JudikaturJustiz7Ob168/08v

7Ob168/08v – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Oktober 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Z***** Versicherungs Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch BLS Rechtsanwälte Boller Langhammer Schubert KG in Wien, gegen die beklagte Partei W***** Versicherungs AG, *****, vertreten durch Dr. Michael Mathes, Rechtsanwalt in Wien, wegen 6.225,64 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 31. Jänner 2008, GZ 34 R 16/08t 12, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 25. Oktober 2007, GZ 85 C 718/06a 8, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Urkundenvorlage wird zurückgewiesen.

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 556,99 EUR (darin enthalten 92,83 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Lenker des bei der Klägerin haftpflichtversicherten Lkw verschuldete am 5. 3. 2003 in Wien einen Verkehrsunfall, bei dem ein Bus der Wiener Linien GmbH Co KG beschädigt wurde. Dieser Bus, dessen Haftpflichtversicherer die Beklagte ist, gehört zum Fuhrpark der Wiener Linien GmbH Co KG. Die Klägerin bezahlte im Rahmen der Schadensregulierung unter anderem 6.225,64 EUR für die Bereitstellung eines Ersatzfahrzeugs und Reservehaltung an die Wiener Linien GmbH Co KG.

Die Wiener Linien GmbH Co KG hat zwei Gesellschafter, und zwar die Wiener Linien GmbH als Komplementärin und die Wiener Stadtwerke Holding AG als Kommanditistin mit einer Einlage von 400 Mio EUR. Die Kommanditistin ist alleinige Gesellschafterin der GmbH. Alleinige Gesellschafterin der Wiener Stadtwerke Holding AG ist die Stadt Wien mit einem Kapital von 500 Mio EUR.

Am 24. 11. 1993 schlossen die Wiener Stadtwerke und die Beklagte einen Kraftfahrzeug Haftpflichtversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug Haftpflichtversicherung (AKHB 1988) zugrundelagen. Versichert waren sämtliche Kraftfahrzeuge des Fuhrparks der Wiener Stadtwerke mit einer - hier nicht relevanten - Ausnahme. Die Versicherungssumme betrug 50 Mio S pauschal für Personen- und Sachschaden je Versicherungsfall. Versicherungsbeginn war der 1. 1. 1994.

1999 wurden die bisherigen Teilunternehmen der Wiener Stadtwerke, nämlich Wienstrom, Wiengas, Wiener Linien und Bestattung Wien ausgegliedert. Gemäß § 3 Abs 1 Satz 1 und 2 des Bundesgesetzes über Maßnahmen anlässlich der Ausgliederung der Wiener Stadtwerke und Änderung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl I 68/1999, bewirkt die Einbringung des Vermögens dieser Teilunternehmen als Sacheinlage in Kapitalgesellschaften oder Personenhandelsgesellschaften, deren Anteile unmittelbar oder mittelbar ausschließlich im Eigentum der Gemeinde Wien stehen, den Rechtsübergang im Wege der Gesamtrechtsnachfolge. Diese erfasst die eingebrachten Betriebsteile einschließlich aller dazugehörigen Rechte, Rechtsverhältnisse, Forderungen und Schulden, wie sie im Einbringungsvertrag umschrieben werden. Gemäß Abs 2 leg cit liegt eine Einbringung im Sinn des Abs 1 auch dann vor, wenn Vermögen, das im Wege einer Einbringung nach Abs 1 erworben wurde, durch eine Gesellschaft, deren Anteile unmittelbar oder mittelbar im Eigentum der Gemeinde Wien stehen, als Sacheinlage in Kapitalgesellschaften oder Personenhandelsgesellschaften eingebracht wird. Gesamtrechtsnachfolger der Wiener Stadtwerke (hinsichtlich der Teilunternehmung Wiener Linien) ist aufgrund des Einbringungsvertrags vom 31. 5. 1999 die Wiener Linien GmbH Co KG. Sie ist in den Kraftfahrzeug Haftpflichtversicherungsvertrag vom 24. 11. 1993 eingetreten.

Die Klägerin begehrt gestützt auf § 21 Abs 4 KHVG 1994 die von ihr geleisteten Kosten für die Bereithaltung eines Ersatzfahrzeugs von 6.225,64 EUR. Die Geschädigte sei nicht nach § 59 Abs 2 KFG von der Haftpflichtversicherungspflicht ausgenommen. Falle das am Unfall beteiligte Fahrzeug nicht unter § 59 Abs 2 KFG, seien nach § 1 Abs 3 KHVG die Regeln über den Regress zwischen Haftpflichtversicherern (§ 21 KHVG) anzuwenden.

Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung und beruft sich auf die fehlende Versicherungspflicht und damit auf den Fall einer freiwilligen Haftpflichtversicherung, was den bei einem „Spalttarif" vorgesehenen Regress (§ 21 Abs 1 und 4 KHVG) ausschließe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und folgte der Auffassung der Beklagten, dass die Geschädigte von der gesetzlichen Versicherungspflicht durch § 59 Abs 2 KFG ausgenommen sei. Hauptzweck einer Pflichtversicherung sei, den geschädigten Personen einen bestimmten Deckungsfonds zu verschaffen. Der Gesetzgeber nehme an, dass die in § 59 Abs 2 KFG genannten Gebietskörperschaften über eine ausreichende Finanzkraft verfügten, um einen allfälligen Schaden zu decken. Alleiniger Gesellschafter der Wiener Linien GmbH Co KG sei die öffentliche Hand. § 59 Abs 1 KFG setze nach seinem Wortlaut keine unbeschränkte Haftung von Gebietskörperschaften für ihre Unternehmen voraus.

Das Berufungsgericht bestätigte die angefochtene Entscheidung. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts zum Vorliegen „einer Ausnahme" nach § 59 Abs 2 KFG. Es verwies dabei insbesondere auf den Haftungsfonds von 400.040.000 EUR, der zur Deckung von Schadenersatzansprüchen zur Verfügung stehe und der die bestehenden Haftpflichtversicherungssummen einer gesetzlichen Haftpflichtversicherung bei weitem übersteige. Ein Vergleich zwischen dem Kapital eines typischen Versicherungsunternehmens wie der Klägerin (12 Mio EUR) und jenem der Wiener Linien GmbH Co KG zeige, dass die Kapitalausstattung der Klägerin bei weitem geringer sei. Hinter der Wiener Linien GmbH Co KG stehe die Stadt Wien als Eigentümerin, die als Gebietskörperschaft bei ihren Entscheidungen auch anderen als nur marktwirtschaftlichen Kriterien verpflichtet sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage fehle, ob eine mittelbare Haftung von Gebietskörperschaften als Eigentümer von privatwirtschaftlich organisierten Verkehrsunternehmen für eine Ausnahme von der Versicherungspflicht im Sinne des § 59 Abs 2 KFG ausreiche.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Die Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Die Urkundenvorlage verstößt gegen das Neuerungsverbot (§ 504 ZPO) und ist daher zurückzuweisen.

Die Revision rügt als Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO und auch als Verfahrensmangel des Berufungsverfahrens und als Aktenwidrigkeit, dass das Berufungsgericht den die Klägerin betreffenden Firmenbuchauszug als Beweismittel zur Feststellung der Kapitalausstattung der Klägerin verwendet habe, ohne es den Parteien zu ermöglichen, sich zu diesem Beweisergebnis zu äußern.

Auf diese Ausführungen ist nicht weiter einzugehen, weil die aus dem Firmenbuchauszug gewonnene Feststellung für die Entscheidung rechtlich nicht relevant ist.

Dass das durch den Unfall beschädigte Fahrzeug zum versicherten Fuhrpark der Wiener Linien GmbH Co KG gehört, ist unstrittig. Die Beurteilung, ob der mit „Haftpflichtversicherungsvertrag" überschriebene Versicherungsvertrag mit der Beklagten, in den die Wiener Linien GmbH Co KG eingetreten ist, ein „freiwilliger" Haftpflichtversicherungsvertrag oder ein Pflicht Haftpflichtversicherungsvertrag ist, ist eine Rechtsfrage, die keiner Feststellung zugänglich ist, zumal sich die Klägerin zur Begründung ihres Rechtsstandpunktes nur auf eine bestimmte Auslegung des bestehenden Vertragstextes bezieht.

Der vom Berufungsgericht verneinte Verfahrensmangel (unterbliebener Auftrag an die Beklagte zur Vorlage des Zulassungsscheins) kann im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden (RIS Justiz RS0042963).

Der vorliegende Sachverhalt kann also abschließend einer rechtlichen Beurteilung unterzogen werden. Die hier relevante Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

Für Kraftfahrzeuge, die zum Verkehr zugelassen sind, muss eine den Vorschriften des KHVG in der jeweils geltenden Fassung entsprechende Kraftfahrzeug Haftpflichtversicherung, auf die österreichisches Recht anzuwenden ist, bei einem zum Betrieb dieses Versicherungszweigs in Österreich berechtigten Versicherer bestehen (§ 59 Abs 1 KFG). Fahrzeuge „im Besitz" des Bundes, der Länder, der Gemeindeverbände, der Ortsgemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern, der von diesen Gebietskörperschaften unter ihrer Haftung betriebenen Unternehmungen sowie Fahrzeuge von Verkehrsunternehmungen im ausschließlichen Eigentum des Bundes sind von der im Absatz 1 angeführten Versicherungspflicht ausgenommen. Diese „Fahrzeugbesitzer" haben bei Schäden, für die ohne die eingeräumte Ausnahme eine Kraftfahrzeug Haftpflichtversicherung zu bestehen hätte, für Personen, die mit ihrem Willen beim Betrieb des Fahrzeugs tätig sind, in gleicher Weise und in gleichem Umfang einzutreten wie ein Haftpflichtversicherer bei Bestehen einer den Vorschriften des KHVG 1994 in der jeweils geltenden Fassung entsprechenden Kraftfahrzeug Haftpflichtversicherung. Diese Verpflichtung entfällt, insoweit die befreiten „Fahrzeugbesitzer" eine Kraftfahrzeug Haftpflichtversicherung abgeschlossen haben (§ 59 Abs 2 KFG). Das KHVG gilt für die Haftpflichtversicherung von Fahrzeugen, die nach den Vorschriften des KFG (unter anderem) zum Verkehr zugelassen sind (§ 1 Abs 1 KHVG). Auf die Haftpflichtversicherung von Fahrzeugen, die unter § 59 Abs 2 KFG fallen, sind die §§ 9 und 18 bis 25 KHVG nicht anzuwenden (§ 1 Abs 3 KHVG). Der vierte Abschnitt des KHVG, zu dem auch § 21 KHVG gehört, wird mit „Besondere Vorschriften für die Pflichtversicherung" überschrieben. In § 21 KHVG ist der Anspruchsverzicht geregelt. Verzichtet der Versicherungsnehmer rechtswirksam auf Ansprüche auf Ersatz von Mietkosten eines Ersatzfahrzeugs einschließlich eines Taxis und des Verdienstentgangs wegen der Nichtbenützbarkeit des Fahrzeugs, die ihm gegen Personen zustehen, die durch einen Haftpflichtversicherungsvertrag für ein unter § 59 Abs 1 KFG fallendes Fahrzeug versichert sind, so gebührt ihm ein Nachlass von 20 vH von der vereinbarten Prämie (§ 21 Abs 1 KHVG). Hat der geschädigte Versicherungsnehmer einen Verzicht gemäß Absatz 1 nicht geleistet, so steht dem Versicherer des Schädigers im Schadenfall der Ersatz seiner durch die Abgeltung der in Absatz 1 angeführten Ansprüche entstandenen Aufwendungen durch den Versicherer des Geschädigten zu (§ 21 Abs 4 KHVG).

Der zitierte § 1 Abs 3 KHVG wurde durch Art II Z 2 Verkehrsopfer Entschädigungsgesetz (VOEG) und Kraftfahrrechts Änderungsgesetz (KRÄG) 2007, BGBl I Nr 37/2007, mit 1. 7. 2007 aufgehoben. Bestehende Versicherungsverträge sind mit diesem Zeitpunkt an § 9 Abs 2 bis 6 KHVG anzupassen. Dem lag zugrunde, dass der Abschluss einer „freiwilligen" Kraftfahrzeug Haftpflichtversicherung nach der Rechtslage vor dem KRÄG 2007 auch zu niedrigeren Versicherungssummen, als sie § 9 KHVG festsetzte, zulässig war (die zitierte Bestimmung galt ja nach § 1 Abs 3 KHVG nicht für die „freiwillige" Haftpflichtversicherung). Für die Differenz zwischen der niedrigeren vereinbarten Versicherungssumme und der Mindestversicherungssumme nach dem KHVG blieb aber die in § 59 Abs 2 Satz 2 KFG vorgesehene Eintrittspflicht des Rechtsträgers aufrecht. Der Gesetzgeber erachtete diese Rechtslage nach den ErlRV 80 BlgNR 23. GP 14, für den Geschädigten, der zwei Leistungspflichtige in Anspruch nehmen müsse, als unbefriedigend. Die Eintrittspflicht des von der Versicherungspflicht ausgenommenen Rechtsträgers solle daher nur dann entfallen, wenn die von ihm freiwillig abgeschlossene Versicherung alle Ansprüche an eine Pflichtversicherung erfülle, was sich durch die Streichung des § 1 Abs 3 KHVG erreichen lasse. Die §§ 18 bis 25 KHVG seien auf Fahrzeuge, die unter § 59 Abs 2 KFG fielen, nicht anwendbar. Dies ergebe sich bereits aus der Überschrift des vierten Abschnitts („Besondere Vorschriften für die Pflichtversicherung").

Da sich der Unfall am 5. 3. 2003 ereignete, also vor dem Inkrafttreten des KRÄG (1. 7. 2007), ist der Ersatzanspruch mangels ausdrücklicher Rückwirkungsanordnung nach der damals in Geltung stehenden Gesetzeslage zu beurteilen (RIS Justiz RS0008745). Das macht für den vorliegenden Fall aber ohnehin keinen Unterschied, weil es - wie dargestellt - sowohl nach der hier anzuwendenden Rechtslage als auch nach dem nun geltenden KRÄG für die Anwendbarkeit des § 21 KHVG ausschließlich darauf ankommt, ob ein Ausnahmetatbestand des § 59 Abs 2 KFG vorliegt.

Hintergrund der in § 59 Abs 2 KFG geregelten Ausnahme von der Versicherungspflicht ist offenbar der Gedanke, dass die darin erwähnten Gebietskörperschaften, die nach dem Gesetz dem Geschädigten wie ein Haftpflichtversicherer für allfällige Schäden haften, über eine ausreichende Finanzkraft verfügen, also eine zusätzliche Haftung eines Haftpflichtversicherers nicht nötig ist, um die Deckung von Schäden sicherzustellen.

§ 59 Abs 2 KFG normiert als Ausnahmetatbestand von der allgemeinen Kraftfahrzeug Haftpflichtversicherung drei Fälle: 1. das Fahrzeug steht „im Besitz" des Bundes oder anderer Gebietskörperschaften oder 2. „im Besitz" von Unternehmungen, die von Gebietskörperschaften unter ihrer Haftung betrieben werden oder 3. es handelt sich um Fahrzeuge von Verkehrsunternehmungen im ausschließlichen Eigentum des Bundes.

Der erste Ausnahmetatbestand scheidet aus, weil das am Unfall beteiligte Fahrzeug nicht „im Besitz" (gemeint ist wohl die Haltereigenschaft) einer Gebietskörperschaft stand, sondern von einer Personenhandelsgesellschaft, nämlich der Wiener Linien GmbH Co KG gehalten wurde (vgl 7 Ob 267/07a zur ÖBB Postbus GmbH).

Der zweite Ausnahmetatbestand des § 59 Abs 2 KFG würde voraussetzen, dass die Stadt Wien die Unternehmung unter ihrer Haftung betreibt (vgl 7 Ob 267/07a). Da das Unternehmen eine GmbH Co KG ist, kommt eine unmittelbare Haftung der Gebietskörperschaft nicht zum Tragen.

Mit dem dritten Ausnahmetatbestand hat sich der zuständige Fachsenat des Obersten Gerichtshofs in der Entscheidung 7 Ob 267/07a auseinandergesetzt und im Fall der Beschädigung eines Busses der ÖBB Postbus GmbH dessen Vorliegen bejaht. Der Bund wurde als alleiniger (wirtschaftlicher) Eigentümer dieser Verkehrsunternehmung gewertet, weil er zu 100 % Gesellschafter der ÖBB Holding AG ist, die zu 100 % als Gesellschafterin der Österreichischen Bundesbahnen fungiert, die ihrerseits zum Unfallszeitpunkt 100 % Anteile an der ÖBB Postbus GmbH hielt (zu 0,07 % Anteile über eine Treuhandkonstruktion). Nach dem Willen des Gesetzgebers solle die Ausnahmebestimmung auch alle jene Verkehrsunternehmungen betreffen, die infolge der Zwischenschaltung allein vom Bund beherrschter Gesellschaften letztlich (wirtschaftlich) im alleinigen Eigentum des Bundes stünden. Eine Beschränkung des Ausnahmetatbestands auf eine unmittelbare Beteiligung des Bundes an der Verkehrsunternehmung würde den erkennbaren Intentionen des Gesetzgebers zuwiderlaufen.

Der dritte Ausnahmetatbestand wurde durch die 15. KFG Novelle (BGBl 456/1993) eingeführt und bezieht sich nach seinem Wortlaut nur auf Verkehrsunternehmungen im Eigentum des Bundes. Nach den Materialen (abgedruckt in Novak , Österreichisches Straßenverkehrsrecht I § 59 KFG, 3) war diese Ausnahme im Hinblick auf die neue Rechtsstellung der ÖBB aufgrund des Bundesbahngesetzes erforderlich. Sie sollte sicherstellen, dass Fahrzeuge der ÖBB wie auch schon bisher von der gesetzlichen Haftpflichtversicherung ausgenommen sind.

Daraus, dass der Gesetzgeber die Notwendigkeit sah, einen dritten Ausnahmetatbestand für ausgegliederte Verkehrsunternehmen zu schaffen, ist abzuleiten, dass eine (analoge) Subsumtion unter die zwei anderen Ausnahmetatbestände nicht erfolgen kann. Zu fragen ist daher, ob der dritte Ausnahmetatbestand abschließend nur die Verkehrsunternehmen des Bundes regeln wollte, oder ob durch spätere vergleichbare Ausgliederungen bei gleicher Interessenlage eine planwidrige Gesetzeslücke (RIS Justiz RS0098756) entstanden ist, die im Wege der Analogie geschlossen werden muss.

Im konkreten Fall ist die Beziehung der Gemeinde Wien zur Wiener Linien GmbH Co KG mit jener des Bundes zur ÖBB Postbus GmbH ident. Auch die Stadt Wien ist alleinige Gesellschafterin und wirtschaftliche Eigentümerin jener Holding AG, die teils als Kommanditistin unmittelbar, teils als alleinige Gesellschafterin der Komplementär GmbH mittelbar an der Wiener Linien GmbH Co KG, die das Verkehrsunternehmen betreibt, ausschließlich beteiligt ist. Sowohl beim Bund als auch bei der Stadt Wien erfolgte eine Ausgliederung eines öffentlichen Verkehrsbetriebs. Unter Ausgliederung versteht man im Allgemeinen die Übertragung staatlicher/öffentlicher Aufgaben, die bisher vom Staat (den Gebietskörperschaften) erbracht wurden, an andere Rechtsträger ( Kühteubel , Ausgliederung, arbeitsrechtliche Fragen bei der Übertragung von Aufgaben durch Bund, Länder und Gemeinden, 6; vgl Baumgartner , Ausgliederung und öffentlicher Dienst, 17; vgl Lachmayer , Ausgliederung und Beleihungen im Spannungsfeld der Verfassung, JBl 2007, 750 FN 1). Die Stadt Wien hat als Gebietskörperschaft für das öffentliche Verkehrsnetz in ihrem Wirkungsbereich genauso zu sorgen wie der Bund für das Bundesgebiet. Dass der Stadt Wien die grundsätzliche Qualifikation für den Ausnahmetatbestand zukommt, ergibt sich aus der Zusammenschau der Bestimmungen des § 59 Abs 2 KFG, in dem nicht nur der Bund, sondern auch die Länder, Gemeindeverbände und Ortsgemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern grundsätzlich als Begünstigte genannt sind. Die Ausgliederung der „Österreichischen Bundesbahnen" erfolgte rund sieben Jahre vor jener der „Wiener Linien". Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber bei gleicher Interessenlage die in § 59 Abs 2 KFG genannten Gebietskörperschaften, die Verkehrsunternehmungen betreiben, anders als den Bund behandeln wollte. Es ist von einer planwidrigen Gesetzeslücke auszugehen. § 59 Abs 2 KFG dritter Ausnahmefall ist daher analog auch auf die in dieser Gesetzesstelle genannten Gebietskörperschaften, die Verkehrsunternehmen betreiben, anzuwenden. Der Frage der Haftung der Gebietskörperschaften selbst für Schäden, die von Fahrzeugen, für die keine oder nur eine freiwillige Haftpflichtversicherung bestehen muss, verursacht wurden (vgl Huber , ZVR 2008, 429), kommt bei einem Streit zwischen den Versicherern wegen des Ersatzes nach § 21 Abs 4 KHVG keine unmittelbare Bedeutung zu, strebt doch die Bestimmung nur den Ausgleich zwischen zwei Pflicht Haftpflichtversicherern an.

Unstrittig ist wohl, dass die Aufgabe der Wiener Linien GmbH Co KG vor allem darin besteht, den öffentlichen Verkehr zur Beförderung von Personen abzuwickeln. Sie nimmt diese Aufgabe im Interesse der Stadt Wien als ausschließliche Eigentümerin wahr. Insofern handelt es sich um eine Verkehrsunternehmung, auch wenn die Wiener Linien GmbH Co KG allenfalls noch andere Tätigkeiten verrichtet (vgl auch 7 Ob 267/07a).

Es besteht also für das am Unfall beteiligte Fahrzeug der Wiener Linien GmbH Co KG eine Ausnahme von der Pflicht Haftpflichtversicherung gemäß § 59 Abs 2 KFG dritter Fall, sodass zu Recht nur ein „freiwilliger" Haftpflichtversicherungsvertrag mit der Beklagten abgeschlossen wurde. Schon aus diesem Grund kann von einem Vertrag zu Lasten Dritter nicht gesprochen werden (7 Ob 267/07a). Der Versicherungsvertrag zwischen der Stadt Wien und der Beklagten wird mit „Haftpflichtversicherungsvertrag" überschrieben. Aus dem Vertrag selbst ergibt sich im Hinblick darauf, dass nur ein „freiwilliger" Haftpflichtversicherungsvertrag geschlossen werden musste, auch kein Anhaltspunkt dafür, dass die Stadt Wien mit der Beklagten eine abweichende Vereinbarung eingegangen wäre. Der Beklagten kamen daher keine Prämienzahlungen zu, die - wie oben dargelegt - ihr Einstehen nach § 21 Abs 4 KHVG bewirken könnten.

Im Verhältnis zwischen den verfahrensbeteiligten Versicherern kann eine Ungleichbehandlung nicht erkannt werden, wenn § 21 Abs 4 KHVG aufgrund des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags nicht zur Anwendung kommt, weil die Versicherer bei ihrer Prämienkalkulation die dargelegte Gesetzeslage nach dem KFG und KHVG (wie schon früher) berücksichtigen konnten (7 Ob 267/97a).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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