JudikaturJustiz6Ob97/02m

6Ob97/02m – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. Oktober 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Hertha Johanna W*****, 2. Franz M*****, 3. Elisabeth H*****, 4. Edmund K*****, und 5. Mag. Marcus M*****, alle vertreten durch Dr. Michael Metzler, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei T***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Bernhard Humer, Rechtsanwalt in Linz, wegen Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses, über die außerordentliche Revision der Erstklägerin und der Dritt- bis Fünftkläger gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 23. November 2001, GZ 4 R 217/01m-28, womit über die Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 27. Juli 2001, GZ 1 Cg 94/00v-16, in der Hauptsache bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang der Abweisung des vom Zweitkläger Franz M***** erhobenen Klagebegehrens als nicht angefochten unberührt bleiben, werden im Übrigen aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozessgericht erster Instanz zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die (ursprünglich fünf) Kläger sind Aktionäre der beklagten Aktiengesellschaft. Sie fechten die Wiederwahl zweier Aufsichtsratsmitglieder durch die Hauptversammlung vom 22. 8. 2000 als nichtig (§ 199 AktG) bzw aus Anfechtungsgründen des § 195 Abs 1 AktG mit der wesentlichen Begründung an, die wiedergewählten Aufsichtsratsmitglieder seien für ihre Funktion wegen verschiedener Pflichtwidrigkeiten (Mitwirkung an einem unzulässigen Aktienrückkauf; Ausübung ihrer Funktionen im Eigeninteresse), vor allem aber wegen eines Verstoßes gegen die Unvereinbarkeitsregel des § 90 AktG, ungeeignet. Ein wiedergewähltes Aufsichtsratsmitglied habe eine Vorstandstätigkeit ausgeübt und insbesondere das Finanzressort der Gesellschaft betreut. Das Klagebegehren lautet auf Nichtigerklärung des Hauptversammlungsbeschlusses, mit dem die Wiederwahl der Aufsichtsratsmitglieder erfolgte.

Die beklagte Gesellschaft beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die gegen die wiedergewählten Aufsichtstratsmitglieder erhobenen Vorwürfe seien unberechtigt und rechtfertigten die Nichtigerklärung der Wahl nicht. Die Wahl entspreche dem Willen der Mehrheit der Aktionäre. Damit sei weder gegen das Wesen der Aktiengesellschaft noch gegen aktiengesetzliche Vorschriften, insbesondere auch nicht gegen Bestellungsverbote, verstoßen worden. Ein Aufsichtsratsmitglied könne nur durch Abberufung durch die Hauptversammlung oder über entsprechenden Antrag durch das Gericht aus seiner Funktion entfernt werden. Das Aktiengesetz sehe keine Nichtigerklärung einer in einer Hauptversammlung erfolgten Wahl eines Aufsichtsratsmitgliedes vor. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Von seinen Feststellungen ist folgender wesentlicher Sachverhalt hervorzuheben:

Eines der gewählten Aufsichtsratsmitglieder sei Initiator der Gründung der Aktiengesellschaft gewesen. Er sei maßgeblicher Ansprechpartner in Fragen der Geschäftsausrichtung und Zielverfolgung gewesen und habe sich auch nach seiner Wahl in den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft um die organisatorischen Aufgaben gekümmert und anfallende Zahlungen samt Korrespondenz erledigt. Er habe mit Wirtschaftsprüfern gesprochen und die Buchhaltung geführt. Das Aufsichtsratsmitglied sei für die inländischen Bankkonten alleine zeichnungsberechtigt gewesen. Es habe die Agenden mit Absprache und mit Zustimmung des Vorstands besorgt. Der Vorstandsvorsitzende habe das operative Geschäft des "Trading" abgewickelt. Zum Zeitpunkt seiner Bestellung habe das Aufsichtsratsmitglied von dem gegen den Vorstandsvorsitzenden anhängigen Strafverfahren wegen Untreue hinsichtlich treuhändig übergebener Kundengelder gewusst, über den Sachverhalt aber weder die anderen Mitglieder des Aufsichtsrats noch die Aktionäre informiert. Das zweite wiedergewählte Aufsichtsratsmitglied habe vom Strafverfahren erst im Jänner 2000 Kenntnis erlangt. In dem 27 Aktenbände umfassenden Strafverfahren lege die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift dem Vorstandsvorsitzenden Untreuehandlungen zur Last. Treuhändig übergebene Gelder in der Höhe von 411.000 US-$ seien zur Abdeckung von Spekulationsverlusten verwendet worden. Der Aufsichtsrat habe am 4. 11. 1999 den Rückkauf von Aktien beschlossen. Der Vorstandsvorsitzende habe den Aufsichtsrat um seine Zustimmung zum Erwerb dieser Aktien ersucht. Der Aufsichtsrat habe den Erwerb im Wege eines Umlaufbeschlusses genehmigt. In der Zwischenzeit habe die beklagte Gesellschaft die Aktien aber wieder veräußert. Die Aktionäre hätten um eine Erweiterung der Tagesordnung der Hauptversammlung vom 22. 8. 2000 angesucht, was jedoch abgelehnt worden sei. Unter anderem hätten die Aktionäre eine Sonderprüfung erreichen wollen. Das Erstgericht beurteilte den Sachverhalt rechtlich im Wesentlichen dahin, dass mit dem Hauptversammlungsbeschluss vom 22. 8. 2000 weder gegen Bestimmungen des Aktiengesetzes noch gegen solche der Satzung verstoßen worden sei. Die Aktionäre hätten dem gewählten Aufsichtsrat mehrheitlich das Vertrauen geschenkt. Dass zum Zeitpunkt der Wiederwahl ein Aufsichtsratmitglied von einem Strafverfahren gegen den Vorstandsvorsitzenden gewusst habe, mache die Wahl nicht unwirksam. Einer der im Gesetz erschöpfend aufgezählten Nichtigkeitsgründe liege nicht vor. Der angefochtene Hauptversammlungsbeschluss habe auch nicht gegen Wesensmerkmale einer Aktiengesellschaft verstoßen. Von einem Verstoß gegen die guten Sitten könne keine Rede sein.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger nicht statt. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln, erachtete die Beweiswürdigung des Erstgerichtes für unbedenklich und führte in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen aus, dass kein Verstoß gegen die Unvereinbarkeitsvorschrift des § 90 AktG vorliege.

Aufsichtsratsmitglieder könnten nicht zugleich Vorstandsmitglieder oder dauernd Vertreter von Vorstandsmitgliedern sein. Sie könnten auch nicht als Angestellte die Geschäfte der Gesellschaft führen. Das eine wiedergewählte Aufsichtsratsmitglied sei keineswegs für die organisatorischen Aufgaben, die anfallenden Zahlungen und die Korrespondenz verantwortlich gewesen, weil es die Geschäfte in Absprache und mit Zustimmung des Vorstandes tatsächlich besorgt habe. Der Tatbestand des § 90 Abs 1 AktG sei nicht erfüllt. Es handle sich letztlich um Tätigkeiten des Vorstandes, der sich in einem Teilbereich der Geschäftsführung eines Aufsichtsratsmitglieds bedient habe. Für diese Tätigkeiten habe der Vorstand einzustehen. Die übrigen Einwendungen der Kläger gegen die Wahl der beiden Aufsichtsratsmitglieder fielen nicht in den Bereich der Gesetzwidrigkeit und des Eingriffs in das Wesen einer Aktiengesellschaft. Wenn die Aufsichtsratsmitglieder einem Aktienerwerb der Gesellschaft zugestimmt hätten, begründe dies unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für den Erwerb eigener Aktien gemäß § 65 AktG vorgelegen seien, keine Nichtigkeit der Wahl. Gleiches gelte für die Ablehnung der Erweiterung der Tagesordnung der Hauptversammlung. Das Berufungsvorbringen zur Interessenkollision sei substratlos und auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen unberechtigt. Die übrigen den wiedergewählten Aufsichtsratsmitgliedern zur Last gelegten Verstöße seien nicht schlechthin geeignet, den Mitgliedern die Eignung für ihre Funktion als Aufsichtsrat abzusprechen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes jeweils 260.000 S übersteige und dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Mit ihrer außerordentlichen Revision beantragen vier der ursprünglich fünf Kläger (der Zweitkläger ließ die Abweisung seines Klagebegehrens unbekämpft) die Abänderung dahin, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung. Die Beklagte beantragt mit der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes zulässig. Der bekämpften Wahl eines Aufsichtsrats steht zwar nicht das Bestellungsverbot des § 90 AktG entgegen, weil der Aufsichtsrat nicht formell Vorstand der AG war und ist. Anfechtungsgrund ist aber der festgestellte Umstand, dass der Aufsichtsrat vor und nach seiner Wiederwahl eine Geschäftsführungstätigkeit ausübte, sodass die vom Obersten Gerichtshof noch nicht geklärte Rechtsfrage zu behandeln ist, ob ein solcher Sachverhalt zur Nichtigkeit nach § 199 Abs 1 Z 3 und 4 AktG (vgl § 241 dAktG) führt oder aber einen Anfechtungsgrund nach § 195 Abs 1 AktG (vgl § 243 dAktG) darstellt. Die Revision ist im Sinn ihres hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt. Vorauszuschicken ist, dass das deutsche und das österreichische Aktienrecht aufgrund ihrer gemeinsamen Wurzel, dem deutschen AktG 1937, in vielen Bereichen vergleichbare Regelungen enthalten, sodass bei der rechtlichen Beurteilung auch die deutsche Lehre und Rechtsprechung miteinbezogen werden kann. Die Unvereinbarkeitsregel des § 90 AktG entspricht im Wesentlichen dem § 105 dAktG.

I. Zur Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen einer Aktiengesellschaft:

1. Fehlerhafte Aktionärsbeschlüsse sind in den Fällen des § 199 AktG absolut nichtig. Sie entfalten auch ohne Anfechtung keine Wirksamkeit. Die Nichtigkeit kann über Klage festgestellt werden (§ 201 AktG; § 249 dAktG). Wenn kein im Gesetz abschließend geregelter Nichtigkeitsgrund vorliegt, kann ein Aktionärsbeschluss wegen Gesetzesverletzung oder Verletzung der Satzung (§ 195 Abs 1 AktG) von den Aktionären mit der Wirkung angefochten werden, dass der Hauptversammlungsbeschluss mit Wirkung ex tunc für nichtig erklärt wird (SZ 68/144 mwN; zur Unterscheidung zwischen absolut nichtigen und bloß anfechtbaren Generalversammlungsbeschlüssen: SZ 70/189;

Schiemer in Schiemer/Jabornegg/Strasser AktG3 Rz 2 bis 6 zu § 195;

vgl auch 10 Ob 32/00d = WBl 2001, 133).

2. Die Revisionswerber halten an ihren Vorwürfen gegen den gewählten Aufsichtsrat fest, die ihre Grundlage in Sachverhalten vor der bekämpften Wiederwahl der Aufsichtsräte haben. Beim Vorwurf, einer der beiden Aufsichtsräte habe bei seiner Amtsausübung Eigeninteressen verfolgt, geht die Revision nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Für den weiteren Vorwurf der Mitwirkung des Aufsichtsrats an einem unzulässigen Aktienrückkauf der AG (§ 65 AktG) fehlen zwar die für die Beurteilung der Zulässigkeit des Aktienrückkaufs wesentlichen Tatsachenfeststellungen. Der Vorwurf hat aber schon durch die Tatsache seine Relevanz verloren, dass der Aktienrückkauf vom Vorstand - wenn auch mit Genehmigung des Aufsichtsrats - verfügt worden war und in der Zwischenzeit durch Weiterverkauf der Aktien überholt ist. Entscheidungswesentlich kann nur die Frage sein, ob die Wiederwahl eines in der Vergangenheit pflichtwidrig handelnden Aufsichtsrats und seine daraus abgeleitete mangelnde Eignung für das Amt einen Gesetzesverstoß, allenfalls sogar mit der Rechtsfolge der absoluten Nichtigkeit, begründet oder ob die Wahl durch Beschluss der Aktionärsversammlung im Sinne der Auffassung Strassers (in Jabornegg/Strasser AktG4 Rz 13 zu § 86) unanfechtbar ist, weil der Gesetzgeber die Prüfung der Eignung des Kanditaten den Aktionären überlässt, die im wohlverstandenen Eigeninteresse hinsichtlich der persönlichen Eigenschaften und fachlichen Befähigungen wohl die richtige Entscheidung treffen werden und weil aus dem geltenden Recht über die gesetzlichen Bestellungsverbote hinaus keine weiteren Verbote ableitbar sind. Dieser Rechtsansicht kann grundsätzlich gefolgt werden. Verfehlungen in der Vergangenheit sind jedenfalls dann kein Bestellungshindernis, wenn nicht gleichzeitig mit ausreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass der Gewählte auch in Zukunft (neuerlich) zum Schaden der Gesellschaft, der Aktionäre oder der Gläubiger pflichtwidrig handeln werde und dies mit der Wiederwahl durch die Hauptversammlung auch genehmigt wird. In diese Richtung haben die Kläger im Verfahren erster Instanz hinsichtlich der von den Vorinstanzen großteils ohnehin verneinten Verfehlungen des Aufsichtsrats kein ausreichendes Vorbringen erstattet. Nur zum Thema der faktischen Verletzung des Bestellungsverbotes nach § 90 AktG haben die Revisionswerber immerhin dargelegt, dass der Aufsichtsrat die überwiegenden Vorstandsaufgaben anstelle des Vorstands wahrgenommen habe und zumindest implizit der Aktionärsversammlung unterstellt, dass sie diesen Zustand gekannt habe und mit der Wiederwahl aufrecht erhalten habe wollen. Entscheidungswesentlich ist daher, ob die Wahl unter diesem Gesichtspunkt eine Nichtigkeit nach § 199 Abs 1 Z 3 und 4 AktG oder eine Gesetzesverletzung iSd § 195 Abs 1 AktG darstellt.

II. Zu den Nichtigkeitsgründen:

1. Gemäß § 199 Abs 1 Z 3 AktG ist ein Hauptversammlungsbeschluss nichtig, wenn er mit dem Wesen der Aktiengesellschaft unvereinbar ist oder durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind. Nach der Z 4 leg cit gilt dies auch für Beschlüsse, die durch ihren Inhalt gegen die guten Sitten verstoßen. Nach dem Gesetzestext ist eine inhaltliche Gesetzwidrigkeit oder Sittenwidrigkeit gefordert. Der Inhalt des Beschlusses ist "für sich allein genommen" im objektiven Sinn von Motiv und Zweck des Beschlusses losgelöst zu messen (Zöllner im Kölner Kommentar zum AktG2 Rz 72 und 100 zu § 241; Münchener Kommentar AktG2 Rz 54 und 69 zu § 241; Thöni, Rechtsfolgen fehlerhafter GmbH-Gesellschafterbeschlüsse 67 und 90).

2. Inhaltlich verstößt die Wiederwahl eines "vorbelasteten" Aufsichtsrats, der in der Vergangenheit Vorstandsaufgaben wahrnahm und sich insofern pflichtwidrig verhielt, noch nicht gegen Normen zum Schutz von Gläubigerinteressen, des öffentlichen Interesses oder gegen die gute Sitten. Der Gesetzesverstoß liegt im Verhalten des Wiedergewählten. Fraglich ist, ob auch die gleichzeitige Wahl einer Person zum Aufsichtsrat und zum Vorstand eine mit dem Wesen der AG (§ 199 Abs 1 Z 3 AktG) unvereinbare Gesetzesverletzung darstellt.

3. Gemäß § 90 AktG (§ 105 dAktG) können Aufsichtsratsmitglieder nicht zugleich Vorstandsmitglieder oder dauernd Vertreter von Vorstandsmitgliedern sein. Sie können auch nicht als Angestellte die Geschäfte der Gesellschaft führen. Die Regelung ist zwar zwingendes Recht, damit ist aber noch nicht gesagt, dass ein Verstoß gegen die Unvereinbarkeit zur absoluten Nichtigkeit führt. Strasser (aaO Rz 19 zu § 86) gibt den Meinungsstand zu den Rechtsfolgen der Verletzung des § 90 AktG wieder. In Lehre und Judikatur bestehen unterschiedliche Auffassungen. Strasser bejaht jedenfalls eine Anfechtbarkeit nach § 195 Abs 1 AktG (ebenso SZ 33/95 für die Wahl eines Arbeitnehmers zum Aufsichtsrat). Reich-Rohrwig tritt zur vergleichbaren Rechtslage nach dem GmbHG (§ 30e GmbHG entspricht § 90 AktG) für eine absolute Nichtigkeit ein (Reich-Rohrwig GmbH-Recht2 Rz 4/84 mwN), ebenso Jud (Die Inkompatibilität zwischen Aufsichtsratsmandat und anderer Organfunktion im Konzern GesRZ 1982, 111 [117]). In der Entscheidung SZ 70/189 wurde die Bestellung eines Angestellten einer Gesellschaft mbH zum Aufsichtsrat als eine gegen das öffentliche Interesse verstoßende Verletzung der Unvereinbarkeitsbestimmung qualifiziert, die vom Firmenbuchgericht von Amts wegen als Eintragungshindernis wahrzunehmen sei. Ob die Bestellung eines Vorstands zum Aufsichtsrat eine absolute Nichtigkeit darstellt oder bloße Anfechtbarkeit auslöst, kann hier aber ohnehin dahingestellt bleiben, weil der wiedergewählte Aufsichtsrat zum Zeitpunkt seiner Wahl formal kein Vorstandsmitglied der beklagten AG war und in der Folge auch nicht wurde.

III. Zur Anfechtbarkeit nach § 195 Abs 1 AktG:

1. § 90 AktG ist zwingendes Recht. Die gesetzliche Regelung der Organe ist Teil der Verfassung der AG, die wie im deutschen Recht von einer strikten Trennung der Organe ausgeht. Eingriffe eines Organs in die Kompetenzen des anderen sind ebenso verboten wie Vereinbarungen der Organe über die Befugnissausübung, womit eine Änderung in der gesetzlichen Organzuständigkeit bewirkt wird (Strasser aaO Rz 3 Vor Vierter Teil). Der Aufsichtsrat ist gegenüber dem Vorstand und gegenüber der Hauptversammlung weisungsfrei und hat den geschäftsführenden Vorstand zu kontrollieren (Strasser aaO Rz 6). Für das österreichische und das deutsche Gesellschaftsrecht ist im Gegensatz zum sogenannten Board - oder Verwaltungsratssystem die strikte organisationsrechtliche und aufgabenrechtliche Trennung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat kennzeichnend. Die Unvereinbarkeitsregel soll die Reinhaltung dieses Verfassungsmodells sicherstellen (Strasser aaO Rz 9 und 10). Ihr Sinn besteht darin, die Selbstüberwachung und Selbstkontrolle eines Organs zu verhindern, weil andernfalls der Aufsichtsrat seine eigene Geschäftsführungstätigkeit überwachen würde (Reich-Rohrwig aaO Rz 4/59), eine echte Kontrolle also de facto entfiele und die Aktiengesellschaft im Teilbereich der Geschäftsführung durch den Aufsichtsrat das im Gesetz zwingend vorgesehene Kontrollorgan verlöre.

2. Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten, der das Berufungsgericht folgte, sind die vom Erstgericht festgestellten, vor und nach der Wiederwahl ausgeübten Tätigkeiten des Aufsichtsratsmitglieds Geschäftsführungshandlungen, die dem Vorstand obliegen, von denen als besonders charakteristisch die Erledigung der finanziellen Angelegenheiten der AG, insbesondere mit Hilfe der alleinigen Zeichnungsberechtigung über das Bankkonto hervorzuheben ist. Wenn das Berufungsgericht die Bedeutung der getroffenen Feststellungen durch den Hinweis abzuschwächen versucht, dass der Aufsichtsrat die Tätigkeiten des Vorstands mit dessen Einvernehmen und Zustimmung ausgeübt habe und der Aufsichtsrat kein Angestellter der AG sei, berücksichtigt es nicht die schon angeführte Unzulässigkeit von Vereinbarungen der Organe über eine Verschiebung der gesetzlichen Aufgabenbereiche. Nach dem festgestellten Sachverhalt ist die Zusammenarbeit von Vorstand und Aufsichtsratsmitglied nichts anderes als eine Ressortaufteilung, wie sie unter Vorstandsmitgliedern zulässig, zwischen Aufsichtsrat und Vorstand aber unzulässig ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes kann weder die Absprache zwischen Vorstand und Aufsichtsrat noch eine Bevollmächtigung des Aufsichtsrats zu Geschäftsführungstätigkeiten durch den Vorstand die Verletzung des Trennungsprinzips rechtfertigen. Dagegen spricht schon die Erwägung, dass der Aufsichtsrat auch nicht als Angestellter die Vorstandsgeschäfte führen darf. Das deutsche Aktienrecht geht noch weiter und verbietet dem Aufsichtsrat auch die Tätigkeit als Handlungsbevollmächtigter der Gesellschaft (§ 105 Abs 1 dAktG). Nur bei Behinderung oder Fehlen eines Vorstandsmitglieds kann ein Aufsichtsrat für einen im Voraus begrenzten Zeitraum zu dessen Stellvertreter bestellt werden, dann ruht aber seine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat (§ 105 Abs 2 dAktG und § 90 Abs 2 AktG). Aus dieser Stellvertretungsregelung und dem Verbot der Führung der Geschäfte durch den Aufsichtsrat als Angestellter der Gesellschaft ist zu folgern, dass auch eine Delegierung wesentlicher Geschäftsführungsbefugnisse (eines ganzen Ressorts) an den Aufsichtsrat im Wege einer Bevollmächtigung durch den Vorstand einen Verstoß gegen das Trennungsprinzip darstellt, weil auch in diesem Fall eine unzulässige Selbstkontrolle der eigenen Geschäftsführungstätigkeit die Folge wäre.

3. Die aktienrechtlich verpönte Aufgabenteilung ist zunächst dem Vorstand und dem Aufsichtsrat anzulasten. Das dritte Organ, die Aktionärsversammlung, hat allein mit der Wiederwahl des zurückgetretenen Aufsichtsrats noch keinen Anfechtungsgrund gesetzt, es sei denn, die Aktionäre hätten dabei Kenntnis von der Geschäftsführungstätigkeit des Aufsichtsrats und der mit dem Vorstand abgesprochenen Ressortaufteilung gehabt und mit der Wiederwahl diesen Zustand perpetuieren wollen. Darin wäre eine Verletzung des Trennungsprinzips durch die Hauptversammlung zu erblicken, weil sie bewusst die Unvereinbarkeitsregel des § 90 AktG zu umgehen getrachtet hätte, indem sie das Aufsichtsratsmitglied zwar nicht formal auch zum Vorstandsmitglied wählte, mit der Fortsetzung der faktisch ausgeübten Vorstandstätigkeit aber einverstanden war, wodurch der Gesellschaft das zwingend vorgesehene Kontrollorgan in einem Teilbereich entzogen wird. Ein solches Vorgehen wäre als Verstoß gegen den organisationsrechtlichen Trennungsgrundsatz eine Gesetzesverletzung und bildete einen tauglichen Anfechtungsgrund nach § 195 Abs 1 AktG.

4. Zum Thema der Kenntnis der Aktionärsversammlung über den aktienrechtswidrigen Sachverhalt haben die Vorinstanzen nichts festgestellt. Die Revisionswerber haben sich zwar nicht konkret auf eine solche Kenntnis und die Genehmigung der Hauptversammlung bezogen, immerhin aber vorgebracht, dass der Aufsichtsrat selbst in der Hauptversammlung vom 22. 8. 2000 die Überschreitung seiner Kompetenzen offen deklariert habe. Im fortzusetzenden Verfahren wird daher der genauere Ablauf der Hauptversammlung und der Kenntnisstand der Aktionäre festzustellen sein, damit die entscheidungswesentliche Rechtsfrage geklärt werden kann, ob der Aktionärsversammlung - aber auch dem zweiten Aufsichtsratsmitglied, das keine Vorstandstätigkeit ausübte - die festgestellte Vorstandstätigkeit des einen Aufsichtsratsmitglieds bewusst war, sodass bejahendenfalls von einer Genehmigung des gesetzwidrigen Zustands (und dessen Fortsetzung) durch die Aktionärsversammlung ausgegangen werden könnte. Nur dies machte die Wiederwahl der Aufsichtsratsmitglieder anfechtbar beim zweiten Aufsichtsratsmitglied unter der Voraussetzung, dass auch diesem eine bewusste Verletzung des Trennungsprinzips vorzuwerfen ist, also nicht nur eine fahrlässige Verletzung der Kontrollpflichten festgestellt wird.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.