JudikaturJustiz6Ob39/24i

6Ob39/24i – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. März 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer Zeni Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* GmbH, * Wien, *, vertreten durch Dr. Nikolaus Rast und Mag. Mirsat Musliu, Rechtsanwälte in Wien wider die beklagte Partei Verein *, vertreten durch Dr. Maria Windhager, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. September 2023, GZ 1 R 143/23k 18, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 25. April 2023, GZ 15 C 573/22g 12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision nicht zulässig, was nur einer kurzen Begründung bedarf:

[2] 1.1. Voraussetzung der – vom Beklagten bestrittenen – Aktivlegitimation zur Geltendmachung von Ansprüchen wegen Verletzung des § 1330 ABGB ist ein hinreichender Bezug des Äußerungsinhalts zu einer bestimmten Person, dem Betroffenen (vgl RS0031766). Für die persönliche Betroffenheit des Einzelnen ist die Namensnennung nicht erforderlich. Es reicht aus, wenn die Identifizierbarkeit nur für einige mit dem Betroffenen im Kontakt stehende Personen besteht (6 Ob 166/22p [Rz 38]).

[3] 1.2. Von dieser Rechtsprechung ist das Berufungsgericht im hier zu beurteilenden Einzelfall (vgl RS0031766 [T5]; RS0031757 [T3]) nicht in korrekturbedürftiger Weise abgewichen, wenn es die Aktivlegitimation der Klägerin, die in einer der im Folder des Beklagten genannten Städte einen Fiakerbetrieb führt und die Bezeichnung „Fiakerbetrieb“ als Bestandteil ihrer Firma verwendet, bejahte und diese als von der beanstandeten Aussage Betroffene ansah. Der Folder des Beklagten richtet sich mit Hervorhebung an durchaus prominenter und hervorhebender Stelle (im Subtitel, aber auch später im Text) gegen die Tätigkeit konkret von Fiakerunternehmen in drei Städten in Österreich, nämlich Wien, Innsbruck und Salzburg.

[4] 2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hängen die Fragen, ob eine andere Beurteilung der festgestellten Äußerung vertretbar gewesen wäre (RS0107768; RS0031883 [T6, T28]), sowie ob Tatsachen verbreitet wurden oder eine wertende Äußerung vorliegt (RS0031883 [T17, T30]), so sehr von den Umständen des Einzelfalls ab, dass erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO in der Regel – von einer krassen Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen abgesehen – nicht zu klären sind (6 Ob 97/22s [ErwGr 3.]).

[5] 2.2. Für Einschränkungen politischer Äußerungen oder Diskussionen in Angelegenheiten des öffentlichen Interesses – wie hier des Tierschutzes – billigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) den Vertragsstaaten nur einen sehr engen Beurteilungsspielraum zu (RS0123667 [T5]). Ein Eingriff darf nur erfolgen, wenn er i m Sinne von Art 10 Abs 2 EMRK „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ war oder doch verhältnismäßig ist und einem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht (6 Ob 216/22s; zuletzt 4 Ob 13/23z). Auch unter Berücksichtigung dessen bedarf die Interessensabwägung zu Gunsten der Klägerin durch beide Vorinstanzen keiner Korrektur.

[6] Es kann auch massive, in die Ehre eines anderen eingreifende Kritik, solange kein Wertungsexzess vorliegt und sich die Kritik an konkreten Fakten orientiert, zulässig sein (vgl RS0054817). Von der Meinungsfreiheit mögen zwar insoweit auch schockierende Äußerungen (RS0050067) gedeckt sein, nicht aber unwahre Tatsachenbehauptungen.

[7] 2.3. Anders als etwa eine aus komplexen Vorschriften abgeleitete Rechtsfolge, die in etlichen Fällen in nicht unerheblichem Ausmaß auf einem Vorgang der persönlichen Erkenntnisgewinnung beruhen wird (vgl 4 Ob 13/23z [Rz 20]) und dann als Werturteil angesehen werden kann, geht es für das angesprochene Publikum bei der konkreten Aussage nicht um die Äußerung einer Wertung im Sinne einer Schlussfolgerung oder Haltung des Beklagten, sondern um ein Tatsachengeschehen. Die Frage, ob überhaupt, wo und wie oft „Unfälle mit Fiakern“ mit welchen Verletzungen für Menschen (hier: tödlich) enden, ist kein „Wert“-Urteil. Die Unterlassung der Äußerung des (auf den im Folder aufgezählten Fakten aufbauenden) Werturteils des Beklagten mit dem Inhalt, es solle vom Betrieb und der Nutzung von Fiakern aus Gründen des Tierschutzes Abstand genommen werden, strebt die Klägerin auch gar nicht an.

[8] Der Beklagte beruft sich insoweit verfehlt auf die Entscheidungen 6 Ob 93/98i [„Schweine KZ“] und 6 Ob 321/04f [„Holocaust auf Ihrem Teller“]. Fraglich ist – wie bereits erwähnt – nicht (wie damals) die Zulässigkeit einer etwa auch überzeichneten Darstellung des Unwertgehalts von bestimmten Fakten im Sinne einer moralischen Verurteilung, sondern es gilt die Frage der richtigen oder falschen Darstellung von Fakten als Ausgangsbasis für das darauf aufbauende (Un-)Werturteil zu beurteilen. Es geht auch nicht darum, dass – wie der Beklagte unter Hinweis auf den zu 6 Ob 245/97s entschiedenen Fall meint – die Kritik des Beklagten „nicht als konkreter Vorwurf des von der zur Debatte gestellten Verantwortung für Tierleid im Zusammenhang mit Fiakerpferden unabhängigen unehrenhaften Verhaltens der Kl[ägerin] selbst zu verstehen ist“, weil das Begehren der Klägerin – wie bereits erwähnt – gar nicht die Kritik des Beklagten in Bezug auf das Eintreten für die Tiere (Pferde) betrifft, sondern allein seine Behauptung über die (faktischen) Folgen der Nutzung von Fiakern für Menschen. Auch (gesellschafts-)politischer Protest und die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung rechtfertigen es – selbst bei starkem öffentlichem Interesse an der Verbreitung von Informationen über das „Umwelt und Tierschutzthema“ nicht – im Rahmen der darüber zu führenden öffentlichen Debatte eine – für das Unternehmen der Klägerin abträgliche – unrichtige Tatsache zu verbreiten.

[9] Da sich der Beklagte durch den Folder mit dem Titel und mit großem Fettdruck und Schriftgröße besonders hervorgehoben der (aufklärenden) Darlegung von „FIAKER FAKTEN“ rühmt, muss er sich bei den Aussagen zu diesen Fakten auch an diesem Maßstab (dem Tatsächlichen) messen lassen. Der Folder prangert an, dass nur mehr in drei Städten als „einzigen Städte[n] in Österreich“ die Besichtigung mittels Fiaker möglich sei. Darin wird die Anzahl der Unternehmungen in diesen drei Städten (als eigener Punkt) genannt, und es wird neben der bildlichen Darstellung einer Großstadt (Wolkenkratzer) auf „Menschenmassen“ in der Stadt sowie darauf, dass eine Großstadt keine Steppe ist (RS0121557 [T3]), verwiesen. Angesichts dessen liegt in der Auslegung der Vorinstanzen, die Behauptung in diesem Folder über „[i]mmer wieder auftretende Unfälle, die manchmal leider sogar mit schweren bis tödlichen Verletzungen von Menschen [...] enden“, werde aufgrund des Gesamtzusammenhangs so verstanden, dass sie sich auf die im Folder genannten Städte (und damit auch auf den Sitz der Klägerin), nicht aber als „im Allgemeinen“ gemeinte auf kein bestimmtes Land beziehe, keine klare Fehlbeurteilung, die der Korrektur im Einzelfall bedürfte.

[10] Wenn die Revision meint, die inkriminierte Äußerung sei im Hinblick auf zwei Fiakerunfälle mit Todesfolgen im Bezirk Zwettl und in Bad Ischl „zumindest als im Kern wahr anzusehen“, so ist ihr entgegenzuhalten, dass der Folder zum einen ausdrücklich die Städte Wien, Innsbruck und Salzburg nennt und zum anderen das Leid der Pferde in der „Großstadt“ hervorhebt. Dass es sich bei Zwettl und Bad Ischl nicht um Großstädte handelt, ist aber gerichtsnotorisch.

[11] Ebenso wenig korrekturbedürftig ist die Ansicht, die genannte Formulierung werde so aufgefasst, dass darunter Verletzungen zu verstehen seien, die (in der Vergangenheit) tatsächlich den Tod von Menschen herbeigeführt haben.

[12] 3. Dass dem Beklagten mit der Entscheidung „[e]ine Kritik im Zusammenhang mit dem Tierschutz-Thema von Fiakerpferden in Städten verunmöglicht“ werde und dies Zensur bedeutete, ist nicht zu teilen, darf er doch seine Meinung – auf Basis zutreffender Fakten – weiter äußern und wird ihm nur eine einzelne – nach den Feststellungen unzutreffende – Aussage (ein Teil eines von mehr als 35 Sätzen auf dem zweiseitigen Folder) – untersagt.

[13] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 40 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen, weil sie auf die fehlende Zulässigkeit der Revision nicht hingewiesen und nur beantragt hat, ihr keine Folge zu geben (vgl RS0035979).

Rechtssätze
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