JudikaturJustiz7Ob495/56

7Ob495/56 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. November 1956

Kopf

SZ 29/79

Spruch

Die Einsetzung ungeborener Nacherben, obwohl im Zeitpunkt der Testamentserrichtung bereits offenkundig war, daß solche Nacherben nicht mehr zu erwarten waren, begrundet keine Nichtigkeit des Testamentes.

Entscheidung vom 28. November 1956, 7 Ob 495/56.

I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Die am 28. März 1954 verstorbene Anna Z., geborene M., hat in ihrem Testament vom 20. April 1953 die Klägerin Marianne W., geborene M. (ihre außereheliche Tochter) und ihre Adoptivkinder Josef M. und Anna M. (das sind die Kinder ihres vorverstorbenen Bruders) zu Erben ihres Nachlasses eingesetzt und u. a. bestimmt, daß die Klägerin die gesamten in der Privatwohnung der Erblasserin befindlichen Fahrnisse, das unentgeltliche Wohnungsrecht auf Lebensdauer in dieser Privatwohnung und ferner den gesamten Liegenschaftsbesitz, nämlich die Liegenschaften EZ. 518 und 519 Katastralgemeinde St. samt allem dem Fremdenbeherbergungs- und Gasthausbetrieb gewidmeten Inventar, diesen Besitz jedoch mit der Einschränkung erhalten solle, daß im Falle die Klägerin bei ihrem Ableben aus der Ehe mit Franz W. geborene Kinder besitze, sie die eben angeführten Liegenschaften samt dem dem Fremdenbeherbergungs- und Gasthausbetrieb gewidmeten Inventar ihren aus der Ehe mit Franz W. geborenen Kindern zu gleichen Teilen zu hinterlassen habe. Falls sie aber, ohne aus ihrer Ehe mit Franz W. geborene Kinder zu hinterlassen, sterben sollte, habe sie diese Liegenschaften samt Inventar zu gleichen Teilen den Adoptivkindern Josef und Anna M. zu hinterlassen.

Punkt 5 des Testamentes lautet wörtlich:

"Da der Pflichtteil meiner außerehelichen Tochter Marianne W. durch ihren Erbteil und durch die fideikommissarische Substitution zugunsten ihrer ehelichen Kinder aus der Ehe mit Franz W. gedeckt ist, andererseits durch die Gewährung einer lebenslänglichen Rente an meine Adoptivkinder Josef und Anna M. und durch die verfügte fideikommissarische Substitution auch diesen mehr als der Pflichtteil zukommt, stehen meiner Tochter Marianne W. und meinen Adoptivkindern keine weitergehenden Pflichtteilsansprüche zu.

Sollte einer meiner Erben das Testament anfechten, so ist er auf den Pflichtteil zu setzen, welcher in Geld auszuzahlen ist.

Die Vorausempfänge meiner Tochter Marianne W. sind in einem solchen Falle anzurechnen."

Das Bezirksgericht Salzburg hat als Verlassenschaftsgericht mit dem Beschluß vom 22. Mai 1954, 2 A 174/54-6, die von der Klägerin und den erblasserischen Adoptivkindern Josef und Anna M. auf Grund des Testaments vom 20. April 1953 abgegebenen bedingten Erbserklärungen zu Gericht angenommen. Am 8. Juni 1955 kam es zwischen der Klägerin und den beiden minderjährigen Adoptivkindern zu einem Erbübereinkommen. Mit einem am 13. Juli 1955 beim Verlassenschaftsgericht eingelangten Schriftsatz hat die Klägerin unter gleichzeitigem Widerruf des Erbübereinkommens vom 8. Juni 1955 erklärt, das ihr letztwillig von der verstorbenen Mutter zugedachte Erbe mit Vorbehalt des Pflichtteils anzunehmen, so daß die letztwilligen Beschränkungen nur hinsichtlich des den Pflichtteil übersteigenden Erbteiles gelten (§ 774 ABGB.). Weil ihr Pflichtteil ein Sechstel des Nachlasses betrage, hat die Klägerin beantragt, ihr einen Sechstelanteil der Liegenschaften EZ. 518 und 519 Katastralgemeinde St. samt einem Sechstelanteil des Inventars zu ihrer freien Verfügung ohne alle Beschränkungen und Lasten einzuräumen. Diesen Antrag und weitere Anträge der Klägerin hat das Verlassenschaftsgericht mit dem noch nicht rechtskräftigen Beschluß vom 13. Februar 1956, 2 A 174/54-27, abgewiesen.

Die Klägerin vertritt in der am 9. Dezember 1955 eingebrachten Klage den Standpunkt, daß ihr Pflichtteilsanspruch nicht durch die Belastung mit einer fideikommissarischen Substitution beschränkt werden dürfe, sondern ihr ohne Beschränkung frei verbleiben müsse, und daß die Substitution nur auf den den Pflichtteil übersteigenden Erbteil bezogen werden könne (§ 774 ABGB.). Sie stellt daher das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, die Unzulässigkeit der fideikommissarischen Substitution betreffend ein Sechstel des Nachlasses nach Anna Z., bestehend aus den Häusern S., L.-Gasse 47 - 49, vorgetragen in der KG. St. EZ. 518 und 519, samt allem dem Fremdenbeherbergungs- und Gasthausbetrieb gewidmeten Inventar, anzuerkennen.

Demgegenüber hat die beklagte Partei eingewendet, daß die Klägerin mit Rücksicht auf den Punkt 5 Abs. 2 des Testamentes vom 20. April 1953 nur die Wahl gehabt habe, die ihr auf Grund des Testamentes zufallende Erbschaft mit Vorbehalt ihres Pflichtteiles auszuschlagen oder aber die Erbschaft mit den in diesem Testament ihr auferlegten Beschränkungen und Belastungen anzutreten. Durch die Abgabe der bedingten Erbserklärung habe die Klägerin von dem ihr zustehenden Wahlrecht Gebrauch gemacht, so daß sie jetzt nicht mehr den Pflichtteil verlangen könne.

Das Erstgericht hat sich dieser Auffassung angeschlossen und das Klagebegehren in seiner ursprünglichen Fassung (ohne Berücksichtigung der Richtigstellung) abgewiesen. Zugleich wurde auch der von der beklagten Partei gestellte Zwischenantrag auf Feststellung des Inhalts, daß der Klägerin kein Anspruch als Erbin nach der am 28. März 1954 mit Hinterlassung einer letztwilligen Anordnung verstorbenen Anna Z. auf Grund des Testamentes im Hinblick auf die vorliegende Klage zustehe, abgewiesen.

Infolge Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht das erstrichterliche Urteil mit der aus dem Urteilsspruch ersichtlichen Maßgabe bestätigt und ausgesprochen, daß der Wert des Streitgegenstandes 10.000 S übersteige. Das Berufungsgericht vertrat gemäß dem Judikate Nr. 226 alt die Rechtsansicht, daß ein letztwillig zum Erben eingesetzter Noterbe die Erbschaft zwar mit Vorbehalt des Anspruchs auf Ergänzung des Pflichtteils antreten (§ 774 ABGB.) oder auch mit Vorbehalt des Pflichtteils seinem Erbrecht aus dem Testament entsagen könne (§ 808 ABGB.); doch enthalte im vorliegenden Fall das Testament der Erblasserin in seinem Punkt 5 Abs. 2 die ausdrückliche Bestimmung, daß der Erbe, der das Testament anficht, auf den Pflichtteil in Geld zu setzen sei. Die Fassung des Punktes 5 Abs. 2 des Testamentes sei zwar nicht gerade glücklich gewählt, doch ergebe sich aus seinem Zusammenhang mit den beiden übrigen Absätzen mit völliger Klarheit, daß hiemit die sozinische Kautel in dem Sinne gemeint war, daß der Noterbe, wenn er sich die den zugedachten größeren Erbteil betreffende Beschränkung oder Belastung nicht gefallen lassen wolle, auf den Pflichtteil in Geld beschränkt wurde. Handle es sich aber um eine solche Kautel, dann habe die Klägerin das ihr zustehende Wahlrecht in der Richtung ausgeübt, daß sie auf die Geltendmachung der ihr ohne diese Klausel nach § 774 ABGB. zustehenden Rechte verzichtet habe. Mit Rücksicht auf die von ihr abgegebene Erbserklärung könne die Klägerin demnach nur die ganze Zuwendung mit den Beschränkungen behalten und könne nicht mehr die ihr sonst zustehenden Rechte nach § 774 oder § 808 letzter Satz ABGB. geltend machen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

In rechtlicher Beziehung wird von der Revision ausgeführt, daß dem ABGB. der Begriff der sozinischen Kautel überhaupt fremd sei. Aber selbst wenn man ihre Zulässigkeit für den österreichischen Rechtsbereich anerkennen wolle, sei in dem Satz "Sollte einer meiner Erben das Testament anfechten, so ist er auf den Pflichtteil zu setzen, der in Geld auszuzahlen ist" eine sozinische Kautel nicht zu erblicken. Jedenfalls sei von der rechtsunkundigen Klägerin das Vorliegen einer solchen nicht angenommen worden. Sie habe daher die Erbserklärung in völliger Unkenntnis ihrer rechtlichen Bedeutung abgegeben, weshalb von einem Verbrauch des Wahlrechtes nicht die Rede sein könne. Schließlich wird, wie schon in der Berufungsinstanz, erneut die Ungültigkeit der letztwilligen Verfügung wegen Sittenwidrigkeit behauptet.

Die Ausführungen in der Revision sind nicht geeignet, die zutreffend begrundete Rechtsansicht der untergerichtlichen Urteile zu entkräften.

Es ist der Auffassung der Untergerichte beizupflichten, daß Punkt 5 des Testamentes die sogenannte sozinische Kautel enthält, die darin besteht, daß der Noterbe ausdrücklich auf den Pflichtteil beschränkt wird, sofern er sich den Anordnungen des Testamentes nicht unterwirft. Die Richtigkeit dieser Auslegung ergibt sich nicht so sehr aus dem gebrauchten Wortlaut des Abs. 2 im Punkt 5 des Testamentes, wohl aber aus seinem Zusammenhalt mit dem Abs. 1 und 3 des Punktes 5 und den weiteren Testamentsbestimmungen, die eindeutig auf den Willen der Erblasserin hinweisen, die beiden Liegenschaften und das dem Fremdenbeherbergungs- und Gasthausbetrieb gewidmete Inventar frei von jeder Beschränkung den Nacherben zu übermachen. Die Klägerin sollte, wenn sie sich mit der angeordneten Belastung ihres Erbteils, insbesondere mit der fideikommissarischen Substitution, nicht abfinden wollte, nur den Pflichtteil in Geld erhalten. Warum eine solche Anordnung für den österreichischen Rechtsbereich nicht gültig sein soll, ist nicht einzusehen. Hat es doch der Pflichtteilsberechtigte in der Hand, entweder den ihm zugedachten belasteten Erbteil zu erhalten oder statt dessen sich mit dem Pflichtteil zu begnügen. Das ist auch die Auffassung der herrschenden Lehre (siehe insbesondere Weiss in Klang 2. Aufl. III 858; Ehrenzweig 1. Aufl. II/2 S. 540 Anm. 16; Unger, Das österreichische Erbrecht, 2. Aufl. S. 348) und der Rechtsprechung (GlUNF. 1589, 1507; NotZ. 1932 S. 121), von der abzugehen sich das Revisionsgericht nicht veranlaßt sieht.

Bestand im gegebenen Fall die Zuwendung der Erblasserin in der Ernennung der pflichtteilsberechtigten Klägerin zur Erbin, so hat die Klägerin mit der Abgabe der Erbserklärung ihr Wahlrecht verbraucht. Sie kann die gerichtliche Erbserklärung nicht mehr widerrufen (§ 806 ABGB.) und auch den Pflichtteilsanspruch nicht mehr geltend machen (GlUNF. 1507). Die in § 774 ABGB. normierte Ungültigkeit der den Pflichtteil einschränkenden Beschränkungen oder Belastungen ist, wie die Untergerichte richtig erkannt haben, nur relativ; sie entfällt, wenn der Pflichtteilsberechtigte die ungünstige Belastung freiwillig übernimmt (Weiss a. a. O. S. 861). Wenn die im Abhandlungsverfahren rechtsfreundlich vertretene Klägerin die Erbserklärung abgegeben hat, ohne sich deren Tragweite bewußt zu sein, muß sie die Folgen selbst tragen. Da § 118 AußStrG. dem Erben aus wichtigen Gründen eine bis zu einem Jahr andauernde Bedenkzeit zur Überreichung der Erbserklärung gewährt, hatte es die Klägerin nicht nötig, ihre Erbserklärung übereilt abzugeben. Im übrigen hätte die Klägerin, da dem Testament die sozinische Kautel beigefügt ist, auch im Abhandlungsverfahren nur die Wahl gehabt, die Erbschaft anzutreten oder den Pflichtteil in Geld in Anspruch zu nehmen; sie hätte aber keinesfalls, wie die Revision offenbar vermeint, die Erbschaft mit dem Vorbehalt antreten können, daß der ihrem Pflichtteil entsprechende Erbteil lastenfrei bleiben müsse.

Soweit die Klägerin Ungültigkeit der letztwilligen Anordnung wegen Sittenwidrigkeit geltend macht, übersieht sie, daß das österreichische Recht vom Grundsatz der Testierfreiheit beherrscht ist und daß für die Anwendung der Bestimmungen des § 879 ABGB., die sich nur auf Schuldverhältnisse beziehen, kein Raum ist. Es ist daher vollkommen belanglos, ob die Klägerin durch mehr als 20 Jahre bei der Erblasserin unentgeltlich gearbeitet hat. Mit Recht hebt das Ersturteil hervor, daß die Erblasserin durch die Bestimmung des Punktes 5 des Testaments der Klägerin einen Anspruch auf einen lastenfreien Pflichtteil zur Wahl gestellt hat, so daß schon aus diesem Grund von einer Sittenwidrigkeit nicht gesprochen werden kann. Warum die Einsetzung ungeborener Nacherben zur Nichtigerklärung des Testamentes führen soll, wenn im Zeitpunkt der Testamentserrichtung bereits offenkundig war, daß solche Nacherben nicht mehr zu erwarten waren, ist angesichts der Vorschrift des § 608 ABGB., die es ganz in das Belieben des Erblassers stellt, ob er eine fideikommissarische Substitution überhaupt anordnen will, unerfindlich. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann im übrigen auf die zutreffenden, durch die Revisionsausführungen nicht widerlegten Gründe der zweiten Instanz verwiesen werden.

Die Revision ist somit nach jeder Richtung hin unbegrundet.