JudikaturJustiz8Ob54/14w

8Ob54/14w – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Juli 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht und als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) Dr. D***** V*****, und 2) Dr. M***** V*****, ebendort, beide vertreten durch Mag. Ulrike Kargl, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei S***** Krankenhaus GmbH, *****, vertreten durch die Kuhn Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 35.003,37 EUR sA und 370.282,06 EUR sA sowie Unterlassung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revisionen der klagenden Parteien und der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. Februar 2014, GZ 4 R 208/13g 43, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 26. Juli 2013, GZ 32 Cg 107/11a 39, teilweise abgeändert wurde, sowie über den Rekurs der beklagten Partei gegen den in das Teilurteil aufgenommenen Beschluss, mit dem die Abweisung eines Teilbetrags von 2.100 EUR sA (Schmerzengeld) aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der klagenden Parteien wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird der Revision und dem Rekurs der beklagten Partei Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und es wird in Abänderung des Urteils des Berufungsgerichts in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das insgesamt abweisende Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die erstklagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 398,86 EUR (darin enthalten 66,48 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 239,37 EUR (darin enthalten 17,42 EUR USt und 134,84 EUR Pauschalgebühren) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die zweitklagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.032,89 EUR (darin enthalten 672,15 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 2.420,32 EUR (darin enthalten 176,16 EUR USt und 1.363,36 EUR Pauschalgebühren) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Erstklägerin hat das Medizinstudium absolviert. Im Jahr 2006 bekam sie ihr erstes Kind, das an einer Lippen Kiefer Gaumenspalte leidet. Im Jahr 2009 wurde sie zum zweiten Mal schwanger, weshalb sie sich in Behandlung bei einer Privatärztin begab. Am 7. 1. 2010 unterzog sich die Erstklägerin in der 20./21. Schwangerschaftswoche einer Ultraschalluntersuchung (Organscreening) im Spital der Beklagten. Dabei hat sich ein sonografisch unauffälliger Befund ergeben. Der Ausflusstrakt konnte lagebedingt nicht dargestellt werden. Die Klägerin unterfertigte einen Revers, den sie auch durchlas. Darin wurde angeführt, dass die Ultraschalluntersuchungen für das Organscreening bei der Beklagten von Ärztinnen und Ärzten durchgeführt werden, die nach ÖGUM/DEGUM Level I ausgebildet seien. Es werde darauf hingewiesen, dass mittels Ultraschalluntersuchung genetisch bedingte und nicht genetisch bedingte Fehlbildungen sowie Entwicklungsstörungen nicht vollständig ausgeschlossen werden könnten. Sollte die Schwangere weiterführende Untersuchungen in Spezialambulanzen wünschen, so werde sie an namentlich genannte Institutionen verwiesen. Am 12. 1. 2010 begab sich die Erstklägerin zur Beklagten zur Kontrolle. Es zeigte sich wieder ein sonografisch unauffälliger Befund. Die behandelnden Ärzte der Beklagten verfügten über die Kenntnisse für eine Untersuchung nach ÖGUM Level I; sie waren aber nicht in die entsprechende Liste eingetragen. Bei einer solchen Untersuchung wird gefordert, den Vier Kammer Blick beim Herzen darzustellen. Die Darstellung der Ausstrombahnen wird hingegen nicht gefordert. Der schwere, letale Herzfehler, an dem das Kind litt, wird durch Begutachtung der Ausstrombahnen des Herzens entdeckt. Im Vier Kammer Blick stellt sich dieser besonders seltene Herzfehler oft nicht dar. Aufgrund der Fehlbildung des ersten Kindes und der Blutererkrankung der Mutter hätten die behandelnden Ärzte erkennen müssen, dass es sich um eine Risikoschwangerschaft handelt. Aus medizinischer Sicht hätte die Erstklägerin daher an ein Zentrum für Pränataldiagnostik überwiesen werden sollen. Am 12. 3. 2010 wurden (in der 28./29. Schwangerschaftswoche) der schwere Herzfehler des Kindes und eine Fehlbildung der Hände von einem spezialisierten Pränataldiagnostiker des A***** Wien festgestellt. Zu diesem Zeitpunkt wäre nur noch ein Fetozid in Betracht gekommen. Das Kind kam am 10. 5. 2010 mittels Kaiserschnitts zur Welt und verstarb am 29. 6. 2010. Wäre der Erstklägerin am 7. 1. 2010 oder am 12. 1. 2010 der schwere Herzfehler des Kindes mitgeteilt worden, so hätte sie sich für eine Abtreibung entschieden.

Die Kläger begehrten Schadenersatz, wobei die Erstklägerin die Positionen Fahrt und Parkkosten vor der Geburt, frustrierte Behandlungskosten in der Schwangerschaft, Kosten für psychologische Behandlung, Schmerzengeld für Kaiserschnittoperation und Trauerschaden sowie der Zweitkläger die Positionen Verdienstentgang durch Pflege und Hauswirtschaftserfordernisse, Fahrt und Parkkosten nach der Geburt, Begräbniskosten, frustrierte Aufwendungen für das Kind, zusätzliche Kosten für eine Dienstreise, Verdienstentgang durch Verlust einer Führungsposition und entgangene Mieterträge geltend machten. Zudem erhoben die Kläger ein Unterlassungsbegehren hinsichtlich der Verwendung des Begriffs „Organscreening“. Die Beklagte habe ein Organscreening als zusätzliches Service gratis angeboten. Dabei handle es sich um eine vorgeburtliche Ultraschalluntersuchung, für die eine besonders hohe Qualifikation des durchführenden Arztes (ÖGUM Level II) erforderlich sei. Die Untersuchungen bei der Beklagten hätten einen unauffälligen Befund ergeben. Demgegenüber sei bei einer Untersuchung im März 2010 im A*****, die die Erstklägerin auf Eigeninitiative vorgenommen habe, der schwere, letale Herzfehler des Kindes festgestellt worden. Bei Kenntnis dieses schweren Herzfehlers hätte sie sich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden. Den Ärzten der Beklagten sei grobe Fahrlässigkeit anzulasten. Bei ihr habe es sich um eine Risikoschwangerschaft gehandelt.

Die Beklagte entgegnete, dass sie nur Ultraschalluntersuchungen nach ÖGUM/DEGUM Level I durchführe. Beide behandelnden Ärzte hätten über die erforderliche Ausbildung verfügt. Die Untersuchungen seien sorgfältig durchgeführt worden und hätten zu einem unauffälligen Ergebnis geführt. Allerdings sei der Ausflusstrakt des Herzens lagebedingt nicht darstellbar gewesen. Davon abgesehen wäre auch noch im März 2010 ein Schwangerschaftsabbruch wegen embryopathischer Indikation möglich gewesen. Die von den Klägern geltend gemachten Schäden seien nicht vom Schutzzweck des zugrunde liegenden Behandlungsvertrags erfasst.

Das Erstgericht wies die Leistungsbegehren zur Gänze ab; ebenso wies es das Unterlassungsbegehren ab. Grundsätzlich seien auch wirtschaftliche Interessen der Eltern vom Schutzzweck des Behandlungsvertrags über die pränatale Diagnostik erfasst. Die bisherige Judikatur habe aus diesem Grund den Unterhaltsaufwand für ein behindertes Kind, das bei pflichtgemäßer Diagnostik nicht auf die Welt gekommen wäre, zugesprochen. Die von den Klägern geltend gemachten Schadenersatzansprüche seien demgegenüber nicht vom Schutzzweck des Behandlungsvertrags umfasst. In dieser Hinsicht sei zu beachten, dass die bei der Beklagten tätigen Ärzte den schweren Herzfehler des Kindes und den bedauerlicherweise eingetretenen Tod nicht zu vertreten hätten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger teilweise Folge und sprach der Erstklägerin 2.903,37 EUR sA (Fahrt und Parkkosten vor der Geburt, frustrierte Behandlungskosten in der Schwangerschaft und Kosten für psychologische Behandlung) sowie dem Zweitkläger 4.480,10 EUR sA (Begräbniskosten sowie Kosten für ein Stofftier und für die Einrichtung eines Home Office) zu. Hinsichtlich der Abweisung des von der Erstklägerin geltend gemachten Schmerzengeldbetrags für die Kaiserschnittoperation (2.100 EUR) hob das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichts auf. Im Übrigen bestätigte das Berufungsgericht die Abweisung der Leistungsbegehren. Das Unterlassungsbegehren war nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens. Das Berufungsgericht führte aus, dass der Beklagten eine Verletzung der Pflichten aus dem ärztlichen Behandlungsvertrag anzulasten sei. Sie habe es unterlassen, die Erstklägerin an ein Zentrum für Pränataldiagnostik zu überweisen, obwohl dies angesichts der Risikoschwangerschaft geboten gewesen wäre. Außerdem sei der Erstklägerin die Definition „ÖGUM Level I“ nicht erklärt worden. Schließlich liege auch ein Diagnosefehler vor, weil ein erfahrener Untersucher den Herzfehler am 7. 1. 2010 und am 12. 1. 2010 erkannt hätte. Ein solcher Untersucher hätte im Rahmen eines Organscreenings Level II und III so lange untersuchen müssen, bis alle vorgeschriebenen Herzebenen dokumentiert seien. Es liege daher eine Vereitelung des Schwangerschaftsabbruchs durch die Beklagte vor. Nach der Judikatur werde den Eltern der Unterhalt für ein behindertes Kind zugesprochen, dessen Abtreibung aufgrund mangelhafter Aufklärung über die Behinderung unterblieben sei. Auf das Erfordernis einer außergewöhnlichen Belastung komme es nicht an. Dementsprechend seien die finanziellen Interessen der Mutter bzw der Eltern vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst. Es sei nicht einzusehen, warum die Haftung des Arztes auf den allfälligen Ersatz des Unterhaltsschadens beschränkt und nicht auch Ansprüche wie die hier verfolgten umfassen solle. Nach der Judikatur sei auch der Vater in den Schutzbereich des ärztlichen Behandlungsvertrags einbezogen. Die Schadenspositionen, auf die sich der Zuspruch beziehe, sei vom Schutzzweck des Behandlungsvertrags erfasst. Zum begehrten Schmerzengeld sei zu bemerken, dass auch ein Schwangerschaftsabbruch Schmerzen der Erstklägerin bedingt hätte. Ihrem Begehren könne daher nur insoweit Berechtigung zukommen, als die mit der Kaiserschnittoperation verbundenen Schmerzen jene bei einem Abbruch der Schwangerschaft überstiegen hätten. Die ordentliche Revision sowie der Rekurs an den Obersten Gerichtshof seien zulässig, weil in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zum „Wrongful Birth“ bisher nur der Unterhaltsersatzanspruch behandelt worden sei.

Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionen beider Streitteile; gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts wendet sich der Rekurs der Beklagten. Die Kläger begehren die gänzliche Stattgebung der Zahlungsbegehren, während die Beklagte die gänzliche Klagsabweisung anstrebt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, der Revision der Kläger den Erfolg zu versagen. Die Kläger haben keine Rechtsmittelbeantwortungen erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen sowie der Rekurs sind zulässig, weil zur Reichweite des Schutzzwecks eines Behandlungsvertrags über die pränatale Diagnostik eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof geboten erscheint und davon ausgehend die Entscheidung des Berufungsgerichts einer Korrektur bedarf. Die Revision der Kläger ist nicht berechtigt. Hingegen sind die Revision und der Rekurs der Beklagten berechtigt.

1. Die von den Klägern behaupteten Mängel des Berufungsverfahrens liegen nicht vor.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist mängelfrei, wenn es sich mit dieser befasst und die Beweiswürdigung des Erstgerichts nachvollziehbar überprüft hat (vgl RIS Justiz RS0043150). Das Berufungsgericht ist aber nicht verpflichtet, sich im Rahmen der Überprüfung der vom Erstgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen mit jedem einzelnen Beweisergebnis bzw mit jedem einzelnen Argument des Berufungswerbers auseinanderzusetzen (RIS Justiz RS0043162). Im Anlassfall sind die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Behandlung der Beweisrüge gegeben. In Wahrheit versuchen die Kläger, die Beweiswürdigung der Vorinstanzen zu bekämpfen, was im Revisionsverfahren jedoch unzulässig ist (RIS Justiz RS0043131). Soweit die Kläger in ihrer Revision und dies über weite Strecken nicht vom festgestellten Sachverhalt, sondern von einem Wunschsachverhalt ausgehen, ist die Berufung nicht dem Gesetz entsprechend ausgeführt (vgl RIS Justiz RS0043603).

Soweit die Kläger angebliche sekundäre Feststellungsmängel ansprechen und dazu pauschal ausführen, es müsse vom richtigen Sachverhalt ausgegangen werden, ist die Rechtsrüge ebenfalls nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RIS Justiz RS0043603). Sekundäre Feststellungsmängel kommen zudem nur im Rahmen des Tatsachenvorbringens der jeweiligen Partei in Betracht (vgl RIS Justiz RS0040308).

2. Im Zusammenhang mit den Rechtsrügen sowohl der Kläger als auch der Beklagten ist dem Obersten Gerichtshof bewusst, dass die Frage nach Schadenersatz aus Anlass der Geburt eines Kindes neben rein rechtlichen auch ethische und moralische Implikationen aufweist. Abstrakt betrachtet machen die Kläger geltend, dass sie aufgrund der im Rahmen des Behandlungsvertrags rechtswidrig von der Beklagten unterlassenen Information eine Entscheidung nicht getroffen und dadurch in weiterer Folge materielle und immaterielle Schäden erlitten hätten. Die hier in den Raum gestellte Entscheidung wäre letztlich immer den Klägern zuzurechnen gewesen, sodass in den Verantwortungsbereich der Beklagten nur der Verlust der Entscheidungsmöglichkeit oder dessen zeitliche Verschiebung fallen kann.

3. Im Anlassfall bezieht sich der zu beurteilende Behandlungsvertrag auf eine pränatale Diagnostik. Diese dient vor allem der Ermittlung von Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des ungeborenen Kindes. Ihr Zweck liegt daher auch darin, der Mutter bzw den Eltern im Fall, dass dabei drohende schwerwiegende geistige oder körperliche Behinderungen des Kindes erkannt werden, die sachgerechte Einschätzung und Reaktion die zunehmend auch in pränatalen Behandlungen liegen kann zu ermöglichen.

4.1 Zunächst stellt sich die Frage nach einer Verletzung der Vertragspflichten der Beklagten.

Im Rahmen des hier zu beurteilenden ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den Regeln der ärztlichen Kunst. Dafür ist der aktuelle Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft maßgeblich.

4.2 Im Anlassfall ist die Beurteilung differenziert. Nach den Feststellungen gelingt die pränatale Entdeckung des schweren, besonders seltenen Herzfehlers des Kindes durch Begutachtung der Ausstrombahnen des Herzens. Im Vier Kammer Blick stellt sich dieser Fehler oft nicht dar. Für die Untersuchung nach ÖGUM Level I wird gefordert, den Vier Kammer Blick darzustellen; die Darstellung der Ausstrombahnen wird hingegen nicht gefordert. Es ist daher Aufgabe eines erfahrenen Untersuchers, im Rahmen eines Organscreenings der Stufe II und III so lange zu untersuchen, bis alle vorgeschriebenen Herzebenen dokumentiert sind.

Bei den Ultraschalluntersuchungen der Klägerin bei der Beklagten im Jänner 2010 handelte es sich jeweils um solche nach ÖGUM Level I . Dies war der Klägerin auch bekannt, zumal sie den entsprechenden Revers durchlas. Als Medizinerin musste sie zumindest verstehen, dass es beim Organscreening verschiedene Untersuchungs Level gibt, Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen trotz der Untersuchung nach Level I nicht vollständig ausgeschlossen und weiterführende Untersuchungen in Spezialambulanzen möglich sind.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann der Beklagten ein Diagnosefehler damit nicht angelastet werden.

4.3 Allerdings hat das Erstgericht auch festgestellt, dass aufgrund der Fehlbildung des ersten Kindes der Erstklägerin sowie deren Blutererkrankung die behandelnden Ärzte der Beklagten hätten erkennen müssen, dass es sich um eine Risikoschwangerschaft handelt, weshalb die Erstklägerin aus medizinischer Sicht an ein Zentrum für Pränataldiagnostik hätte überwiesen werden sollen. In diesem Versäumnis der Ärzte der Beklagten ist somit eine Pflichtverletzung aus dem mit der Beklagten abgeschlossenen Behandlungsvertrag gelegen.

5.1 Wer eine Vertragspflicht verletzt, haftet seinem Vertragspartner gegenüber nur insoweit für daraus entstehende Schäden, als gerade jene Interessen verletzt werden, deren Schutz die verletzte Vertragspflicht bezweckte (vgl RIS Justiz RS0017850). Bei Vertragsverletzungen ergibt sich der Rechtswidrigkeitszusammenhang somit aus den Interessen, die der Vertrag bzw die verletzte Vertragsnorm schützen sollte. Welche das sind, ist von Fall zu Fall im Weg der Vertragsauslegung zu ermitteln (RIS Justiz RS0022933 [T3]).

Wirtschaftliche Belastungen aufgrund einer medizinischen Fehlleistung können somit nur dann schadenersatzrechtlich ersatzfähig sein, wenn der Schutz vor solchen Belastungen zum Schutzzweck der verletzten vertraglichen Arztpflicht gehörte. Die Schutzpflicht endet jedenfalls an der Grenze objektiver Voraussehbarkeit einer Gefährdung der Interessen des Vertragspartners des Arztes bzw der Klinik (5 Ob 148/07m; vgl auch RIS Justiz RS0017850).

5.2 Die Kläger haben im Ergebnis einen Schaden aus einer aufgrund der fehlerhaften Information verlorenen bzw verspäteten Entscheidungsmöglichkeit geltend gemacht. Der Zweck des Behandlungsvertrags, den Klägern eine zutreffende Information über den Gesundheitszustand des Kindes zu verschaffen, kann allerdings nur soweit und solange als Schutzzweck zur Vermeidung von Nachteilen aus einer fehlenden Information verstanden werden, als diese Information nicht ohnehin bekannt war. Entscheidend wird damit, dass am 12. 3. 2010 der schwere Herzfehler des Kindes ohnehin diagnostiziert und den Klägern bekannt wurde. Damit endet insoweit der Schutzzweck des früheren Behandlungsvertrags. Wird der Zweck des zugrunde liegenden Behandlungsvertrags nachträglich erreicht, so können vom Vertragspartner behauptete Nachteile, die nach der Erreichung des vertraglichen Schutzzwecks eintreten, schon deshalb nicht mehr geltend gemacht werden; sie liegen also außerhalb des Schutzzwecks des Behandlungsvertrags bzw der sich daraus ergebenden verletzten Vertragspflicht.

Zur Bedeutung der Verspätung der Information haben die Kläger im Ergebnis nur geltend gemacht, dass sich die Ärzte „nicht einig“ gewesen wären. Inwieweit dadurch eine Veränderung in dem von den Klägern herangezogenen Kalkül des § 97 StGB eingetreten wäre sowohl zum Zeitpunkt der ersten Untersuchung als auch jener am 12. 3. 2010 wäre nur noch § 97 Abs 1 Z 2 StGB in Betracht gekommen führen die Kläger nicht näher aus. Dagegen, dass die Voraussetzungen des § 97 Abs 1 Z 2 StGB etwa hinsichtlich der Beratungserfordernisse nicht näher determiniert und hinsichtlich des Abstands zum Geburtstermin beschränkt und differenziert sind, wurden erhebliche Bedenken geltend gemacht (vgl etwa Eder Rieder in WK § 97 Rz 14, 17 ff; Lewisch , Strafrecht Besonderer Teil I 95; Schick , Die Einwilligung in den Schwangerschaftsabbruch in FS Jesionek ; vgl im Übrigen auch die Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte 19. 5. 1992, H , Nr 17004/90, DR 73); diese sind hier jedoch schon deshalb keiner näheren Prüfung zu unterziehen, weil die mangelnde Berücksichtigung dieser Bestimmung an der Entscheidung nichts ändert.

6.1 Zusammenfassend ergibt sich:

Der Zweck eines Behandlungsvertrags über die pränatale Diagnostik besteht vor allem in der Ermittlung von Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des ungeborenen Kindes und in der Schaffung der Grundlage für eine sachgerechte Entscheidung über die weitere Vorgangsweise der Eltern. Wird dieser vertragliche Schutzzweck nachträglich erreicht, so sind nach diesem Zeitpunkt entstandene Folgen zeitlich außerhalb des vertraglichen Schutzzwecks gelegen.

6.2 Ausgehend von diesen Grundsätzen können die Kläger jene Folgen aus der Vertragsverletzung der Beklagten, die nach dem 12. 3. 2010 entstanden sind, nicht geltend machen. Dass infolge der „Verspätung“ der Information bereits davor eine nachteilige Folge für die Kläger eingetreten wäre, haben diese nicht nachgewiesen. Die von der Erstklägerin begehrten frustrierten Behandlungskosten in der Schwangerschaft betrafen Behandlungen, die sich zunächst auf eine vermeintlich normale Schwangerschaft und nicht gerade diesen Zeitraum bezogen haben. Diese Kosten wurden nicht durch die Beklagte frustriert, weil sie den schweren Schicksalsschlag eines letalen Herzfehlers des Kindes nicht zu verantworten hat.

6.3 Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof somit nicht Stand. In Stattgebung der Revision und des Rekurses der Beklagten war daher das insgesamt abweisende Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen. Die Revision der Kläger hatte dementsprechend keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die der Beklagten zu ersetzenden Prozesskosten sind auf die beiden Kläger im Verhältnis ihrer Beteiligung am Gesamtstreitwert für den jeweiligen Verfahrensabschnitt aufzuteilen. Für die Berufungsbeantwortung gebührt nur der dreifache Einheitssatz.

Rechtssätze
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  • RS0123136OGH Rechtssatz

    21. November 2023·3 Entscheidungen

    a) Im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den aktuell anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst. Die pränatale Diagnostik dient nicht zuletzt der Ermittlung von Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des ungeborenen Kindes und soll damit auch der Mutter (den Eltern) im Falle, dass dabei drohende schwerwiegende Behinderungen des Kindes erkannt werden, die sachgerechte Entscheidung über einen gesetzlich zulässigen, auf § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB beruhenden Schwangerschaftsabbruch ermöglichen. Dass in einem solchen Fall die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch auch wegen der erheblichen finanziellen Aufwendungen für ein behindertes Kind erfolgen kann, ist objektiv voraussehbar, weshalb auch die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) noch vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst sind. b) Wird beim Organscreening im Rahmen pränataler Diagnostik ein Hinweis auf einen beginnenden Wasserkopf als Folge einer Meningomyelozele nicht entdeckt und unterbleibt eine Wiederbestellung der Schwangeren, obwohl diagnoserelevante Strukturen nicht einsehbar waren, dann liegt ein ärztlicher Kunstfehler vor. Hätten sich die Eltern bei fachgerechter Aufklärung über die zu erwartende schwere Behinderung des Kindes und einen deshalb gesetzlich zulässigen Schwangerschaftsabbruch gemäß § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB zu Letzterem entschlossen, haftet der Arzt (der Rechtsträger) für den gesamten Unterhaltsaufwand für das behinderte Kind. In einem solchen Fall stünden sowohl die Ablehnung eines Schadenersatzanspruchs mit der Behauptung, es liege kein Schaden im Rechtssinn vor, als auch der bloße Zuspruch nur des behinderungsbedingten Unterhaltsmehraufwands mit den Grundsätzen des österreichischen Schadenersatzrechts nicht im Einklang.