17Ob12/24z – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Präsidenten Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Stefula und MMag. Sloboda, die Hofrätin Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Philipp Casper, Rechtsanwalt, Kalchberggasse 1, 8010 Graz, als Insolvenzverwalter der S* GmbH, *, vertreten durch die Kaan Cronenberg Partner Rechtsanwälte GmbH Co KG in Graz, gegen die beklagte Partei Ing. J*, vertreten durch die KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen zuletzt Feststellung und Übertragung von Gesellschaftsanteilen (Streitwert: 1.000.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 22. August 2024, GZ 2 R 89/24m 83, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Der Beklagte war der einzige Gesellschafter und Geschäftsführer der Schuldnerin.
[2] Die Schuldnerin hielt 100 % der Anteile an einer schweizerischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (in der Folge: Tochtergesellschaft).
[3] Aufgrund einer Vereinbarung mit der Schuldnerin und einer ihrer Gläubigerinnen vom 20. 4. 2018 übernahm der Beklagte (privativ) eine Verbindlichkeit der Schuldnerin gegenüber dieser Gläubigerin in Höhe von 200.000 EUR. Er beglich sie am 28. 6. 2018.
[4] Am 1. 8. 2018 hielt der Beklagte in einer sowohl im eigenen Namen als auch im Namen der Schuldnerin unterschriebenen Aufrechnungsvereinbarung fest, dass
- er der Schuldnerin ein kurzfristig, aber längstens bis 20. 8. 2018 zur Rückzahlung fälliges Darlehen über 200.000 EUR eingeräumt und zugezählt habe;
- ihm die Schuldnerin ihre Anteile an der Tochtergesellschaft um 90.917,39 EUR verkaufen werde; und
- er erkläre, den Kaufpreis gegen das aushaftende Darlehen aufrechnungsweise zu verrechnen, sodass es sich um 90.917,39 EUR verringere, und die Schuldnerin der Aufrechnung zustimme.
[5] Mit Kaufvertrag vom 12. 9. 2018 erwarb der Beklagte die Anteile der Schuldnerin an der Tochtergesellschaft um 90.917,39 EUR. Der Kaufpreis wurde auf dem mit „Gesellschafterdarlehen“ bezeichneten Konto der Schuldnerin saldosenkend gebucht.
[6] Die Tochtergesellschaft hatte am 12. 9. 2018 eine offene Rechnung gegen eine andere Gesellschaft im Betrag von 94.689 EUR. Lag dieser Rechnung eine richtige und einbringliche Forderung zugrunde, waren die Anteile an der Tochtergesellschaft 71.200 EUR wert. Ohne diese Forderung wären die Anteile wertlos gewesen.
[7] Die Schuldnerin war sowohl am 1. 8. 2018 als auch am 12. 9. 2018 überschuldet und zahlungsunfähig.
[8] Am 10. 4. 2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
[9] Im Jahr 2020 beglich die andere Gesellschaft die am 12. 9. 2018 offene Rechnung der Tochtergesellschaft im Betrag von 94.689 EUR vollständig.
[10] Am 27. 4. 2022 beschloss die Generalversammlung der Tochtergesellschaft deren Auflösung. Sie wurde liquidiert und am 18. 11. 2022 aus dem schweizerischen Handelsregister gelöscht.
[11] Der Klägerbegehrte vom Beklagten – unter anderem gestützt auf §§ 82, 83 GmbHG und §§ 14, 15 EKEG – die Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrags vom 12. 9. 2018, der Aufrechnungsvereinbarung vom 1. 8. 2018 und der Aufrechnung. Weiters begehrte er die Übertragung der Anteile an der Tochtergesellschaft an die Insolvenzmasse (Naturalrestitution) und hilfsweise Wertersatz in Höhe von 71.200 EUR sA. Hilfsweise focht er die betreffenden Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen nach § 28 Z 1 und Z 4, § 30 Abs 1 Z 1 und Z 2 IO an und stellte weitere Eventualbegehren.
[12] Der Beklagtebeantragte die Abweisung des Klagebegehrens und entgegnete unter anderem, die behaupteten Verstöße des Kaufvertrags, der Aufrechnungsvereinbarung und der Aufrechnung gegen §§ 82, 83 GmbHG und §§ 14, 15 EKEG lägen ebenso wenig vor wie die Voraussetzungen einer Anfechtung nach den Bestimmungen der IO.
[13] Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren und – nach (rechtskräftiger) Abweisung des Hauptbegehrens auf Übertragung der Gesellschaftsanteile der Schuldnerin an der Tochtergesellschaft an die Insolvenzmasse – dem Eventualbegehren auf Wertersatz statt. Der Kaufvertrag und die Aufrechnungsvereinbarung seien „gesamthaft“ zu beurteilen. Die Forderung der Tochtergesellschaft gegen die andere Gesellschaft (94.689 EUR) habe zu Recht bestanden und sei einbringlich gewesen, zumal sie letztlich bezahlt worden sei. Die Anteile an der Tochtergesellschaft seien daher 71.200 EUR wert gewesen. Der Beklagte habe von der Schuldnerin einen werthaltigen Vermögensgegenstand – die Anteile an der Tochtergesellschaft – erhalten und als Gegenleistung nur einen aufgrund der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nicht werthaltigen Vermögensgegenstand – den dem Kaufpreis entsprechenden Teil seiner Forderung auf Darlehensrückzahlung – hingegeben. Die objektive Inäquivalenz von Leistung und Gegenleistung halte einem Fremdvergleich nicht stand. Damit hätten der Kaufvertrag, die Aufrechnungsvereinbarung und die Aufrechnung gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verstoßen und seien absolut nichtig. Da die Tochtergesellschaft liquidiert und aus dem Handelsregister gelöscht worden sei, folge aus der Nichtigkeit ein Anspruch der Insolvenzmasse auf Wertersatz. Das Klagebegehren bestehe auch wegen eines Verstoßes gegen die Rückzahlungssperre des § 14 EKEG zu Recht.
[14] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei, weil keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung zu beantworten gewesen seien.
Rechtliche Beurteilung
[15] In der außerordentlichen Revisionzeigt der Beklagte keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
[16] 1.Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine verbotene Einlagenrückgewähr (§§ 82 f GmbHG) vor, wenn eine Besserstellung des Gesellschafters gegenüber anderen Vertragspartnern der Gesellschaft aufgrund seiner Gesellschafterstellung erfolgt und diese zu Lasten der Gesellschaft geht (vgl 6 Ob 206/17p mwN). Maßgebend ist insbesondere, ob das Geschäft einem Fremdvergleich standhält und auch so geschlossen worden wäre, wenn kein Gesellschafter daraus einen Vorteil zöge (RS0105540). Dafür kommt es nicht nur auf die konkreten Konditionen des Geschäfts an, sondern vor allem darauf, ob mit einem gesellschaftsfremden Dritten überhaupt ein solches Geschäft geschlossen worden wäre (RS0105540 [T8]). Der maßgebliche Zeitpunkt ist jener des Vertragsabschlusses (vgl 6 Ob 132/10w). Verstößt ein Geschäft gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr, ist es nach § 879 Abs 1 ABGB nichtig (RS0105535 [T1]).
[17] 2.Der Beklagte meint, das Berufungsgericht sei von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen, wonach die Rückzahlung eines Kredits, den ein Gesellschafter der Gesellschaft gewährt habe, seit dem Inkrafttreten des EKEG nicht mehr vom Verbot der Einlagenrückgewähr erfasst sei, sondern abschließend im EKEG geregelt sei (vgl 17 Ob 1/20a, Rz 1.2). Dabei übersieht er, dass die Vorinstanzen den Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr (§§ 82 f GmbHG) nicht in der Rückzahlung eines der Schuldnerin gewährten Kredits erblickt haben, sondern darin, dass der Beklagte von der Schuldnerin eine werthaltige Leistung erhalten hat – die Anteile an der Tochtergesellschaft – und dafür nur einen Teil einer aufgrund der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nicht mehr werthaltigen Forderung auf Rückzahlung eines der Schuldnerin gewährten Darlehens hingegeben hat.
[18] 3.Ob ein Geschäft gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verstößt, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die Revision ist daher nur dann zulässig, wenn sie aufzeigt, dass die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts unvertretbar ist (vgl zB RS0021095: „auffallende Fehlbeurteilung“; RS0044088: „grober Fehler bei der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnorm“). Das gelingt dem Beklagten nicht: Er verweist zwar auf die alternativen Feststellungen zum Wert der Anteile an der Tochtergesellschaft (je nach Richtigkeit und Einbringlichkeit ihrer Forderung gegen eine andere Gesellschaft), zieht aber die Beurteilung der Vorinstanzen, die Forderung der Tochtergesellschaft gegen eine andere Gesellschaft sei richtig und einbringlich gewesen, nicht in Zweifel. Er wendet sich auch nicht gegen die Ansicht der Vorinstanzen, der Kaufvertrag und die Aufrechnungsvereinbarung seien „gesamthaft“ zu beurteilen. Sein Hinweis, der Kaufpreis (90.917,39 EUR) sei jedenfalls über dem Wert der Anteile (71.200 EUR) gelegen, ändert schon deshalb nichts an der Vertretbarkeit der „gesamthaften“ Beurteilung des Kaufvertrags und der Aufrechnungsvereinbarung als einem Fremdvergleich nicht standhaltend, weil die Kaufpreisschuld von vornherein durch Aufrechnung mit einer nicht werthaltigen Forderung getilgt werden sollte, was letztlich auch so erfolgte. Warum § 19 Abs 1 IO, wonach Forderungen, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits aufrechenbar waren, im Insolvenzverfahren nicht geltend gemacht zu werden brauchen, die Beurteilung der Vorinstanzen zur fehlenden Fremdüblichkeit unvertretbar machen soll, legt der Beklagte nicht nachvollziehbar dar.
[19] 4.Der Beklagte argumentiert, das Berufungsgericht sei bei der Beurteilung der Beweislast für das Vorliegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen. Die Regeln über die Beweislast greifen nach der Rechtsprechung aber erst und nur dann ein, wenn das Beweisverfahren ohne subsumtionsfähiges Sachverhaltsergebnis geblieben ist (RS0039872; RS0039875 [T5]). Stehen die zu beweisenden Tatsachen (oder steht das Gegenteil dieser Tatsachen) ohnehin fest, kommen die Beweislastregeln nicht zur Anwendung, weil es dann keine Rolle mehr spielt, wen die Beweislast trifft (vgl 4 Ob 119/24i mwN). Der Beklagte zeigt keine konkrete Negativfeststellung auf, die das Berufungsgericht bei der Beurteilung des Verstoßes gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr in Abweichung von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu seinen Lasten verwertet hätte, und wirft auch insoweit keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[20] 5. Eine Rechtsfrage kann nach dem klaren Gesetzeswortlaut nur dann erheblich iSd§ 502 Abs 1 ZPO sein, wenn die Entscheidung von ihrer Lösung abhängt (vgl auch RS0088931). Da das Feststellungs- und das Eventualbegehren auf Wertersatz schon aufgrund des von den Vorinstanzen zumindest vertretbar bejahten Verstoßes gegen das Verbot der Einlagenrückgewährung berechtigt sind, hängt die Entscheidung nicht von der Lösung der vom Beklagten aufgeworfenen Rechtsfragen zum EKEG ab, weshalb darauf nicht weiter einzugehen ist.
[21] 6. Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen.