JudikaturOGH

8ObA53/24p – OGH Entscheidung

Entscheidung
Arbeitsrecht
14. Januar 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann Prentner sowie die Hofräte MMag. Matzka und Dr. Stefula und die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alexander Leitner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch die Haider Obereder Pilz Rechtsanwält:innen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Gemeinde Wien, 1010 Wien, Rathausstraße 4, vertreten durch die Fellner Wratzfeld Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Bestandes eines Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 24. September 2024, GZ 8 Ra 75/24v 48.2, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1.Regelungen über die Beweislast kommen nur dann zur Anwendung, wenn die Beweisergebnisse nach der Überzeugung des Gerichts nicht ausreichen, um einen entscheidungswesentlichen Tatumstand als erwiesen oder als nicht erwiesen anzunehmen, sodass die freie Beweiswürdigung zu keinem Ergebnis führt (vgl RS0039903).

[2]Die Auslegung von Urteilsfeststellungen im Einzelfall wirft regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf (vgl RS0118891).

[3] 1.2. Die Vorinstanzen haben die Konstatierungen, wonach nicht festgestellt werden könne, dass es im Bereich der Bestattung Wien, bei welcher der Kläger dienstzugeteilt war, oder sonst bei der Beklagten eine offene Stelle gebe, für die der Kläger aufgrund seiner Ausbildung, seiner Erfahrung bei der Beklagten und seiner geistigen und gesundheitlich eingeschränkten körperlichen Leistungsfähigkeit geeignet oder sinnvoll einsetzbar sei, ersichtlich nicht im Sinne eines non liquet getroffen: Wie sich auch aus der Beweiswürdigung des Erstgerichts ergibt, legte es seinen Feststellungen konkrete und von ihm nicht bezweifelte positive Beweisergebnisse zugrunde, dass keine solchen Arbeitsplätze bestünden.

[4] 1.3. Ein solches Auslegungsergebnis bewegt sich im Rahmen des insbesondere Rechtsmittelgerichten im Einzelfall notwendigerweise zukommenden Beurteilungsspielraums.

[5] Beweislastregeln sind daher hier nicht anwendbar; ein von der Revision vermeintes Abgehen von der Rechtsprechung zur Behauptungs und Beweislastverteilung liegt damit insofern nicht vor.

[6] 2.1.Nach § 42 Abs 2 Z 2 des Gesetzes über das Dienstrecht der Vertragsbediensteten der Gemeinde Wien (Vertragsbedienstetenordnung 1995 – VBO 1995), WrLBGl 1995/50 (in der Folge: WrVBO 1995), ist die Beklagte zur Kündigung eines Bediensteten berechtigt, wenn dieser für die Erfüllung seiner Dienstpflichten gesundheitlich ungeeignet ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Krankenstände auftreten, die den Bediensteten laufend in einem weit über dem Durchschnitt liegenden Maß an der Dienstleistung hindern (RS0081880). Dabei kommt es nicht allein auf die Dauer und Häufigkeit der in der Vergangenheit aufgetretenen Krankenstände an (RS0081880 [T13]); entscheidend ist vielmehr, ob daraus abgeleitet werden kann, dass der Dienstnehmer für die Erfüllung der Dienstpflichten gesundheitlich in Zukunft nicht geeignet ist (RS0081880 [T12, T16]). Hierfür kommt es auf die Erfüllung bzw Nichterfüllung der dem Vertragsbediensteten übertragenen Dienstpflichten auf dem konkreten Arbeitsplatz und nicht auf die Möglichkeit ersprießlicher Arbeitsleistung auf irgendeinem anderen Dienstposten des Dienstgebers an; der Arbeitgeber ist daher – auch im Rahmen seiner Fürsorgepflicht (siehe sogleich Pkt 2.2.) – grundsätzlich nicht verpflichtet, den dauernd dienstunfähigen Arbeitnehmer in einer anderen als der arbeitsvertraglich geschuldeten Verwendung zu beschäftigen (vgl 8 ObA 56/18w mwH).

[7] 2.2.Bereits das Berufungsgericht hat aber ausführlich dargelegt, dass der Dienstgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflicht verhalten ist, einem partiell dienstunfähigen Dienstnehmer nach Möglichkeit eine leichtere Arbeit zuzuweisen, zu deren Verrichtung er weiterhin in der Lage ist; verletzt der Dienstgeber diese soziale Gestaltungspflicht, ist die Kündigung nicht berechtigt (9 ObA 30/21h mwN; RS0082303). Diese Obliegenheit, dem Arbeitnehmer tunlichst leichtere Arbeiten zuzuweisen, besteht vor allem dann, wenn das Dienstverhältnis bereits lange Zeit (hier: insgesamt mehr als dreißig Jahre) gedauert hat und wenn der Personalstand des Dienstgebers groß ist (8 ObA 79/02d): Je größer dieser ist, umso eher kann eine entsprechende Verwendung gefunden werden (RS0082305).

[8] Der Dienstgeber ist aber im Rahmen der sozialen Gestaltungsund Fürsorgepflicht nicht gehalten, seine Arbeitsorganisation umzustrukturieren und für den dauernd und nicht nur krankheitshalber vorübergehend nicht voll einsatzfähigen Vertragsbediensteten durch eine neue Arbeitsverteilung einen dem Rest seiner Arbeitskraft entsprechenden, bis dahin nicht existierenden Arbeitsplatz neu zu schaffen (vgl RS0082303 [T4, T7]; RS0031393).

[9] 2.3. Die Behauptungsund Beweislast dafür, dass keine weitere Verwendbarkeit bestanden hätte oder mangels offener Planstellen eine solche Besetzung nicht möglich wäre, trifft den Arbeitgeber (RS0125343 [T1]). Ob dem Arbeitgeber der Beweis der mangelnden Beschäftigungsmöglichkeit für einen nur mehr partiell dienstfähigen Vertragsbediensteten gelungen ist, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet schon deshalb grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage; dasselbe gilt für die Frage, ob der Dienstgeber seiner diesbezüglichen Fürsorgepflicht ausreichend nachgekommen ist (vgl 8 ObA 66/22x; RS0051942 [T4]).

[10] 3. Die Revision zeigt auch keine Rechtsfragen auf, welche die Anrufung des Obersten Gerichtshofs rechtfertigen könnten.

[11] 3.1.1. Der Kläger meint, er sei nicht als Sargträger, sondern als Bestatter beschäftigt gewesen; nach einem für letztere Beschäftigung geltenden Beurteilungsmaßstab liege kein Kündigungsgrund im Sinne des § 42 Abs 2 Z 2 WrVBO 1995 vor, wonach er für die Erfüllung seiner Dienstpflichten gesundheitlich gänzlich ungeeignet wäre.

[12] 3.1.2. Dem stehen die Feststellungen über die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers in Ansehung insbesondere der Hebe und Trageleistungen entgegen, wie sie gerade mit einer Beschäftigung als Bestatter – mag er auch (wie der Kläger zuletzt) Partieführer einer Trägerpartie (gewesen) sein – insbesondere im Hinblick auf die Notwendigkeit verbunden sind, zumindest auch als Sargträger zu fungieren, ohne dass es Verwendungen und Tätigkeiten als Bestatter gäbe, die sich durchgängig im Rahmen des nach den Feststellungen deutlich – und nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft – eingeschränkten körperlichen Leistungskalküls des Klägers bewegen würden.

[13] Die Arbeitsorganisation der Beklagten sieht vor, dass Bestatterpartien von vier Personen auf allen Wiener Friedhöfen eingesetzt werden; dabei wäre es nach den Feststellungen dauerhaft nicht möglich, einzelne Mitarbeiter etwa ausschließlich für Urnenbestattungen anstelle von Sargbestattungen heranzuziehen, was insgesamt dazu führt, dass der Kläger keine für die Beklagte sinnvoll verwertbare Arbeitsleistung in seiner bisherigen Beschäftigung mehr erbringen kann. In diesem Lichte ist das Berufungsgericht zumindest vertretbar von einer Unfähigkeit des Klägers ausgegangen, seiner unstrittig dienstvertraglich vereinbarten Tätigkeit als Bestatter nachzugehen.

[14] Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang behauptet, er könne sämtliche Tätigkeiten als Bestatter weiterhin ausüben, entfernt er sich vom festgestellten Sachverhalt, zumal er nach diesem nicht nur bei Aufgaben als Sargträger, sondern sogar auch bei sonstigen (Teil )Tätigkeiten (Urnentragen) im „Leichtdienst“ körperlich eingeschränkt ist.

[15] 3.2.1. Nach den Feststellungen gibt es bei der Bestattung Wien keine Stellen, welche ausschließlich für Tätigkeiten in einem solchen Leichtdienst vorgesehen wären; sie hat keinen Bedarf an einer dauernden solchen Verwendung eines Arbeitnehmers und dies ist aus organisatorischen Gründen auf Dauer auch nicht möglich. Der Leichtdienst war generell lediglich dafür gedacht, dem Kläger vorübergehend eine Beschäftigungsmöglichkeit bis zur Wiedererlangung seiner Gesundheit zu schaffen, was ihm auch wiederholt mitgeteilt wurde.

[16] 3.2.2. Aus dem Umstand, dass die Beklagte den Kläger über einen längeren Zeitraum von eineinhalb Jahren in einem solchen Leichtdienst beschäftigte, ist für den Kläger nichts zu gewinnen. Das Berufungsgericht vertrat – im Anschluss an die Entscheidung 8 ObA 56/18w – die Auffassung, dass es sich bei der Zuweisung des Klägers zu einer solchen Tätigkeit um eine vorübergehende soziale Maßnahme der Beklagten handelte, aber keine dauerhafte Einrichtung oder Umgestaltung ihrer Arbeitsorganisation; aus der Eignung des Klägers zur Erbringung dieser Tätigkeiten könne keine bloß partielle Dienstunfähigkeit abgeleitet werden.

[17] Dies ist auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger nach den Feststellungen im Zusammenhang mit dieser Zuweisung in Aussicht gestellt hatte, seine volle Einsetzbarkeit könne und werde wiederhergestellt werden, nicht im Einzelfall unvertretbar.

[18] 3.3.1. Im Übrigen steht – positiv (siehe oben Pkt 1.) – fest, dass es weder im Bereich der Bestattung Wien, etwa als „Arrangeur“ oder im Bereich des Bestattungsmuseums, noch sonst bei der Beklagten eine offene Stelle gibt, für die der Kläger aufgrund seiner Ausbildung, seiner Erfahrung bei der Beklagten und seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit geeignet bzw sinnvoll einsetzbar wäre, zumal er auch nicht über erforderliche rhetorische Fähigkeiten, IT Kenntnisse, welche in bloßen Verwaltungstätigkeiten gebraucht werden, oder kaufmännische Qualifikationen verfügt.

[19] 3.3.2. Wenn das Berufungsgericht auf diesen Feststellungen aufbauend zum Schluss kam, dass der Beklagten auch insofern keine Verletzung ihrer Fürsorgepflicht anzulasten ist, liegt darin keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung.

[20] 3.4. Welche Bedeutung dem Umstand zukommen sollte, dass Mitursache der körperlichen Einschränkung eine bei Verrichtung der Bestattertätigkeit erlittene Verletzung und damit ein Arbeitsunfall gewesen wäre, erschließt sich nicht.

[21] 4.Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).