JudikaturJustiz9ObA118/12m

9ObA118/12m – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Januar 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und AR Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G***** S*****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Post AG, *****, vertreten durch CMS Reich Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 7.794,42 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 27. Juli 2012, GZ 9 Ra 73/12i 12, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom 16. Dezember 2011, GZ 13 Cga 123/11v 8, keine Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der beklagten Partei Folge wird gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Begehren der klagenden Partei, die beklagte Partei sei schuldig, ihr 7.794,42 EUR brutto samt 8,38 % Zinsen aus 5.885,64 EUR brutto von 1. 8. 2011 bis 31. 10. 2011 und aus 7.794,42 EUR seit 1. 11. 2011 zu zahlen, abgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.131,17 EUR (darin 4 EUR Barauslagen, 188,53 EUR USt) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, die mit 1.332,27 EUR (darin 518 EUR Barauslagen, 135,71 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 1.207,15 EUR (darin 648 EUR Barauslagen, 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist seit 2. 11. 2000 bei der Beklagten als Sachbearbeiter mit einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 4.090,26 EUR beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis findet die gemäß § 19 PTSG als Kollektivvertrag geltende Dienstordnung (DO) Anwendung. Die Streitteile schlossen am 13. 11. 2000 einen Sondervertrag ab, nach dessen Punkt 13 auf das Dienstverhältnis die Bestimmungen des Angestelltengesetzes und der Dienstordnung 2000 der Österreichischen Post AG mit Ausnahme ua des § 25 zur Anwendung gelangen. § 25 DO sieht bei einem zehn Jahre dauernden Dienstverhältnis im Krankheitsfall eine ungekürzte Entgeltfortzahlung bis zur Dauer von 182 Kalendertagen vor. Der Kläger befand sich von 15. 6. bis 13. 10. 2011 (121 Kalendertage) und in der Folge im Krankenstand.

Mit seiner am 7. 10. 2011 eingebrachten Klage begehrte der Kläger zuletzt 7.794,42 EUR brutto sA mit dem wesentlichen Vorbringen, gemäß § 25 DO habe er Anspruch auf volle Entgeltfortzahlung bis zur Dauer von 182 Kalendertagen. Die Beschränkung des Entgeltfortzahlungszeitraums auf jenen nach § 8 AngG durch den Sondervertrag verstoße gegen § 3 ArbVG und sei unwirksam. Der Klagsbetrag ergebe sich aus den Gehaltsdifferenzen für August bis Oktober 2011 und für die Sonderzahlungen des dritten und vierten Quartals 2011.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und wandte im Wesentlichen ein, dass der Kläger nach § 8 AngG Anspruch auf acht Wochen volle Entgeltfortzahlung und vier Wochen halbe Entgeltfortzahlung habe. Nach § 52 DO, deren Inhalt gemäß PTSG gesetzlich angeordnet worden sei, könnten in Sonderverträgen Regelungen getroffen werden, die von der Dienstordnung abwichen. Nach ihrer Entstehungsgeschichte sei diese Bestimmung als Parallelbestimmung zu § 36 VBG zu sehen, mit der im Zuge der Postausgliederung die Grundlage für eine flexible Anpassung für Arbeitsverhältnisse geschaffen worden sei. Die Möglichkeit der Beschränkung der Entgeltfortzahlung auf das gesetzliche Mindestmaß stehe im Zusammenhang mit der bestehenden Überzahlung des Klägers. Der DO sei als Kollektivvertrag zweiseitig zwingender Charakter zuzubilligen. Werde dies verneint, so wäre von einer dispositiven Wirkung des gesamten Kollektivvertrags auszugehen, sodass auch zu Ungunsten der Arbeitnehmer abweichende Regelungen getroffen werden könnten. Die entsprechende Gehaltskürzung sei daher zulässig.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren nach dem von ihm angestellten Günstigkeitsvergleich iSd § 3 ArbVG statt. Da die Entgeltfortzahlungsregelung im Kollektivvertrag günstiger sei, sei der Ausschluss des § 25 DO im Sondervertrag nicht gültig. Daran ändere eine entgeltmäßige Besserstellung des Klägers beim laufenden Gehalt nichts, weil die Entgeltbestimmungen der Sondervereinbarung und die Krankenstandsbestimmungen der DO nicht zum selben Regelungsblock gehörten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Zusammengefasst kam es zum Ergebnis, dass § 52 DO für den Arbeitnehmer ungünstigere Regelungen nicht ausschließe, jedoch die Grenzen des § 3 ArbVG zu beachten seien, die mangels rechtlichem und sachlichem Zusammenhang zwischen der Entgeltregelung des Sondervertrags und der Regelung der DO über die Dauer der Entgeltfortzahlung bei Krankheit überschritten worden seien. Die Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung zum Inhalt des § 52 DO sowie zur Frage fehle, ob Nachteile bei der Bemessung des Entgeltfortzahlungszeitraums durch ein höheres laufendes Entgelt gemäß § 3 Abs 2 ArbVG kompensiert werden dürfen.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte, das Berufungsurteil im Sinn einer Klagsabweisung abzuändern.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt .

1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen lauten:

§ 19 Abs 4 PoststrukturG (PTSG):

„(4) Die mit dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Post und Fernmeldebediensteten, vereinbarte Dienstordnung gilt mit Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes als Kollektivvertrag.“

§ 52 DO:

„Der Vorstand kann im Dienstvertrag Regelungen treffen, die von dieser Dienstordnung abweichen. Solche Verträge sind als Sonderverträge zu bezeichnen.“

§ 3 ArbVG:

„(1) Die Bestimmungen in Kollektivverträgen können, soweit sie die Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern regeln, durch Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag weder aufgehoben noch beschränkt werden. Sondervereinbarungen sind, sofern sie der Kollektivvertrag nicht ausschließt, nur gültig, soweit sie für den Arbeitnehmer günstiger sind oder Angelegenheiten betreffen, die im Kollektivvertrag nicht geregelt sind.

(2) Bei der Prüfung, ob eine Sondervereinbarung im Sinne des Abs 1 günstiger ist als der Kollektivvertrag, sind jene Bestimmungen zusammenzufassen und gegenüberzustellen, die in einem rechtlichen und sachlichen Zusammenhang stehen.“

2. Der Wortlaut von § 52 DO indiziert, dass der Vorstand ermächtigt ist, mit Arbeitnehmern mittels Sondervertrag auch solche Vereinbarungen zu treffen, die ungeachtet eines Günstigkeitsvergleichs iSd § 3 ArbVG vom kollektivvertraglichen Standard der DO zum Nachteil des Arbeitnehmers abweichen. Insoweit käme der DO lediglich dispositive Wirkung zu.

Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass die Frage, ob und inwieweit es den Kollektivvertragsparteien freisteht, Inhaltsnormen dispositive Wirkung zu verleihen, bereits Gegenstand der Entscheidung 8 ObA 88/04f war. In dieser wurde unter Bedachtnahme auf die verschiedenen in der Lehre vertretenen Standpunkte dargelegt, dass bei Bestehen eines sachlichen Grundes für eine dispositive Einzel regelung in einem Kollektivvertrag keine Bedenken gegen die Zulässigkeit dieser dispositiven Regelung bestehen, sofern sie auch inhaltlich nicht nach allgemeinen Kriterien korrekturbedürftig erscheint. Im Hinblick auf die Zulässigkeit gänzlich dispositiver Regelungen in einem Kollektivvertrag sprächen gewichtige Argumente, vor allem der Schutzzweck des § 3 ArbVG, aber dafür, dass es im Regelfall nach der gesetzlichen Konzeption bei der einseitig zwingenden Wirkung des Kollektivvertrags zu bleiben habe. Daran ist grundsätzlich festzuhalten.

3. Dennoch kann in der vorliegenden Konstellation die Entstehungsgeschichte der DO nicht unbeachtet bleiben. Unzweifelhaft ist, dass § 52 DO den Vorstand vor Inkrafttreten des Poststrukturgesetzes ermächtigte, mittels Sondervertrag von den Standards der DO abzuweichen, ohne dass ein Günstigkeitsvergleich iSd § 3 Abs 1 ArbVG anzustellen gewesen wäre. Der Umstand, dass die DO nicht von Kollektivvertragsparteien abgeschlossen wurde, sondern im Zuge der Ausgliederung des Postwesens aus der Bundesverwaltung aufgrund gesetzlicher Anordnung zum Kollektivvertrag erklärt wurde, wirft die Frage auf, ob der Gesetzgeber trotz der Anordnung, dass die DO als Kollektivvertrag gilt, nicht bewusst die ursprüngliche Reichweite der Vorstandsermächtigung des § 52 DO beibehalten wollte.

In den Erläuterungen zum Poststrukturgesetz, RV 72 BlgNR XX. GP 323, ist festgehalten:

„Mit Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes gilt die Dienstordnung als Kollektivvertrag. Die Normwirkung des Kollektivvertrages beginnt daher bereits ab diesem Zeitpunkt. In die Vertragsautonomie zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer wird durch diese Bestimmung nicht eingegriffen. Spätere Änderungen des Kollektivvertrages bedürfen der Genehmigung des Aufsichtsrates. Die formellen Bestimmungen des I. Teiles des Arbeitsverfassungsgesetzes über Kollektivverträge sind anzuwenden.“

Gerade der Hinweis, mit § 19 Abs 4 PTSG nicht in die Vertragsautonomie von Dienstgeber und Dienstnehmer eingreifen zu wollen, zeigt aber, dass der Gesetzgeber im Zuge der Überleitung der Post Vertragsbediensteten auf die Post und Telekom Austria Aktiengesellschaft um Kontinuität in der Rechtssetzungsbefugnis bemüht war. Dies entspricht auch der Erwägung der Beklagten, dass der Gesetzgeber hier die Regelung des davor ex lege anwendbaren § 36 Abs 1 VBG 1948 nachempfunden hat. Nach dieser Bestimmung können in Ausnahmefällen in Dienstverträgen Regelungen getroffen werden, die von diesem Bundesgesetz abweichen; solche Dienstverträge sind als Sonderverträge zu bezeichnen und bedürfen der (ggf generellen, Abs 2) Genehmigung des Bundeskanzlers (s RIS Justiz RS0008975). Nach der Rechtsprechung ist es aber zulässig, dass ein Sondervertrag gemäß § 36 VBG unter bestimmten Voraussetzungen auch zum Nachteil des Dienstnehmers vom VBG abweichen darf (9 ObA 149/07p ua). Ebenso spricht der Hinweis in den Erläuterungen, dass die formellen Bestimmungen des I. Teils des ArbVG über Kollektivverträge anzuwenden sind, dafür, dass der Gesetzgeber nicht in jedem Fall auch die materiellen Bestimmungen dieses Teils angewandt wissen wollte. Zu letzteren zählt aber § 3 Abs 1 ArbVG. Aus historisch teleologischen Erwägungen ist daher davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit der Anordnung der Geltung des § 52 DO als Kollektivvertragsbestimmung - ungeachtet des § 3 Abs 1 ArbVG den Vorstand auch zum Abschluss solcher Sonderverträge ermächtigen wollte, die zum Nachteil des Arbeitnehmers von der DO abweichen.

4. § 52 DO ist dennoch nicht im Sinne einer schrankenlosen Freiheit des Vorstands zu deuten. Schon aus prinzipiellen Gründen kann diese Ermächtigung vielmehr nur so verstanden werden, dass auch sie dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot unterliegt (vgl RIS Justiz RS0038552 ua). Dieses muss daher den Rahmen für die Entscheidung des Vorstands vorgeben. Im Zweifel hat dabei die Beklagte nachzuweisen, dass eine von der DO zu Lasten des Arbeitnehmers abweichende Sondervereinbarung dem Gebot der Sachlichkeit standhält.

5. Das kann im vorliegenden Fall bejaht werden, weil mit dem Kläger ein weit überkollektivvertragliches Entgelt vereinbart wurde (nach dem unbestrittenen Vorbringen der Beklagten hätte sein Bruttomonatsgehalt nach der DO 2.173,69 EUR brutto anstelle der vereinbarten 4.090,26 EUR betragen) und lediglich seine Entgeltfortzahlungsansprüche nicht über den gesetzlichen Standard hinausgehen sollten. Erwägungen zu einem Günstigkeitsvergleich iSd § 3 Abs 1 ArbVG sind daneben nicht mehr anzustellen.

6. Da sich die Revision damit insgesamt als berechtigt erweist, ist ihr Folge zu geben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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