JudikaturJustiz4Ob217/23z

4Ob217/23z – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Dezember 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka und die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C* GmbH, *, Deutschland, vertreten durch die CMS Reich Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. B* Ltd, *, England, *, vertreten durch Mag. Nikolaus Bauer, Rechtsanwalt in Wien, und 2. J*, USA, wegen Unterlassung, Beseitigung, Rechnungslegung, Zahlung, Urteilsveröffentlichung und Auskunft (Gesamtstreitwert 70.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 29. September 2023, GZ 5 R 110/23t 49, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin, eine (klagebefugte) Lizenznehmerin für Parfum- und Kosmetikprodukte, wirft den Beklagten eine Verletzung von Rechten aus nationalen und Unionsmarken vor, weil sie entgegen § 10b MSchG nicht für den EWR bestimmte Originalprodukte in Österreich in Verkehr bringen würden.

[2] Bei der Erstbeklagten handelt es sich um eine Limited nach englischem Recht, wobei im Revisionsrekursverfahren keine Anhaltspunkte vorliegen, dass die Hauptverwaltung nicht in England stattfinden würde , sodass sich keine Fragen der Rechtsfähigkeit stellen (s dazu RS0134015). Die (nicht am Rechtsmittelverfahren beteiligte, in den USA wohnhafte ) Zweitbeklagte war nach dem V orbringen bei Klagseinbringung Geschäftsführerin (Director) und Hauptgesellschafterin .

[3] Während das Erstgericht von wirksamen Zustellungen der verfahrenseinleitenden Schriftsätze , einer (einseitig erlassenen) einstweiligen Verfügung sowie eines Versäumungsurteils an beide Beklagten ausging, jeweils die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit bestätigte und Anträge der Erstbeklagten nach § 7 Abs 3 EO und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück- bzw abwies, gab das Rekursgericht einem dagegen gerichteten Rechtsmittel Folge und den Anträgen der Erstbeklagten auf Zustellung der Klage, des Auftrags zur Klagebeantwortung und des Versäumungsurteils sowie auf Aufhebung der Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung hinsichtlich des Versäumungsurteils statt. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[4] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf und ist daher nicht zulässig .

[5] 1. Soweit das Rechtsmittel damit argumentiert, dass die Erstbeklagte ihren Online-Shop im Inland betreibe und an der Adresse laut Klage eine Zweigniederlassung oder Betriebsstätte iSd § 2 Z 4 ZustG unterhalte, entfernt es sich – unzulässiger Weise, vgl RS0043312 ; RS0043603 – von den Ergebnissen des Erhebungsverfahrens.

[6] Voraussetzung für eine betriebliche Abgabestelle iSd § 2 Z 4 ZustG ist eine wirtschaftliche Organisationseinheit, an der sich der Empfänger (bzw bei juristischen Personen ein iSd § 13 Abs 3 ZustG befugter Vertreter) regelmäßig aufhält (vgl RS0083915 ; RS0122088 ), was hier gerade nicht der Fall ist.

[7] Nach den erstgerichtlichen Feststellungen enthält der unter www.e*.at erreichbare Onlineshop der Erstbeklagten zwar mehrere „Hinweise“ auf einen Standort im Inland, den sie ebenso im Zusammenhang mit ihrer UID anführt und an dem auch „ein Teil ihrer Geschäftstätigkeit stattfindet“, allerdings nur die Entgegennahme von Retourware. Die Voraussetzungen für einen Sitz (bzw eine Wohnung der Zweitbeklagten), eine Zweigniederlassung oder eine Betriebsstätte und damit eine Abgabestelle iSd § 2 Z 4 ZustG verneinte das Erstgericht jedoch. An der auf der Website ua als „Postanschrift“ angeführten Adresse ist nach den Erhebungsergebnissen tatsächlich ein anderes Unternehmen ansässig, das Büros vermietet und etwa die Versandvorbereitung und Postaufgabe für Dritte übernimmt und von einer Vertragspartnerin der Erstbeklagten mit der Entgegennahme und Weiterleitung von Warenrücksendungen an diese betraut worden war. Weiters steht ausdrücklich fest, dass die Erstbeklagte ihre Vertragspartnerin mit der Entgegennahme von Warensendungen in Form von Paketen beauftragte, eine solche von Briefpost jedoch untersagte, und diese Einschränkungen auch an das vor Ort ansässige Sub-Unternehmen weitergegeben wurden.

[8] 2. Davon ausgehend ist aber die Rechtsansicht des Rekursgerichts, das eine Abgabestelle ebenso wie das Vorliegen einer Postvollmacht iSd § 13 Abs 2 ZustG im Einzelfall verneinte, jedenfalls vertretbar.

[9] Zwar verlangt die ständige Rechtsprechung nicht, dass die Bevollmächtigung gegenüber der Post erklärt werden muss, sondern sie muss nur gegenüber der Post bestehen, sodass sie durch Erklärung gegenüber dem Vertreter begründet werden kann, und zwar auch bloß schlüssig (vgl RS0106117 ; RS0106118 [insb T1]; 8 Ob 139/22g ; 5 Ob 63/21g ). Der Oberste Gerichtshof hat daher etwa bereits zu 1 Ob 246/00h eine Zustellung an den „jeweils tätigen Landesbediensteten der Einlaufstelle einer Bezirkshauptmannschaft“ im Wege einer konkludenten Vollmacht für wirksam erachtet.

[10] Weder für den Abschluss eines Bevollmächtigungsvertrags, noch für den Widerruf einer Vollmacht besteht zudem Formzwang (vgl RS0019359), und die ständige Rechtsprechung kennt sogar ein konkludentes Abgehen von Formvorbehalten (vgl RS0038673 ). Bei der Beurteilung von Handlungen auf ihren konkludenten Aussagegehalt ist jedoch zu bedenken, dass dieser iSd § 863 ABGB eindeutig in eine bestimmte Richtung weisen muss und kein vernünftiger Grund übrig sein darf, daran zu zweifeln, dass ein Rechtsfolgewille in bestimmter Richtung vorliegt ( RS0014150 ; vgl auch RS0013947 ). Ob eine konkludente Willenserklärung vorliegt und welchen Inhalt sie gegebenenfalls hat, ist regelmäßig einzelfallbezogen und begründet daher im Allgemeinen keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung (RS0109021 [T6]).

[11] Die Rechtsmittelwerberin, die unter Berufung auf den Webauftritt der Erstbeklagten mit einer konkludenten Postvollmacht argumentiert, vermag kein Abgehen von diesen Grundsätzen durch das Rekursgericht aufzuzeigen, das im Einzelfall die überbundenen Beschränkungen für maßgeblich erachtete, und entfernt sich erneut vom Akteninhalt, laut dem die vor Ort ansässige Bürodienstleisterin eine Übernahme der gerichtlichen RSb-Sendungen verweigerte und gerade nicht von einer dahingehenden Ermächtigung ausging.

[12] Nicht gefolgt werden kann der Rechtsmittelwerberin weiters darin, dass eine Beschränkung einer derartigen privatrechtlichen Vollmacht auf eine bestimmte Art der Sendung im Außenverhältnis unwirksam wäre, liegt insofern doch keine Formalvollmacht vor (wie etwa § 32 ZPO oder § 20 Abs 2 GmbHG).

[13] 3. Von der – auch konkludenten – Bevollmächtigung eines Vertreters durch den Empfänger ist die Erklärung des Empfängers gegenüber dem Zustelldienst iSd § 13 Abs 2 ZustG zu unterscheiden, bestimmte Personen zur Entgegennahme bestimmter Sendungen zu ermächtigen (vormals § 150 PostG; s dazu 9 ObA 91/91; zum Zustellbevollmächtigen s überdies § 9 ZustG, §§ 93 ff ZPO ).

[14] Eine dahingehende Erklärung wurde aber nicht einmal behauptet, und davon, dass die vor Ort ansässige Bürodienstleisterin sowie die Zusteller auf einen von den Beklagten gesetzten Anschein vertraut hätten, kann keine Rede sein, retournierten sie die gerichtlichen Sendungen doch mangels Abgabemöglichkeit an das Erstgericht. Daher erübrigt sich auch eine Auseinandersetzung mit der von der Klägerin aufgeworfenen Frage nach einer Anscheinsvollmacht im Zustellrecht.

[15] 4. Da kein Zustellstück vor Ort zurückgelassen wurde, gehen zudem sämtliche Ausführungen zu einer Heilung nach § 7 ZustG ins Leere.

[16] Ein Schriftstück gilt nach ständiger Rechtsprechung nämlich nur dann als „tatsächlich zugekommen“, wenn es in die Hände des Empfängers gelangt (vgl RS0083731 ); die bloße Kenntnis des Inhalts oder auch eine Akteneinsicht ersetzt nicht die Zustellung (vgl RS0083 711; RS00837 33).

[17] Zwar vertrat der Oberste Gerichtshof bereits die Auffassung, dass ein nachträgliches Berufen auf einen Zustellmangel dann nicht möglich sei, wenn „dem Zustellinhalt gemäß reagiert“ wurde, insbesondere eine Verfügung über das Schriftstück getroffen wurde und es zu einer „Heilung durch Einlassung“ gekommen ist, etwa bei Erhebung eines Rechtsmittels gegen die nicht oder nicht gesetzmäßig zugestellte Entscheidung (vgl RS0083731 [T9]).

[18] In concreto beschränkte sich die Erstbeklagte jedoch darauf, die Unwirksamkeit der Zustellungen geltend zu machen (ähnlich 8 Ob 69/07s ) und die versäumten Prozesshandlungen, nämlich die Klagebeantwortung und eine Nichtigkeitsberufung, im Rahmen ihres hilfsweisen Wiedereinsetzungsantrags nachzuholen. Bei der von der Rechtsmittelwerberin vertretenen Rechtsansicht würde jede Rüge eines Zustellmangels bereits zu dessen Heilung führen.

[19] 5. Soweit die Rechtsmittelwerberin schließlich mit einem „bösgläubigen System der Zustellvereitelung“ argumentiert, ist ihr entgegenzuhalten, dass eine Zustellung am Sitz der Erstbeklagten in England oder am Wohnsitz eines vertretungsbefugten Organs iSd § 13 Abs 3 ZustG bis dato noch nicht einmal versucht wurde, und auch nicht an einem allfällig davon abweichenden Ort der Hauptverwaltung, der von der Rechtsprechung bei sogenannten „reinen Briefkastenadressen“ bereits als Abgabestelle qualifiziert wurde ( RS0110127 ; 8 Ob 139/22g ). Von einem „Rosinenpicken“ kann ebensowenig gesprochen werden, ist doch keineswegs nachgewiesen, dass die vorab per E Mail versandten Abmahnschreiben den Beklagten postalisch zugegangen wären.

[20] Zutreffend verwies das Rekursgericht zudem auf § 20 ZustG, wonach das zuzustellende Dokument an der Abgabestelle zurückzulassen oder zu hinterlegen ist, um bei einer unberechtigten Annahmeverweigerung Rechtswirkungen zu entfalten (s dazu auch 8 ObA 295/95), was hier gerade nicht der Fall war.

[21] 6. Die Rekursentscheidung ist insoweit auch weder aktenwidrig noch mangelbehaftet. Dass die Erstbeklagte auf ihrer Website zwar auf eine Postanschrift im Inland, aber einen Sitz in England verweist, ergibt sich aus den – von der Klägerin unbestrittenen – Beilagen ./I und ./II. Das Erstgericht stellte weiters fest, dass die Sendungen nach dem ersten Zustellversuch als „unbekannt“ retourniert wurden, und übermittelte der Klägerin die Vollzugsberichte des Rechtshilfegerichts, laut denen die Zustellersuchen mangels Abgabestelle unerledigt rückübermittelt wurden. Inwiefern daher eine Überraschungsentscheidung des Rekursgerichts iSd §§ 182, 182a ZPO vorliegen soll, und welches zusätzliche Vorbringen zu ermöglichen gewesen wäre ( RS0037095 [T4]), lässt das Rechtsmittel offen.

[22] 7. In der Folge wird daher über die Nichtigkeitsberufung der Erstbeklagten zu entscheiden sein; auf § 469 Abs 3 ZPO wird verwiesen. Die Zustellungen im Provisorialverfahren sowie an die Zweitbeklagte waren nicht Thema des Revisionsrekursverfahrens.

[23] Im fortgesetzten Verfahren wird mit der Klägerin im Übrigen die territoriale Reichweite ihrer jeweiligen Klagebegehren zu erörtern sein (s dazu Art 125 f, 131 UMV).