JudikaturJustiz9ObA51/99m

9ObA51/99m – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Juli 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johann Meisterhofer und Dipl. Ing. Werner Conrad als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Eva E*****, Angestellte, *****, vertreten durch Dr. Helga Hofbauer, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei G***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Peter Kunz ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 257.520,30 brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Oktober 1998, GZ 7 Ra 209/98a-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 18. Februar 1998, GZ 13 Cga 1/97d-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei S 257.520,30 brutto samt 4,5 % Zinsen ab 1. 1. 1997 zu zahlen, wird abgewiesen.

Die klagenden Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 40.764,-- (darin enthalten S 6.774,-- USt und S 120,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die mit S 27.535,-- (darin enthalten S 2.822,50 USt und S 10.600,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 25.445,-- (darin enthalten S 2.032,50 USt und S 13.250,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war bei der Beklagten vom 15. 9. 1980 bis 17. 9. 1996 als Verkäuferin in der Parfümerieabteilung des "Kaufhauses Franz-Josefs-Bahnhof" angestellt. Sie bezog zuletzt ein 14x jährlich zahlbares Gehalt von monatlich S 14.954,67 brutto sowie eine einmal jährlich zahlbare Treueprämie von S 10.728,-- brutto. Aufgrund der Stillegung des "Kaufhauses Franz-Josefs-Bahnhof" mit 15. 8. 1996 wurde die Klägerin am 5. 7. 1996 zum 31. 12. 1996 gekündigt. Da sich die Klägerin weigerte, ab 9. 9. 1996 Dienst im "Kaufhaus Floridsdorf" zu verrichten, wurde sie mit Schreiben vom 16. 9. 1996 entlassen.

Mit der Begründung, ungerechtfertigt entlassen worden zu sein, begehrt die Klägerin zuletzt S 257.520,30 brutto sA an entlassungsabhängigen Ansprüchen. Sie habe sich seinerzeit ausdrücklich für das "Kaufhaus Franz-Josefs-Bahnhof" beworben. Eine Versetzbarkeit sei nicht vereinbart worden.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen und wendete ein, daß die Entlassung gerechtfertigt erfolgt sei. Mit der Klägerin sei nicht vereinbart worden, daß sie ihre Dienste ausschließlich im "Kaufhaus Franz-Josefs-Bahnhof" zu leisten habe. Nach dessen Schließung seien alle Mitarbeiter, deren Kündigungsfrist über den Schließungstermin 15. 8. 1996 hinausgereicht habe, nach Gesprächen mit dem Betriebsrat, der allerdings eine ablehnende Haltung eingenommen habe, in anderen Kaufhäusern der Beklagten in Wien eingesetzt worden. Der Klägerin wäre eine Tätigkeit im "Kaufhaus Floridsdorf", das mit der U-Bahn leicht erreichbar sei, zumutbar gewesen. Die Klägerin habe jedoch eine Tätigkeit im "Kaufhaus Floridsdorf" trotz mehrmaliger Aufforderung abgelehnt. Sie habe daher zufolge einwöchiger Unterlassung der Dienstleistung den Entlassungstatbestand des § 27 Z 4 AngG verwirklicht.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Dabei ging es über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus noch von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:

Am 5. und 26. 7. 1980 erschienen in einer Tageszeitung zwei große Annoncen, in denen die Beklagte Personal für ihr im Oktober zu eröffnendes "Kaufhaus Franz-Josefs-Bahnhof" in Wien suchte. Die Klägerin bewarb sich aufgrund dieser Annoncen für eine Stelle in diesem Kaufhaus, welches ihr aufgrund der relativen Nähe von 20 Gehminuten zu ihrer Wohnung und auch im Hinblick auf die Betreuung ihrer kleinen Tochter für eine Halbtagsstelle geeignet erschien. Bei den Einstellungsgesprächen wurde über eine etwaige Verwendung der Klägerin in anderen Kaufhäusern der Beklagten nicht gesprochen. Der Punkt 1.) des Arbeitsvertrages der Klägerin lautete wie folgt: "Sie werden mit Wirkung vom 15. September 1980 in die Dienste unseres Unternehmens, Kaufhaus Franz-Josefs-Bahnhof, treten." Der Arbeitsvertrag enthielt keinen Hinweis darauf, daß die Klägerin im Bedarfsfall angehalten werden könne, ihre Arbeit in einer anderen Filiale der Beklagten im Großraum Wien zu verrichten. Die Klägerin wurde auch während ihrer Beschäftigung bei der Beklagten nie, auch nicht kurzfristig oder vertretungsweise, in einer anderen Filiale verwendet.

Im Hinblick auf die bevorstehende Schließung des "Kaufhaus Franz-Josefs-Bahnhof" am 15. 8. 1996 wurden die dort beschäftigten 50 bis 60 Arbeitnehmer zum überwiegenden Teil gekündigt. Bei der Klägerin endete die Kündigungsfrist am 31. 12. 1996. In der Zeit vom 5. 8. bis 14. 8. 1996 befand sich die Klägerin auf Urlaub. Nach der Schließung des "Kaufhauses Franz-Josefs-Bahnhof" am 15. 8. 1996 verbrauchte die Klägerin mit Einverständnis der Beklagten bis zum 7. 9. 1996 Zeitausgleich und Postensuchtage. Am 6. 9. 1996 forderte die Beklagte die Klägerin schriftlich auf, am 9. 9. 1996, um 8.30 Uhr im "Kaufhaus Floridsdorf" den Dienst anzutreten. Da die Klägerin dieser Aufforderung nicht nachgekommen war, ersuchte die Beklagte mit Schreiben vom 11. 9. 1996 um Bekanntgabe der Gründe. Die Gewerkschaft der Privatangestellten beharrte darauf namens der Klägerin auf ihrem Standpunkt, die Klägerin müsse einer einseitigen Versetzung nicht Folge leisten. Mit Brief vom 16. 9. 1996, zugegangen am 17. 9. 1996, sprach die Beklagte hierauf die Entlassung der Klägerin gemäß § 27 Z 4 AngG aus.

Das Erstgericht vertrat dazu die Rechtsauffassung, daß die Klägerin nicht verpflichtet gewesen sei, der einseitigen, vertragsändernden Versetzung Folge zu leisten. Die Entlassung sei daher nicht berechtigt gewesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Sowohl bei den Einstellungsgesprächen aufgrund der Annoncen der Beklagten als auch im schriftlichen Arbeitsvertrag sei nur vom "Kaufhaus Franz-Josefs-Bahnhof" die Rede gewesen. Dort sei die Klägerin auch 16 Jahre lang beschäftigt gewesen. Das "Kaufhaus Franz-Josefs-Bahnhof" sei daher eindeutig und ausdrücklich als Arbeitsort vereinbart worden. Der Versetzungsschutz sei nicht von der Vereinbarung eines ausschließlichen Arbeitsortes abhängig. Der vorliegende Fall unterscheide sich wesentlich von den vom Obersten Gerichtshof entschiedenen Fällen 14 Ob 198/86, 9 ObA 133/94 und 8 ObA 2018/96, in denen keine ausdrückliche Vereinbarung hinsichtlich des Arbeitsortes vorgelegen sei. Die Versetzung der Klägerin sei nicht vom Arbeitsvertrag gedeckt; eine Interessenabwägung habe nicht zu erfolgen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Welche Arbeiten zu leisten sind, besagt in erster Linie der Arbeitsvertrag (Krejci in Rummel, ABGB2 Rz 13 zu § 1153; RIS-Justiz RS0021472). Auch beim Arbeitsort entscheidet in erster Linie der Arbeitsvertrag. Der Arbeitnehmer hat demnach die Arbeiten an jenem Ort zu leisten, für den er sich verpflichtet hat (Krejci aaO Rz 18 zu § 1153; DRdA 1994, 53 [Spitzl]; Arb 7.327 ua).

Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, daß nach dem Inhalt der auf den Annoncen der Beklagten beruhenden Einstellungsgespräche, dem Punkt 1.) des Arbeitsvertrages zwischen den Parteien und der 16jährigen tatsächlichen Verwendung der Klägerin am gleichen Arbeitsort davon auszugehen ist, daß zwischen den Parteien das "Kaufhaus Franz-Josefs-Bahnhof" als Arbeitsort vereinbart wurde. Ob diese Vereinbarung ausdrücklich - wie das Berufungsgericht betonte - oder konkludent zustandekam, ist nicht erheblich, weil ausdrückliche und konkludente Erklärungen generell gleich stehen (§ 863 Abs 1 ABGB; Rummel in Rummel, ABGB2 Rz 9 zu § 863 mwN). Erheblich ist hier vielmehr, daß von den Parteien nicht vereinbart wurde, daß die Klägerin nur im "Kaufhaus Franz-Josefs-Bahnhof" verwendet werden dürfe (ZAS 1987, 130 [14 Ob 198/86; zust Tomandl] = DRdA 1989, 395 [zust Apathy]; Runggaldier/Schima, Rechtstellung von Führungskräften 116; ZAS 1995, 131 [Vogt]; ARD 4171/22/90). Gegenüber anderen Vertragstypen wirft Arbeitsvertrag selbst bei kurzer Dauer die Schwierigkeit auf, daß der konkrete Inhalt der Arbeitspflicht nie völlig detailliert umschrieben werden kann. Je länger der Vertrag dauert, desto weniger ist das möglich, da keiner der Vertragsparteien voraussehen kann, wie sich das Unternehmen und der einzelne Arbeitnehmer entwickeln und welche konkreten Arbeitsanforderungen jeder einzelne Arbeitsvertrag stellen wird (Tomandl in ZAS 1987, 133 f).

Aus dem gegenständlichen Arbeitsvertrag ergibt sich nicht, daß die Klägerin für den Fall der Stillegung jener Filiale der Beklagten, für die sie seinerzeit aufgenommen wurde, die Versetzung in eine andere Filiale bei gleichbleibendem Arbeitsinhalt ablehnen kann und von jeglicher weiterer Arbeitstätigkeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist freizustellen ist. Entscheidend ist somit, ob der in Wien 19 wohnhaften Klägerin und nach der Verkehrssitte und nach Schließung der Filiale in Wien 9, in der sie bisher tätig war, eine Tätigkeit in einer anderen Filiale der Beklagten in Wien 21 zumutbar war (DRdA 1997, 46 [8 ObA 2018/96; Mayr]; ASoK 1997, 362). Dabei stehen insbesondere Verkehrsverbindungen und Anreisezeiten im Vordergrund (ZAS 1995, 131 [9 ObA 133/94; Vogt]; Andexlinger in ecolex 1995, 45).

Die Zumutbarkeit ist im vorliegenden Fall unter Zugrundelegung des öffentlichen Verkehrsnetzes in Wien zu bejahen, zumal sich die Klägerin nur auf den Inhalt des Arbeitsvertrages zurückzog, in Richtung einer Unzumutbarkeit jedoch nichts vorbrachte (Arb 10.672, 10.975). Dies wird von ihr auch in der Revisionsbeantwortung nochmals bestätigt (S 4, dritter Abs) und eingeräumt, daß sich Betreuungspflichten bei Kindern nach 17jähriger Beschäftigung ändern und hier auch nicht (mehr) entscheidend seien.

Daß eine Interessenabwägung nur dann zu erfolgen habe, wenn von den Parteien des Arbeitsvertrages überhaupt kein Arbeitsort vereinbart wurde, kann den zitierten Vorentscheidungen, auf die sich insbesondere auch das Berufungsgericht und die Revisionsgegnerin bezogen, nicht entnommen werden. Entscheidend ist vielmehr, daß der gegenständliche Arbeitsvertrag eine Änderung des Arbeitsortes nicht von vornherein ausschloß und im übrigen dem im Laufe des Arbeitsverhältnisses neu hinzutretenden Umstand der Auflassung der bisherigen Arbeitsstätte durch eine zumutbare, den (redlichen) Interessen beider Parteien entsprechenden Lösung Rechnung getragen werden muß.

Der von der Revisionsgegnerin herangezogene Vergleich mit jenem Fall, in dem der Arbeitgeber sämtliche Filialen schließt und demnach das Entgelt bis zum Ende der Kündigungsfrist zahlen muß, ohne daß eine Versetzung in Frage kommt, ist nicht zielführend. Das Problem, daß die Beklagte "besser als andere Betriebe gestellt" würde, stellt sich hier nicht.

Die beharrliche Weigerung der Klägerin, nach Schließung des "Kaufhauses Franz-Josefs-Bahnhof" in einer anderen Filiale der Beklagten in Wien 21 zu arbeiten, rechtfertigt die Entlassung nach § 27 Z 4 AngG. Das Arbeitsverhältnis wurde von der Beklagten (unstrittig) auf der Grundlage einer gerechtfertigten Entlassung abgerechnet. Daß ihr bei dieser Abrechnung entlassungsunabhängige Ansprüche vorenthalten worden wären, wurde von ihr nicht geltend gemacht. Ihr stehen sohin nach Endabrechnung des Arbeitsverhältnisses verbleibenden entlassungsabhängigen Ansprüche nicht zu (Arb 10.672).

Die Entscheidung über die Kosten erster Instanz und der Rechtsmittelverfahren ist in den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO begründet.