JudikaturJustiz7Ob28/22a

7Ob28/22a – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. April 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E* P*, vertreten durch Dr. Norbert Nowak, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D* AG *, vertreten durch die Jarolim Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 6.794,80 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. August 2021, GZ 60 R 80/21a 21, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 20. Mai 2021, GZ 22 C 125/18w 16, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin schloss – unstrittig über Vermittlung einer Maklerin – mit der Beklagten einen fondsgebundenen (Er und Ab )Lebensversicherungsvertrag mit Versicherungsbeginn 1. 6. 2004. Sie wurde nicht über ihr Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG belehrt.

[2] Die Klägerin zahlte an die Beklagte Prämien von insgesamt 26.112 EUR, darin 70,04 EUR Risikokosten und 1.001,31 EUR Versicherungssteuer.

[3] Sie kündigte per 1. 6. 2008 den Versicherungsvertrag, woraufhin ihr die Beklagte den Rückkaufwert von 15.245,85 EUR auszahlte sowie nachfolgend einen weiteren Betrag von 3.000 EUR. Die Klägerin erklärte mit der am 19. 4. 2018 eingebrachten Klage den Rücktritt vom Vertrag.

[4] Die Klägerin begehrte infolge Rücktritts vom Versicherungsvertrag wegen unterbliebener Belehrung über ihr Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG die Rückzahlung der geleisteten Prämien, abzüglich Risikokosten, Versicherungssteuer, Rückkaufwert und weiterer 3.000 EUR, insgesamt 6.794,80 EUR sA.

[5] Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte – soweit für das Revisionsverfahren wesentlich – ein, dass im Falle eines Rücktritts nur der Rückkaufwert auszuzahlen sei und kein Anspruch auf Rückzahlung der Verwaltungskosten von 472,60 EUR sowie der Abschlusskosten von 5.357,47 EUR bestehe.

[6] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 5.693,49 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren ab. Aufgrund nicht erfolgter Belehrung nach § 165a VersVG stehe der Klägerin ein unbefristetes Rücktrittsrecht zu. Die Beklagte sei nicht zur Rückzahlung der Versicherungssteuer verpflichtet, sodass das diesbezügliche Klagebegehren abzuweisen sei.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, jener der Beklagten nicht und sprach der Klägerin weitere 1.001,31 EUR sA zu. Rechtlich führte es dazu aus, die Klägerin habe die Versicherungssteuer bereits abgezogen und diese sei im Klagsbetrag nicht mehr enthalten. Zur Berücksichtigung der von der Beklagten monierten Verwaltungs und Abschlusskosten argumentierte es, die Rechtsrüge sei insofern nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil „keine ergänzende Feststellung im Rahmen eines sekundären Feststellungsmangels“ begehrt werde. Zudem habe der Oberste Gerichtshof zu den Verwaltungskosten bereits dahin Stellung genommen, dass diese nicht abzuziehen seien; Gleiches gelte für die Abschlusskosten. Auch die Abschlusskosten hätten sich im Vermögen der Beklagten realisiert und ihnen stehe auf Seite der Versicherungsnehmerin keine zuordenbare Bereicherung gegenüber.

[8] Das Berufungsgericht ließ nachträglich die ordentliche Revision zu, weil sich der Oberste Gerichtshof zum Thema der Abschlusskosten noch nicht geäußert habe.

[9] Die Revision der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragt Abänderung dahin, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[11] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[12] 1.1. Die Vorinstanzen sind übereinstimmend zum Ergebnis gelangt, dass der Klägerin das Rücktrittsrecht nach § 165a Abs 1 VersVG (idF BGBl I 1997/6: „Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, binnen zweier Wochen nach dem Zustandekommen des Vertrags von diesem zurückzutreten.“) zustand, weil sie über dieses Recht nicht belehrt wurde; dem unbefristeten Rücktrittsrecht stand nicht entgegen, dass der Versicherungsvertrag bereits gekündigt war und die Beklagte der Klägerin auch schon den Rückkaufwert ausbezahlt hatte (vgl 7 Ob 10/20a ; 7 Ob 40/20p ; RS0132998 ).

[13] Diese selbständige rechtliche Beurteilung wird in der Revision nicht mehr angegriffen und ist der weiteren rechtlichen Beurteilung zugrundezulegen. Die Beklagte leitet auch aus dem Umstand, dass sie nach vorangehender Aufforderung der Klägerin, ihr den Differenzbetrag zwischen Rückkaufwert und Deckungsrückstellung (Fondsanteile) zu überweisen, im November 2008 im gegenseitigen Einvernehmen weitere 3.000 EUR zahlte, keinen Einwand gegen die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung ab.

[14] 1.2. Die Versicherungssteuer (vgl RS0133271 ), die Risikokosten (vgl RS0133370 ), den bereits gezahlten Rückkaufwert sowie weitere 3.000 EUR hat bereits die Klägerin in Abzug gebracht. Zinsen hat sie nur aus der verbleibenden Differenz und erst ab ihrem Rücktritt begehrt. Zu diesen Punkten stellen sich hier keine weiteren Rechtsfragen.

2.1. Aufgrund der Beantwortung der Vorlagefrage 4 durch den EuGH in der Rechtssache C 355/18 bis C 357/18 und C 479/18 , Rust Hackner , judiziert der Fachsenat in ständiger Rechtsprechung wie folgt:

[15] Da im österreichischen Recht (VersVG) die Rechtswirkungen für den Fall, dass dem Versicherungsnehmer keine oder fehlerhafte Informationen über das Rücktrittsrecht mitgeteilt wurden, nicht geregelt sind, löst bei richtlinienkonformer Auslegung des nationalen österreichischen Rechts ein Rücktritt des Versicherungsnehmers nicht die Rechtsfolgen nach § 176 VersVG idF vor BGBl I 2018/ 51 aus, sondern hat zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung des Vertrags zu führen (7 Ob 19/20z; 7 Ob 10/20a; 7 Ob 11/20y; 7 Ob 15/20m; 7 Ob 192/20s). § 1435 ABGB räumt einen Rückforderungsanspruch ein, wenn der zunächst vorhandene rechtliche Grund – wie bei einem Rücktritt – wegfällt; der Wegfall des Vertrags beseitigt bei beiden Parteien den Rechtsgrund für das Behalten der empfangenen Leistungen (vgl 7 Ob 15/20m mwN).

[16] Das bedeutet hier, dass die Klägerin aufgrund der infolge des wirksamen Rücktritts vorzunehmenden bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung grundsätzlich Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten (Netto )Prämien hat ( 7 Ob 8/20g ; 7 Ob 200/20t ).

[17] 2.2. Die Revision und die von ihr zitierte Lehrmeinung von Potacs (Rechtsfolgen eines Rücktrittes von Lebensversicherungsverträgen, VR 3/2020, 35 [46]), es liege eine Interpretation contra legem vor, zeigen keine neuen Aspekte auf, die der Senat nicht bereits erwogen hat (vgl 7 Ob 185/21p zu Potacs , Rechtswirkungen eines „Spätrücktrittes“ contra legem? VR 9/2021, 27) oder die ihn zu einem Abgehen von seiner Rechtsprechung veranlassen könnten.

[18] 2.3. Bei der Rückabwicklung von Geldleistungen ist Rückzahlung geschuldet ( Rummel in Rummel 3 § 1437 ABGB Rz 11 ); dabei sind redliche Vertragspartner nicht zur Erstattung der von ihnen gezogenen Früchte und Nutzungen verpflichtet ( RS0010214 [insb T4, T5]). Letztere werden hier aber gar nicht begehrt, sodass die Frage der Redlichkeit der Beklagten nicht relevant ist.

[19] 3. An sich zutreffend rügt die Beklagte als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (vgl RS0043231) die Begründung des Berufungsgerichts, sie hätte ihre Rechtsrüge zur Frage des Abzugs von Verwaltungs und Abschlusskosten deshalb nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil sie zu deren Höhe keinen sekundären Feststellungsmangel geltend gemacht habe. Die Rechtsrüge in der Berufung der Beklagten, dass aufgrund unrichtiger Rechtsansicht des Erstgerichts diese (bereits im erstinstanzlichen Verfahren eingewendeten) Kosten nicht in Abzug gebracht worden seien, ist aber nicht wegen der unterlassenen Rüge sekundärer Feststellungsmängel gesetzwidrig. Nach ständiger Rechtsprechung ist nämlich von Amts wegen auf jede sich aus einer (zutreffenden) rechtlichen Beurteilung ergebende Unvollständigkeit des Sachverhalts Bedacht zu nehmen, sofern – wie hier – eine gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge vorliegt (RS0114379), auch wenn der Berufungswerber dies nicht rügte (RS0043310).

[20] 4.1. Der Fachsenat judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass im Fall eines (Spät )Rücktritts von einer fondsgebundenen Lebensversicherung das Verlustrisiko nicht dem vom Vertrag berechtigt zurückgetretenen Versicherungsnehmer zuzuweisen ist ( RS0133371 ).

[21] 4.2. Der Senat hat weiters bereits ausgesprochen, dass die für die Frage von Fondsverlusten maßgeblichen Erwägungen auch für die Verwaltungskosten des Versicherers gelten; diese haben sich in dessen Vermögen realisiert und ihnen steht auf Seite des Versicherungsnehmers keine zuordenbare Bereicherung gegenüber ( 7 Ob 194/20k = RS0133371 [T1]).

[22] 4.3. Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, ist auch in Ansehung der Abschlusskosten keine andere Beurteilung geboten. Der Rücktritt der Klägerin vom mit der Beklagten geschlossenen Geschäft (Versicherungsvertrag) beschränkt sich auf dieses Geschäft, erfasst aber nicht Zahlungen, die die Beklagte aus diesem Anlass an Dritte geleistet hat; diese beeinflussen die Höhe des Bereicherungsanspruchs der Klägerin nicht, da bei Geldleistungen generell die nützliche Verwendung durch den Empfänger unterstellt und daher eine Berufung auf den nachträglichen Wegfall der Bereicherung nicht gestattet wird ( 7 Ob 117/20m [Pkt 7.1.] mwN). Zudem würde ein Abzug der Abschlusskosten im Ergebnis zur Entwertung des Rücktrittsrechts und zur Beschränkung der Rückabwicklung auf den Rückkaufwert führen (vgl Perner/Spitzer , Rücktritt von der Lebensversicherung [2020] 71 f).

[23] 4.4. Nach § 30 Abs 1 MaklerG steht dem Versicherungsmakler aus einem Maklervertrag mit dem Versicherungskunden keine Provision, sonstige Vergütung oder Aufwandsentschädigung zu, wenn nicht ausdrücklich und schriftlich etwas Abweichendes vereinbart ist. Bei erfolgreicher Vermittlung gebührt ihm Provision aus dem mit dem Versicherer geschlossenen Maklervertrag nach § 6, § 7 Abs 2 und § 8 Abs 1 und Abs 3 MaklerG. Eine entsprechende Vereinbarung wurde hier weder behauptet noch festgestellt. Der Anspruch auf Provision entsteht mit der Rechtswirksamkeit des vermittelten Geschäfts, wenn und soweit der Versicherungskunde die geschuldete Prämie bezahlt hat oder zahlen hätte müssen, hätte der Versicherer seine Verpflichtungen erfüllt (§ 30 Abs 2 MaklerG).

[24] Das Argument der Revision, die Beklagte habe mit der Zahlung von Maklerprovisionen eine Verpflichtung erfüllt, die die Klägerin selbst zu begleichen gehabt hätte und ausschließlich zu deren Vorteil erfolgt sei, ist daher nicht stichhältig. Für die Annahme, dass die Beklagte einen von ihrer Sphäre abtrennbaren Aufwand zur Verfolgung der Interessen des Versicherungsnehmers tätigte und damit einer Geschäftsführung ohne Auftrag, bleibt kein Platz ( Schurr in Schwimann/Neumayr , ABGB-TaKomm 5 § 1035 Rz 3).

[25] 4.5. Zusammengefasst haben sich auch Abschlusskosten – hier: behauptete Kosten eines vom Versicherer nach Versicherungsabschluss honorierten Maklers – im Vermögen des Versicherers realisiert und es steht ihnen auf Seite des Versicherungsnehmers keine zuordenbare Bereicherung gegenüber; sie schmälern daher seine bereicherungsrechtlichen Rückforderungsansprüche nach berechtigtem (Spät )Rücktritt nicht.

[26] 5. Es kommt damit nicht darauf an, in welcher konkreten Höhe Verwaltungskosten entstanden und Abschlusskosten an den Vermittler zu zahlen waren. Die insofern in der Revision relevierten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor.

[27] 6. Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

[28] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.