JudikaturJustiz7Ob306/01b

7Ob306/01b – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Dezember 2001

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerald A***** , vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer und Dr. Siegfried Sighartsleitner, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei Firma B*****, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens 3 Cg 179/98v des Landesgerichtes Steyr, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 24. Oktober 2001, GZ 1 R 139/01v-6, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichtes Steyr vom 11. Juni 2001, GZ 3 Cg 62/01w-2, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der erstinstanzliche Zurückweisungsbeschluss zur Gänze ersatzlos aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens über die Wiederaufnahmsklage aufgetragen wird.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Im Verfahren 3 Cg 179/98v des Landesgerichtes Steyr wurde der Kläger als Beklagter rechtskräftig schuldig erkannt, der hier Beklagten (dort klagenden) Partei S 2,250.530,92 samt Staffelzinsen zu bezahlen (zuletzt 7 Ob 60/01a). Mit der am 2. 4. 2001 eingebrachten Klage begehrt der Kläger die Wiederaufnahme dieses Verfahrens mit der - zusammengefassten - Begründung, dass er aufgrund einer schweren depressiven Episode seinerzeit nicht vernehmungsfähig gewesen und damit unzulässigeweise vom Beweismittel der Parteienvernehmung Abstand genommen worden sei. Weiters sei er erst nach Schluss der Verhandlung erster Instanz im Vorverfahren in den Besitz diverser Schreiben seiner Mutter an Ing. Rainer H***** von der (nunmehr) beklagten Partei gelangt, in denen festgehalten worden sei, dass die von den Gerichten angenommene Kaufvereinbarung ein bloßes Scheingeschäft darstelle. Diesbezüglich berief sich der Kläger ua allgemein auf "Korrespondenz, insbesondere Schreiben vom 12. und 9. 6. 1994, Zahlungsbelege, Zahlungsaufforderungen, Überweisungsbelege". Das Erstgericht wies die Wiederaufnahmsklage als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung insgesamt ungeeignet zurück. Der Umstand, dass sich der Kläger nicht schon früher in eine entsprechende ärztliche Behandlung begeben habe, sei als Verschulden am Fernbleiben und damit letztlich als Verweigerung des Erscheinens vor Gericht zu werten. Aus der unterbliebenen Parteienvernehmung könne daher ein Wiederaufnahmsgrund nicht abgeleitet werden. Bezüglich der behaupteten neuen Urkunden habe er es hingegen unterlassen, gemeinsam mit seiner ebenfalls auf der Liegenschaft lebenden Mutter rechtzeitig danach zu suchen, was bei intensiver Suche auch schon früher während des laufenden Vorprozesses möglich gewesen wäre. Auffälligerweise habe er sich in diesem Vorprozess auch nicht auf die Autorin dieser neuen Schreiben, nämlich seine Mutter, als Zeugin berufen.

Das vom Kläger angerufene Rekursgericht gab seinem Rechtsmittel teilweise Folge. In Bezug auf die angebotenen Schreiben der Erna A***** (Mutter des Klägers) vom 12. 4. und 9. 6. 1994 an Ing. Rainer H***** wurde der angefochtene Beschluss ersatzlos aufgehoben und insoweit dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens über die Wiederaufnahmsklage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen; in Bezug auf die übrigen angebotenen Beweismittel wurde dem Rekurs nicht Folge gegeben. Insoweit wurde der ordentliche Revisionsrekurs nach § 528 Abs 1 ZPO für nicht zulässig erklärt. Das Rekursgericht führte - zum aufhebenden Teil seiner Entscheidung - aus, dass die in der Klage genannten Urkunden vom 12.

4. und 9. 6. 1994 ausreichend genau bezeichnet seien, um diese auch einer inhaltlichen Prüfung zuführen zu können; die übrigen Urkunden seien jedoch so undeutlich bezeichnet, dass die Prüfung der Wiederaufnahmevoraussetzungen im Rahmen des Vorprüfungsverfahrens nach § 538 ZPO nicht möglich sei. Zumindest hätte der Kläger nach § 77 Abs 2 ZPO die in seinem Klagsschriftsatz bezogenen Urkunden genau bezeichnen können (und müssen). Dass er es unterlassen habe, im Vorprozess (auch) seine Mutter als Zeugin zu führen, könne ihm nicht schaden. Die in der Wiederaufnahmsklage weiters behauptete Vernehmungsunfähigkeit im Sinne der §§ 372, 320 ZPO als einer absoluten physischen und/oder psychischen Unfähigkeit zur Parteienvernehmung lasse sich weder aus seinem Vorbringen noch den diesbezüglichen (seinerzeitigen) Entschuldigungsurkunden im Vorprozess ableiten.

Das Fehlen einer erheblichen Rechtsfrage (für die Zulassung des ordentlichen Revisionsrekurses) wurde vom Rekursgericht damit begründet, dass es sich auf eine ausreichende und einhellige oberstgerichtliche Judikatur gestützt habe und die Beurteilung der Frage, ob ein Wiederaufnahmskläger die ihm zumutbare Sorgfalt angewendet habe, eine Frage des Einzelfalles ohne darüber hinausgehende Bedeutung sei.

Gegen diesen Beschluss, soweit seinem Rekurs nicht Folge gegeben wurde, richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Erstgericht die Einleitung des Verfahrens über die Wiederaufnahmsklage hinsichtlich aller angebotenen Beweismittel aufgetragen werde, in eventu, seinem Rekurs gegen den Beschluss des Erstgerichtes vollinhaltlich Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorauszuschicken ist, dass die Bestätigung eines - wie hier - nach § 538 ZPO gefassten Zurückweisungsbeschlusses einer Wiederaufnahmsklage (vor Anberaumung einer Tagsatzung) zwar ebenso wie eine solche nach § 543 ZPO (also nach mündlicher Verhandlung) unter die Ausnahme vom Rechtsmittelausschluss des § 528 Abs 2 Z 2 ZPO fällt (RIS-Justiz RS0023342; zum Fall des § 538 ZPO ausführlich 8 Ob 565/92), jedoch vom Bestehen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO abhängig ist (8 Ob 565/92; 10 Ob 127/00z). Eine solche vermeint der Kläger vorliegendenfalls in zwei Punkten als gegeben:

a) Die von beiden Instanzen für untauglich erachteten weiteren Beweisurkunden (ausgenommen jene zwei, hinsichtlich welcher das Rekursgericht den Aufhebungs- und Fortsetzungsbeschluss fasste) seien von ihm in der Wiederaufnahmsklage ausreichend bezeichnet worden; selbst wenn aber insoweit "etwas unklar" geblieben wäre, hätte man ihm im Rahmen eines Verbesserungsverfahrens deren nähere Beschreibung auftragen müssen; insoweit liege (auch) eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor.

b) Entgegen den Annahmen im wiederaufzunehmenden Vorverfahren sei der Kläger tatsächlich vernehmungsunfähig gewesen und von seiner Parteienvernehmung daher unzulässigerweise Abstand genommen worden.

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof Folgendes erwogen:

Ungeachtet der vom Obersten Gerichtshof bereits zu 4 Ob 542/95 (= SZ 68/113) gelösten Frage, dass die mangelhafte Bezeichnung eines nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO relevierten (neuen) Beweismittels keineswegs die sofortige Zurückweisung der Klage rechtfertigen kann, sondern diesbezüglich vielmehr zuvor ein Verbesserungsverfahren nach § 84 Abs 3 ZPO einzuleiten wäre (was vom Rekursgericht hinsichtlich der über die Urkunden vom 12. 4. und 9. 6. 1994 hinausgehenden weiteren angebotenen Urkunden übersehen und außer Acht gelassen wurde), genügt es bei einer Wiederaufnahmsklage nach der zitierten Gesetzesstelle, dass wenn bereits einer von mehreren geltend gemachten Wiederaufnahmsgründen zutrifft, das Wiederaufnahmsverfahren ohne Zurückweisung im Vorprüfungsverfahren nach § 538 ZPO fortzusetzen ist; ein "Splitting" in einzelne (stattzugebende bzw abzuweisende) Beweismittel und damit hinsichtlich einerseits zurückzuweisender bzw andererseits stattzugebender Wiederaufnahmsgründe hat somit nicht zu erfolgen, und zwar weder durch den Erstrichter noch durch die diesen kontrollierenden Instanzgerichte. Die Bejahung der Tauglichkeit (Geeignetheit: Kodek in Rechberger, ZPO2 Rz 5 zu § 530) bereits eines der Wiederaufnahmsgründe (hier: zweier Schreiben der Mutter des Wiederaufnahmsklägers) muss vielmehr bereits Anlass für eine grundsätzlich uneingeschränkte Aufhebung des erstinstanzlichen Zurückweisungsbeschlusses sein, ohne zwischen den vom Rekursgericht vorgenommenen und auch vom Rechtsmittelwerber demgemäß für relevant erachteten singulären "neuen" Beweismitteln und Vorbringenspunkten im Einzelnen differenzieren zu müssen. Die inhaltliche Prüfung obliegt damit dem angerufenen Gericht erst im Rahmen der von ihm gemäß § 538 anzuberaumenden Tagsatzung, ohne dass hiezu seitens des Obersten Gerichtshofes im derzeitigen Verfahrensstadium - gleichsam vorgreifend - Stellung bezogen werden kann.

Aus diesen Erwägungen war der Beschluss des Rekursgerichtes bereits deshalb zur Gänze ersatzlos aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.