JudikaturJustiz8Ob267/69

8Ob267/69 – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Januar 1970

Kopf

SZ 43/17

Spruch

Zur Frage der Schadenersatzpflicht des Vermieters wegen unterlassener Hausreparaturen nach Aufhebung des Bestandvertrages wegen wirtschaftlicher Abbruchreife

OGH 27. Jänner 1970, 8 Ob 267/69 (LGZ Wien 41 R 240/69; BG Innere Stadt-Wien 48 Cg 47/67)

Text

Mit Mietvertrag vom 25. März 1947 mietete die klagende Partei von den damaligen Eigentümern der Liegenschaft N-Gasse 64, den Erst- bis Drittbeklagten und dem Fünftbeklagten sowie Franz P, dessen Rechtsnachfolger nach seinem Tode im Jahre 1961 der Viertbeklagte wurde, den auf dieser Liegenschaft errichteten Fabrikstrakt. Im Punkt 11 dieses Vertrages wurde festgehalten, daß das Bestandobjekt sich gegenwärtig in einem teilweisen schadhaften Zustand befinde, aber von den Vermietern einer Generalreparatur unterzogen werde, sodaß einverständlich festgestellt werde, daß nach Durchführung dieser Reparatur der Bauzustand des Bestandobjektes als gut bezeichnet werden könne; die Vertragsparteien erklärten, daß das Bestandobjekt nicht den Bestimmungen des Mietengesetzes unterliege; weiter wurde festgestellt, daß die klagende Partei keine Verpflichtung zur Vornahme irgendwelcher Instandsetzungsarbeiten treffe oder getroffen habe; es sollten vielmehr, da das Mietverhältnis nicht den Bestimmungen des Mietengesetzes unterliege, die Vorschriften des ABGB. (§ 1096) gelten. Es wurde vereinbart, daß sämtliche Miteigentümer der klagenden Partei für die Einhaltung aller vertraglich übernommenen Verpflichtungen und Zusicherungen "einer für alle und alle für einen" einstehen. Am 16. März 1964 brachten die Beklagten nach Erwirkung einer Demolierungsbewilligung gegen die klagende Partei die Klage auf Räumung des Bestandobjektes wegen Vorliegens eines Abbruchsbescheides und späterhin wegen wirtschaftlicher Abbruchreife ein, welcher Klage aus dem letztgenannten Gründe rechtskräftig stattgegeben wurde. Die zwangsweise Räumung wurde im August 1966 vollzogen.

Die klagende Partei behauptet mit der vorliegenden, auf Bezahlung eines Betrages von 250.000 S samt Anhang, in eventu auf Beschaffung gleichwertiger Ersatzlokalitäten gerichteten Schadenersatzklage, daß die Beklagten sich mehrfach verpflichtet gehabt hätten, eine Generalreparatur des von der klagenden Partei gemieteten Fabrikstrakts auf ihre eigenen Kosten durchzuführen. Da sie dies unterlassen hätten, hätten sie die vom Gericht festgestellte wirtschaftliche Abbruchreife des gemieteten Objektes bewußt und grob fahrlässig herbeigeführt. Nach den objektiv gegebenen Verhältnissen repräsentierten die in Ansehung von Mietzins und Kündigungsschutz bestandenen Altmietrechte einen Wert von mindestens 250.000 S. Dazu sei die Mietung des Fabrikstraktes zu dem Zwecke erfolgt, um dem mehrere Sparten umfassenden Betrieb der klagenden Partei jene Werkstätten- und sonstigen Räume zu geben, in denen dieser Betrieb ordnungsgemäß geführt werden und sich entsprechend entwickeln und ausdehnen könne. Durch den in bewußter und grob fahrlässiger Verletzung vertraglich übernommener Verpflichtungen herbeigeführten Verlust des Bestandobjektes und der daran bestandenen Altmietrechte sei die klagende Partei auf das Schwerste geschädigt; ihr gebühre daher der Schätzungswert und überdies der Ersatz aller sonstigen Vermögensnachteile, insbesondere auch der Ersatz des bisher entgangenen und des künftig entgehenden Gewinns etc. Hiebei sei jene Sach- und Rechtslage zu Gründe zu legen, welche gegeben wäre, wenn die beklagten Parteien ihre vertraglich übernommenen Verpflichtungen erfüllt und nicht im Gegensatz hiezu bewußt und grob fahrlässig den Zustand der Abbruchreife herbeigeführt hätten. In der Tagsatzung vom 8. September 1967 wurde ergänzend zum Beweise die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Höhe des Schadens und Parteienvernehmung beantragt sowie vorgebracht, daß für ein Ersatzlokal eine monatliche Miete von 30S pro Quadratmeter und ein Baukostenzuschuß von 410 S pro Quadratmeter zu bezahlen sei. Das gegenständliche Mietobjekt habe ein Flächenmaß von 1300 m2 aufgewiesen und ergebe sich im Hinblick darauf der Klagsbetrag.

Die Beklagten bestritten den Anspruch der klagenden Partei aus mehreren Gründen und wendeten darüber hinaus eine Gegenforderung von 41.600 S an rückständigen Mietzins für die Zeit vom Jänner 1964 bis August 1966 als Gegenforderung ein.

Das Erstgericht stellte fest, daß der Anspruch der klagenden Partei mit 100.000 S mit 4% Zinsen "ab Klagstag" zu Recht und die Gegenforderung der beklagten Parteien von 41.600 S nicht zu Recht bestehe, verurteilte die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand zur Bezahlung des Betrages von 100.000 S samt 4% Zinsen "ab dem Klagstage" und wies das Mehrbegehren der klagenden Parteien auf Bezahlung weiterer 150.000 S samt 5% Zinsen ab Klagstag sowie weiterer 1% Zinsen aus 100.000 S ab dem Klagstag ab. Es stellte fest, daß, obwohl 1956 mit einem den damaligen Miteigentümern zumutbaren wirtschaftlichen Aufwand die Renovierung des klagsgegenständlichen Bestandobjektes möglich gewesen wäre, diese von den Beklagten nicht durchgeführt worden sei. Wäre das Bestandobjekt renoviert worden, hätte sich, abgesehen von den Verpflichtungen der damaligen Hauseigentümer, eine Mietzinserhöhung von monatlich 12.782 S ergeben. Der Wert der Mietrechte habe sich auf insgesamt 20.000 S belaufen. Für ein Bestandobjekt in gleicher Größe, jedoch in einem Bauzustand von mittlerer Art und Güte, wäre für eine Mietung ein Kapitalaufwand von 100.000 S notwendig oder ein monatlicher Zins von 16.000 S zu bezahlen. Rechtlich vertrat das Erstgericht den Standpunkt, daß die klagende Partei ihren Schadenersatzanspruch lediglich auf den Schaden stütze, der ihr durch den Verlust des Mietrechtes entstanden sei, und bezifferte ihn "unter Zugrundelegung eines Bestandobjektes mittlerer Art und Güte" mit 100.000 S.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge und änderte über Berufung der Beklagten das erstgerichtliche Urteil durch Teilurteil dahin ab, daß das Hauptbegehren zur Gänze abgewiesen wurde. Es stellte sich auf den Standpunkt, daß Gegenstand des Hauptbegehrens ausschließlich der Wert der Mietrechte, deren die klagende Partei verlustig ging, gewesen sei. Der entgangene Gebrauchsvorteil sei aber nach österreichischem Recht kein ersatzfähiger Schaden.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge, hob das angefochtene Teilurteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Dem Berufungsgericht kann nicht darin gefolgt werden, daß die klagende Partei keinen konkreten Schaden behauptete; auch wenn es zweckmäßig gewesen wäre, daß die klagende Partei ihr Vorbringen in erster Instanz präziser erstattet hätte, hat diese aber immerhin doch behauptet, daß nach den gegebenen Verhältnissen die Mietrechte einen Wert von 250.000 S repräsentiert hätten. Bei der klagenden Partei handelt es sich, wie auch den Beklagten bekannt war, um eine protokollierte Handelsfirma, die unter anderem im Bestandgegenstand ein Unternehmen, also eine organisierte Erwerbsgelegenheit, betrieben hat. Für den Wert des Unternehmens müßte es von Bedeutung sein, daß es über günstig gelegene und verhältnismäßig billige Lager- und Werkstättenräume verfügte. Durch den Verlust der von den Beklagten in Bestand gegebenen Räume ist möglicherweise der Wert des von der klagenden Partei betriebenen Unternehmens wesentlich vermindert worden, was, wie es die klagende Partei beantragte, durch ein Sachverständigengutachten, aber auch durch die ebenfalls beantragte Parteienvernehmung erwiesen werden sollte. Daß die klagende Partei diese Verringerung des Unternehmenswertes im Auge hatte, kann der Klage durchaus entnommen werden, weil sie noch ausführte, daß die Mietung zu dem Zweck erfolgt sei, um dem mehrere Sparten umfassenden Betrieb, also dem Unternehmen der klagenden Partei, jene Werkstätten- und Lagerräume zu geben, in denen der Betrieb ordnungsgemäß geführt werden, sich entsprechend entwickeln und ausdehnen konnte. Sie verlangt den Ersatz des Schätzungswertes, worunter nur der Ersatz der Minderung des Verkehrswertes des Unternehmens durch den Verlust der von den Beklagten gemietet gewesenen Räumen verstanden werden kann. Darüber hinaus begehrte die klagende Partei aber auch den Ersatz aller sonstigen Vermögenswerte, insbesondere auch den bisher entgangenen und den Ersatz des künftig entgehenden Gewinnes. Sie hat dabei auf die auch vom Erstgericht festgestellten teureren Mieten für Ersatzräumlichkeiten verwiesen und damit Anhaltspunkte für die Höhe des Schadens geboten. Auch wenn die klagende Partei offenbar keine anderen Objekte mehr mietete, könnte ihr doch durch die möglicherweise erfolgte Verminderung des Geschäftsumfanges ein Schaden entstanden sein. Die Höhe dieses Schadens könnte letztlich auch auf Grund von Sachverständigengutachten immer nur nach § 273 ZPO bestimmt werden, sodaß von der klagenden Partei ein ganz präzises Vorbringen nicht zu erwarten war. Durch ein Sachverständigengutachten könnte aber immerhin geklärt werden, inwieweit der Umsatz des Unternehmens durch den Verlust des Bestandgegenstandes zurückgegangen ist und inwieweit hiedurch etwa der Verkehrswert des Unternehmens der klagenden Partei verringert wurde. Auch wenn die klagende Partei im Rahmen der ihr obliegenden Schadensminderungspflicht gehalten war, durch allenfalls nötige Miete von Ersatzräumen den Schaden möglichst gering zu halten, könnte doch, wie sie auch vorbrachte, ein Schaden in der Höhe einer allfälligen Zinsdifferenz verblieben sein.

Daß konkrete Schäden aus dem Verlust eines bedungenen Bestandrechtes zu ersetzen sind, ergibt sich zunächst aus der Bestimmung des § 1112 ABGB, wonach dann, wenn die Bestandsache zu Gründe geht und dies aus dem Verschulden des einen Teiles geschieht, dem anderen Ersatz gebührt; es sind hiebei die allgemeinen Schadenersatzgrundsätze anzuwenden (Klang, Komm[2] zu § 1112 ABGB V 98 vor Anm 3). Nichts anderes gilt dann, wenn der Bestandgegenstand zwar nicht zu Gründe ging, das Bestandverhältnis aber wegen (wirtschaftlicher) Abbruchreife beendet wurde; es wird daher die Auffassung vertreten, daß dann, wenn das Gebäude so baufällig ist, daß es deshalb niedergerissen werden muß, ebenfalls die Bestimmung des § 1112 ABGB gilt, weil auch dann das Gebäude zu Gründe geht (Klang[2] zu § 1118 ABGB V 125 bei Anm 54; vgl Ehrenzweig Obligationenrecht[2] 474). Die Voraussetzungen der Abbruchreife sind in einem Verfahren, das die Aufhebung des Bestandvertrages zum Gegenstand hat, objektiv zu prüfen, sodaß auch ein Verschulden des Vermieters der früheren Aufhebung des Bestandvertrages nicht entgegensteht (EvBl 1969/20; MietSlg 9638, 7344, 5828 u a). Der verdrängte Mieter muß dann aber berechtigt sein, bei Verschulden des Vermieters Schadenersatz zu fordern, wie überhaupt bei Verletzung jedes obligatorischen Rechtes und damit auch des Bestandrechtes Schadenersatz nach §§ 1293 ff ABGB begehrt werden kann (SZ 23/191 u a).

Bei der Prüfung des Verschuldens ist von der (allenfalls gemäß § 2 ZinsstopG, § 6 MG eingeschränkten) Bestimmung des § 1096 ABGB, die nach der ausdrücklichen Vereinbarung der Parteien zu gelten hatte, auszugehen. Danach ist der Vermieter grundsätzlich verpflichtet, das Bestandstück auf eigene Kosten in brauchbarem Zustand zu erhalten, jedenfalls aber ernste Schäden des Hauses zu beseitigen. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, erfüllt er den Bestandvertrag nicht. Gemäß § 1298 ABGB wird bei Verletzung einer Vertragspflicht das Verschulden des Verpflichteten vermutet. Es sind somit die Beklagten dafür beweispflichtig, daß sie am Untergang des Bestandgegenstandes und der Nichterfüllung ihrer vertraglichen Pflichten kein Verschulden traf (MietSlg 20204, 15077 u a).

Verpflichtung der klagenden Partei ist es allerdings, nicht nur einen konkreten Schaden zu behaupten, sondern auch diesen und den Kausalzusammenhang zwischen der Auflösung des Bestandvertrages und dem Schaden nach den allgemeinen Regeln der Beweislastverteilung zu beweisen (MietSlg 20204; vgl auch Wolff in Klang[2] zu § 1296 ABGB VI 45, Ehrenzweig, Obligationsrecht[2] 75). Ebenso steht, wie erwähnt, den Beklagten das Recht offen, den Beweis dafür zu erbringen, daß sie kein Verschulden trifft. Das Erstgericht hat diese Frage behandelt und hiezu auch Feststellungen getroffen, die von beiden Parteien mit ihren Berufungen bekämpft wurden. Das Berufungsgericht hat sich mit diesen Berufungsausführungen, von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht ausgehend, nicht befaßt. Die abschließende rechtliche Beurteilung der Sache wird jedoch erst möglich sein, wenn feststeht, auf Grund welcher Tatsachenfeststellungen sie zu treffen ist. Da dies derzeit ausgeschlossen ist, ist das angefochtene Teilurteil aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.