JudikaturJustiz6Ob105/18m

6Ob105/18m – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. August 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. M***** R*****, vertreten durch Dr. Helmut Destaller und andere Rechtsanwälte in Graz, und deren Nebenintervenienten Dr. G***** R*****, vertreten durch Mag. Karl Peter Resch, Rechtsanwalt in Knittelfeld, gegen die beklagte Partei S*****gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 31.486,96 EUR sA und Feststellung über den Revisionsrekurs der Nebenintervenientin A*****, vertreten durch Dr. Peter Schaden und Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in Graz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 11. April 2018, GZ 2 R 50/18t 111, mit dem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 7. März 2018, GZ 34 Cg 80/14y 107, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben .

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird

Der Kläger ist schuldig, der Nebenintervenientin die mit 3.649,32 EUR (darin 608,22 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger verletzte sich am 14. 2. 2013 beim Schifahren an der rechten Hand und begab sich noch am selben Tag in das Landeskrankenhaus ***** (LKH), dessen Trägerin die Beklagte ist. Nachdem er dort mehrere Wochen behandelt worden war, indem ihm ein Kahnbeingips angelegt wurde, suchte er am 13. 5. 2013 das Unfallkrankenhaus ***** (UKH) auf, dessen Trägerin die Nebenintervenientin ist, wo die bisherige Therapie zunächst weitergeführt wurde; erst am 6. 9. 2013 wurde eine Operation vorgenommen.

Nach den (im Instanzenzug noch nicht überprüften) Feststellungen des Erstgerichts in seinem Urteil vom 22. 12. 2017 erfolgten weder die Behandlung im LKH noch jene im UKH lege artis. Die Ärzte im LKH hätten spätestens bei der ersten ambulanten Kontrolle am 1. 3. 2013 die Fehlstellung des Kahnbeinbruchs erkennen und eine operative Einrichtung und Stabilisierung des Bruchs durchführen müssen; durch das Zuwarten mit der Operation sei es trotz Ruhigstellung im Gips zur Bildung einer Zyste im Bruchbereich und einer Pseudarthrose (Falschgelenk) der Fraktur gekommen. Die Ärzte im UKH hätten die Operation sofort und nicht erst am 6. 9. 2013 durchführen müssen; darüber hinaus sei bei der Operation eine zu lange Schraube eingesetzt worden, wodurch an den benachbarten Knochen zunehmende Veränderungen aufgetreten seien.

Die Nebenintervenientin war bereits zu Beginn dieses Verfahrens auf Seite des Beklagten beigetreten; diese habe ihr den Streit verkündet und die mögliche Geltendmachung von Regressansprüchen in den Raum gestellt.

Mit dem bereits erwähnten Urteil des Erstgerichts verpflichtete dieses die Beklagte (insoweit rechtskräftig) zur Zahlung von 2.300 EUR an Schmerzengeld aufgrund der verfehlten Behandlung des Klägers im LKH und wies das Mehrbegehren von 29.186,96 EUR sowie das Feststellungsbegehren ab. Die Beklagte habe für die Fehler der Ärzte im UKH nicht einzustehen, weil eine Solidarhaftung im Hinblick auf die bloß fahrlässige Verursachung des Schadens beim Kläger nicht gegeben sei; die Fehler der behandelnden Ärzte im LKH und im UKH seien eindeutig abgrenzbar. Im Übrigen sei auch der Adäquanzzusammenhang zwischen der Fehlbehandlung im LKH und jener im UKH unterbrochen worden, habe doch der Kläger einen im LKH bereits fixierten Operationstermin eigenständig abgesagt.

Gegen dieses Urteil erhoben sowohl der Kläger als auch die Nebenintervenientin fristgerecht Berufungen und beantragten jeweils, es wolle dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werden. Gleichzeitig mit ihrer Berufung widerrief die Nebenintervenientin ihren ursprünglichen Beitritt auf Seiten der Beklagten und trat nunmehr dem Verfahren auf Seiten des Klägers bei. Sie habe ein rechtliches Interesse daran, weder vom Kläger noch von der Beklagten in Anspruch genommen zu werden. Im angefochtenen Urteil würden die Schmerzen des Klägers aufgrund der Verzögerung einer Operation, die nur zwei bis drei Wochen nach dessen Unfall „optimal“ möglich gewesen sei, dem UKH allein zugerechnet, obwohl dieser Schaden tatsächlich von den Ärzten des LKH allein verursacht worden sei. Der Kläger sei erst Monate nach dem Unfall und damit lange nach dem „optimalen Zeitfenster“ für die Operation im UKH vorstellig geworden, womit dieser Schaden offenkundig nicht von den Ärzten des UKH verursacht worden sei. Die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts gehe sowohl zu Lasten der Nebenintervenenientin als auch zu Lasten des Klägers. Die Nebenintervenientin habe aber ein rechtliches Interesse daran, nicht für einen Schaden verantwortlich gemacht zu werden, den ihre Ärzte nicht verursacht haben.

Der Kläger beantragte die Zurückweisung dieser Nebenintervention. Die Nebenintervenientin habe kein rechtliches Interesse an seinem Obsiegen und erkläre das rechtliche Interesse auch nicht schlüssig. Eine allenfalls folgende Auseinandersetzung zwischen ihr und der Beklagten sei nicht Prozessgegenstand. Sie spreche sich zwar in ihrer Berufung vorgeblich für eine Klagsstattgebung aus, inhaltlich wolle sie sich damit aber bloß dem Regress der Beklagten entziehen.

Das Erstgericht ließ den Beitritt als Nebenintervenientin auf Klagsseite zu. Es sei zwar kein rechtliches Interesse der Nebenintervenientin gegeben, soweit sie sich darauf stütze, dass in diesem Verfahren kein Behandlungsfehler des UKH festgestellt werde; das Interesse an der Erzielung bestimmter Beweisergebnisse reiche nicht. Allerdings habe der Kläger in Aussicht gestellt, sie für den Fall, dass er nicht gegen die Beklagte weitergehend obsiege, direkt in Anspruch zu nehmen, womit der Nebenintervenientin ein rechtliches Interesse daran zuzubilligen sei, derartige Ansprüche durch eine Beteiligung am Verfahren auf Seiten des Klägers abzuwehren, auch wenn sie sich damit der Gefahr einer Regressnahme durch die Beklagte aussetze. Bei einer drohenden Inanspruchnahme von beiden Seiten müsse es der Einschätzung der Nebenintervenientin überlassen bleiben zu entscheiden, welche Ansprüche ihr wahrscheinlicher erscheinen und welche Partei sie daher unterstützen wolle.

Das Rekursgericht wies den Beitritt der Nebenintervenientin auf Seiten des Klägers zurück und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist; seine Entscheidung könnte als Verstoß gegen den Rechtssatz verstanden werden, dass der Nebenintervenient die Wahl habe zu entscheiden, auf welcher Seite er beitritt, wenn seine Inanspruchnahme durch beide Seiten je nach Prozessausgang denkbar ist. In der Sache selbst verneinte das Rekursgericht allerdings eine solche Konstellation, weil die Nebenintervenientin bloß an der Beantwortung von Tat- und Rechtsfragen mitwirken wolle, um mit diesen Verfahrensergebnissen einen weiteren (gegen sie möglichen) Zivilprozess zu vermeiden; damit würden aber nur ihre wirtschaftlichen Interessen berührt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Nebenintervenientin ist zulässig; er ist auch berechtigt.

1. Nach § 17 ZPO kann, wer ein rechtliches Interesse daran hat, dass in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreite die eine Person obsiege, dieser Partei im Rechtsstreite beitreten, wobei es ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entspricht, dass ein „Seitenwechsel“ des Nebenintervenienten durch Widerruf seines Beitritts auf Seiten einer Partei und Beitritt auf Seiten der anderen Prozesspartei zulässig ist (RIS-Justiz RS0125602), und zwar in jeder Lage des Verfahrens (7 Ob 13/16m [Revisionsverfahren]).

2. Ein rechtliches Interesse hat der Nebenintervenient dann, wenn die Entscheidung unmittelbar oder mittelbar auf seine privat- oder öffentlichrechtlichen Verhältnisse rechtlich günstig oder ungünstig einwirkt; es muss allerdings ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse hinausgeht (RIS-Justiz RS0035724 ).

Ein rechtliches Interesse ist insbesondere im Falle drohender Regressnahme in einem Folgeprozess als Folge des Prozessverlusts der streitverkündenden Partei im Hauptprozess zu bejahen (RIS-Justiz RS0106173 [T1] ), während das Interesse an einer bestimmten Beweislage und/oder an der Lösung von Rechtsfragen in einem Musterprozess nur wirtschaftliche Interessen berührt und daher eine Nebenintervention nicht rechtfertigt (RIS Justiz RS0035565 ).

Bei der Beurteilung, ob ein solches rechtliches Interesse besteht, ist allgemein kein strenger Maßstab anzulegen; es genügt, dass der Streit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berührt (RIS-Justiz RS0035638 ) und sich daraus ein rechtlich begründeter Anlass ergibt, das Obsiegen einer Partei herbeizuführen (RIS-Justiz RS0035638 [T5]). Im Allgemeinen wird ein rechtliches Interesse dann gegeben sein, wenn durch das Obsiegen der Hauptpartei die Rechtslage des Dritten verbessert oder durch deren Unterliegen verschlechtert wird (RIS-Justiz RS0035724 [T3]).

3. Ist angesichts des Prozessvorbringens der Streitteile eine Inanspruchnahme des Dritten je nach dem Prozessausgang durch den schließlich Unterlegenen denkbar, so kann dieser wählen, auf wessen Seite er dem Verfahren als Nebenintervenient beitritt (RIS-Justiz RS0117330). Eine solche Konstellation liegt hier vor:

3.1. Wird das Urteil des Erstgerichts vom 22. 12. 2017 im Instanzenzug bestätigt, ist die Nebenintervenientin – wie vom Kläger bereits angekündigt – der Geltendmachung seiner Ansprüche aufgrund des Verhaltens der Ärzte im UKH ausgesetzt. Aus diesem Grund bekämpft die Nebenintervenientin in ihrer Berufung (unter anderem) die Auffassung des Erstgerichts, es sei der Adäquanzzusammenhang zwischen der Fehlbehandlung im LKH und jener im UKH unterbrochen worden, was zu einer solidarischen Haftung der Beklagten und Nebenintervenientin führen würde. Darüber hinaus vertritt sie die Auffassung, durch das Versäumen des „optimalen Zeitfensters“ für die Operation im LKH habe die Beklagte auch für die weiteren Folgen einzustehen. Und schließlich argumentiert die Nebenintervenientin dahin, es liege nicht außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung, dass sich ein durch Ärzte verursachter Gesundheitsschaden (Verzögerung der Operation) im Rahmen einer Folgebehandlung durch andere Ärzte vergrößern kann, weshalb der gesamte Schaden des Klägers sowohl der Beklagten als auch der Nebenintervenientin zuzurechnen sei. Entgegen dem Rekursgericht macht die Nebenintervenientin damit nicht bloß ein wirtschaftliches, sondern ein rechtliches Interesse am Obsiegen des Klägers geltend, nämlich dass tatsächlich die Beklagte für sämtliche eingetretenen Schäden des Klägers zu haften hat.

3.2. Kommt es hingegen zu einer Abänderung des Urteils durch die Instanzgerichte im Sinn einer (weitergehenden) Klagsstattgebung gegenüber der Beklagten, sieht sich die Nebenintervenientin deren – ebenfalls bereits angekündigten – Regressforderungen ausgesetzt. Dass ein rechtliches Interesse im Falle drohender Regressnahme in einem Folgeprozess als Folge des Prozessverlusts der streitverkündenden Partei im Hauptprozess zu bejahen ist, entspricht ständiger Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0106173 [T1] ).

3.3. Damit konnte die Nebenintervenientin aber im Sinn der zitierten Rechtsprechung, der sich auch bereits der erkennende Senat angeschlossen hat (6 Ob 62/13f [ErwG 4.4.]), wählen, ob sie dem Kläger oder der Beklagten zum Prozessgewinn verhelfen will (vgl auch 8 Ob 2/14y ZRB 2014, 199 [ Wenusch ]), ist sie doch – je nach Verfahrensausgang – einer der beiden Parteien gegenüber regresspflichtig. Dass die Nebenintervenientin dabei – wie der Kläger in seiner Revisionsrekursbeantwortung meint – „mit dem Frontenwechsel gänzlich andere Ziele als [ der Kläger verfolgt und ] versucht, die vom Erstgericht geschaffene Tatsachengrundlage zu Lasten [ des Klägers ] zu untergraben“, mag zwar (auch) sein; dies ändert aber nichts daran, dass aufgrund der vom Erstgericht festgestellten Ankündigung des Klägers vom 27. 4. 2017, für den Fall des Prozessverlusts werde eine gerichtliche Inanspruchnahme der Nebenintervenientin erfolgen, diese plausibel dargestellt hat, dass sie mit der ernsthaften Möglichkeit ihrer künftigen Inanspruchnahme rechnen muss (6 Ob 140/12z [ErwG 4.1. und 4.2.]).

4. Damit war der Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Bei dieser Entscheidung war von einer Kostenbemessungsgrundlage von 34.386,96 EUR und damit im Rekursverfahren von einem Ansatz von 979,80 EUR auszugehen; da am Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Beitritts der Nebenintervenientin auf Klagsseite nur der Kläger und die Nebenintervenientin beteiligt waren, steht ein Streitgenossenzuschlag nicht zu.

Rechtssätze
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