JudikaturJustiz4Ob602/88

4Ob602/88 – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. November 1988

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach Helmut N***, geboren am 12. März 1923 in Linz, gestorben am 3. Juli 1988, zuletzt Pensionist, Linz, Schratzstraße 4/3, vertreten durch Dr. Bruno Binder und Dr. Helmut Blum, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Christine N***, geboren am 28. März 1925 in Linz, Pensionistin, Linz, Leonfeldner Straße 122, vertreten durch Dr. Walter Rinner, Rechtsanwalt in Linz, wegen Nichtigerklärung und Wiederaufnahme des Ehescheidungsverfahrens 3 Cg 122/80 des Landesgerichtes Linz infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 30. August 1988, GZ 1 R 30/88-31, womit der Revisionsrekurs der beklagten Partei und die Revisionsrekursbeantwortung der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 8. Juni 1988, GZ 1 R 30/88-24, zurückgewiesen wurden, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Rekurs wird, soweit er sich gegen die Kostenentscheidung des Rekursgerichtes richtet, zurückgewiesen.

Im übrigen wird dem Rekurs nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat ihre Rekurskosten selbst zu tragen. Die Rekursbeantwortung wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit rechtskräftigem Urteil des Erstgerichtes vom 3. November 1980, 3 Cg 122/80-14, wurde die Ehe der Beklagten und des Helmut N*** aus dem Alleinverschulden des Ehemannes geschieden. Am 12. Februar 1986 bestellte das Bezirksgericht Linz für Helmut N*** wegen organischer Demenz und paranoider, sich auf die Beklagte beziehender Wahnvorstellungen eine Sachwalterin für den Umgang mit Ämtern und Behörden, für finanzielle Angelegenheiten und für alle Angelegenheiten, die das Verhältnis zur Beklagten betreffen. Am 5. November 1986 regte die Sachwalterin die Einholung eines Ergänzungsgutachtens darüber an, ob Helmut N*** im Ehescheidungsverfahren noch in der Lage war, seine Angelegenheiten selbst zu regeln. In diesem Ergänzungsgutachten, dessen Zustellung an die Sachwalterin am 12. Jänner 1987 verfügt wurde, wurde ausgeführt, daß schon zur Zeit des Scheidungsverfahrens bei Helmut N*** paranoide Mechanismen wirksam gewesen sein müßten; Helmut N*** sei den Anforderungen des Ehescheidungsverfahrens wegen seiner Wahnideen nicht gewachsen gewesen.

In der am 18. Februar 1987 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte Helmut N*** im Hinblick auf dieses Ergänzungsgutachten die Nichtigerklärung des Scheidungsurteiles und des diesem vorangegangenen Verfahrens aus dem Grunde des § 529 Abs 1 Z 2 ZPO; hilfsweise beantragte er die Wiederaufnahme des Ehescheidungsverfahrens gemäß § 530 Abs 1 Z 7 ZPO. Er sei erst jetzt in der Lage nachzuweisen, daß ihm sein ehewidriges Verhalten wegen seiner geistigen Erkrankung nicht als schuldhafte Eheverfehlung angelastet werden könne.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Die Fehlentwicklung Helmut N*** habe erst nach dem Abschluß des Ehescheidungsverfahrens begonnen.

Das Erstgericht wies die Klage nach mündlicher Streitverhandlung - mit dem Urteil - wegen Verspätung ab. Das Rekursgericht hob diese Entscheidung des Erstgerichtes mit Beschluß vom 8. Juni 1988 auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche, nach Verfahrensergänzung zu fällende Sachentscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Abweisungsgrund (richtig: Zurückweisungsgrund) auf; weiters sprach es aus, daß das Verfahren in erster Instanz erst nach Eintritt der Rechtskraft seines Beschlusses fortzusetzen sei. Die Entscheidung des Erstgerichtes sei in Wahrheit ein Beschluß, mit dem beide Klagebegehren als verspätet zurückgewiesen worden seien (§ 538 Abs 1, § 543 ZPO); tatsächlich falle aber dem Nichtigkeits- und Wiederaufnahmskläger keine Überschreitung der Klagefrist gemäß § 534 Abs 1 ZPO zur Last. Das Erstgericht werde daher die geltend gemachten Anfechtungsgründe zu prüfen haben. Diese Entscheidung wurde den Vertretern der Parteien am 20. Juni 1988 zugestellt.

Helmut N*** starb am 3. Juli 1988. Mit Beschluß vom 6. Juli 1988 sprach das Erstgericht aus, daß gemäß § 460 Z 8 ZPO das Verfahren in Ansehung der Hauptsache als erledigt anzusehen sei. Nach der Zustellung dieses Beschlusses erhob die Beklagte gegen den Beschluß des Rekursgerichtes vom 8. Juni 1988 einen Revisionsrekurs. Die nunmehr klagende Partei "Verlassenschaft nach Helmut N***" beantragte in der Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs der Beklagten nicht Folge zu geben.

Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Rekursgericht den Revisionsrekurs der Beklagten und die Revisionsrekursbeantwortung der Klägerin zurück sowie die darin gestellten Kostenanträge ab; weiters erkannte es die Beklagte schuldig, der Klägerin die mit S 7.357,35 bestimmten Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz zu ersetzen. Gemäß § 460 Z 8 ZPO sei in Ehesachen der Rechtsstreit in Ansehung der Hauptsache als erledigt anzusehen, wenn einer der Ehegatten vor der Rechtskraft des Urteils stirbt. Diese Bestimmung sei nicht nur auf unmittelbare Ehesachen, sondern sinngemäß auch auf Verfahren auf Grund von Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklagen bezüglich Ehesachen anzuwenden; auch in diesen Verfahren seien die noch nicht rechtskräftigen Sachentscheidungen wirkungslos. Somit verbleibe es bei dem im Vorprozeß ergangenen Ausspruch der Ehescheidung. Auf diesen habe der nachträgliche Tod des Ehemannes keinen Einfluß. Der Revisionsrekurs der Beklagten sei somit unzulässig, weil der Rechtsstreit in Ansehung der Hauptsache als erledigt anzusehen sei. Über die Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz habe jedoch wegen der ausdrücklichen Anordnung in § 460 Z 8 ZPO entschieden werden müssen. Da davon auszugehen sei, daß Helmut N*** bereits im Scheidungsverfahren eines gesetzlichen Vertreters bedurft hätte und dieser Umstand auch rechtzeitig geltend gemacht wurde, habe die Beklagte der Verlassenschaft diese Prozeßkosten zu ersetzen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und über ihren Revisionsrekurs gegen den Beschluß des Rekursgerichtes vom 8. Juni 1988 zu entscheiden; für den Fall der Bestätigung beantragt die Beklagte, hilfsweise, die Rechtssache zur Fortsetzung des Verfahrens über die Kosten an das Erstgericht zurückzuverweisen. Die von der Klägerin erstattete Rekursbeantwortung ist unzulässig. Die Aufzählung der zweiseitigen Rekurse in § 521 a ZPO ist erschöpfend (Fasching ZPR Rz 1966; 5 Ob 97/85; 6 Ob 517/88; 5 Ob 565/88; 6 Ob 631/88). Demnach sind nur Rekurse gegen Endbeschlüsse, Aufhebungsbeschlüsse nach § 519 Abs 1 Z 3 ZPO oder Beschlüsse, mit denen eine Klage nach Eintritt der Streitanhängigkeit zurückgewiesen oder ein Antrag auf Zurückweisung der Klage verworfen worden ist, zweiseitig. Ein Beschluß, mit dem das Rekursgericht als Durchgangsgericht ein Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen hat, fällt hingegen auch dann nicht darunter, wenn das zurückgewiesene Rechtsmittel zweiseitig war. Die unzulässige Rekursbeantwortung war daher zurückzuweisen. Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die Beklagte vertritt in ihrem Rechtsmittel die Auffassung, daß sich § 460 Z 8 ZPO nur auf das eigentliche Verfahren in Ehesachen, nicht aber auf das Verfahren über eine Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsklage betreffend eine Ehesache beziehe; sie bekämpft auch die Kostenentscheidung des Rekursgerichtes (mit Ausnahme jener über die Kosten des Revisionsrekurses und der Revisionsrekursbeantwortung). Der Argumentation der Beklagten kann jedoch nicht gefolgt werden:

Gemäß § 460 Z 8 ZPO ist in Ehesachen der Rechtsstreit in Ansehung der Hauptsache als erledigt anzusehen, wenn einer der Ehegatten vor der Rechtskraft des Urteils stirbt. Der Rechtsstreit kann nur noch wegen der Verfahrenskosten fortgesetzt werden; ein bereits ergangenes Urteil ist wirkungslos. Diese dem ehemaligen § 81 der 1. DVEheG entsprechende Vorschrift wurde durch Art. VI Z 2 BG über Änderungen des Personen-, Ehe- und Kindschaftsrechts (BGBl. 1983/566) in die ZPO eingefügt und ist gemäß Art. 10 Z 4 dieses Gesetzes auf Eheverfahren anzuwenden, in denen die mündliche Streitverhandlung erster Instanz nach dem 31. Dezember 1983 geschlossen worden ist. Auch im Verfahren über Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsklagen betreffend eine Ehesache finden - ausgenommen das Vorprüfungsverfahren gemäß §§ 533 ff ZPO, in dem nur die Spezialvorschriften für die Rechtsmittelklagen gelten - die Sondervorschriften des Eheverfahrens Anwendung (Fasching Komm IV 479; Fasching LB Rz 2041). Wurde die Ehe im Vorprozeß aufgelöst und stirbt ein Ehepartner während des Aufhebungsverfahrens, dann ist in sinngemäßer Anwendung des § 460 Z 8 ZPO der Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsprozeß "einzustellen" (Fasching Komm VI 480; JBl 1956, 342); er kann nur wegen der Kosten fortgesetzt werden. § 460 Z 8 ZPO ergibt sich aus dem Wegfall des mit dem Scheidungsbegehren verfolgten Anspruches auf Auflösung der Ehe durch den Tod eines Ehegatten; auch im Verfahren über eine Rechtsmittelklage kann das damit angestrebte Ziel, die Wirkungen eines Scheidungsurteils zu beseitigen, nicht mehr erreicht werden, wenn ein Ehegatte im Zuge des Verfahrens über die Rechtsmittelklage gestorben ist.

Im vorliegenden Fall befand sich das Verfahren über die Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage im Zeitpunkt des Todes Helmut N*** nicht mehr im Stadium des Vorprüfungsverfahrens; § 460 Z 8 ZPO war daher bereits anzuwenden. Das bedeutet, daß der mit dieser Klage erhobene Anspruch erledigt ist und die Entscheidungen der Vorinstanzen wirkungslos sind. Der Revisionsrekurs der Beklagten war daher - wie das Rekursgericht richtig erkannt hat - unzulässig (EFSlg 10.390; 6 Ob 527/85).

Die Befugnis des Gerichtes zweiter Instanz, unzulässige Revisionsrekurse gemäß § 523 Satz 1 ZPO zurückzuweisen, wird in ständiger Rechtsprechung bejaht (EvBl 1986/139 ua); solche Entscheidungen des Gerichtes zweiter Instanz unterliegen aber den in § 528 Abs 1 ZPO normierten Rechtsmittelausschlüssen (JBl 1985, 113; EvBl 1986/139). Der gemäß § 528 Abs 1 Z 2 ZPO unzulässige Rekurs im Kostenpunkt war daher zurückzuweisen.

Im übrigen war dem Rekurs ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Rekurskosten gründet sich auf §§ 40, 50 ZPO.