JudikaturJustiz8Ob551/91

8Ob551/91 – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Oktober 1992

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber, Dr.Graf, Dr.Jelinek und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter H*****, vertreten durch Dr.Walter Hausberger, Rechtsanwalt in Wörgl, wider die beklagte Partei Horst M*****, vertreten durch Dr.Siegfried Dillersberger und Dr.Helmut Atzl, Rechtsanwälte in Kufstein, wegen Räumung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 16.Jänner 1991, GZ 2 a R 572/90-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Kufstein vom 24.August 1990, GZ 4 C 107/90i-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 5.094,-- (einschließlich S 849,-- Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Bis zum Jahre 1967 waren Josef H*****, der am 20.3.1905 geborene und am 12.8.1988 verstorbene Onkel des Klägers, zu zwei Dritteln und der Kläger zu einem Drittel Miteigentümer der Liegenschaft EZ ***** II KG W*****, die aus den Grundstücken 267 (Wohnhaus) und 70/10 (Garten) bestand. Mit Realteilungsvertrag vom 12.6.1967 vereinbarten diese beiden Miteigentümer, daß Josef H***** Alleineigentümer des (nach Zuschreibung eines Teilstückes von 109 m2 vom Grundstück 267 vergrößerten) Grundstückes 70/10 und der Kläger Alleineigentümer des verbleibenden Grundstückes 267 werden soll. Der Kläger räumte Josef H***** in einem Vertragspunkt "das Recht der ausschließlichen und unentgeltlichen Nutzung an dem im Parterre (des Hauses auf) der Bp. 267 nordseitig gelegenen Raum (derzeit als Geschäftslokal bzw. Ausstellungsraum von Josef H***** benützt) sowie das Mitbenützungsrecht an dem zu diesem Raum führenden Gang ein". Josef H***** räumte seinerseits dem jeweiligen Eigentümer der Bp. 267 (hier also dem Kläger) das Recht der Mitbenützung des Stiegenhauses sowie der Hälfte der Kellerräume des auf dem Grundstück 70/10 neu errichteten Gebäudes ein. Dieser Realteilungsvertrag wurde in der Folge einschließlich der eingeräumten Grunddienstbarkeiten grundbücherlich durchgeführt. Der Kläger wurde somit Alleineigentümer der Liegenschaft EZ ***** KG W***** mit dem Grundstück 267, auf welchem das Haus W*****, errichtet ist. Im Parterre dieses Hauses befindet sich außer dem nordseitig gelegenen, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses von Josef H***** benützten Geschäftslokal noch ein weiteres Geschäftslokal; im ersten und zweiten Stock befinden sich Wohnungen. Über die im Realteilungsvertrag vom 12.6.1967 festgehaltenen Vereinbarungen hinaus gab es zwischen dem Kläger und Josef H***** über die Nutzung des Geschäftslokals durch diesen keine näheren Absprachen.

Im Jahr 1976 beabsichtigte Josef H*****, das ihm zur Nutzung überlassene Geschäftslokal zu vermieten. Als er dies dem Kläger unter Vorweisung eines Mietvertragsentwurfes mitteilte, äußerte dieser zwar, "an und für sich dürfe Josef H***** das Geschäftslokal nicht vermieten, weil er nur ein persönliches Recht zur Benützung habe", sagte aber dann, daß er gegen eine Vermietung des Geschäftslokales keine Einwände erhebe. Mit schriftlichem Mietvertrag vom 13.1.1976 vermietete Josef H*****, der am Beginn des Vertrages als allein über das Erdgeschoß des Hauses W***** , verfügungsberechtigter Miteigentümer bezeichnet wurde, ab 1.2.1976 dem Beklagten das ihm vom Kläger zur ausschließlichen Nutzung überlassene Geschäftslokal zu einem wertgesicherten Mietzins von S 7.500,-- monatlich zuzüglich USt. und anteiliger Betriebskosten; das Mietverhältnis war beiderseits für die Dauer von fünf Jahren unkündbar, sodann von beiden Seiten unter Einhaltung einer sechsmonatigen Aufkündigungsfrist zu jedem Monatsletzten aufkündbar.

Knapp nach dem Tode Josef H*****s forderte der Kläger den Beklagten gesprächsweise auf, den Mietzins für das Geschäftslokal an ihn zu zahlen, weil er Eigentümer sei. Der Kläger verlangte in weiteren Gesprächen vom Beklagten den Abschluß eines neuen Mietvertrages, aber der Beklagte lehnte dies unter Hinweis auf den bestehenden Mietvertag mit Josef H***** ab. Mangels Einigung der Parteien auf einen (neuen) Mietvertrag hinterlegte der Beklagte bis einschließlich Dezember 1989 den monatlichen Mietzins in Höhe von S 12.587,30 bei Gericht. Seit Jänner 1990 überwies der Beklagte diesen Betrag dem Kläger, der ihn aber nicht als vereinbarten Mietzins annahm, sondern vom Beklagten - unter Setzung einer Frist bis 10.3.1990 für ein konkretes Mietanbot in seinem Sinne - die Zahlung des Mietzinses von monatlich S 15.896,-- zuzüglich Umsatzsteuer forderte.

Mit der Klage vom 19.3.1990 begehrte der Kläger, den Beklagten zur Räumung des von diesem titellos benützten Geschäftslokales zu verpflichten. Er brachte vor, daß er dem am 12.8.1988 verstorbenen Josef H***** das ausschließliche unentgeltliche Gebrauchsrecht an diesem Geschäftslokal auf Lebenszeit eingeräumt habe. Mit dessen Tod seien auch die Mietrechte des Beklagten erloschen, sodaß er seither diese Räume titellos benütze. Ein schlüssiger Mietvertrag durch Annahme des vom Beklagten bezahlten Entgeltes sei nicht zustandegekommen.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, sein mit Josef H***** geschlossener Mietvertrag sei nach wie vor aufrecht. Im übrigen habe der Kläger durch Annahme der Mietzinszahlungen schlüssig einen Mietvertrag mit ihm errichtet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es beurteilte das Josef H***** vom Kläger eingeräumte Recht als "Wohnungsgebrauchsrecht", das Josef H***** nicht zur Vermietung des Geschäftslokals an den Beklagten berechtigt habe, sondern erst durch die Zustimmung des Klägers zum Abschluß des Mietvertrages mit dem Beklagten um dieses Recht erweitert worden sei. Der Mietvertrag sei daher nicht mit Ende des Gebrauchsrechts des Josef H***** erloschen. Der Kläger sei vielmehr analog § 1120 ABGB in den Mietvertrag eingetreten und könne diesen nur unter Bedachtnahme auf die Kündigungsschutzbestimmungen aufkündigen. Das auf titellose Benützung gestützte Räumungsbegehren sei daher verfehlt.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte das Urteil des Erstgerichtes mit folgender Begründung: Entscheidend sei die Frage, ob Josef H***** als Fruchtnießer im Sinne des § 2 Abs.1 MRG anzusehen sei, an dessen Mietvertrag der "Rechtsnachfolger im Eigentum" (der Eigentümer nach Beendigung des Fruchtgenußrechtes) gebunden sei. Gegenstand einer Fruchtnießung könne jede unverbrauchbare fremde Sache sein, insbesondere auch räumlich abgegrenzte Teile von Liegenschaften. Sei somit Josef H***** nicht schon von Anfang an als Fruchtnießer des strittigen Geschäftsraumes anzusehen gewesen, so sei er dies jedenfalls durch die nachträgliche Erweiterung seines Gebrauchsrechtes zufolge Zustimmung des Eigentümers (Klägers) zur Vermietung an den Beklagten geworden. Es stehe außer Frage, daß die Geschäftsraummiete gemäß § 1 Abs.1 MRG mangels Behauptung eines Ausnahmetatbestandes nach § 1 Abs.2 bis 4 MRG in den Anwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes falle und gemäß § 43 Abs.1 MRG dessen § 2 auch für "Altverträge" (wie den vorliegenden) gelte. Anders als der Kläger unter Berufung auf Stimmen der Lehre (Würth in Rummel2 § 2 MRG Rz 4 und 6; Iro in RdW 1985, 308; Fenyves in Korinek-Krejci, Handbuch zum MRG, 282 ff) vertrete das Berufungsgericht die Auffassung, daß § 2 Abs.1 MRG nach seinem Wortlaut die mit einem Fruchtnießer abgeschlossenen Mietverträge den mit dem (Wohnungs )Eigentümer geschlossenen gleichstelle, ohne danach zu unterscheiden, ob der Fruchtgenuß an der ganzen Liegenschaft bestehe oder nur an einem bestimmten Teil derselben. Da auch ein Minderheitseigentümer, dem kraft Benützungsregelung das Verfügungsrecht an einem bestimmten Mietgegenstand (einer Wohnung) zustehe, hierüber einen Hauptmietvertrag abschließe, sei nicht einzusehen, daß die mit einem Fruchtnießer eines abgeschlossenen Teiles eines Hauses hierüber abgeschlossenen Mietverträge nicht ebenso als Hauptmietverträge im Sinne des § 2 Abs.1 MRG anzusehen seien, zumal in dieser Bestimmung der Eigentümer oder Fruchtnießer der Liegenschaft in undifferenzierter Weise genannt seien. Der von Josef H***** mit dem Beklagten geschlossene Mietvertrag sei somit als Hauptmietvertrag zu beurteilen, an den der Kläger als Eigentümer nach Beendigung des dem Josef H***** zugestandenen Fruchtgenusses kraft Gesetzes eingetreten sei. Die auf titellose Benützung gestützte Räumungsklage finde daher keine Rechtsgrundlage. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur entscheidungswesentlichen Frage, ob auch der Fruchtnießer eines räumlich bestimmten Teiles der Liegenschaft einen Hauptmietvertrag im Sinne des § 2 Abs.1 MRG abschließe, keine (ständige) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege und das Berufungsgericht sich gegen die (erwähnten Stimmen in der) Lehre gestellt habe.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil der zweiten Instanz erhobene Revision des Klägers ist aus den in der Zulassungsbegründung zutreffend dargelegten Gründen zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Die Fruchtnießung ist das Recht, eine fremde Sache, mit Schonung der Substanz, ohne alle Einschränkung zu genießen (§ 509 ABGB). Gegenstand der Fruchtnießung kann jede fremde Sache sein, soferne sie unverbrauchbar ist, also besonders eine Liegenschaft, aber auch räumlich bestimmte Teile von Sachen (SZ 43/83; MietSlg. 29.057 ua; Petrasch in Rummel2 § 509 Rz 2 mwH). Der Fruchtnießer hat als bloßer Rechtsbesitzer die Substanz zu schonen, er soll daher Zweckbestimmung oder Bewirtschaftungsart der dienenden Sache nicht ändern (Petrasch aaO Rz 3); er tritt zwar in bestehende (vom Eigentümer begründete) Bestandverträge ein, hat aber das ausschließliche Recht auf Ausübung der Nutzungs- und Verwaltungsbefugnisse, insbesondere auch zum Abschluß von Mietverträgen, sein Bestandnehmer wird gemäß § 2 Abs.1 MRG Hauptmieter (Petrasch aaO; ecolex 1990, 483 ua). Die vom Fruchtnießer geschlossenen Bestandverträge bleiben gemäß § 2 Abs.1 MRG, aber auch sonst nach herrschender Meinung aufrecht, soweit er nicht über Räume verfügt hat, über die er nicht verfügen durfte (SZ 60/28; Petrasch aaO § 519 Rz 2 mwH).

Die im Realteilungsvertrag geschlossene Vereinbarung des Klägers und seines Onkels Josef H*****, wonach der Kläger diesem das Recht der ausschließlichen Nutzung des näher beschriebenen Geschäftsraumes einräumte, ist schon nach dem klaren Verständnis der verwendeten Worte, von deren Bedeutung keine andere Absprache der Vertragsparteien wegführt, von Anfang an als Dienstbarkeit der Fruchtnießung an dem - schon bisher in geschäftlicher Verwendung des Josef H***** stehenden - klar abgegrenzten Geschäftsraum zu verstehen. Zu dieser Beurteilung führen auch die zusätzlichen Erwägungen darüber, daß die Parteien dieses Recht auch in das Grundbuch eintrugen (sohin verdinglichten) und schon aufgrund des dem Kläger bekannten Alters Josef H*****s klar sein mußte, daß die Nutzung in naher Zukunft durch finanzielle Verwertung (Vermietung) und nicht durch persönlichen Gebrauch Josef H*****s erfolgen werde.

Auf die genannten Literaturmeinungen (Würth, Iro, Fenyves jeweils aaO) und die mittlerweile in diesem Sinn zum "Wohnungsfruchtgenuß" ergangenen Entscheidungen (5 Ob 79/91 vom 17.9.1991 = EvBl. 1992/41 = ImmZ 1992, 149 ua), wonach der Fruchtnießer einer Wohnung darüber keine Hauptmietverträge im Sinne des § 2 Abs 1 MRG abschließen könne, wenn er nicht Fruchtnießer der gesamten Liegenschaft oder (aller bewohnbaren Flächen) des gesamten Hauses sei, kommt es im vorliegenden Fall nicht an, weil - wie das Erstgericht feststellte und zutreffend schloß - der Kläger als Alleineigentümer der vom Fruchtgenußrecht Josef H*****s (teil-)betroffenen Liegenschaft dem hier umstrittenen Mietverrag mit dem Beklagten ohne Vorbehalte zugestimmt hat. Der Kläger ist daher nicht anders zu stellen als der Miteigentümer, der dem vom anderen Miteigentümer geschlossenen Mietvertrag über einen Teil der Liegenschaft (etwa kraft erteilter ausschließlicher Verfügungsberechtigung im Rahmen einer Benützungsregelung) zugestimmt hat. Für diesen Fall ist aber nach der genannten Entscheidung und den Literaturmeinungen die Annahme eines Hauptmietvertrages und die Bindung des Liegenschaftseigentümers an einen solchen gar nicht strittig. Der Lösung der vom Berufungsgericht in den Vordergrund gestellten Frage, ob der Fruchtnießer eines räumlich begrenzten Liegenschaftsteiles (Geschäftslokales) darüber Hauptmietverträge im Sinne des § 2 Abs 1 MRG abschließt oder nur als Untermietverträge zu qualifizierende Bestandverträge, bedarf es somit hier nicht.

Demgemäß ist der Beklagte nicht als titelloser Benützer des fraglichen Geschäftslokales, sondern als dessen Hauptmieter anzusehen. Der an dieses Hauptmietverhältnis gebundene Kläger ist auf eine Aufkündigung des Mietvertrages zu verweisen. Seine Räumungsklage wurde von den Vorinstanzen zutreffend abgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 41 ZPO.