JudikaturJustiz6Ob10/24z

6Ob10/24z – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer Zeni Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. DI E* H*, geboren am *, 2. H* E*, geboren am *, 3. A* N*, geboren am *, 4. R* M*, geboren am *, alle vertreten durch Dr. Walter Hausberger und andere Rechtsanwälte in Lienz, wider die beklagten Parteien 1. Dr. R* S*, geboren am *, 2. F* S*, geboren am *, beide vertreten durch Dr. Gerhard Seirer und Mag. Herbert Weichselbraun, Rechtsanwälte in Lienz, wegen Einwilligung in die Einverleibung von Eigentumsrechten, über die „außerordentliche Revision“ der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 17. Oktober 2023, GZ 5 R 157/23h 33, womit das Urteil des Bezirksgerichts Lienz vom 13. Juni 2023, GZ 2 C 110/22z 29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.

Text

Begründung:

[1] In einem zwischen den Streitteilen geführten Vorprozess schlossen diese einen gerichtlichen Vergleich über die Realteilung einer in ihrem Miteigentum stehenden Liegenschaft.

[2] Die Klägerinnen begehren, die Beklagten zu verpflichten, in die Einverleibung des Eigentumsrechts der Klägerinnen an einem von der Gesamtliegenschaft abzuschreibenden Teil der Liegenschaft, für welchen eine neue Einlagezahl eröffnet werde, gemäß einer dem Urteil angeschlossenen Urkunde in Ergänzung zum gerichtlichen Vergleich des Vorprozesses einzuwilligen.

[3] Die Klägerinnen bewerteten ihr Begehren mit 14.000 EUR.

[4] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

[6] Gegen dieses Urteil richtet sich die „außerordentliche Revision“ der Beklagten, die das Erstgericht dem Obersten Gerichtshof vorlegte.

[7] Diese Aktenvorlage ist verfehlt.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revisionswerber meinen, beim Bewertungsausspruch des Berufungsgerichts liege eine krasse Unterbewertung vor, an die der Oberste Gerichtshof nicht gebunden sei. Vielmehr liege der Wert des Entscheidungsgegenstands über 30.000 EUR, sodass der Oberste Gerichtshof die Revision als außerordentliche zu behandeln habe.

[9] 1.1. Der Bewertungsausspruch ist grundsätzlich unanfechtbar und für den Obersten Gerichtshof bindend ( RS0042385 ; RS0042410 ; RS0042515 ), es sei denn das Berufungsgericht hätte zwingende Bewertungsvorschriften verletzt, eine offenkundige Fehlbewertung vorgenommen oder eine Bewertung hätte überhaupt unterbleiben müssen ( RS0042450 [T8]; RS0109332 [T1]; RS0042410 [T28]).

[10] 1.2. Das Berufungsgericht ist an die Bewertung des Klägers nach § 56 Abs 2 JN nicht gebunden ( RS0043252 ; RS0042296 ). Es kann den Wert des Entscheidungsgegenstands zwar nicht willkürlich festsetzen, dem Berufungsgericht steht aber ein Ermessensspielraum offen. Sein Ermessen ist ein gebundenes Ermessen, das sich an den für die Bewertung des Streitgegenstands normierten Grundsätzen zu orientieren hat (5 Ob 102/15h). Bestehen keine zwingenden Bewertungsvorschriften, so hat sich die Bewertung am objektiven Wert der Streitsache zu orientieren (RS0118748 [T1]). Das Berufungsgericht darf daher den Wert des Entscheidungsgegenstands – bezogen auf den objektiven Wert der Streitsache – weder übermäßig hoch noch übermäßig niedrig ansetzen; ist eine solche Fehlbeurteilung offenkundig, dann ist der Oberste Gerichtshof daran nicht gebunden (RS0118748).

[11] 1.3. Die Beklagten vermögen mit ihrem Hinweis auf den im erstinstanzlichen Verfahren verlesenen Akt des Vorprozesses und das dort eingeholte Sachverständigengutachten, in dem (auch) der Verkehrswert der Liegenschaft ermittelt wurde, eine Überschreitung des Ermessensspielraums durch das Berufungsgericht bei der Bewertung des Entscheidungsgegenstands nicht aufzuzeigen. Dieses Gutachten, dem unter anderem die Beurteilung der Liegenschaft als „Bauerwartungsland“ zugrunde lag, wurde im Vorprozess vom Gericht als ungenügend erachtet, weil trotz mündlicher Erörterung erhebliche Zweifel an der Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit des gesamten Gutachtens sowie der fachlichen Eignung der Sachverständigen bestanden. Insbesondere hinsichtlich des Fragenkreises der Bewertung der Liegenschaft zeigte sich für den dortigen Richter ein teils eindeutiges – jedoch von diesen nicht offengelegtes – Unwissen der Sachverständigen und eine völlige Widersprüchlichkeit ihrer Ausführungen. Wäre der Vorprozess nicht durch den Vergleich beendet worden, wäre dort ein neues Gutachten eingeholt worden, in dem die Beurteilung (unter anderem des Verkehrswerts) entsprechend der landwirtschaftlichen Nutzung erfolgen hätte sollen.

[12] 1.4. Eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende offenkundige Unterbewertung durch das Berufungsgericht liegt somit nicht vor.

[13] 2. Die Zulässigkeit der Revision richtet sich daher nach § 502 Abs 3 ZPO, weil der berufungsgerichtliche Entscheidungsgegenstand zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen ist auch ein außerordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. Eine Partei kann in einem solchen Fall nur gemäß § 508 Abs 1 ZPO einen Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahingehend abzuändern, dass das ordentliche Rechtsmittel doch für zulässig erklärt werde. Mit demselben Schriftsatz ist das ordentliche Rechtsmittel auszuführen. Dieser Antrag, verbunden mit dem ordentlichen Rechtsmittel, ist beim Prozessgericht erster Instanz einzubringen und gemäß § 508 Abs 3 und 4 ZPO vom Rechtsmittelgericht zu behandeln. Erhebt in den dargestellten Fällen eine Partei ein Rechtsmittel, so ist dieses gemäß § 507b Abs 2 ZPO dem Gericht zweiter Instanz vorzulegen. Das gilt auch dann, wenn das Rechtsmittel als „außerordentliches“ Rechtsmittel bezeichnet wird und wenn es an den Obersten Gerichtshof gerichtet ist; auch dieser darf hierüber nur und erst entscheiden, wenn das Gericht zweiter Instanz gemäß § 508 Abs 3 ZPO ausgesprochen hat, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig sei.

[14] 3. Das Erstgericht wird somit das Rechtsmittel dem Berufungsgericht vorzulegen haben, das über den hilfsweise gestellten Antrag auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs nach § 508 ZPO zu entscheiden haben wird (vgl 6 Ob 96/23w).

Rechtssätze
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