JudikaturJustiz6Ob98/13z

6Ob98/13z – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. September 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI W***** I*****, vertreten durch die Rechtsanwaltskanzlei LIKAR GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Anlegerentschädigung von Wertpapierfirmen GmbH, 1040 Wien, Rainergasse 31/8, vertreten durch DORDA BRUGGER JORDIS Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 20.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. Februar 2013, GZ 16 R 194/12k 13, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 19. Juni 2012, GZ 12 Cg 2/12w 9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die A***** AG war seit ihrer Gründung am 2. 6. 1993 Mitglied der Beklagten. Am 24. 10. 2008 gab der Vorstand der A***** AG der Finanzmarktaufsicht (FMA) bekannt, dass die A***** AG nach Abwicklung aller offener Wertpapierdienstleistungen ihre Konzession zurücklege. Davor war für sie ein Regierungskommissär bestellt worden, der alle Kundenbeziehungen in dem von der FMA konzessionierten Geschäftsbereich abwickelte. Mit Bescheid vom 4. 11. 2008 stellte die FMA das Erlöschen der Konzession fest. Nach dem Gesellschaftsvertrag der Beklagten können nur solche Unternehmen Gesellschafter sein, die eine Konzession der FMA beantragt haben oder halten. Die Beklagte schloss daher die A***** AG nach dem Erlöschen ihrer Konzession in der Generalversammlung vom 24. 11. 2008 als Mitglied aus.

Die am 26. 2. 2001 gegründete A***** Gruppe AG (ursprünglich A***** Beteiligungs AG), FN 206508p, war nie Mitglied der Beklagten. Nach außen traten die A***** Gruppe AG und die A***** AG so auf, dass Personen, die mit den Firmenverhältnissen nicht vertraut waren, von einer Einheit der beiden ausgehen mussten. Tatsächlich ist jedoch die A***** AG eine Tochtergesellschaft der A***** Gruppe AG.

Über die beiden genannten Aktiengesellschaften wurde am 4. 5. 2010 der Konkurs eröffnet. Ihr Vorstandsvorsitzender Wolfgang A***** wurde wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs, Untreue und betrügerischer Krida zu einer achtjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Der Kläger zeichnete im Zeitraum vom 24. 4. 2004 bis zum 30. 5. 2008 insgesamt 27 der von der A***** Gruppe AG emittierten Genussscheine und zahlte dafür insgesamt 64.709,46 EUR.

Der Kläger begehrt von der Beklagten den in § 75 Abs 2 WAG 2007 verankerten Höchstbetrag von 20.000 EUR sA. Dass die A***** Gruppe AG niemals Mitglied der Beklagten gewesen sei, schade nicht, weil für den Kläger als Anleger nicht erkennbar gewesen sei, dass es sich bei der A***** Gruppe AG und der A***** AG um verschiedene Gesellschaften handle, sodass die A***** Gruppe AG als Emittentin der Genussscheine jedenfalls der A***** AG als konzessioniertem Wertpapierunternehmen und Mitglied der Beklagten zugerechnet werden müsse. Eine unterschiedliche Behandlung käme einer Aushebelung des Anlegerschutzes gleich und stehe der gesetzgeberischen Intention des Anlegerschutzes entgegen. Die Rechtsauffassung der Beklagten, dass mit dem Zeitpunkt des Erlöschens der Konzession gleichzeitig auch keine Entschädigungsleistung mehr zustehe, sei weder durch die Rechtsprechung noch durch den Gesetzeswortlaut gedeckt. Möge auch die Zugehörigkeit zur Entschädigungseinrichtung Voraussetzung für eine Konzession sein, dürfe daraus nicht umgekehrt geschlossen werden, dass mit Wegfall der Konzession auch die Entschädigungspflicht entfalle. Die Anlegerentschädigungsrichtlinie (Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. 3. 1997; „AE RL“) habe die Mitgliedstaaten zur Einführung von Anlegerentschädigungssystemen verpflichtet, die Anlegern eine Entschädigung zuerkennen, wenn eine Wertpapierfirma nicht in der Lage sei, ihren Verpflichtungen aus den Forderungen der Anleger nachzukommen, dies unabhängig von einer allfälligen Mitgliedschaft im Zeitpunkt der Insolvenz. Vor diesem Hintergrund sei § 75 WAG jedenfalls richtlinienkonform auszulegen. § 75 WAG enthalte keine klare Anordnung hinsichtlich einer zeitlichen Nachhaftung für ehemalige Mitglieder der Beklagten, was unzweifelhaft eine ungewollte Rechtslücke darstelle. Damit sei die lex generalis des § 1478 ABGB in Analogie anzuwenden, sodass die Nachhaftung der Beklagten gemäß § 1489 ABGB zumindest noch drei Jahre bestehe. Die emittierten Genussscheine der A***** Gruppe AG stellten kein Eigenkapital dar. Eine Einordnung als Eigenkapital sei nach verbreiteter Auffassung bei sämtlichen Genussrechten nur bei Unkündbarkeit durch den Kapitalgeber möglich. Nichts anderes könne bei der Beurteilung von Genussscheinen gelten. Vor dem Hintergrund, dass es sich beim Kläger um einen Konsumenten im Sinne des KSchG handle, sei jedenfalls die höchstgerichtliche Rechtsprechung zu berücksichtigen, welche die Unkündbarkeit durch den Kapitalgeber bei Genussscheinen als sittenwidrig erachte. Bereits aus diesem Grund fehle ein entscheidendes Kriterium der Eigenkapitaldefinition; daher lägen die Voraussetzungen des § 75 WAG für einen Entschädigungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte vor.

Die Beklagte wendete ein, ihre Haftung sei zu verneinen, weil die A***** Gruppe AG niemals ihr Mitglied gewesen sei und die Mitgliedschaft der A***** AG bereits rund 1 ½ Jahre vor der Konkurseröffnung geendet habe. Mangels Eigenschaft als konzessionierte Wertpapierfirma hätte die A***** Gruppe AG gemäß § 6 Z 1 der Satzung der Beklagten auch nie deren Mitglied oder Gesellschafterin sein können. Die Beklagte habe gemäß § 75 Abs 3 WAG nur für Forderungen aus Wertpapierdienstleistungen zu entschädigen. Die Emission von Wertpapieren (Genussscheinen) sei keine Wertpapierdienstleistung, sodass auch deshalb keine Leistung der Beklagten in Betracht komme. Darüber hinaus seien nach § 75 Abs 3 WAG Forderungen im Sinne von § 93 Abs 5 Z 1a bis 12 BWG sowie Bestandteile des Eigenkapitals der Wertpapierfirma von der Entschädigung ausgeschlossen. Bei den A***** Genussscheinen liege nach § 7 der Genussscheinbedingungen eine Beteiligung am Gewinn vor. Schon deswegen seien die Genussscheine als Eigenkapital zu qualifizieren. Selbst wenn man die Genussscheine nicht als Eigenkapital, sondern als Schuldverschreibungen beurteilen würde, bestehe trotzdem keine Entschädigungspflicht der Beklagten. Ausgeschlossen von der Entschädigung seien nämlich auch Schuldverschreibungen, welche die zur Entschädigungseinrichtung gehörende Wertpapierfirma ausgegeben habe. Das Klagebegehren widerspreche dem Verbot der Einlagenrückgewähr. Die Emittentin (A***** Gruppe AG) sei im gegenständlichen Fall das Mutterunternehmen des Mitgliedsinstituts, weswegen das Verbot der Einlagenrückgewähr zum Tragen komme.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf die schon wiedergegebenen Feststellungen und führte rechtlich aus, aus dem Gesetzeswortlaut des § 75 Abs 1 und 2 WAG 2007 ergebe sich eindeutig, dass eine Entschädigungspflicht der Beklagten nur dann ausgelöst werde, wenn über ein Mitgliedsinstitut der Konkurs eröffnet wird. Dieses Institut müsse (noch) zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung Mitglied der Beklagten sein. Daran mangle es im vorliegenden Fall.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts und führte aus, der Kläger habe ausschließlich von der A***** Gruppe AG emittierte Genussscheine gezeichnet. Darauf gestützte Ansprüche stünden dem Kläger daher nur gegen diese Gesellschaft bzw gegen deren Insolvenzmasse zu. Die vom Kläger ins Treffen geführte „wirtschaftliche Einheit“ mit der A***** AG könne über die eigenständige Rechtspersönlichkeit der A***** Gruppe AG nicht hinwegtäuschen und erweise sich daher in diesem Zusammenhang als irrelevant. Da die A***** Gruppe AG nie Mitglied der Beklagten gewesen sei, müsse die Beklagte für Forderungen, die der Kläger aus den von der A***** Gruppe AG emittierten Genussscheinen ableite, gemäß § 75 Abs 2 WAG 2007 nicht einstehen. Überdies fielen Genussscheine unter die Ausnahmeregelung des § 75 Abs 3 WAG 2007 und seien damit selbst bei konzessionierten, der Beklagten zugehörigen Wertpapierfirmen von der Entschädigungs-pflicht ausgenommen. Diese Bestimmung schließe Forderungen im Sinne des § 93 Abs 5 Z 1a bis 12 BWG ausdrücklich von der Entschädigungspflicht aus. Da Genussscheine den Schuldverschreibungen im Sinne des § 93 Abs 5 Z 10 BWG gleichzuhalten seien und jedenfalls keine Wertpapierdienstleistungen im Sinne des § 3 Abs 2 WAG darstellten, bestehe auch aus diesem Grund keine Haftung der Beklagten.

Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil die Frage, ob die Beklagte für Anlegerforderungen aus den von der A***** Gruppe AG emittierten Genussscheinen einstehen müsse, bereits Gegenstand zahlreicher Parallelverfahren sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

Aufgrund der gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge der Revision ist die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts grundsätzlich allseitig zu prüfen.

In der jüngsten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wurden folgende auch im vorliegenden Fall relevanten Rechtsfragen geklärt:

1. Ein Anleger, der einem entsprechend konzessionierten Unternehmen, das Mitglied der Entschädigungseinrichtung ist, einen Auftrag zur Erbringung einer Wertpapierdienstleistung erteilt, kann grundsätzlich damit rechnen, dass ihm die Entschädigungseinrichtung einen Schaden bis zum Höchstbetrag von 20.000 EUR ersetzen wird, wenn dieses Mitglied gegen das Verbot des Haltens von Kundengeldern oder Finanzinstrumenten der Kunden verstößt. Es wäre daher nicht richtlinienkonform, bestimmten Anlegern diesen Schutz nur deshalb nicht zukommen zu lassen, weil das betreffende Unternehmen aus welchem Grund auch immer vor der Konkurseröffnung seine Mitgliedschaft bei der Entschädigungseinrichtung verliert (RIS-Justiz RS0128770). Maßgeblich für die Haftung der Entschädigungseinrichtung ist, dass die später in Konkurs verfallene Wertpapierfirma zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses über die Wertpapierdienstleistung Mitglied der Entschädigungseinrichtung war. Nicht notwendig ist, dass die Mitgliedschaft auch noch im Zeitpunkt der Konkurseröffnung besteht (RIS-Justiz RS0128769). Eine zeitliche Begrenzung der Haftung der Anlegerentschädigungseinrichtung für ein ehemaliges Mitglied dahin, dass der Entschädigungsfall innerhalb einer bestimmten Frist ab Konzessionsverlust eintreten müsste, besteht nicht (RIS-Justiz RS0128908).

Die Begründung des Erstgerichts für die Klagsabweisung erweist sich daher als nicht tragfähig.

2. Zum Begriff bzw zur Reichweite des „Haltens“ wurde judiziert, dass ein unmittelbares verpöntes Halten auch dann vorliegen kann, wenn die Wertpapierfirma zunächst vereinbarungsgemäß vorgenommene Veranlagungen (teilweise) wieder rückgängig macht und im Zuge der Veranlagung geschaffene Finanzinstrumente veräußert und selbst den Erlös vereinnahmt, anstelle diese Mittel an die Anleger zurückzuführen. Im Übrigen kann auch in einer weiteren Fallkonstellation ein haftungsbegründendes Halten gegeben sein, wenn die Wertpapierfirma bzw deren Organe so Einfluss auf einen Dritten nehmen, dass Zahlungen nicht widmungsgemäß einem Wertpapierverrechnungskonto der Anleger gutgeschrieben oder an diese abgeführt, sondern dem Dritten zugeführt werden. So wenig die Anlegerentschädigungseinrichtung darauf Einfluss nehmen kann, dass eine Wertpapierfirma eine direkte Tochtergesellschaft gründet und über diese Anlegermittel konzessionswidrig hält, kann sie verhindern, dass im Namen und im Interesse der Wertpapierfirma handelnde Organe ein Verhalten setzen, das letztlich einem Halten durch die Wertpapierfirma selbst gleichzuhalten ist. Als „Halten“ kommt somit auch ein mittelbares Halten in Betracht. Ein solches liegt etwa vor, wenn sich nicht die Wertpapierfirma selbst, sondern eine Tochtergesellschaft oder ein mit der Wertpapierfirma sonst rechtlich oder wirtschaftlich verbundener Rechtsträger die Kundengelder oder die Finanzinstrumente aneignet. In Betracht kommt etwa eine Verflechtung der beiden Rechtsträger im Sinn einer Beherrschung oder einer weitgehenden Identität der Eigentümer (9 Ob 50/09g; 8 Ob 45/13w mwN; vgl auch 4 Ob 89/13m).

Der Kläger hat zu den Verflechtungen der beiden Aktiengesellschaften schon in erster Instanz ein Vorbringen erstattet. Dieses wird im fortgesetzten Verfahren mit ihm zu erörtern und von ihm im Licht der vorstehenden Ausführungen zu präzisieren sein. Sodann werden dazu Feststellungen zu treffen sein.

3. Dass Schuldverschreibungen von der Anlegerentschädigung nicht ausgenommen sind, hat der Oberste Gerichtshof erst jüngst mit ausführlicher Begründung ausgesprochen (8 Ob 45/13w). Der 4. Senat ist dieser Auffassung gefolgt (4 Ob 89/13m). Der erkennende Senat schließt sich dieser Meinung an.

4. Die Beklagte hat ihre mangelnde Leistungspflicht weiters aus dem Eigenkapitalcharakter der zugrunde liegenden Genussscheine abgeleitet. Auch diese Einrede ist, wie der 4. Senat jüngst ausgesprochen hat (4 Ob 89/13m), unbegründet:

4.1. Von der Entschädigungspflicht sind nach § 75 Abs 3 letzter Satz WAG 2007 Forderungen im Sinn von § 93 Abs 5 Z 1a bis 12 BWG sowie Bestandteile des Eigenkapitals der Wertpapierfirma ausgenommen.

Nach § 93 Abs 5 Z 2 BWG besteht eine Ausnahme von der Sicherung durch die Sicherungseinrichtung für Eigenmittel gemäß § 23 BWG, nach § 93 Abs 5 Z 6 und 7 BWG besteht eine Ausnahme für Einlagen und Forderungen von a) Geschäftsleitern und Mitgliedern gesetzlich oder satzungsgemäß zuständiger Aufsichtsorgane des Kreditinstituts oder der Wertpapierfirma gemäß § 12 Abs 1 WAG 2007 sowie bei Kreditgenossenschaften von ihren Vorstandsmitgliedern, b) persönlich haftenden Gesellschaftern von Kreditinstituten oder Wertpapierfirmen in der Rechtsform einer Personengesellschaft des Handelsrechts, c) Einlegern und Forderungsberechtigten, die zumindest 5 vH des Kapitals des Kreditinstituts oder der Wertpapierfirma gemäß § 12 Abs 1 WAG 2007 halten, d) Einlegern und Forderungsberechtigten, die mit der gesetzlichen Kontrolle der Rechnungslegung des Kreditinstituts oder der Wertpapierfirma gemäß § 12 Abs 1 WAG 2007 betraut sind und e) Einlegern und Forderungsberechtigten, die eine der in lit a bis d genannten Funktionen in verbundenen Unternehmen (§ 244 UGB) des Kreditinstituts oder der Wertpapierfirma gemäß § 12 Abs 1 WAG 2007 innehaben, wobei Beteiligungen, die unter den Schwellen gemäß § 24 Abs 3a liegen, die Ausnahme gemäß dieser lit nicht auslösen, 7. Einlagen und Forderungen naher Angehöriger (§ 72 StGB) der unter Z 6 genannten Einleger oder Forderungsberechtigten, die für Rechnung der unter Z 6 genannten Einleger oder Forderungsberechtigten handeln, sowie Dritter, die für Rechnung der unter Z 6 genannten Einleger oder Forderungsberechtigten handeln.

4.2. Die Ausnahmen in § 93 BWG stammen aus dem Anhang I zur Richtlinie 94/19/EG (RV 94 BlgNR 20. GP; vgl auch 2 Ob 30/00a) sowie aus dem Anhang I zur Richtlinie 97/9/EG. Art 4 Abs 2 der Anlegerentschädigungs-richtlinie räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, dass bestimmte Anleger von der Deckung durch das Anlegerentschädigungssystem ausgeschlossen sind oder dass ihnen eine weniger umfangreiche Deckung gewährt wird. Die ausgeschlossenen Anleger sind in Anhang I der Richtlinie angeführt. Diese unionsrechtlichen Ausnahmebestimmungen besitzen unmittelbare Wirkung; entgegenstehende nationale Rechtsvorschriften haben unangewendet zu bleiben (8 Ob 45/13w).

4.3. Anhang I Z 4 der Anlegerentschädigungs-richtlinie (auch Anhang I Z 7 der Einlagensicherungsrichtlinie) enthält (personenbezogene) Ausnahmen von der Deckungspflicht für Verwaltungsratsmitglieder, Geschäftsleiter und persönlich haftende Gesellschafter, weiters für Personen, die mindestens 5 % des Kapitals halten, für Personen, die mit der gesetzlichen Kontrolle der Rechnungsunterlagen betraut sind, und Anleger, die vergleichbare Funktionen in anderen Unternehmen derselben Unternehmensgruppe innehaben (8 Ob 45/13w). Eine allgemeine Ausnahme für Bestandteile des Eigenkapitals der Wertpapierfirma besteht nach Unionsrecht hingegen nicht; § 75 Abs 3 letzter Satz WAG ist insoweit unionsrechtlich nicht gedeckt (ebenso 8 Ob 45/13w hinsichtlich der Ausnahme nach § 93 Abs 5 Z 10 BWG für „Schuldverschreibungen des Kreditinstituts oder der Wertpapierfirma“).

4.4. Dass der Kläger nach dem Unionsrecht unter die zuvor aufgezeigten personenbezogenen Ausnahmen von der Deckungspflicht durch das Anlegerentschädigungssystem fiele, hat die Beklagte nicht behauptet. Dass die Veranlagung des Klägers 5 vH des Kapitals der Emittentin erreicht hätte, ist angesichts der notorischen in dreistellige Millionenbeträge gehenden Höhe der Anlagen bei der Emittentin ausgeschlossen.

5. Die Beklagte hat schließlich eingewendet, das Klagebegehren widerspreche den Gläubigerschutzvor-schriften des AktG, insbesondere dem Verbot der Einlagenrückgewähr. Die Beklagte besitze im Fall einer Leistung an den Kläger einen Rückgriffsanspruch in gleicher Höhe gegenüber der Vermittlerin; deren Vermögen würde sich dadurch zu Gunsten der Emittentin (und zum Nachteil der Gläubiger der Vermittlerin) verringern. Dies sei eine gemäß § 52 AktG verbotene Einlagenrückgewähr. Auch dieser Einwand ist, wie bereits der 4. Senat jüngst dargelegt hat (4 Ob 89/13m), unbegründet:

5.1. Die hier vom Kläger geltend gemachte und auf § 75 WAG 2007 gegründete Ersatzleistung wird nicht von der Emittentin, sondern von einem Dritten begehrt. Damit liegt ein dreipersonales Verhältnis vor, das schon nach seiner Grundstruktur von § 52 AktG abweicht und eine analoge Anwendung dieser Bestimmung nicht nahelegt.

Sollten die Genussscheine tatsächlich als Eigenkapital anzusehen sein, könnte zudem wenn überhaupt nur die Erfüllung von Regressansprüchen der Beklagten gegen die Vermittlerin einer verbotenen Einlagenrückgewähr gleichzusetzen sein. Davon zu trennen ist aber der im vorliegenden Verfahren verfolgte Anspruch des Klägers gegen die Beklagte, der auf einer unionsrechtlichen Grundlage beruht und als solcher nicht zu einer Vermögensverschiebung von der Vermittlerin zum Kläger führt. Das Verbot der Einlagenrückgewähr kann diesem Anspruch daher keinesfalls entgegenstehen.

Zu einem ähnlichen Sachverhalt hat der Oberste Gerichtshof (7 Ob 77/10i und 6 Ob 28/12d bzw RIS-Justiz RS0126930) ausgesprochen, dass Prospekthaftungsansprüche gegenüber aktienrechtlichen Bestimmungen über die Kapitalerhaltung Vorrang genießen und Prospekthaftungsan-sprüche schadenersatzberechtigter Gläubiger und deren Befriedigung keinen Tatbestand der Einlagenrückgewähr nach § 52 AktG erfüllen, weil sie nicht causa societatis erfolgen. Auch im hier zu entscheidenden Fall wird eine auf § 75 WAG 2007 gegründete Ersatzleistung an einen Genussscheinberechtigten nicht causa societatis vorgenommen, und dieser erhält die Zahlung nicht in seiner allfälligen Eigenschaft als Gesellschafter, sondern als geschädigter Gläubiger.

5.2. Der Kläger kann deshalb unabhängig von der Frage, ob er als Inhaber von Genussscheinen der Emittentin als deren Gesellschafter zu behandeln ist, bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen nach § 75 WAG 2007 die beklagte Haftungsgesellschaft ungeachtet des Verbots der Einlagenrückgewähr gemäß § 52 AktG in Anspruch nehmen.

6. Die Vorinstanzen haben, ausgehend von einer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht, keine ausreichenden Feststellungen zur Beurteilung der Berechtigung des geltend gemachten Anspruchs getroffen, weshalb die Urteile der Vorinstanzen zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzuheben waren.

7. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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