JudikaturJustiz6Ob242/12z

6Ob242/12z – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. Mai 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** S*****, vertreten durch Dr. Gerd Mössler, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gustav Etzl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 9.345 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 17. September 2012, GZ 18 R 238/12x 14, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Neunkirchen vom 11. Juni 2012, GZ 3 C 2209/11b 10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben .

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben . Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger erwarb im Mai 2004 fünf A***** Genussscheine. Die Beklagte war Abschluss und Konzernprüferin für die Jahresabschlüsse 2000 bis 2008 bei der A***** AG, deren I***** Konzernabschlüsse für die Jahre 2004 bis 2008 und der Jahres und Konzernabschlüsse 2001 bis 2008 der A***** Gruppe AG (vormals A***** Management Beteiligungs AG). Die Jahres und Konzernabschlüsse samt Bestätigungsvermerken der Beklagten wurden jeweils im Firmenbuch veröffentlicht. Bei sämtlichen Abschlüssen bis zum Jahr 2007 erteilte die Beklagte einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk, bei den Jahresabschlüssen des Jahres 2008 einen eingeschränkten.

Bei den A***** Genussscheinen handelt es sich um ein sogenanntes Schneeballsystem (Pyramidenspiel). Bis zum Oktober 2008 kauften die A***** Gesellschaften die Genussscheine zum jeweiligen Kurswert zurück, ab diesem Zeitpunkt nicht mehr. Im Mai 2010 wurden über die A***** AG und die A***** Gruppe AG Insolvenzverfahren eröffnet.

Mit seiner seit 20. 10. 2011 gerichtsanhängigen Klage begehrt der Kläger Schadenersatz von der Beklagten als Abschlussprüferin und Prospektkontrollorin, die zahlreiche näher ausgeführte Unrichtigkeiten trotz positiver Kenntnis im eigenwirtschaftlichen Interesse seit Beginn ihrer Tätigkeit nicht aufgedeckt, sondern uneingeschränkte Bestätigungsvermerke erteilt habe.

Die Vorinstanzen wiesen das Begehren wegen Verjährung ab.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig; sie ist auch berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat zu 3 Ob 230/12p, 2 Ob 241/12y und 10 Ob 58/12w (ebenso 4 Ob 234/12h; 7 Ob 33/13y; 7 Ob 225/12g) über einen völlig gleich gelagerten Sachverhalt entschieden, wobei dort ebenfalls die beiden hier tätigen Rechtsanwälte als Parteienvertreter einschritten, die im Wesentlichen identes Vorbringen erstattet hatten; darüber hinaus sind auch die angefochtenen Berufungsentscheidungen im Wesentlichen identen Inhalts. In diesen Entscheidungen hob der Oberste Gerichtshof die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung und Verfahrensergänzung zurück. Er befasste sich mit der auch hier relevierten Frage der Verjährung der Klagsansprüche und gelangte nach Auseinandersetzung mit dem einschlägigen Schrifttum und der bisherigen Rechtsprechung zu dem Ergebnis, dass „für im Rahmen der Tätigkeit als Abschlussprüfer begründete Schadenersatzansprüche die verjährungsrechtliche Spezialnorm des § 275 Abs 5 UGB anzuwenden ist, die nicht nur gegenüber der geprüften Gesellschaft, sondern auch gegenüber Dritten gilt und je nachdem, ob den Schadenersatzansprüchen fahrlässiges oder vorsätzliches Fehlverhalten zugrunde liegt, als objektive oder subjektive fünfjährige Frist ausgestaltet ist.“

Die wesentlichen Aussagen des Obersten Gerichtshofs lassen sich dabei wie folgt zusammenfassen:

1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist der Vertrag zwischen Abschlussprüfer und der geprüften Gesellschaft ein Vertrag mit Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter, nämlich aller potentiellen Gläubiger der Gesellschaft, die durch die Veröffentlichung des Bestätigungsvermerks angesprochen werden sollen (RIS Justiz RS0116706, RS0116077). Daran ist trotz   im Einzelnen dargelegter Kritik in der Lehre festzuhalten.

2. Nach herrschender Ansicht ist die eine fünfjährige Verjährungsfrist normierende Bestimmung des § 275 Abs 5 UGB lex specialis zur allgemeinen Verjährungsvorschrift des § 1489 ABGB, die als objektive, von der Kenntnis des Schadens und des Schädigers unabhängige Frist nicht nur die kurze, sondern auch die lange Frist des § 1489 Satz 2 erste Variante ABGB verdrängt (1 Ob 35/12x mwN). Sie gilt auch für die Dritthaftung des Abschlussprüfers (so mit ausführlicher Begründung 1 Ob 35/12x; RIS Justiz RS0128186).

2.1 Den zur Verjährung der Haftung des Abschlussprüfers bisher ergangenen Entscheidungen lag allerdings jeweils (nur) der Vorwurf (grob) fahrlässigen Fehlverhaltens des Abschlussprüfers zugrunde. Für diese Fälle hat es bei der bisherigen Auslegung des § 275 Abs 5 UGB zu bleiben. Dessen Beurteilung als lex specialis entspricht dem Zweck der Regelung (primär, dass das hohe Haftungsrisiko versicherbar sein soll) und berücksichtigt das Bedürfnis nach Sicherheit und Rechtsfrieden sachgerecht. Der Dritte soll verjährungsrechtlich nicht anders behandelt werden als die geprüfte Gesellschaft selbst.

2.2 Bei vorsätzlicher Schadenszufügung hat hingegen anderes zu gelten:

Der Zweck der Regelung des § 275 UGB, nur den fahrlässig schädigenden Abschlussprüfer bei der Haftung dafür aus sachlichen Gründen zu privilegieren, verlangt eine Auslegung, die sich für den Beginn der einheitlich im § 275 Abs 5 UGB festgesetzten Verjährungsfrist von fünf Jahren im Fall einer vorsätzlichen Pflichtverletzung durch einen Abschlussprüfer an der allgemeinen Regel für Schadenersatzansprüche nach § 1489 ABGB orientiert. Diese macht den Lauf der Verjährung (auch) bei „einfachem“ Vorsatz (der also den Anforderungen des § 1489 Satz 2 zweite Variante ABGB nicht entspricht) von der Kenntnis des Geschädigten von Schaden und Schädiger abhängig. Bei vorsätzlicher Pflichtverletzung des Abschlussprüfers ist der Beginn der fünfjährigen Verjährungsfrist daher nicht mit Entstehung des Schadens, sondern erst mit Kenntnis des Geschädigten von Schaden und Schädiger anzusetzen.

Auf diese Weise wird eine unsachliche Privilegierung eines vorsätzlich handelnden Abschlussprüfers vermieden und zum Verjährungsbeginn eine Harmonisierung mit allgemeinen Grundsätzen erreicht. Die gegenüber der allgemeinen kurzen subjektiven Verjährungsfrist verlängerte fünfjährige Frist ist Konsequenz der ausdrücklichen und unmissverständlichen gesetzlichen Regelung des § 275 Abs 5 UGB.

Da ein Dritter verjährungsrechtlich nicht anders zu behandeln ist als die geprüfte Gesellschaft, hat dies auch im Fall der Dritthaftung eines vorsätzlich handelnden Abschlussprüfers zu gelten (vgl auch 2 Ob 248/12b; 2 Ob 250/12x; 3 Ob 231/12k; 7 Ob 33/13y).

Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsansicht an. Die Revision weist zutreffend darauf hin, dass der Kläger wie bereits das Berufungsgericht festhielt in erster Instanz (wie zu 3 Ob 230/12p) ein Tatsachenvorbringen erstattet hat, dem sich der Vorwurf vorsätzlichen Fehlverhaltens der Beklagten entnehmen lässt.

Daraus ergibt hier sich Folgendes:

Nach der Aktenlage kann eine Kenntnis des Klägers von der Wertlosigkeit der Genussscheine schon im Zeitpunkt ihres Erwerbs am 4. 5. 2004 und damit vom primär geltend gemachten Schaden frühestens mit der Erteilung von nur eingeschränkten Bestätigungsvermerken bei den Jahresabschlüssen für 2008, die naturgemäß erst 2009 erteilt und beim Firmenbuch eingereicht wurden, angenommen werden. Die fünfjährige Frist des § 275 Abs 5 UGB war deshalb bei Einbringung der Klage am 20. 10. 2011 noch nicht abgelaufen. Ob die lange Frist des § 1489 Satz 2 erste Variante ABGB zum Tragen kommt, wenn dem Geschädigten der Schaden oder der Schädiger nicht bekannt geworden sind, ist auch hier nicht zu prüfen. Ebenso erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der Problematik, ob die fünfjährige Verjährungsfrist des § 275 Abs 5 UGB auch zur Anwendung kommen soll, wenn die Voraussetzungen für die 30 jährige Frist nach der zweiten Variante des § 1489 Satz 2 ABGB vorliegen sollten.

Da sich jedoch die Annahme der Vorinstanzen, dass die Verjährung des auf vorsätzliche Pflichtverletzung gestützten Schadenersatzanspruchs des Klägers nach § 275 UGB gegen die Beklagte als Abschlussprüferin bereits eingetreten sei, als unzutreffend erweist, bedarf es der Prüfung der Berechtigung der erhobenen Vorwürfe. Eine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und die Zurückverweisung der Rechtssache an die erste Instanz zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung sind daher unumgänglich.

Im fortgesetzten Verfahren wird dabei Folgendes zu beachten sein:

Dass der Kläger in seinem Hauptbegehren eine Geldleistung fordert, ist nicht zu beanstanden, weil zwischen den Parteien nicht strittig ist, dass die Genussscheine wertlos sind. Es ist in einem solchen Fall von der endgültigen Wertlosigkeit der Anlage auszugehen, sodass ein Verkauf des Produkts zur Ermittlung des Differenzschadens weder möglich noch erforderlich ist (3 Ob 230/12p).

Auf die anderen geltend gemachten Anspruchsgrundlagen (wie etwa die Prospekthaftung) kommt es aus den zu 3 Ob 230/12p näher dargelegten Gründen nicht mehr an, weshalb im fortgesetzten Verfahren dazu keine Ergänzungen erforderlich sind.

Nach den insoweit zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts ist der Primärschaden bereits mit dem Kauf der Genussscheine am 4. 5. 2004 eingetreten. Der zweite Rechtsgang hat sich daher auf die Prüfung der vom Kläger behaupteten vorsätzlichen Pflichtverletzungen vor diesem Zeitpunkt zu beschränken. Die später erteilten Bestätigungsvermerke können für seinen Kaufentschluss nicht ursächlich gewesen sein.

Schließlich wird die Höhe des Anspruchs zu prüfen sein.

Das Erstgericht wird die dargestellte Rechtslage mit den Parteien zu erörtern und ihnen Gelegenheit zur Äußerung zu geben haben. Im Anschluss werden die entsprechenden Beweise aufzunehmen und Feststellungen im aufgezeigten Rahmen zu treffen sein.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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