JudikaturJustiz7Ob203/70

7Ob203/70 – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. November 1970

Kopf

SZ 43/212

Spruch

Gemäß § 3 Abs 1 JN ist der Rekurs gegen die Entscheidung des Erstgerichtes von dem vorgesetzten Kreis- oder Landesgericht zu erledigen. Es geht daher nicht an, daß der OGH, ohne daß die zweite Instanz in der Sache selbst entschieden hätte, über den gegen den erstrichterlichen Beschluß eingebrachten Rekurs entscheidet

OGH 18. November 1970, 7 Ob 203/70 (OLG Wien 6 R 153/70; LGZ Wien 40 a Cg 189/69)

Text

Der Kläger beantragt, die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 116.319.64 S und 41.017.17 S s A zu verurteilen, allenfalls sie schuldig zu erkennen, ihm folgende Beträge zu bezahlen, u zw die Erst- bis Viertbeklagten je 16.000 S und je 5800 S, sowie die Fünftbis Zehntbeklagten je 8653.25 S und 3003 S. Er bringt folgendes vor:

Die Beklagten waren Kommanditisten der im Handelsregister des Kreisals Handelsgerichtes Wiener Neustadt eingetragenen "E-Textilwerke Kommanditgesellschaft". Die Gesellschafter beschlossen am 9. Juni 1961 die stille Liquidierung der Gesellschaft und bestellten den Kläger zum Liquidator. Sie beriefen ihn jedoch im Mai 1963 wieder ab. Der Kläger machte gegen die Gesellschaft seine Forderungen aus der Tätigkeit für das Unternehmen geltend. Es wurden ihm 118.000 S samt Zinsen und 41.037.17 S an Kosten rechtskräftig zuerkannt. Durch dem Gesetze widersprechende Geldtransaktionen gelang es den Beklagten, die überdies die Gesellschaft während der Dauer des vom Kläger angestrengten Honorarprozesses im Handelsregister löschen ließen, die Vermögenswerte der Gesellschaft sich zuzuwenden und damit die Befriedigung der Forderung des Klägers listig gemeinschaftlich zu verhindern. Die Beklagten haften daher dem Kläger unmittelbar und solidarisch.

In der ersten Tagsatzung vom 27. Februar 1970 wendeten die Acht- bis Zehntbeklagten sachliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes ein, da das Handelsgericht zuständig sei. Die ursprünglich gleichfalls erhobene Einrede der örtlichen Unzuständigkeit wurde in der Folge zurückgezogen. In der Verhandlungstagsatzung vom 8. Juni 1970 schränkte das Erstgericht das Verfahren auf die Frage der sachlichen Zuständigkeit ein und faßte den Beschluß, hinsichtlich der Erst- bis Siebtbeklagten die Frage der Zuständigkeit von Amts wegen aufzurollen. Der Kläger stellte den Antrag, für den Fall, daß der Unzuständigkeitseinrede Folge gegeben werden sollte, die Rechtssache an das Handelsgericht als nicht offenbar unzuständiges Gericht zu überweisen.

Das Erstgericht sprach seine Unzuständigkeit aus und überwies die Rechtssache gemäß § 261 Abs 6 ZPO an das nicht offenbar unzuständige "Handelsgericht". Es stützte seine Entscheidung auf § 51 Abs 1 Z 6

JN.

Die von den Fünft- bis Siebtbeklagten gegen diesen Beschluß erhobenen Rekurse wies das Rekursgericht als unzulässig zurück. Nach § 261 Abs 6 ZPO sei der Beschluß des Gerichts, mit dem die eigene Unzuständigkeit ausgesprochen und dem Überweisungsantrag des Klägers stattgegeben wurde, nur hinsichtlich seiner Kostenentscheidung anfechtbar, u zw auch dann, wenn die Zuständigkeitsfrage von Amts wegen aufgeworfen wurde. Da die Überweisung im Sinne des Antrages des Klägers ausgesprochen wurde, sei die Zuständigkeitsentscheidung unanfechtbar.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse der Fünft- bis Siebtbeklagten Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Rekursgericht auf, über die Rechtsmittel der Fünft- bis Siebtbeklagten sachlich zu entscheiden.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die in § 261 Abs 6 ZPO enthaltene Rechtsmittelbeschränkung besteht dann nicht, wenn eine Überweisung ausgesprochen wurde, die ausdrücklich gegen die gesetzliche Vorschrift des § 261 Abs 6 ZPO verstößt (EvBl 1966/199). Im vorliegenden Fall haben die Fünft- bis Siebtbeklagten die sachliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes nicht eingewendet, der Erstrichter hat die Frage der Unzuständigkeit auch hinsichtlich dieser Beklagten von Amts wegen "aufgerollt". Dies widersprach jedoch den Prozeßgesetzen. Nach § 43 Abs 1 JN kann das Gericht nach Ausschreibung der ersten Tagsatzung sich nur dann für unzuständig erklären, wenn entweder der Beklagte die Unzuständigkeit einwendet oder es sich um eine unheilbare Unzuständigkeit handelt. Keine dieser beiden Voraussetzungen war hier gegeben. Von den Fünft- bis Siebtbeklagten wurde die Unzuständigkeitseinrede in der ersten Tagsatzung nicht erhoben, es handelt sich auch um keine unheilbare Unzuständigkeit, da eine Parteienvereinbarung, nach der für den gegenständlichen Streit statt des Handelsgerichtes Wien das Landesgericht für ZRS Wien zuständig sein soll, nicht der Bestimmung des § 104 JN widerspricht. Der Erstrichter durfte daher seine Zuständigkeit hinsichtlich der Fünftbis Siebtbeklagten nicht mehr von Amts wegen prüfen. Insofern verstieß er gegen die Bestimmung des § 261 Abs 6 ZPO. Er konnte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß die Unzuständigkeit von den Acht- bis Zehntbeklagten eingewendet wurde, da auf Seite der Beklagten keine Streitgenossenschaft nach § 14 ZPO besteht, und nur die Wirkung der von einzelnen notwendigen Streitgenossen erhobenen Unzuständigkeitseinrede sich auch auf die anderen erstreckt (SZ 31/62).

Das Rekursgericht hat daher unzutreffend die Rekurse als unzulässig zurückgewiesen.

Die Sechstbeklagte beantragt hilfsweise, den Beschluß des Rekursgerichtes durch eine Sachentscheidung zu ersetzen. Dies ist jedoch unzulässig. Gemäß § 3 Abs 1 JN ist der Rekurs gegen die Entscheidung des Erstgerichtes von dem vorgesetzten Kreis- oder Landesgericht zu erledigen. Es geht daher nicht an, daß der Oberste Gerichtshof, ohne daß die zweite Instanz in der Sache selbst entschieden hätte, über den gegen den erstrichterlichen Beschluß eingebrachten Rekurs entscheidet. Die Rechtsprechung hierüber ist allerdings nicht einheitlich. So hat der Oberste Gerichtshof in einer Reihe von Entscheidungen die Rechtsansicht vertreten, daß er berechtigt sei, eine mit der Rekursentscheidung inhaltlich übereinstimmende Sachentscheidung an die Stelle der aufzuhebenden rekursgerichtlichen Formalentscheidung zu setzen, wenn das Rekursgericht zu Unrecht einen Rekurs, der nach dem gegebenen Sachverhalt hätte abgewiesen werden müssen, aus formellen Gründen zurückgewiesen hat (SZ 23/87, 390, EvBl 1956/74 u a). In diesen Fällen wäre es überflüssiger Formalismus, die Entscheidung des Rekursgerichtes aufzuheben und die Rechtssache an dieses Gericht zurückzuverweisen bloß, weil statt des Wortes "abgewiesen" das Wort "zurückgewiesen" gebraucht wurde. In anderen Entscheidungen wurde auch die Rechtsansicht vertreten, daß der Oberste Gerichtshof einen Rekurs gegen die einen Rekurs zurückweisende oder den erstrichterlichen Beschluß bestätigende Entscheidung des Rekursgerichts (§ 16 AußStrG) zum Anlaß nehmen kann, die Entscheidungen der Vorinstanzen aus sachlichen Gründen aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen (SZ 34/56, SZ 38/97 u a). Auch in diesem Fall wird der Instanzenzug nicht verändert. Gerade diese Gefahr wäre aber im vorliegenden Fall gegeben, da der Fall eintreten könnte, daß der Oberste Gerichtshof sachlich über eine Frage entscheidet, über die er unter Umständen gar nicht zu entscheiden hätte. Gäbe nämlich das Rekursgericht in der ihm nunmehr aufgetragenen sachlichen Entscheidung dem Rekurs der Beschwerdeführer nicht Folge, so hätte sich der Oberste Gerichtshof mangels Anfechtbarkeit der mit der erstrichterlichen Entscheidung gleichlautenden Rekursentscheidung mit der Zuständigkeitsfrage nicht zu befassen. Durch eine Entscheidung in der Sache selbst wäre daher der Instanzenzug verschoben.

Rechtssätze
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