3Ob219/24p – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M*, 2. Dipl.-Ing. Dr. K*, beide vertreten durch Mag. Mariella Hackl, Rechtsanwältin in Kirchbach Zerlach, und ihrer Nebenintervenientin S* GmbH, *, vertreten durch Dr. Gerhard Petrowitsch, Rechtsanwalt in Leibnitz, gegen die beklagte Partei S*gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch Mag. Stephan Bertuch, Rechtsanwalt in Graz, und ihre Nebenintervenientin A* GmbH, *, vertreten durch Mag. Christian Taumberger, Rechtsanwalt in Graz, wegen 1.) restlicher 29.029,98 EUR sA und 2.) restlicher 15.589,59 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 17. Oktober 2024, GZ 2 R 110/24z 133, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 25. April 2024, GZ 41 Cg 78/21s 119, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Der Akt wird in Bezug auf die „außerordentliche Revision“ der zweitklagenden Partei dem Erstgericht zurückgestellt.
2. Der beklagten Partei wird die Beantwortung der Revision der erstklagenden Partei freigestellt.
Text
Begründung:
zu 1.:
[1] Die Beklagte ließ in den Jahren 2012 bis 2013 das Dachgeschoß des auf einer ihr gehörigen (parifizierten) Liegenschaft errichteten Hauses durch Schaffung von zwei Mansardenwohnungen (Top 201 und Top 202) ausbauen. Im Anschluss verkaufte sie der Erstklägerin mit Kaufvertrag vom 3. November 2014 298/1924-stel Anteile der Liegenschaft, verbunden mit Wohnungseigentum an W Top 202, und dem Zweitkläger mit Kaufvertrag vom 8. Mai 2014 264/1924 stel Anteile derselben Liegenschaft, verbunden mit Wohnungseigentum an W Top 201. In der Folge stellte sich heraus, dass die zu den Wohnungseigentumsobjekten der Kläger gehörenden Terrassen jeweils diverse Mängel aufwiesen, wodurch es zu Wasserschäden kam.
[2] Mit ihrer gemeinsamen Klage begehren die Kläger (nach Klageeinschränkung und ausdehnung) letztlich insgesamt 60.382,12 EUR sA an Kosten der Ersatzvornahme der von der Beklagten geschuldeten, aber nicht erbrachten Sanierung sowie den Ersatz von Mangelfolgeschäden; vom eingeklagten Betrag entfallen 42.923,49 EUR sA auf die Erstklägerin und 17.458,63 EUR sA auf den Zweitkläger.
[3] Das Erstgericht sprach den Klägern (gemeinsam) 7.366,88 EUR (ohne Zinsen) zu und wies das Mehrbegehren ab.
[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten gegen den stattgebenden Teil des Ersturteils nicht Folge und änderte dieses in seinem abweisenden Teil infolge Berufung der Kläger dahin ab, dass es der Erstbeklagten 13.893,51 EUR sA und dem Zweitbeklagten 1.869,04 EUR sA zusprach; das Mehrbegehren der Erstklägerin von 29.029,98 EUR sA und des Zweitklägers von 15.589,59 EUR sA wies es ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision jeweils nicht zulässig sei.
[5] Gegen den abweisenden Teil der Berufungsentscheidung richtet sich das als „außerordentliche Revision“ bezeichnete (gemeinsame) Rechtsmittel der Kläger, das das Erstgericht dem Obersten Gerichtshof vorlegte.
Rechtliche Beurteilung
[6] Diese Aktenvorlage ist bezüglich des Zweitklägers verfehlt:
[7] 1. Werden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, dann bilden sie nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand – und damit einen einheitlichen Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts –, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen; andernfalls sind sie getrennt zu behandeln (RS0053096). Liegt eine Parteienhäufung vor, so sind gemäß § 55 Abs 1 Z 2 JN mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammenzurechnen, wenn sie von mehreren Parteien oder gegen mehrere Parteien erhoben werden, die Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO sind. Das Gesetz verlangt somit im Bereich der Parteienhäufung das Vorliegen einer materiellen Streitgenossenschaft entweder auf Kläger- oder auf Beklagtenseite. Es muss daher entweder eine Rechtsgemeinschaft hinsichtlich des Streitgegenstands bestehen oder eine Parteienmehrheit, die aus demselben tatsächlichen Grund (allenfalls sogar solidarisch) berechtigt oder verpflichtet ist (RS0053096 [T19]). Liegt hingegen (bloß) eine formelle Streitgenossenschaft nach § 11 Z 2 ZPO vor, kommt es selbst dann nicht zu einer Zusammenrechnung der Streitwerte, wenn die geltend gemachten Forderungen in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen (RS0053096 [T20]). Ist in einem Verfahren Anspruchs- und gleichzeitig Parteienhäufung gegeben, sind bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 Abs 1 Z 1 JN zwar die gehäuften Ansprüche der betreffenden Partei zusammenzurechnen, nicht jedoch diese Ansprüche mit jenen der übrigen formellen Streitgenossen (RS0053096 [T21]).
[8] 2. Materielle Streitgenossen sind gemäß § 11 Z 1 ZPO Streitgenossen, die in Ansehung des Streitgegenstands in Rechtsgemeinschaft stehen oder aus demselben tatsächlichen Grund oder solidarisch berechtigt oder verpflichtet sind. Eine bloß formelle Streitgenossenschaft liegt gemäß § 11 Z 2 ZPO hingegen dann vor, wenn gleichartige, auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen Grund beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtstreits bilden.
[9] 3. Formelle Streitgenossen sind nach der Rechtsprechung etwa mehrere aus einem Unfall Geschädigte (RS0110982) oder mehrere Unterhaltsberechtigte (RS0035556).
[10] 4. Die beiden Kläger sind zwar Miteigentümer derselben Liegenschaft und stehen als solche grundsätzlich in Rechtsgemeinschaft. Zur Begründung der materiellen Streitgenossenschaft muss sich die Rechtsgemeinschaft freilich auf den Streitgegenstand „im engeren Sinn“ beziehen. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass eine Rechtsgemeinschaft im bloßen Vorfragenbereich nicht genügt (vgl RS0035355). Eine Rechtsgemeinschaft in Ansehung des Streitgegenstands liegt bei den hier – nach erfolgter Wahl des Ersatzes des Sanierungsaufwands – auf Geld gerichteten Schadenersatzansprüchen der beiden Mit und Wohnungs-eigentümer, die die Grundlage in den jeweiligen Kaufverträgen haben, nicht vor (vgl 5 Ob 119/11b). Vielmehr verfolgen die Kläger eigenständige (aus ihren jeweiligen Kaufverträgen resultierende) Gewährleistungs bzw Schadenersatzansprüche gegen die Beklagte. Folglich sind ihre Klagebegehren für die Frage der Rechtsmittelzulässigkeit nicht zusammenzurechnen.
[11] 5. Hinsichtlich des Zweitklägers war Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts dessen Begehren von 17.458,63 EUR sA. Übersteigt der Wert des Entscheidungsgegenstands des Berufungsgerichts zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR, ist die Revision gemäß § 502 Abs 3 ZPO – außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO und in den hier nicht vorliegenden Fällen des § 502 Abs 4 und 5 ZPO – jedenfalls unzulässig, wenn das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO für nicht zulässig erklärt hat. Die Partei kann dann nur gemäß § 508 Abs 1 und 2 ZPO den binnen vier Wochen ab der Zustellung des Berufungsurteils beim Erstgericht einzubringenden Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Zulässigkeits-ausspruch zu ändern und die ordentliche Revision doch für zulässig zu erklären. In diesem Antrag, der mit der ordentlichen Revision zu verbinden ist, sind die Gründe dafür anzuführen, warum die ordentliche Revision entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 502 Abs 1 ZPO für zulässig erachtet wird.
[12] 6. Erhebt die Partei in einem solchen Fall ein Rechtsmittel, ist es gemäß § 507b Abs 2 ZPO dem Berufungsgericht vorzulegen. Das gilt auch dann, wenn sie es als „außerordentliches“ Rechtsmittel bezeichnet und an den Obersten Gerichtshof richtet (vgl RS0109623). Ob der Schriftsatz den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entspricht oder ob er einer Verbesserung bedarf, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten (RS0109623 [T5]).