhaft bei der Mutter C*, vertreten durch Mag. Andrea Posch, Rechtsanwältin in Wien, wegen Obsorge und Kontaktrechts, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters G*, vertreten durch Mag. Britta Schönhart Loinig, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 4. Dezember 2024, GZ 42 R 408/24x 94, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Im Scheidungsvergleich vom 20. April 2022 vereinbarten die Eltern die gemeinsame Obsorge und die hauptsächliche Betreuung ihrer beiden Kinder im Haushalt der Mutter sowie ein wöchentliches Kontaktrecht des Vaters, das danach einvernehmlich außergerichtlich ausgedehnt wurde.

[2] Bereits vor Abschluss des Scheidungsvergleichs hatte die Mutter die alleinige Obsorge beantragt, der Vater hin gegen die Beibehaltung der gemeinsamen Obsorge, die Festlegung der hauptsächlichen Betreuung bei ihm, Etablierung einer Doppelresidenz und jedenfalls eine Ausweitung seines Kontaktrechts.

[3] Das Erstgericht behielt die gemeinsame Obsorge der Eltern für die beiden Minderjährigen bei und stellte fest, dass die hauptsächliche Betreuung im Haushalt der Mutter verbleibe. Die Kontakte des Vaters regelte es dergestalt, das er berechtig t und verpflichtet wurde, die Minderjährigen jede zweite Woche von Donnerstag Nachmittag nach der Schule bis Montag M orgen zu sich zu nehmen und zu betreuen. In den Ferienzeiten sah es eine hälftige Aufteilung zwischen den Eltern vor . Die Anträge des Vaters auf Verlegung der hauptsächlichen Betreuung in seinen Haushalt, Etablierung einer Doppelresidenz und Erweiterung der persönlichen Kontakte wies das Erstgericht ebenso ab wie den Antrag der Mutter, sie mit der Alleinobsorge zu betrauen.

[4] Das Rekursgericht bestätige diesen nur vom Vater angefochtenen Beschluss und ließ den Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfragen nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[6] 1. Die Eltern haben im Scheidungsvergleich die Obsorge und das Kontaktrecht endgültig geregelt. In einem solchen Fall kann gemäß § 180 Abs 3 ABGB jeder Elternteil, sofern sich die Verhältnisse maßgeblich geändert haben, bei Gericht eine Neuregelung der Obsorge beantragen, wobei für die Änderung einer geregelten Obsorge § 180 Abs 1 und 2 ABGB entsprechend gelten. Eine abweichende, am Kindeswohl zu messende Bestimmung des Aufenthaltsorts (RS0128811) setzt keine Gefährdung des Kindeswohls im Sinn des § 181 Abs 1 ABGB voraus (5 Ob 10/18h; 5 Ob 106/20d), wohl aber „eine wesentliche Änderung der Verhältnisse“. Die Änderung des hauptsächlichen Aufenthaltsorts des Kindes muss – um eine Neuregelung begründen zu können – bei Beurteilung des Kindeswohls in der Gesamtschau unter Berücksichtigung einer Zukunftsprognose so gewichtig sein, dass das Postulat der Erziehungskontinuität in den Hintergrund tritt (5 Ob 106/20d; 5 Ob 118/17i). Dies gilt ebenso für den vom Vater hier hilfsweise anges trebten Wechsel von einem tatsächlichen hauptsächlichen Betreuungsort beider Minderjährigen bei der Mutter zu einem bloß nominellen im Sinn des „Doppelresidenzmodells“ (vgl 5 Ob 27/24t). Grundsätzlich hängtdie Frage, welchem Elternteil die hauptsächliche Betreuung im Sinn des § 180 Abs 2 letzter Satz ABGB zukommen soll – unabhängig davon, ob es sich um einen bloß nominellen oder tatsächlichen hauptsächlichen Betreuungsort handelt – aber von den Umständen des Einzelfalls ab (5 Ob 27/24t; RS0130918 [T3]), sodass sie in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage aufwirft, wenn durch die Entscheidung nicht leitende Grundsätze der Rechtsprechung oder das Kindeswohl verletzt wurden (vgl RS0115719). Eine in diesem Sinn korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zeigt der Revisionsrekurswerber nicht auf.

[7]2. Maßstab für die Entscheidung über die Obsorge, aber auch die Frage in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird (§ 180 Abs 2 ABGB) oder ob ein Doppelresidenzmodell zu etablieren wäre, ist das Kindeswohl. Dabei darf nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden, sondern sind auch Zukunftsprognosen zu stellen (RS0048632). Neben dem materiellen Interesse an möglichst guter Verpflegung und guter Unterbringung des Kindes sind auch das Interesse anmöglichst guter Erziehung, sorgfältiger Beaufsichtigung und günstigen Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen seelischen und geistigen Entwicklung zu berücksichtigen (RS0047832).

[8] 3. Die Beurteilung der Frage, ob der hauptsächliche Aufenthalt der Kinder dem Vater zugewiesen werden soll, sowie des ihm in gewissem Umfang ohnedies ausgeweiteten Kontaktrechts bedarf keiner Korrektur im Einzelfall. Dass der Vater aufgrund seiner deutschen Muttersprache im Gegensatz zur Mutter die mj A* bei Schulproblemen besser unterstützen könnte, haben die Vorinstanzen durch Ausweitung des Kontaktrechts ohnedies berücksichtigt. Damit alleine den Wechsel der hauptsächlichen Betreuung zu rechtfertigen, ist nach deren nicht korrekturbedürftiger Auffassung aber nicht angezeigt, zumal die Mutter nach den Feststellungen bereit war, den Schulschwierigkeiten der mj A* mit psychologischer Austestung, Legasthenie Training und empathischer Zuwendung samt Verständnis für kindliche Bedürfnisse zu begegnen, während der Vater die emotionale Überlastung der mj A* und deren Zusammenhang mit ihren Schulproblemen ausblendet.

[9] 4. A uch für den Fall der Doppelresidenz ist zu berücksichtigen, dass eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Eltern ein Mindestmaß an Kooperationsund Kommunikationsfähigkeit beider voraussetzt. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen. Abzustellen ist bei dieser – in hohem Maß ebenfalls einzelfallbezogeneb (RS0128812 [T5]) – Beurteilung darauf, ob eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden ist oder in absehbarer Zeit hergestellt werden kann (6 Ob 147/23w; 2 Ob 4/23m). Die Doppelresidenz ist daher auch bei bestehender gemeinsamer Obsorge eher der Ausnahme nicht der Regelfall ( Fischer/Czermak , Doppelresidenz aus Obsorge und kontaktrechtlicher Sicht, EF Z 2019/138).

[10] 5 . Die vom Revisionsrekurswerber – sinngemäß – als erheblich aufgeworfene Rechtsfrage, ob für eine Doppelresidenz ein höheres Maß an Kommunikations und Kooperationsbasis der Eltern vorhanden sein müsse als für die gemeinsame Obsorge schlechthin, bedarf keiner vertieften Erörterung. Jedenfalls ist nämlich die Auffassung der Vorinstanzen nicht zu beanstanden, die Doppelresidenz mit gleichteiliger Betreuung entspreche hier nicht dem Kindeswohl, weil die Kommunikation und Kooperation der Eltern nach wie vor fragil und von Seiten des Vaters mit herabsetz en den Beschwerden über das Verhalten der Mutter belastet sei und sich die Erziehungszugänge der Eltern deutlich voneinander unterscheiden, was bereits zu Belastungszeichen der Kinder geführt habe. Dem Sachverständigengutachten folgend ging das Rekursgericht davon aus, dass eine Doppelresidenz eine hohe Belastung für die Kinder wäre und daher nicht dem Kindeswohl entspräche. Dessen Entscheidung folgt damit den in der Rechtsprechung bereits aufgestellten Grundsätzen und bedarf keiner Korrektur im Einzelfall.

[11]6. Die behaupteten Mängel des Rekursverfahrens wurden geprüft, sie liegen nicht vor. Auch im Außerstreitverfahren kann eine vom Rekursgericht verneinte Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz im Revisionsrekursverfahren grundsätzlich nicht mehr geltend gemacht werden (RS0050037; RS0030748), sofern nicht aus Gründen des Kindeswohls eine Durchbrechung dieses Grundsatzes erforderlich ist (RS0050037 [T1, T4, T8, T18]; RS0030748 [T2, T5, T18]). Dass ein solcher Fall hier vorliegen würde, behauptet der Revisionsrekurswerber nicht. Eine Aktenwidrigkeit ist nicht zu erkennen, zumal die Sachverständige anlässlich der Erörterung ihres Gutachtens nur Überlegungen anstellte, dem Vater allenfalls einen Tag in der Woche als zusätzlichen Betreuungstag zu geben. Wenn die Vorinstanzen dies nicht dahin werteten, dass die Sachverständige dies als im Kindeswohl liegend empfohlen hätte, ist dies ein Akt der Beweiswürdigung, der für den Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht überprüfbar ist (vgl RS0069246). Die Auseinandersetzung des Rekursgerichts mit der Verfahrensrüge ist auch nicht mangelhaft. Aus dem erstinstanzlichen Beschluss war eindeutig ableitbar, dass das Erstgericht darin nur den im Provisorialverfahren festgestellten Sachverhalt wiedergeben wollte, im Übrigen aber das Verhalten des Vaters (etwa dessen Vehemenz) im Pflegschaftsverfahren an sich als ausschlaggebend ansah. Das Rekursgericht hielt dem Revisionsrekurswerber nicht vor, er habe die Vorgehensweise des Erstgerichts im Zusammenhang mit dem Bestellungsbeschluss der Sachverständigen nicht gerügt, sondern wies nur auf den – aktenkundigen – Umstand hin, dass er die Erstrichterin nicht abgelehnt hat. Warum die Verneinung dieser Verfahrensmängel durch das Rekursgericht aus Gründen des Kindeswohls ausnahmsweise anfechtbar sein sollte, stellt der Revisionsrekurs auch nicht dar.

[12]7. Damit war der Revisionsrekurs zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 71 Abs 3 AußStrG).