JudikaturJustiz9Os42/86

9Os42/86 – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. Mai 1986

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7.Mai 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Enzenhofer als Schriftführer in der Strafsache gegen Siegfried E*** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 29. November 1985, GZ 12 Vr 196/85-62, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Rzeszut, und des Verteidigers Dr. Insam, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe auf 20 (zwanzig) Jahre erhöht.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen ihm auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurde der 41-jährige Siegfried E*** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt, weil er am 13. Jänner 1985 in Dobl seine Gattin Sophie E*** durch Erdrosseln mit einer Nylon-Damenstrumpfhose vorsätzlich getötet hat.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Angeklagten dagegen aus den Z 3 und 5 des § 345 Abs. 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht begründet. Der Sache nach unter beiden Nichtigkeitsgründen rügt der Angeklagte zunächst die gegen seinen Widerspruch erfolgte Verlesung des anläßlich des Ortsaugenscheines am 13.Jänner 1985 aufgenommenen Protokolls (ON 4). Wenn der Untersuchungsrichter damals vermeinte, Gerichtszeugen müßten herangezogen werden, dann wäre er verpflichtet gewesen, gemäß §§ 102, 116 StPO zwei unbeteiligte Personen zuzuziehen. Tatsächlich habe er sich aber mit einem Zeugen in Gestalt eines Gendarmeriebeamten begnügt, der zudem als einvernehmender Beamter als an der Sache nicht unbeteiligt angesehen werden könne. Überdies sei der Angeklagte als Gatte der Toten "informativ befragt", jedoch nicht "im Sinne des § 152 StPO" belehrt worden. Da die Strafprozeßordnung nur die Einvernahme des Beschuldigten, des Zeugen und des Sachverständigen kenne, die alle im Sinne der Verfahrensvorschriften belehrt werden müßten, besäßen Angaben informativ befragter Personen keinen Beweiswert und dürften demnach nicht verlesen werden, zumal der Angeklagte sie nicht einmal unterfertigt habe.

Dem ist zu erwidern, daß die Bestimmungen der §§ 102, 116, 153, 198 Abs. 1 und 199 Abs. 2 StPO im Katalog der Z 4 des § 345 Abs. 1 StPO nicht enthalten und auch ihre Verletzung im Vorverfahren nicht ausdrücklich mit Nichtigkeit bedroht ist. Die Norm des § 152 StPO hinwieder bezieht sich nur auf die Vernehmung der Angehörigen des Beschuldigten und nicht auf solche des Opfers. Die "informative" Befragung des damals der Tat noch nicht verdächtigen Angeklagten und die Durchführung eines Augenscheines unter Zuziehung nur eines Gerichtszeugen stellt daher - auch wenn es sich bei letzterem um einen an der Aufklärung des gegenständlichen, dem Gericht bedenklich erscheinenden Todesfalles mitwirkenden Gendarmeriebeamten handelte - keinen nach dem Gesetz nichtigen Vorerhebungs- oder Voruntersuchungsakt im Sinne der Z 3 des § 345 Abs. 1 StPO dar, sodaß die Verlesung des darüber verfaßten Protokolls keine Nichtigkeit nach der bezeichneten Gesetzesstelle begründet.

Durch die Verlesung des Augenscheinsprotokolls, welches auch die Angaben des (keineswegs zur Umgehung irgendwelcher Rechte bloß) informativ befragten Angeklagten enthielt, wurden dessen Verteidigungsrechte auch sonst nicht beeinträchtigt. Stellt doch das Augenscheinsprotokoll ein im Gesetz erwähntes Beweismittel dar, das gemäß § 252 Abs. 2 StPO selbst gegen den Widerspruch der Parteien zu verlesen ist. Daß ein solches Protokoll aber auch in Ansehung der darin aufscheinenden Bekundungen einer (ohne Verletzung gesetzlicher Vorschriften) informativ befragten Person ein Schriftstück ist, das unter den Voraussetzungen des § 252 Abs. 1 oder Abs. 2 StPO verlesen werden darf bzw. muß, bedarf keiner weiteren Erörterung. Nicht berechtigt ist die Verfahrensrüge des Beschwerdeführers auch dort, wo sie sich gegen die Abweisung mehrerer von ihm in der Hauptverhandlung gestellter Beweisanträge wendet.

Die Beiziehung eines zweiten ärztlichen Sachverständigen war mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 118 Abs. 2 StPO nicht geboten; denn als "schwierig" in der Bedeutung der genannten Gesetzesstelle kann die Beobachtung oder Begutachtung in der Regel nur dann angesehen werden, wenn der Sachverständige die ihm vom Gericht vorgelegten relevanten Sachfragen entweder gar nicht oder doch nicht mit Bestimmtheit zu beantworten vermag (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO 2 § 118 Nr. 68), was vorliegend aber nicht zutraf (vgl. insbesondere Band I S 440, 441, 443, 446, 447, 450, 452).

Soweit der Verteidiger aber in der Hauptverhandlung neben der Schwierigkeit der Begutachtung zur Stützung seines Antrages (Band I S 453) zwar unter Hinweis auf eine aus dem Zusammenhang gerissene Äußerung des ärztlichen Sachverständigen sonst aber ohne weitere sachliche Begründung ins Treffen führte, der zweite gerichtsmedizinische Sachverständige werde in Verbindung mit dem gleichfalls beantragten kriminologischen Sachverständigen den Beweis erbringen, daß ein Selbstmord der Sophie E*** in der von Prof. Dr. M*** ausgeschlossenen Form durchaus möglich sei bzw. diese beiden Sachverständigen würden den Selbstmord der Genannten "bescheinigen", hat er damit weder einen Mangel des ärztlichen Gutachtens im Sinne der §§ 125, 126 StPO aufgezeigt noch die Voraussetzungen für die Durchführung eines anderen Beweises dargetan, sondern in Wahrheit lediglich die Vornahme eines unzulässigen Erkundungsbeweises begehrt.

Mit den vorstehenden Ausführungen ist auch schon klargestellt, weshalb der Angeklagte durch die Ablehnung seines Begehrens auf Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Gebiet der Kriminologie in seinen Verteidigungsrechten nicht geschmälert wurde, bzw. weshalb sein diesbezüglicher Antrag zu Recht der Ablehnung verfiel. Auf die in der Beschwerde nachgetragene Substantiierung der beiden eben behandelten Anträge muß nicht weiter eingegangen werden, weil für die Prüfung eines Zwischenerkenntnisses durch den Obersten Gerichtshof nur diejenigen tatsächlichen Ausführungen maßgebend sein können, die dem erkennenden Gericht bei Fällung des angefochtenen Zwischenerkenntnisses vorgelegen sind (vgl. Mayerhofer-Rieder aaO § 281 Z 4 Nr. 40 f). Nur der Vollständigkeit halber sei diesbezüglich aber bemerkt, daß bei der gegebenen Sachlage dem exakten Todeszeitpunkt ebensowenig Relevanz zukommt, wie der Frage, womit die fragliche Strumpfhose zerschnitten wurde und mit welcher Stelle sie am Halse des Opfers auflag.

Die Beischaffung eines Polizeiaktes zum Beweis dafür, "daß Sophie E*** in hochalkoholisiertem Zustand einen schweren Verkehrsunfall herbeiführte, bei dem sie selbst schwer verletzt wurde, daß sie in der Folgezeit in stationärer Behandlung des LKH Graz und sodann des L*** Graz-Feldhof gewesen sei sowie daß sie nicht, wie von den Zeugen dargestellt, lebenslustig war, sondern starke reaktive Depressionen hatte" (vgl. Band I S 403), konnte mit Fug unterbleiben, weil der nach der fraglichen Antragstellung gehörte psychiatrische Sachverständige Dr. Z*** nach Rücksprache mit dem LSKH Graz erklärte, Sophie E*** habe sich dort niemals in stationärer Behandlung befunden (Band I S 459 unten) und weil der Beschwerdeführer angesichts dessen, daß zwischen Verkehrsunfällen der fraglichen Art und einer drepressiven Gemütslage ein Zusammenhang nicht ohne weiteres ersichtlich ist, gehalten gewesen wäre, zu substantiieren, aus welchen Gründen nach seinem Dafürhalten dem gewünschten Polizeiakt Anhaltspunkte für spätere "reaktive Depressionen" entnommen werden könnten.

In Ansehung der auch hier in der Beschwerde nachgetragenen Begründung wird auf das oben zu diesem Punkt Gesagte verwiesen. Schließlich wurde der Angeklagte auch durch die Ablehnung seines Begehrens auf Einvernahme (Beiziehung von Prof.Dr. Viktor F*** und Beischaffung der Krankengeschichte der Sophie E*** zum Beweis dafür, "daß diese eine vergebliche Abmagerungskur über sich ergehen ließ und an einem Übergewicht von mehr als 100 kg seelisch litt, welches Gesamtverhalten im Zusammenhang mit den letzten Auseinandersetzungen und Gesprächen über Scheidung und ähnliches wie die Verweigerung des Geschlechtsverkehrs durch den Angeklagten ein sogenanntes präsuizidales Syndrom darstellte, welches sich vor einem Selbstmord abzeichnete" (vgl. Band I S 404) in seinen Verteidigungsrechten nicht beeinträchtigt.

Denn da der vom Gericht beigezogenen psychiatrische Sachverständige Dr. Z*** zu all diesen Punkten Stellung genommen hatte bzw. es dem Angeklagten offen gestanden wäre, durch Befragung dieses Sachverständigen die von ihm gewünschten Aufklärungen zu erhalten, gelten auch in Ansehung von Prof.Dr. F*** die oben erwähnten, die Beiziehung eines zweiten Sachverständigen regelnden Bestimmungen der §§ 125, 126 StPO. Daß aber deren Kriterien für die begehrte Maßnahme vorlägen, wurde anläßlich der Antragstellung - und allein dieser Zeitpunkt ist maßgebend; die in der Beschwerde nachgetragenen Argumente sind belanglos; siehe oben - nicht einmal behauptet.

Da endlich im zitierten Antrag auch in keiner Weise substantiiert wurde, weshalb in der Krankengeschichte über die Abmagerungskur Indizien für ein präsuizidales Syndrom enthalten sein sollten und demnach auch dieses Begehren sanktionslos negiert werden konnte, war die im ganzen unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

Bei der Strafbemessung wertete das Geschwornengericht als erschwerend nichts, als mildernd das durch die vorangegangenen Beschimpfungen und Tätlichkeiten bedingte provozierende Verhalten der Ermordeten und verhängte über den Angeklagten gemäß § 75 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Jahren.

Mit ihren Berufungen streben der Angeklagte Reduzierung, die Staatsanwaltschaft dagegen Erhöhung dieser Strafe an. Lediglich das Rechtsmittel der Anklagebehörde ist begründet.

Ihr ist nämlich darin beizutreten, daß selbst nach der Verantwortung des Angeklagten, der zugestanden hatte, mit mehreren Frauen intime Beziehungen unterhalten und immer mehr dem Alkohol zugesprochen zu haben (vgl. Band I S 47 und 53), dieser selbst den Grundstein für jenes Verhalten des Opfers gelegt hatte, das ihm nun als mildernd zugute gehalten wird. Stellt man dies gebührend mit in Rechnung und zieht man zudem die einschlägige - wenngleich schon sehr lange zurückliegende - Verurteilung des Angeklagten wegen eines in alkoholisiertem Zustand verschuldeten Verkehrsunfalles mit Todesfolgen ins Kalkül, dann erweist sich die vom Erstgericht geschöpfte Unrechtsfolge als in der Tat zu gering, weshalb sie vom Obersten Gerichtshof auf das aus dem Spruch ersichtliche, tatschuldadäquate Maß angehoben wurde.

Der Angeklagte wird mit seiner Berufung auf diese Entscheidung mit dem Bemerken verwiesen, daß bei der gegebenen Sachlage der Meldung des bei seiner Frau eingetretenen Todes - den er ja den Umständen nach kaum hätte verheimlichen können - keine nennenswerte Bedeutung zukommt und zwar ebenso wenig, wie seiner Alkoholisierung. Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.