JudikaturJustiz6Ob316/02t

6Ob316/02t – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Januar 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Tülin M*****, vertreten durch Dr. Günther R. John, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Viktoras B*****, und 2. Elena F*****, ebenda, wegen 1,453.456,68 EUR samt Anhang, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 25. Oktober 2002, GZ 2 R 188/02k-7, womit der Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 26. Juli 2002, GZ 30 Cg 76/02g-3, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt, die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig zu erkennen, der M***** GmbH in Liqu. (künftig: Gesellschaft) 1,453.438,69 EUR samt Anhang zu zahlen. Sie sei mit einem Anteil von 20 % am Stammkapital der Gesellschaft deren Gesellschafterin. Der Erstbeklagte habe als geschäftsführender Gesellschafter in den Jahren 1998, 1999 und 2000 durch - im Einzelnen dargelegte - Untreuehandlungen und Bilanzfälschungen der Gesellschaft einen Schaden von zumindest 9,636.508,20 EUR zugefügt. Die Zweitbeklagte sei die Ehefrau des Erstbeklagten, der bis 17. 6. 2001 Geschäftsführer gewesen sei, und an den Untreuehandlungen des Erstbeklagten im Jahr 2000, die der Gesellschaft einen Schaden von zumindest 5,515.299,58 EUR verursacht hätten, beteiligt gewesen. Sie hafte für diesen Schaden solidarisch. Trotz rechtzeitiger Anmeldung des Antrags der Klägerin auf Beschlussfassung über die Verfolgung der Schadenersatzansprüche gegen den Erstbeklagten sei eine Beschlussfassung in der Generalversammlung vom 26. 6. 2001 abgelehnt worden.

Das Erstgericht wies die Klage gegen die Zweitbeklagte wegen sachlicher Unzuständigkeit sofort zurück. Die Zweitbeklagte sei nicht Kaufmann im Sinn des § 1 HGB. Zur Begründung der Kaufmannseigenschaft reiche nämlich die Bezeichnung als Direktor einer Gesellschaft nicht aus. Die Klägerin berufe sich überdies auf eine deliktische Haftung der Zweitbeklagten. Eine Klage aus einem Handelsgeschäft liege deshalb nicht vor. Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft gemäß § 93 Abs 1 JN sei nicht begründet, weil die Beklagten in Ansehung des Streitgegenstandes weder eine Rechtsgemeinschaft bildeten, noch der Klägerin aus demselben tatsächlichen Grund verpflichtet seien. Die Beklagten hafteten nämlich der Gesellschaft, für die die Klägerin auftrete. Gegenüber der Zweitbeklagten sei nur die Gesellschaft aktiv klagslegitimiert. Somit liege kein einheitlicher rechtserzeugender Sachverhalt vor, weil in Bezug auf den Erstbeklagten noch weitere anspruchsbegründende Tatsachen zu einem vorerst einheitlichen Sachverhalt hinzuträten. Aus demselben Grund hafteten die Beklagten der Klägerin auch nicht solidarisch. In Bezug auf die Zweitbeklagte habe die Klägerin "ihr Vorbringen zur Klagslegitimation nicht nachvollziehbar gemacht".

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts. Die auf Lehrmeinungen gestützte Auffassung der Klägerin, § 48 Abs 1 GmbHG sei zumindest auf alle Schadenersatzansprüche gegen Angehörige der gesetzlichen Organe auszudehnen, werde von der Rechtsprechung nicht geteilt. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof mit der Ausdehnung der Klagebefugnis nach § 48 Abs 1 GmbHG auf Angehörige der gesetzlichen Organe noch nicht befasst habe. Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin mit einem Abänderungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig, er ist auch berechtigt.

Bei der Prüfung der Zuständigkeit ist im streitigen Verfahren von den Angaben des Klägers auszugehen, sofern diese nicht dem Gericht bereits als unrichtig bekannt sind (§ 41 Abs 2 JN; 6 Ob 174/02k; RIS-Justiz RS0046204; Ballon in Fasching2 I § 41 JN Rz 5). Die Klägerin erhebt nach den ausdrücklichen Ausführungen in der Klage gemäß § 48 Abs 1 GmbHG einen Schadenersatzanspruch der Gesellschaft gegen den Erstbeklagten, der sich der Gesellschaft gegenüber aus seiner Geschäftsführertätigkeit verantwortlich gemacht habe (SZ 50/51; SZ 55/1; WBl 1993, 126 mwN). Hiefür ist das Erstgericht als Kausalgericht gemäß § 51 Abs 1 Z 6 JN iVm § 52 JN sachlich und - weil der Erstbeklagte nach den Klagsbehauptungen in Wien wohnt - gemäß § 66 Abs 1 JN (allgemeiner Gerichtsstand) örtlich zuständig. Zu Unrecht verneinten die Vorinstanzen die Zuständigkeit des Erstgerichts in Bezug auf die Zweitbeklagte nach § 93 Abs 1 JN. Eine der Voraussetzungen für den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft ist, dass das angerufene Gericht für einen oder alle übrigen Beklagten auch durch Vereinbarung zuständig gemacht werden könnte (§ 93 Abs 1 letzter Halbsatz JN). Die sachliche Unzuständigkeit wegen Vorliegens der Handelsgerichtsbarkeit für einen oder mehrere der Beklagten steht der gemeinschaftlichen Einklagung nicht im Weg; umgekehrt können Nichtkaufleute mit Kaufleuten vor dem Kausalgericht geklagt werden (Simotta in Fasching2 I § 93 JN Rz 7 mwN). Dass der gegen den Erstbeklagten gerichtete Anspruch vor das Handelsgericht gehört, hindert also die Einklagung gegen die Zweitbeklagte vor diesem Gericht nicht.

Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft setzt weiters das Vorliegen einer materiellen Streitgenossenschaft nach § 11 Z 1 ZPO auf der Beklagtenseite voraus (6 Ob 174/02k; 3 Ob 514/94; SZ 26/157; Simotta aao § 93 Rz 1 mwN). Materielle Streitgenossen sind unter anderem gemeinschaftlich geklagte Personen, die in Ansehung des Streitgegenstands solidarisch verpflichtet sind (§ 11 Z 1 dritter Fall JN). Jede Solidarverpflichtung reicht also aus, die verpflichteten Personen als Streitgenossen nach § 93 Abs 1 JN gemeinsam zu klagen (3 Ob 514/94; 6 Ob 174/02k). Die Solidarschuld setzt keineswegs voraus, dass die gemeinschaftliche Schuld aus demselben Rechtsgrund entstand. Passive Korrealität liegt vor, wenn eine Mehrheit von Schuldnern auf Grund Vertrags oder Gesetzes dem Gläubiger gegenüber in einem persönlichen Verpflichtungsverhältnis für dieselbe Schuld steht, sohin jeder einzelne Schuldner auf Grund eines selbständigen Verpflichtungsgrunds persönlich mit seinem eigenen Vermögen für die Schuld haftet. Wesentlich ist nur, dass eine Erfüllungsgemeinschaft vorliegt und dem Gläubiger das Privileg zukommt, wählen zu können, auf welchen seiner Schuldner er zuerst greifen will (6 Ob 174/02k; 7 Ob 148/02v; 8 Ob 319/97s; 3 Ob 514/94; RIS-Justiz RS0017315).

Ob eine materielle Streitgenossenschaft vorliegt, ist anhand der Klagsangaben zu prüfen (Simotta aaO § 93 JN Rz 4). Dies führt aber zur Bejahung der Zuständigkeit des Erstgerichts nach § 93 Abs 1 JN in Bezug auf die Zweitbeklagte:

Die Klägerin behauptet, die Zweitbeklagte habe im Zusammenwirken mit dem Erstbeklagten der Gesellschaft vorsätzlich einen Schaden zugefügt. Mehrere vorsätzlich handelnde gemeinschaftliche Schädiger haften nach §§ 1301 f ABGB dem Geschädigen solidarisch. Die Gesellschaft könnte wählen, auf welchen von beiden sie zuerst greifen will. Ob die Klägerin unter Berufung auf § 48 Abs 1 GmbHG den behaupteten Schadenersatzanspruch der Gesellschaft auch gegen einen nicht zu dem in § 48 Abs 1 GmbHG genannten Kreis zählenden Schädiger geltend machen kann, ist keine bei der Zuständigkeitsprüfung aufzugreifende, sondern eine in der Sachentscheidung zu beurteilende Frage der Sachbefugnis. Mangels Entscheidungsrelevanz kann daher die Frage, ob die Klagsbefugnis nach § 48 Abs 1 GmbHG auf Klagen gegen Angehörige der gesetzlichen Organe ausgedehnt werden kann, derzeit unbeantwortet bleiben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.