JudikaturJustiz9Ob174/97x

9Ob174/97x – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. August 1997

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Steinbauer, Dr.Danzl, Dr.Spenling und Dr.Hradil als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** GesmbH, ***** vertreten durch Dr.Walter Hausberger ua, Rechtsanwälte in Wörgl, wider die beklagte Partei 1) Inge F*****, 2) Walter F*****, beide Gasthof-Pension "K*****", *****, vertreten durch Dr.Walter Anderl, Rechtsanwalt in Mayrhofen, wegen Unterlassung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 31.Oktober 1996, GZ 1 R 416/96z-21, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Kufstein vom 6.März 1996, GZ 5 C 517/95y-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben, die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

1994 übernahmen die Beklagten den Gasthof "K*****" in M*****. Gewerbeinhaber und Pächter ist der Zweitbeklagte; die Geschäfte führt im wesentlichen die Erstbeklagte. Auf dem Geschäftspapier des "K*****" wird die "Familie F*****" als Pächter angeführt. Für die Wintersaison 1994/95 hatte bereits der Vorbetreiber des Gasthofes mit der Klägerin einen Hotelvertrag abgeschlossen. Die Erstbeklagte verhandelte mit der Klägerin über die Übernahme dieses Vertrages, ohne darauf hinzuweisen, daß sie nur in Vertretung des Zweitbeklagten handle. Der Hotelvertrag wurde schließlich (in Abwesenheit von Vertretern der Klägerin) vom Zweitbeklagten unterfertigt. Für die Saison 1995/96 wurde ein weiterer Hotelvertrag (Beil./C) abgeschlossen, in dem als Vertragspartner der Klägerin der "Gasthof K*****" vertreten durch "Fam. F*****" bezeichnet wurde und den die Erstbeklagte unterfertigte. Gegenstand des Vertrages war ein Kontingent von 100 Betten für die Termine 23.12.1995 - 6.1.1996,

17.2. 9.3. und 30.3 - 6.4.1996. Nachträglich wurde vereinbart, daß "eine Fallfrist" bis 1.10.1995 gelten solle und alle Reservierungen nach diesem Zeitpunkt "auf Anfrage gemacht werden".

Mit ihrer am 17.3.1995 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin, die Beklagten zur ungeteilten Hand zu verpflichten, die "Weitergabe bzw Belegung" des für die genannten Termine reservierten Bettenkontingentes "mit Personen, welche nicht Gäste der klagenden Partei bzw Gäste von Vertragspartnern der klagenden Partei sind, zu unterlassen". Eventualiter begehrte sie die Verpflichtung der Beklagten, ihr das reservierte Bettenkontingent zu den genannten Terminen zur Verfügung zu stellen, hilfsweise, diese Verpflichtung der Beklagten festzustellen. Die Beklagten hätten grundlos erklärt, vom Vertrag zurückzutreten.

Die Beklagten wendeten mangelnde Passivlegitimation der Erstbeklagten ein und machten ferner geltend, wegen verschiedener Unzukömmlichkeiten bei der Abwicklung des Hotelvertrages 1994/95 (siehe dazu im Detail das Vorbringen in ON 7) wirksam vom Hotelvertrag für die Saison 1995/96 zurückgetreten zu sein. Überdies sei das Klagebegehren schikanös.

In der Tagsatzung vom 15.12.1995 (ON 9) brachte die Klägerin vor, vor Ablauf der Verfallsfrist mittels Telefax vom 26.9.1995 die für Winter 1995/96 in Anspruch genommenen Termine bekanntgegeben zu haben. Es handle sich um die Termine 17.2. - 23.2.1996 (92 Personen auf Basis Vollpension), 2.3. - 9.3.1996 (44 Personen auf Basis Halbpension) und 30.3. - 5.4.1996 (65 Personen auf Basis Vollpension). Die Klägerin erklärte, ihr Begehren in diesem Sinne zu "modifizieren" und hielt ihre (im übrigen unveränderten) Haupt- und Eventualbegehren nur mehr für die genannten Termine und die angeführten Personenzahlen aufrecht. Gleichzeitig legte sie das Telefax vom 26.9.1995 vor, das "dargetan und als Beilage./G zum Akt genommen" wurde.

Die Beklagten anerkannten die Echtheit dieser Urkunde und verwiesen zur Richtigkeit auf ihre Vorbringen. Sie anerkannten ferner das nunmehrige Klagehauptbegehren mit Ausnahme des Termines 17.2. - 23.2.1996. Die Gruppen für die restlichen Termine würden aufgenommen; die Gruppe für 17.2. - 23.2. existiere in Wahrheit nicht. Insoweit versuche die Klägerin lediglich, in Schädigungsabsicht diesen für die Beklagten wichtigen Termin zu blockieren. In weiterer Folge (Tagsatzung vom 8.1.1996) brachten sie vor, die Klägerin habe nunmehr anstelle der in Wahrheit nicht existierenden Gruppe von 92 Personen für den Termin 17.2. - 23.2. eine andere Gruppe mit 52 Personen für diesen Termin gebucht. Wegen des Ablaufes der vereinbarten Buchungsfrist bis 1.10.1995 seien die Beklagten nicht verpflichtet, diese Reduktion von 92 auf 52 Personen zu akzeptieren.

Die Klägerin hielt dem entgegen, daß die ursprünglich gebuchte Gruppe existiert habe und nur wegen des Verhaltens der Beklagten eine Reduktion erfolgen habe müssen. Wegen deren Weigerung, den Vertrag einzuhalten, werde nunmehr die Gruppe von 50 Personen anderweitig untergebracht.

Über den anerkannten Teil des Klagebegehrens (Termine 2.3. - 9.3. und 30.3. - 5.4.1996 für 44 bzw. 65 Personen) erging ein Teilanerkenntnisurteil im klage- stattgebenden Sinn.

Mit Urteil vom 6.3.1996 wies das Erstgericht das noch offene Klagebegehren ab. Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt stellte es ua (im Rahmen der Beweiswürdigung) fest, die Streitteile hätten vereinbart, daß die Klägerin bis 1.10.1995 das Ausmaß der Inanspruchnahme des Kontingentes bekanntgeben müsse und daß bis zu diesem Zeitpunkt entsprechende Buchungen von Gruppen vorhanden sein müßten. Ferner erachtete es als nicht feststellbar, daß die für den noch offenen Termin von der Klägerin bekannt- gegebene Gruppe von 92 Personen tatsächlich existiert habe. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß der Klägerin aus dem Hotelvertrag lediglich eine Option zustehe, aus der ihr erst nach der Ausübung ihres Gestaltungsrechtes - also der Übersendung der Buchungsliste vom 26.9.1995 - Ansprüche erwachsen seien. Aus der Bekanntgabe der Gruppe von 92 Personen für den noch offenen Termin seien der Klägerin aber keine Rechte erwachsen, weil diese Gruppe nicht existiert habe. Die später erfolgte Buchung einer anderen (kleineren) Gruppe stelle eine wegen des Ablaufes der Verfallsfrist nicht mehr zu akzeptierende Neubuchung dar. Zudem habe die Klägerin erklärt, die Gruppe anderweitig unterzubringen, weshalb ihrem Begehren das Rechts- schutzbedürfnis fehle.

Das Berufungsgericht änderte über Rekurs der Beklagten die Kostenentscheidung dieses Urteiles ab, gab aber in der Hauptsache der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,- übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es hatte in der mündlichen Berufungsverhandlung vom 31.10.1996 unter Hinweis auf Bedenken gegen die Vollständigkeit der zur schriftlichen Buchungsmitteilung vom 26.9.1995 (Beil./G) getroffenen Feststellungen die "Beweiswiederholung zum Inhalt" dieser Urkunde beschlossen und sie verlesen. Auf dieser Grundlage erachtete es als nicht feststellbar, ob den Beklagten die Buchungsübersicht der Klägerin zugegangen sei. Im übrigen vertrat es die Rechtsauffassung, daß wegen der dargestellten Beweiswiederholung der Schluß der mündlichen Berufungsverhandlung als maßgebender Entscheidungszeitpunkt anzusehen sei. Zu diesem Zeitpunkt habe aber die begehrte Unterlassung einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum betroffen, weshalb das von der Klägerin dessenungeachtet aufrecht erhaltene Klagehauptbegehren abzuweisen sei. Gleiches gelte für das erste Eventualbegehren. Dem weiteren Eventualbegehren (Feststellungsbegehren) mangle es zum maßgebenden Entscheidungszeitpunkt an einem Feststellungsinteresse, wozu noch komme, daß insoweit ohnedies ein Leistungsbegehren möglich gewesen wäre.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung im Sinne der Stattgebung der Klage abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichtes nicht dem Gesetz entspricht. Sie ist auch berechtigt.

Die Auffassung des Berufungsgerichtes, der maßgebende Entscheidungszeitpunkt habe sich wegen der von ihm durchgeführten Beweiswiederholung vom Schluß der Verhandlung erster Instanz auf den Schluß der mündlichen Berufungsverhandlung verschoben, ist unzutreffend:

Nach herrschender Rechtsprechung treffen die Überlegungen des Berufungsgerichtes nur für den Fall einer Beweisergänzung, nicht aber für den Fall der Beweiswiederholung zu: Ergänzt das Berufungsgericht die in erster Instanz gepflogene Verhandlung, tritt das Verfahren - selbst wenn ein ausdrücklicher Aufhebungsbeschluß unterblieb - in den prozessualen Stand vor Schluß der Verhandlung. Für diesen Teil des Verfahrens gilt das Neuerungsverbot nicht; maßgeblicher Zeitpunkt ist der Schluß der Verhandlung des Berufungsgerichtes (RZ 1989/106; EvBl 1991/95). Ordnet das Berufungsgericht hingegen eine Beweiswiederholung iS des § 488 ZPO an, bleibt der Entscheidungsstoff unverändert; nur seine Wertung soll geändert werden. Es gilt daher das Neuerungsverbot (EvBl 1991/95). Entscheidungszeitpunkt bleibt der Schluß der Verhandlung erster Instanz. Hier hat das Berufungsgericht die Wiederholung eines bereits in erster Instanz aufgenommenen Beweises angeordnet, sodaß sein Standpunkt, der Entscheidungszeitpunkt habe sich auf den Schluß der Berufungsverhandlung verschoben, unzutreffend ist.

Dazu kommt, daß die vom Berufungsgericht als aufklärungsbedürftig erachtete Frage zwischen den Parteien gar nicht strittig war: Im Berufungsurteil wird die Beweiswiederholung mit dem Fehlen von Feststellungen über den Zeitpunkt des Zuganges der Buchungsliste vom 26.9.1995 (Beil./G) begründet (in der Berufungsverhandlung war noch von einer Beweiswiederholung zum Inhalt der Urkunde die Rede) und schließlich als nicht feststellbar erachtet, ob den Beklagten die Buchungsübersicht zugegangen sei. Die Behauptung der Klägerin, sie habe die in Anspruch genommenen Termine fristgerecht bekanntgegeben, wurde aber von den Beklagten nicht bestritten. Im Gegenteil: Die Beklagten anerkannten die Echtheit der Beil./G, verwiesen zur Richtigkeit auf ihr "eigenes Vorbringen" und anerkannten den größten Teil des auf die nunmehr in Anspruch genommenen Termine gerichteten eingeschränkten Klagebegehrens. Mit keinem Wort machten sie geltend, daß ihnen die Beil./G nicht rechtzeitig zugekommen sei bzw. daß Verfristung eingetragen sei. Auch die Bestreitung des offen gebliebenen Termines 17. - 23.2. wurde ausschließlich damit begründet, daß die Beklagten in Erfahrung gebracht hätten, daß die gemeldete Gruppe nicht existiere. In der Tagsatzung vom 8.1.1996 schließlich stellten sich die Beklagten selbst auf den Standpunkt, daß sie nicht verpflichtet seien, die erst nach dem 1.10.1995 erfolgte "Reduktion von 92 auf 52 Personen" zu akzeptieren, woraus ersichtlich ist, daß auch sie von der Verbindlichkeit der mit der Beil./G erfolgten Meldung der Gruppe von 92 Personen ausgehen. Aufgrund all dieser Umstände ist daher die Behauptung der Klägerin, sie habe fristgerecht gebucht, iS § 267 Abs 1 ZPO als zugestanden anzusehen. In diesem Sinne ging auch das Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung von der Ausübung des "Gestaltungsrechtes" der Klägerin durch Übersendung der Buchungsliste aus (S 16 des Ersturteiles), ohne daß dies von den Beklagten in ihrer Berufungsbeantwortung gerügt worden wäre.

Zugestandene Tatsachen sind grundsätzlich als wahr anzunehmen und der Entscheidung ungeprüft zugrunde zu legen. Das gerichtliche Geständnis bindet das Gericht grundsätzlich an die zugestandenen Tatsachen und schafft bezüglich dieser Tatsachen ein Beweisthemenverbot (JBl 1990, 590; Kodek in Rechberger, ZPO, Rz 2 zu § 267; Fasching, Lehrbuch2 Rz 849). Keine Bindung an das Geständnis besteht nur dann, wenn das Gegenteil der zugestandenen Tatsache allgemein bekannt ist, wenn das Geständnis allgemein anerkannten Erfahrungssätzen wider- spricht oder das Gegenteil dem Gericht im Zuge seiner amtlichen Tätigkeit bekannt geworden ist (Kodek aaO, Rz 2 zu § 267 mwN). Keiner dieser Ausnahmetatbestände liegt hier vor. Damit war aber vom rechtzeitigen Zugang der Beil./G auszugehen, weshalb in diesem Umfang von "unvollständigen Feststellungen" nicht die Rede sein kann. Eine Beweiswiederholung zur Überprüfung bzw. Widerlegung eines bindenden Tatsachengeständnisses - noch dazu durch Verlesung einer schon in erster Instanz verlesenen Urkunde - kann aber die vom Berufungsgericht angenommene Verlegung des Entscheidungszeitpunktes nicht bewirken.

Maßgebender Entscheidungszeitpunkt ist daher der Schluß der Verhandlung erster Instanz. Auch im Rechtsmittelverfahren ist somit ausschließlich zu beurteilen, ob der Klageanspruch zu diesem Zeitpunkt berechtigt war. Nach diesem Zeitpunkt liegende Sachverhaltsänderungen dürfen bei der Rechtsmittelentscheidung nicht berücksichtigt werden (Fasching, Kommentar III 661). Zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz (8.1.1996) war aber der den Gegenstand des Klagebegehrens bildende Termin (17.2. - 23.2.1996) noch nicht verstrichen. Damit liegt der vom Berufungsgericht angenommene Grund für die Abweisung des Klagehauptbegehrens nicht vor.

Ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin, in der unrichtige Sachverhaltsfeststellung und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht wird, unbehandelt gelassen. Das Berufungsverfahren leidet daher unter einem Mangel, der eine abschließende rechtliche Beurteilung nicht zuläßt. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
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