JudikaturJustiz6Ob109/02a

6Ob109/02a – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Juni 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Felix N***** und 2. Maria N*****, beide vertreten durch Dr. Klaus-Dieter Strobach und Dr. Wolfgang Schmidauer, Rechtsanwälte in Grieskirchen, gegen die beklagte Partei Land Oberösterreich, Kärntnerstraße 12, 4020 Linz, vertreten durch Dr. Heinz Oppitz und Dr. Heinrich Neumayr, Rechtsanwälte in Linz, wegen 66.859,20 S (= 4.858,85 EUR), über die ordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 19. Dezember 2001, GZ 11 R 307/01w-20, womit über die Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 22. August 2001, GZ 16 C 349/01y-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Das beklagte Land ist Straßenerhalter der Peuerbacher Landesstraße, die im Gemeindegebiet der Kläger eine Ortsdurchfahrt ist. Das landwirtschaftliche Anwesen der Kläger liegt nur 3 m vom Straßenrand entfernt. Die Landesstraße wurde 1966 mit einer neuen Oberfläche ausgestattet und angehoben. Der an die Straße anschließende Wiesenstreifen "hängt" etwas zum Haus der Kläger hin. In der Winterzeit kam es immer wieder zur Durchfeuchtung des Mauerwerks, worüber sich der Erstkläger bei der Straßenmeisterei beschwerte. Durch fahrende Fahrzeuge werde Spritzwasser an die Mauer geworfen. Die Situation besserte sich nach Herstellung eines Gerinnes am Straßenrand. 1998 erneuerten die Kläger die Fassade entlang der Landesstraße. In diesem Winter wurde die Landesstraße erstmalig mit Salz gestreut. Zuvor war jahrzehntelang mit Splitt gestreut worden. Die Schneeräumung erfolgte im Bereich des Anwesens der Kläger derart, dass Schneereste in der 20 bis 25 cm breiten gepflasterten Regenrinne liegen blieben. Die Schneereste und das Wasser von der Straßenoberfläche wurden durch Verkehrsteilnehmer gegen die Fassade geschleudert. Die Verschmutzung des Spritzwassers hatte durch den Salzeinsatz zugenommen, was eine größere Verschmutzung der Hausfassade zur Folge hatte.

Die Kläger begehren mit ihrer am 21. 2. 2001 eingebrachten Klage den Ersatz von 66.859,20 S wegen Verschmutzung ihrer renovierten Hausfassade. Auf Grund des Gefälles zum Anwesen der Kläger sowie der Verwendung von ungeeignetem Material seien auf der näher zu ihrem Haus liegenden Fahrbahnhälfte Spurrinnen entstanden. Durch die in den letzten Jahren einsetzende Salzstreuung sei das Mauerwerk durchfeuchtet und zerstört worden. Die beklagte Partei habe trotz Aufforderung der Kläger keine Schutzmaßnahmen ergriffen. Die renovierte Fassade sei verschmutzt und müsste abermals erneuert werden. Das Spritzwasser entstehe durch Spurrinnen, bei deren Befahren mit Fahrzeugen Wasser auf die Fassade gespritzt werde. Ursächlich sei auch die falsche Anbringung einer Leitlinie. Die abgewandte Straßenhälfte weise eine Breite von 3,80 m, die dem Gebäude näher liegende Fahrbahnhälfte aber nur 3 m auf. Dadurch seien LKWs teilweise gezwungen, das mit Kopfsteinpflaster ausgeführte Gerinne zu befahren. In diesem sei verschmutztes Schneewasser angesammelt gewesen. Die Emission körperlicher Stoffe, wie Spritzwässer oder Schneematsch, sei unzulässig und nicht ortsüblich. Die Beklagte hafte als Straßenerhalter auch für das Verschulden von Gehilfen. Das Klagebegehren werde auch auf mangelhafte Schneeräumung gestützt.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte im Wesentlichen ein, dass Schäden am Mauerwerk des Anwesens der Kläger nicht auf Immissionen der Landesstraße zurückzuführen seien. Gemäß § 21 des oberösterreichischen Straßengesetzes hätten Eigentümer von Grundstücken Immissionen von der Straße zu dulden. Der Straßenerhalter sei verpflichtet, die Straße in dem Zustand zu erhalten, der einen ungehinderten Fahrzeugverkehr ermögliche. Dazu gehöre im Winter das Streuen von Splitt oder von sonstigen Auftaumitteln. Salz werde nur im unbedingt notwendigen Ausmaß angewendet.

Die Kläger brachten dazu vor, dass sie nach § 21 Abs 3 des oö Straßengesetzes nicht zur Duldung von Spritzwässern verpflichtet seien, sondern nur zur Duldung des freien, nicht gesammelten Abflusses des Wassers von der Straße und der Ablagerung des im Zuge der Schneeräumung von der Straße entlang ihrer Grundstücke entfernten Schnees.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Von seinen über den schon wiedergegebenen Sachverhalt hinausgehenden Feststellungen ist noch hervorzuheben:

Die Salzstreuung sei in den Wintern 1998/1999, 1999/2000 und 2000/2001 durchgeführt worden. Seit 1966 hätten sich Spurrinnen auf der Landesstraße gebildet. Die Leitlinien seien nicht exakt "mittig" aufgetragen. Die zum Anwesen der Kläger näher liegende Fahrbahnhälfte sei etwas schmäler. Breitere LKWs hätten (auch) die gepflasterte Regenrinne befahren. Bei Salzstreuung sei der Schneematsch feuchter und schmutziger als bei Splittstreuung. Auch wenn die Spurrinnen schon ab Winter 1998/1999 beseitigt gewesen wären, hätte der durch Fahrzeuge bewirkte Sprühnebel die Hausfassade der Kläger benetzt. Der Einsatz von Salzen als Auftaumittel bei der Winterräumung von Straßen anstelle des Streusplitts habe den Vorteil, dass die Schäden an Kraftfahrzeugen zurückgingen, andererseits aber die Umwelt und die anliegenden Gebäude litten. Salzstreuung sei derzeit aber wieder üblich. Der Salzeinsatz sei in vernünftigem Rahmen durchgeführt worden. Es sei nicht unnötig oder übermäßig Salz gestreut worden. Die gepflasterte Regenrinne sei bei der Schneeräumung nie mitgeräumt worden. In der Regenrinne sei Schnee liegen geblieben, wodurch bei Befahren des Regengerinnes Schneematsch an die Hauswand gespritzt worden sei. Teilweise sei Schneematsch auch direkt durch den Schneepflug an die Hausfassade der Kläger geschleudert worden. Die auf der Landesstraße fahrenden Fahrzeuge hätten Schneematsch und Feuchtigkeit (Sprühnebel) gegen die 1998 fertiggestellte neue Fassade des Hauses geschleudert, wodurch diese wieder verschmutzt worden sei. Nach dem Winter 2000/2001 sei eine Generalsanierung der Landesstraße in Angriff genommen worden. Diese Straßenerneuerung sei nicht zu spät, sondern pünktlich erfolgt.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass kein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten der beklagten Partei oder ihrer Gehilfen anzunehmen sei. Die festgestellten Spurrinnen hätten dem normalen Verschleiß entsprochen und seien nicht übermäßig tief gewesen. Der Streusalzeinsatz sei im Sinne der Straßensicherheit üblich gewesen. Die Kläger hätten keine nachbarrechtlichen Ansprüche. Eine unzulässige Immission wäre nur zu bejahen, wenn der Straßenerhalter das im Interesse der Verkehrssicherheit nötige Maß der Salzstreuung überschreite. Eine direkte Zuleitung von Oberflächenwasser auf das Grundstück der Kläger liege nicht vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger nicht Folge. Es teilte die Auffassung des Erstgerichtes über ein fehlendes Verschulden der beklagten Partei (das die Kläger in der Leitlinienmarkierung und in dem Vorhandensein von Spurrinnen erblicken). Es liege auch keine mangelhafte Schneeräumung durch das Nichträumen von Schneeresten im gepflasterten Regengerinne vor. Zur nachbarrechtlichen Haftung führte das Berufungsgericht aus, dass die Splittstreuung bis zum Winter 1998/1999 den ortsüblichen Zustand dargestellt hätte. Die Umstellung auf Salzstreuung und die dadurch hervorgerufenen Immissionen der Landesstraße überschritten nach den örtlichen Verhältnissen das gewöhnliche Maß im Sinne des § 364 Abs 2 ABGB. Öffentliche Straßen seien behördlich genehmigten Anlagen im Sinne des § 364a ABGB gleichzuhalten. Der Nachbareigentümer habe einen Ausgleichsanspruch. Eine unzulässige Immission liege aber nur dann vor, wenn der Straßenerhalter das im Interesse der Sicherheit des Verkehrs nötige Maß überschreite. Der Oberste Gerichtshof habe in einem Fall betreffend Forstschäden entlang einer Bundesstraße auf Grund von Salzstreuung (SZ 63/133) neue Kriterien für die Auslegung des Begriffs der Ortsüblichkeit entwickelt. Bei der Salzstreuung auf Straßen stünde das öffentliche Interesse an der Verkehrssicherheit dem öffentlichen Interesse am Umweltschutz gegenüber. Bei Unterlassung der Salzstreuung werde dem Straßenerhalter für dadurch verursachte Verkehrsunfälle die Haftung nach § 1319a ABGB auferlegt. Andererseits drohe durch die Salzstreuung eine Schädigung der Umwelt. Es habe ein angemessener Interessenausgleich stattzufinden. Hier gehe es um Schäden am Haus der Kläger, die nicht unmittelbar von der Salzstreuung verursacht worden seien. Diese habe vielmehr nur dazu geführt, dass die Straßenoberfläche feuchter, matschiger und schmutziger als bei einer Splittstreuung geworden sei. Auch in einem solchen Fall seien die vom Obersten Gerichtshof aufgestellten Kriterien zu beachten. Danach hafte der Straßenerhalter wegen der Salzstreuung nur dann, wenn er das im Interesse der Sicherheit des Verkehrs nötige Maß überschreite. Dies treffe hier nicht zu. Entgegen der Ansicht der Kläger liege keine unmittelbare Zuleitung von Spritzwässern vor, die nach § 364 Abs 2 ABGB unter allen Umständen unzulässig sei. Unmittelbare Zuleitungen setzten eine "Veranstaltung" voraus, die für eine Einwirkung gerade in die Richtung auf das Nachbargrundstück hin ursächlich sei. Zu den vorliegenden Immissionen komme es schon auf Grund der natürlichen Beschaffenheit der Straße und der normalen Benützung der Straße durch den Fahrzeugverkehr. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Ortsüblichkeit von Immissionen in Form einer Salzstreuung auf öffentlichen Straßen nur eine einzige oberstgerichtliche Entscheidung vorliege, die überdies in der Lehre auf Kritik gestoßen sei.

Die Kläger beantragen mit ihrer ordentlichen Revision die Abänderung dahin, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung.

Die beklagte Partei beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne ihres Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Einschränkungen des Eigentumsrechts (§ 354 ABGB) sind gemäß § 364 Abs 2 ABGB bei bestimmten, demonstrativ aufgezählten Einwirkungen zu dulden, wenn sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß nicht überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstückes nicht wesentlich beeinträchtigen. Nicht ortsübliche Einwirkungen kann der betroffene Nachbar untersagen. Wenn die Einwirkung von einer behördlich genehmigten Anlage ausgeht und das Maß des § 364 Abs 2 ABGB überschreitet, hat der Nachbar zwar keinen Untersagungsanspruch, aber einen verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch (§ 364a ABGB). Öffentliche Straßen werden nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung als behördlich genehmigte Anlagen im Sinne des § 364a ABGB behandelt (RS0010612; für Bundesstraßen: 3 Ob 534/90 = JBl 1990, 789 = EvBl 1991/10 = SZ 63/133; für Autobahnen: JBl 1989, 646; RS0010596; Spielbüchler in Rummel ABGB3 Rz 4 zu § 364a mwN; vgl auch die von Gimpel-Hinteregger, Grundfragen der Umwelthaftung, 307 f zitierten Autoren, die überwiegend die Anwendbarkeit des § 364a ABGB bejahen).

Von Landesstraßen ausgehende Immissionen unterliegen daher § 364a

ABGB.

Der Eigentümer des Nachbargrundstücks hat keinen Unterlassungsanspruch, zum Ausgleich für seine Duldungspflicht aber den verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch, der die Funktion einer Enteignungsentschädigung hat und für das Sonderopfer des Nachbarn zuerkannt wird (Oberhammer in Schwimann ABGB2 Rz 1 zu § 364a).

In der Entscheidung 6 Ob 548/81 = SZ 55/55 wurde zwar ausgesprochen, dass durch den Verkehr auf einer Bundesstraße auf Nachbargrundstücken entstehende Immissionsschäden im streitigen Verfahren nicht geltend gemacht werden könnten. Die Schäden seien nur im Rahmen einer Enteignungsentschädigung zu berücksichtigen. Die Entscheidung ging davon aus, dass der Eigentümer der Straße oder der Träger der Straßenbaulast die Benützung der Straße zu Verkehrszwecken nicht hindern könne, sodass für die nur von den Benützern der Straße verursachten Schäden nicht gehaftet werde. Hingegen bejahte die Entscheidung SZ 63/133 für eine durch Salzstreuung auf einer Bundesstraße im angrenzenden Wald entstandenen Schäden grundsätzlich eine Haftung nach dem Nachbarrecht. Das durch den Fahrzeugverkehr aufgewirbelte schädliche Salzwasser sei die Erstursache der Schädigung des Waldes gewesen. Die Salzstreuung sei Teil der zur Privatwirtschaftsverwaltung gehörigen Instandhaltung der Straße. Dieser Ansicht ist für den hier zu beurteilenden, gleichgelagerten Fall der Salzstreuung auf einer Landesstraße zu folgen. Wenn man öffentliche Straßen als Anlagen im Sinne des § 364a ABGB ansieht, gehört die laufende Betreuung der Straße zum gewöhnlichen, nicht hoheitlichen Betrieb. Die nicht allein von den Straßenbenützern ausgehende Emittierung von Schadstoffen löst grundsätzlich einen Ausgleichsanspruch aus.

Die von den Klägern geltend gemachte Beeinträchtigung ihres Liegenschaftseigentums ist keine unmittelbare Zuleitung von Wasser, die unter keinen Umständen geduldet werden müsste (§ 364 Abs 2 zweiter Satz ABGB). Dem Störer wäre der Einwand der Ortsüblichkeit versagt (1 Ob 42/01k; RS0010528).

Das Nachbarrecht gewährt Ansprüche gegen die vom Nachbargrundstück ausgehenden Immissionen, die § 364 Abs 2 ABGB beispielhaft aufzählt, ohne den Begriff zu definieren. Unter einer Immission ist das mittelbare Eindringen unwägbarer Stoffe zu verstehen (Spielbüchler in Rummel ABGB3 Rz 7 zu § 364). Die Qualifikation des durch den Straßenverkehr aufgewirbelten und gegen die Hausmauer geschleuderten verunreinigten Wassers als Immission ist zutreffend und im Revisionsverfahren auch nicht strittig.

Ein Untersagungsanspruch nach § 364 Abs 2 ABGB und der Ausgleichsanspruch gemäß § 364a ABGB stehen nur zu, wenn die Immission das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreitet und die ortsübliche Benützung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigt. Hier ist nicht strittig, dass eine vorzeitig (jährlich) notwendig werdende Fassadenerneuerung eine wesentliche Grundstücksbeeinträchtigung darstellt.

Die Gesetzesausdrücke "örtlich" und "ortsüblich" sind in räumlicher und zeitlicher Hinsicht auszulegen.

Räumlich ist nicht die politische Gemeinde, sondern die Lage des beeinträchtigten Grundstücks zu jenem, von dem die Störung ausgeht sowie die faktischen Verhältnisse in der unmittelbaren Umgebung beider Liegenschaften maßgeblich (RS0010653; 2 Ob 94/00p mwN). Beispielsweise kann ein betroffener Stadtteil (ein Viertel) Maßstab der Ortsüblichkeit sein (1 Ob 6/99k). Hier ist zumindest auf alle an die Landesstraße - eine Ortsdurchfahrt - unmittelbar angrenzenden Häuser abzustellen.

Die Ortsüblichkeit ist auch in zeitlicher Hinsicht zu beurteilen und kein starrer, sondern ein dem Wandel der Zeit unterworfener Begriff. Ortsüblich sind die Verhältnisse an dem schon erläuterten räumlichen Ort, die einen gewissen längeren Zeitraum bestehen (SZ 50/107). Die auf Grund des technischen Fortschritts durch Industrialisierung und Entwicklung der Verkehrsverhältnisse neu entstehenden und zunehmender werdenden Immissionen werden nicht plötzlich ortsüblich (Steiner, Zur Auslegung des Begriffs der Ortsüblichkeit in § 364 Abs 2 ABGB, JBl 1978, 133 [137]). Auch für die Verkehrsentwicklung und die Auswirkungen auf Nachbarliegenschaften gelten keine Sonderregeln. Die zeitliche Komponente der Ortsüblichkeit betrifft die Frage, ab wann eine bestimmte Immission ortsüblich wird. Diese Frage wird in Lehre und Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt (vgl die Zitate bei Oberhammer aaO Rz 15 zu § 364). Wann aus einer Überschreitung des bis dahin Ortsüblichen eine Änderung zum Unüblichen wird, ist oft zweifelhaft und hängt von der Grundeinstellung des Beurteilenden zu den Fragen der Interessenabwägung zwischen den Interessen der Allgemeinheit und den Einzelinteressen sowie zum Widerstreit verschiedener Allgemeininteressen (technischer Fortschritt versus Umweltschutz) ab. Aus Lehre und Rechtsprechung sind zur Frage des für die Ortsüblichkeit einer Immissionsbelastung maßgeblichen Zeitraums folgende Positionen hervorzuheben:

Jabornegg (Privates Nachbarrecht und Umweltschutz, ÖJZ 1983, 365) plädiert für eine Analogie zur Ersitzungszeit von 30 Jahren. In dieser Zeit sollen Nachbarrechtsansprüche zur Verfügung stehen (aaO 371). Dieser Ansicht folgte ua die Entscheidung SZ 61/273. Spielbüchler stellt hingegen auf das Hinnehmen des Zustands durch die Beeinträchtigten ab und hält eine über drei Jahre nicht beanstandete Immission für ortsüblich (aaO Rz 15 zu § 364). Diesem Standpunkt folgte die neuere oberstgerichtliche Judikatur. In der Entscheidung 7 Ob 361/97g = SZ 70/251 wurde für die von einer renovierten Sportanlage verursachte Lärmsteigerung der Zeitraum der letzten drei Jahre vor der Klageführung für maßgeblich erachtet. Diese Judikatur wurde von Kerschner kritisiert, der Jaborneggs Rechtsansicht über das Ortsüblichwerden von Immissionen erst nach 30 Jahren teilt (RdU 1998, 95).

Der aufgezeigte Meinungsstreit ist aber hier nicht entscheidungswesentlich. Schon mangels entsprechender Behauptungen der Kläger ist von einem jahrzehntelangen Bestehen der Ortsdurchfahrt und der Beeinträchtigung der nahe dem Straßenrand gelegenen Häuser durch den Verkehr bei nasser Witterung (Regenfälle; Schneeschmelze) auszugehen. Die Kläger haben also für die dadurch verursachte Durchfeuchtung ihres Hauses einerseits wegen Ortsüblichkeit und andererseits aus dem in der Entscheidung SZ 63/133 angeführten Grund, dass der Straßenerhalter als Nachbar und (fiktiver) Betreiber einer Anlage (Straße) nicht für das Verhalten der Straßenbenützer (vgl § 20 Abs 1 StVO) haftbar gemacht werden kann, keinen nachbarrechtlichen Anspruch. Sie stützen ihr Klagebegehren im Revisionsverfahren auch nur mehr auf den Umstand, dass die Salzstreuung anstelle der zuvor jahrzehntelang betriebenen Splittstreuung die schadensstiftende Immission sei, die als ortsunüblich einen Ausgleichsanspruch auslöse. Die Ablagerung von Schnee bis unmittelbar vor das Haus im Rahmen der Schneeräumung wird als Anspruchsgrundlage nicht mehr verfolgt. Zu prüfen ist jedenfalls der auf Salzstreuung gestützte Anspruch. Dem steht die im Anschluss an Spielbüchler vertretene Rechtsansicht über die Maßgeblichkeit der Nichtbeanstandung über einen Zeitraum von drei Jahren (SZ 70/251) nicht entgegen. Die Klage wurde am 21. 2. 2001 eingebracht. Die erstmalige Salzstreuung erfolgte im Winter 1998/1999. Eine Ortsüblichkeit wegen mehr als dreijähriger Duldung ohne Beanstandung liegt daher nicht vor.

In der grundlegenden Entscheidung SZ 63/133 vertrat der 3. Senat des Obersten Gerichtshofs zur Salzstreuung auf Bundesstraßen zusammengefasst folgende Rechtsansichten:

Bei der Salzstreuung auf Straßen gerieten zwei öffentliche Interessen in Kollision. Die Salzstreuung diene einerseits der Sicherheit des Straßenverkehrs im Winter. Bei der Unterlassung der Salzstreuung werde der Straßenerhalter für Verkehrsunfälle nach § 1319a ABGB haftbar. Andererseits drohe nach dem derzeitigen Wissensstand durch die Salzstreuung eine Schädigung der Umwelt. Dem Umweltschutz könne nicht ein geringerer Stellenwert zugemessen werden, weil auf Dauer auch durch eine zerstörte Umwelt menschliches Leben gefährdet werde. Es habe ein angemessener Interessenausgleich stattzufinden. Dem trage § 7 Abs 1 BStG Rechnung. Bundesstraßen seien so zu erhalten, dass sie unter Bedachtnahme auf die Witterungsverhältnisse ohne Gefahr benützbar seien, andererseits sei aber auch auf die Umweltverträglichkeit Bedacht zu nehmen. Eine unzulässige Immission im Sinne des § 364 Abs 2 ABGB liege daher im Zusammenhang mit der Salzstreuung nur vor, wenn der Straßenerhalter das im Interesse der Sicherheit des Verkehrs nötige Maß überschreite. Der Straßenerhalter hafte also nicht für das Ausmaß der Salzstreuung, das erforderlich sei, um bei ungünstigen Witterungsverhältnissen eine in zumutbarer Weise anders nicht abwendbare Gefährdung der Verkehrsteilnehmer hintanzuhalten. Die Anlegung einer öffentlichen Straße bewirke von vorneherein, dass im Nachbarbereich gewisse Einwirkungen entstünden, die ohne die Anlage der Straße nicht eingetreten wären. Auf das öffentliche Interesse sei Bedacht zu nehmen. Solange eine Straße nur in einer dem öffentlichen Interesse dienenden Weise angelegt, instandgehalten und betreut und dabei das nötige Maß nicht überschritten werde, liege keine nach § 364 Abs 2 ABGB unzulässige Immission vor. Die Beweislast für das Nichtvorliegen unzulässiger Immissionen treffe im Allgemeinen die Beklagte, bei der Frage des Ausmaßes der Salzstreuung schon auf Grund der Beweisnähe. Nur die Beklagte verfügte über die nötigen Unterlagen über die Salzstreuung. Ferner sei noch die Frage erörterungsbedürftig, ob nicht allenfalls in früheren Jahren ein aus heutiger Sicht gegebenes Übermaß an Salzstreuung ortsüblich gewesen wäre. Ab dem Auftreten neuer Erkenntnisse über die Gefahren der Salzstreuung könne aber nicht mehr von einer "allgemeinen Ortsüblichkeit" gesprochen werden. Die Entscheidung SZ 63/133 wurde von Gimpel-Hinteregger (Umwelthaftung 273; Ersatz von Forstschäden infolge Salzstreuung, ecolex 1991, 77) kritisiert. Es bestehe keine Notwendigkeit zur Abwägung zweier öffentlicher Interessen bei der Auslegung der Ortsüblichkeit, wenn es um die privaten Interessen an ungestörter Liegenschaftsnutzung gegenüber einer volkswirtschaftlich erwünschten ortsunüblichen Nutzung der emittierenden Liegenschaft gehe. Andernfalls wäre die Ersatzpflicht des § 364a ABGB obsolet. Es sei auch für die Salzstreuung im (verkehrsbedingt) notwendigen Ausmaß zu haften. Dazu hat der 6. Senat Folgendes erwogen:

Wenn mit Erhaltungsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung des sicheren Straßenverkehrs auf öffentlichen Straßen Immissionen verbunden sind, steht grundsätzlich ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch zu. Ein solcher ist nur in den gesetzlich geregelten Fällen anlässlich des Baus einer Bundesstraße (§ 24 Abs 5 BStG) bzw beim Bau von Landesstraßen nach den jeweiligen Landesgesetzen und nach der zitierten Rechtsprechung für die allein durch die Verkehrsteilnehmer verursachten Immissionsschäden ausgeschlossen.

Gegen das Auslegungskriterium der widerstreitenden öffentlichen Interessen spricht die Erwägung, dass die Interessenabwägung schon bei der behördlichen Genehmigung der Anlage, der beim öffentlichen Straßenbau die politische Entscheidung über den Straßenbau (die Straßenführung) gleichzuhalten ist, vorgenommen wird. Die im ABGB angesprochene Ortsüblichkeit, also die tatsächlichen Verhältnisse im maßgeblichen Raum, haben mit der Interessenabwägung grundsätzlich nichts zu tun. Auch wenn es ein Anliegen mancher Autoren sein mag, durch eine Verstärkung des nachbarrechtlichen Rechtsschutzes den Defiziten im Verwaltungsverfahren über die Genehmigung von Anlagen zu begegnen und Umweltschutzargumenten zum Durchbruch zu verhelfen, geht es im Immissionsstreit nach den §§ 364 und 364a ABGB um die Interessenkollision zwischen dem Anlagenbetreiber und dem von der Immission betroffenen Liegenschaftsnachbarn, also um die Kollision von Privatinteressen. Das Nachbarrecht ist nicht die Plattform, über die Kollision von Kollektivinteressen zu entscheiden. Der Ausgleichsanspruch nach § 364a ABGB setzt eine Schädigung durch eine ortsunübliche Immission voraus. Der Begriff Ortsüblichkeit hat zwangsläufig den Inhalt, dass ein und dieselbe Immission (etwa Belastung der Luft mit Schadstoffen oder Lärm) an einem Ort üblich, an einem anderen aber unüblich sein kann. Wenn man diese Bedeutung des Gesetzesbegriffs vernachlässigt und auf eine Interessenabwägung von widerstreitenden Allgemeininteressen abstellt, wäre der Begriff "örtlich" (Ort) zu einem Großraum mutiert, weil ja die Interessenabwägung beispielsweise bei Bundesstraßen grundsätzlich für das gesamte Bundesgebiet Geltung haben müsste. Bei der Beurteilung von Immissionen, die von öffentlichen Straßen ausgehen, ist daher an der bisherigen Auslegung des Begriffs der Ortsüblichkeit festzuhalten. In der Begründung der Entscheidung SZ 63/133 wird nicht nur das "Übermaß" der Salzstreuung als unzulässige Immission bezeichnet, sondern beispielhaft auch angeführt, dass die Haftung auch für den Fall zu bejahen ist, dass "nur aus Bequemlichkeit zwecks Einsparung einer vielleicht kostspieligeren Schneeräumung oder in unrichtiger Einschätzung der Verhältnisse statt des ebenso möglichen Streusplitts Salz gestreut wurde". Dieser Begründung kann durchaus gefolgt werden. Sie ist auch entscheidungswesentlich. Nach den hier getroffenen Feststellungen wurde über Jahrzehnte auf der Landesstraße nur Streusplitt aufgebracht. Das war offenkundig eine für die Verkehrssicherheit ausreichende Maßnahme. Die Verwendung von Salz seit dem Winter 1998/1999 konnte bis zur Klageeinbringung noch keine Ortsüblichkeit erzeugen. Die schadensstiftende Kausalität wird noch zu klären sein. Die allgemeinen Erwägungen, dass schon die Anlegung einer öffentlichen Straße gewisse zu duldende Einwirkungen entstehen lässt, macht den Ausgleichsanspruch nach dem Nachbarrecht noch nicht unzulässig. Es ist eben nicht Aufgabe des Nachbarrechts, die Frage kollidierender öffentlicher Interessen zu beantworten. Wenn sich der Betreiber der Anlage (hier einer öffentlichen Straße) aus Kostengründen oder aus Gründen des Umweltschutzes für die eine oder andere Variante der Schneeräumung bzw Glatteisbeseitigung entscheidet, ist dies für den Ausgleichsanspruch grundsätzlich neutral. Er hat nach den dargelegten Grundsätzen für schädliche Immissionen dann zu haften, wenn sie nicht ortsüblich (geworden) sind. Das beklagte Land haftet daher für die durch die Salzstreuung am Haus der Kläger verursachten Feuchtigkeitsschäden, auch wenn die Salzstreuung das für die Verkehrssicherheit erforderliche Ausmaß nicht überschritten haben sollte.

Unter diesen Gesichtspunkten ist die Rechtssache nicht spruchreif. Im fortzusetzenden Verfahren werden die Feuchtigkeitsschäden am Haus der Kläger, die Behebungskosten und vor allem die Kausalität der Salzstreuung für diese Schäden festzustellen sein. Der Kausalitätsnachweis ist von den Klägern zu erbringen. Dabei wird zu beachten sein, dass bei mehreren "summierten Immissionen" nach schadenersatzrechtlichen Grundsätzen vorzugehen ist (§ 1302 ABGB). Ob sich die von den Straßenbenützern verursachten Feuchtigkeitsschäden (die auch ohne Salzstreuung am Haus der Kläger entstehen) von denjenigen trennen lassen, die auf die Salzstreuung zurückzuführen sind (denkbar wäre etwa eine um Jahre vorverlegte Notwendigkeit der Renovierung der Fassade) ist eine im zweiten Rechtsgang zu klärende Tatfrage.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
6