JudikaturJustiz4Ob205/22h

4Ob205/22h – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Dezember 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, MMag. Matzka und Dr. Annerl sowie die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch die Edthaler Leitner Bommer Schmieder Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die beklagte Partei N*, vertreten durch Mag. Markus Miedl, LL.M., Rechtsanwalt in Linz, als gerichtlicher Erwachsenenvertreter, wegen Übergabe eines Bestandobjekts, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 20. Juli 2022, GZ 14 R 59/22b 16, womit das Urteil des Bezirksgerichts Linz vom 12. April 2022, GZ 9 C 1001/21h 12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 335,64 EUR (darin 55,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist eine kirchliche karitative Einrichtung, die Menschen in Not Krisenwohnungen zum Schutz vor Obdachlosigkeit anbietet. Dieses Krisenwohnprojekt ist dafür vorgesehen, dass man die Klienten zu anderen Wohnungsanbietern weitervermittelt, wobei auch eine sozialpädagogische Betreuung angeboten wird, welche unter anderem Gespräche und Vermittlungen im Zusammenhang mit der Erlangung einer neuen Wohnung, einem neuen Arbeitsplatz und der Eingliederung in das Alltagsleben umfasst. Grundsätzlich beträgt die Wohndauer in einer Krisenwohnung sechs Monate; in dieser Zeit sollte der Klient in der Lage sein eine andere Unterkunft zu finden.

[2] Der Beklagte wurde über eine Notschlafstelle an die Klägerin vermittelt, woraufhin die beiden Streitteile am 6. 6. 2020 einen Untermietvertrag über eine von der Klägerin gemietete Wohnung zu einem monatlichen Untermietzins von 325 EUR schlossen, der auszugsweise lautet wie folgt:

„Untervermietet wird von einer karitativen/humanitären Organisation im Rahmen sozialpädagogisch betreuten Wohnens im Sinne des § 1 Abs 2 Z 1a MRG idF MRN 2001. Beide Vertragspartner kommen überein, dass dieser Vertrag nicht dem Mietrechtsgesetz unterliegt.

[…]

2. Vertragsdauer und Kündigung

Das Mietverhältnis beginnt am 6.5.2020. Es ist auf die Dauer des Betreuungsverlaufs, (höchstens 6 Monate befristet) abgeschlossen und endet spätestens am 5.11.2020, ohne dass es einer Kündigung bedarf. […] Beide Vertragspartner sind berechtigt, das Mietverhältnis zum Ende eines jeden Monats mit einer Kündigungsfrist von einem Monat vorzeitig aufzulösen.

[…]

8. Hausregel/Betreuungsvereinbarungen

Der/die Untermieter/-in nimmt den sozialarbeiterischen und sozialpädagogischen Aspekt zur Kenntnis und anerkennt ausdrücklich die ihr übergebenen Hausregeln, Wohnordnung und Vereinbarungen und verpflichtet sich, alle Punkte dieser Ordnungen einzuhalten.

[…]

11. Besondere Vereinbarungen

Einvernehmlich wird festgehalten, dass der/die Untermieterin die Wohnung ausschließlich zum Zweck der vorübergehenden Unterbringung verwendet und keine Vertragsverlängerung vorgesehen ist […].

[3] Die maßgeblichen Bestimmungen der Wohnordnung, welche am 5. 5. 2020 vom Beklagten unterfertigt wurde, lauten auszugsweise:

[...]

Durchschnittlich einmal wöchentlich findet ein Gesprächstermin mit einem/einer Mitarbeiter/in der [Klägerin] statt, um auftretende Fragen zu klären und Sie zu unterstützen. Die Teilnahme an diesen Gesprächen sowie die konstruktive Mitarbeit im Betreuungsprozess sind verpflichtend.“

[4] Der Beklagte wurde beim Abschluss des Untermietvertrags darauf hingewiesen, dass der wöchentliche Kontakt mit den Sozialbetreuern und der Sozialarbeiterin Bedingung für die Wohnungsnahme ist.

[5] Anfänglich akzeptierte der Beklagte die Betreuungsmaßnahmen und führte auch einige Wohnungsbesichtigungen durch, jedoch lehnte er die Betreuungsmaßnahmen im weiteren Verlauf trotz der Bemühungen der Sozialarbeiterin zunehmend ab.

[6] Aufgrund psychischer Beeinträchtigung des Beklagten wurde ihm am 3. 8. 2020 ein Rechtsanwalt als gerichtlicher Erwachsenenvertreter mit dem Wirkungskreis unter anderem der Vertretung in Mietrechtsangelegenheiten und die Vertretung in gerichtlichen Verfahren bestellt.

[7] Am 5. 10. 2020 ersuchte der Erwachsenenvertreter die Klägerin, die Krisenwohnung um weitere sechs Monate zu verlängern. Am 12. 10. 2020 wies ihn die Leiterin der Krisenwohnung darauf hin, dass es Schwierigkeiten bezüglich der Vermittlung zu anderen Wohnungsanbietern gebe, da diese den Beklagten aus verschiedenen Gründen nicht als Bewerber um eine Wohnung akzeptieren würden. Der Beklagte erfülle keine der Bedingungen, die für den Verbleib der Krisenwohnung unabdingbar seien, nehme keine Termine mit der Sozialarbeiterin wahr und würde sich nicht aktiv an der Wohnungssuche beteiligen. Zudem würde sein Gesundheitszustand eine wesentlich intensivere Betreuung erfordern, als diese im Rahmen des Krisenwohnens möglich sei. Aufgrund der Ausnahmesituation könne der Mietvertrag aber bis Ende des Jahres verlängert werden. Am 1. 12. 2020 teilte die Leiterin dem Erwachsenenvertreter mit, dass ein längerfristiges Wohnen in der Krisenwohnung nicht möglich sei, da der Beklagte nicht zur Zielgruppe gehöre und auch die Mietvertragsdauer bereits überschritten sei. Außerdem wies sie darauf hin, dass der Mietvertrag mit Ende Dezember ende.

[8] Die Klägerin hat weiterhin darauf hingewirkt, dass der Beklagte freiwillig ausziehe und eine andere Wohnmöglichkeit finde. Da es Ende des Jahres 2020 absehbar war, dass der Beklagte nicht ausziehen wollte, wurde mit dem Erwachsenenvertreter mündlich die Räumung für den 12. 1. 2021 vereinbart. Diese konnte aufgrund der strikten Weigerung des Beklagten nicht vollzogen werden. Daraufhin suchte sich die Klägerin juristischen Rat bezüglich der weiteren Vorgehensweise.

[9] Am 1. 2. 2021 wurde zwischen der Klägerin und dem Erwachsenenvertreter eine „Verlängerung des Untermietvertrages […] in Ergänzung bzw Änderung des bestehenden Untermietvertrages“ rückwirkend vom 1. 1. 2021 bis zum 30. 6. 2021 vereinbart, wonach der Bestandgegenstand ohne vorherige Kündigung spätestens am letzten Tag des Mietverhältnisses von persönlichem Inventar geräumt und gereinigt an die Untervermieterin zu übergeben ist (Pkt 1.); nach Pkt 2. bleiben alle anderen Punkte des ursprünglichen Untermietvertrags unverändert gültig.

[10] Die Klägerin stellte am 16. 6. 2021 einen Antrag nach § 567 ZPO auf Erlassung eines Auftrags zur Übergabe des Bestandgegenstands bis 30. 6. 2021, der vom Erstgericht am 17. 6. 2021 erlassen wurde. Die Klägerin brachte vor, es liege der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 2 Z 1a MRG vor, sie habe auch typische Betreuungsleistungen erbracht. Der Beklagte benütze die Wohnung nunmehr titellos, die Klägerin habe nach dem 30. 6. 2021 lediglich Benützungsentgelt entgegengenommen, daraus sei nicht das Zustandekommen eines Bestandverhältnisses abzuleiten.

[11] Der Beklagte erhob dagegen Einwendungen. Durch die Fortsetzung des Bestandverhältnisses nach dem 5. 11. 2020 sei ein unbefristetes Mietverhältnis entstanden. Die Klägerin habe auch über den 30. 6. 2021 hinaus Mietzinszahlungen entgegengenommen. Die Klägerin habe keine persönlichen Betreuungsleistungen an den Beklagten erbracht; dieser verweigere konstant den Kontakt zum Erwachsenenvertreter ebenso wie zur Betreuungsperson der Klägerin.

[12] Das Erstgericht erkannte den Übergabsauftrag als wirksam und verpflichtete den Beklagten zur geräumten Übergabe des Bestandobjekts. Es liege der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 2 Z 1a MRG vor. Das Bestandverhältnis sei vorerst mündlich bis Ende 2020 verlängert worden. Die Klägerin habe es nicht dabei bewenden lassen, dass der Beklagte nicht ausgezogen sei, sodass auch danach kein unbefristetes Bestandverhältnis entstanden sei. In der Folge hätten die Parteien ein mit Ende Juni 2021 befristetes Bestandverhältnis vereinbart.

[13] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts. Es habe ein Betreuungsverhältnis iSd § 1 Abs 2 Z 1a MRG vorgelegen, wobei die Ablehnung der Betreuung durch schwierige Klienten solchen Verhältnissen nicht nur nicht fremd, sondern sogar prägend sei. Die Anwendung der Vollausnahme sei nicht davon abhängig, dass die Betreuung auch gelinge.

[14] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil es keine Rechtsprechung zu den inhaltlichen Anforderungen an sozialpädagogisch betreutes Wohnen iSd § 1 Abs 2 Z 1a MRG gebe.

[15] Die ordentliche Revision des Beklagten beantragt die Abänderung dahin, dass der Übergabsauftrag aufgehoben und das Übergabebegehren abgewiesen würden; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[16] Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[17] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht bezeichneten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

[18] Die Revision führt zusammengefasst ins Treffen, dass bereits bei Ablauf des ersten Bestandvertrags im November 2020 faktisch keine Betreuungsleistungen mehr stattgefunden hätten, sodass die kumulativen Voraussetzungen für die Vollausnahme nicht (mehr) gegeben gewesen seien. Der hier zu beurteilende Bestandvertrag ab 1. 1. 2021 sei zu einem Zeitpunkt und unter Rahmenbedingungen abgeschlossen worden, die eine Befristung auf sechs Monate nicht zugelassen hätten; richtigerweise wären nur eine Befristung nach § 29 MRG auf drei Jahre oder ein Bestandverhältnis auf unbestimmte Zeit zulässig.

[19] 1.1. Nach § 1 Abs 2 Z 1a MRG fallen Wohnungen oder Wohnräume, die von einer karitativen oder humanitären Organisation im Rahmen sozialpädagogisch betreuten Wohnens vermietet werden, nicht in den Anwendungsbereich des MRG.

[20] 1.2. Die Einführung dieser Bestimmung durch die MRN 2001, BGBl I 2001/161 , wurde in den Materialien wie folgt begründet (IA 533/A BlgNR 21. GP 6 f; wortgleich AB 854 BlgNR 21. GP 1 f ):

[…]

Im Zug der durch die Wohnrechtsnovelle 2000 angestrebten Vereinheitlichung und Vereinfachung des Befristungsrechts wurde auch die so genannten 'institutionellen Wohnraumbeisteller' privilegierende Bestimmung des (früheren) § 29a MRG aufgehoben (vgl Art II Z 19 WRN 2000).

In der Folge wurde jedoch vor allem von der C* der Wunsch nach Wiedereinführung einer Sonderbestimmung für 'mildtätige Wohnraumbeisteller' erhoben: Durch die Wohnrechtsnovelle 2000 werde die bisher von der C* praktizierte flexible Handhabung bei der Zurverfügungstellung von Übergangs-Wohnraum an obdachlose Menschen oder wohnungslose Familien (zumeist in Gestalt von Untermietverträgen) verhindert. Oft werde ein solcher Übergangs-Wohnraum nämlich nur für ein Jahr (oder noch kürzere Zeit) benötigt oder sei aus sozialpädagogischen Gründen die Vereinbarung einer dreijährigen Laufzeit nicht sinnvoll.

[...]

Mit der neuen Z 1a soll nun dem durchaus berechtigten Anliegen der C*, aber auch anderer im Sozialbereich tätiger Organisationen nach Schaffung eines Ausnahmetatbestands für sozialpädagogisch betreutes Wohnen Rechnung getragen werden. Die Exemtion dieser Vertragsverhältnisse vom Anwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes ist deshalb sachlich gerechtfertigt, weil es sich dabei um eine Kombination zwischen der – zum Teil durchaus entgeltlichen – Zurverfügungstellung von Wohnraum und einem Betreuungsverhältnis, rechtlich also um ein 'gemischtes' Vertragsverhältnis mit bestandvertraglichen, aber auch mit wesentlichen werk- und dienstvertraglichen Elementen handelt. Von der Bestimmung sind sowohl Haupt- als auch Untermietverträge einer betreuten Person mit einer karitativen oder humanitären Organisation erfasst.

Durch die Tatbestandselemente und die Formulierungen dieser neuen Ausnahmebestimmung ist hinreichend gewährleistet, dass sie nicht für 'normale' Mietverhältnisse missbraucht werden kann. Zum einen ist das Erfordernis des 'sozialpädagogisch betreuten Wohnens', also die Existenz eines spezifischen Betreuungsverhältnisses (zu dessen Charakteristika ein Verweis auf die Sozialwissenschaften genügen kann), ein durchaus substanzielles Abgrenzungskriterium zur 'gewöhnlichen' Vermietung einer Wohnung. Zum anderen muss Vermieter eine karitative oder humanitäre Organisation sein; hier kann beispielsweise auf die Begriffsumschreibung in § 37 BAO verwiesen werden. Gemeint sind Organisationen wie etwa die C*, die Volkshilfe oder die Bewährungshilfe.

[…]

[21] 2. Die Vollausnahme nach § 1 Abs 2 Z 1a MRG beinhaltet somit zwei Tatbestandselemente in Form einer personellen sowie einer sachlichen Anknüpfung, welche kumulativ erfüllt sein müssen: Erstens muss es sich beim Vermieter um eine karitative oder humanitäre Organisation handeln, und zweitens wird verlangt, dass die Vermietung im Rahmen sozialpädagogisch betreuten Wohnens erfolgt (insofern zutr Vonkilch in Hausmann/Vonkilch , Wohnrecht 4 [2021] § 1 MRG Rz 64).

[22] 2.1. Dass es sich bei der Klägerin um eine karitative oder humanitäre Organisation iSd § 1 Abs 2 Z 1a MRG handelt, ist evident und wird vom Beklagten auch nicht in Frage gestellt.

[23] 2.2. Zur zweiten, hier fraglichen Voraussetzung der sozialpädagogischen Betreuung finden sich im Schrifttum folgende Stellungnahmen:

[24] Stabentheiner ( Die Mietrechtsnovelle 2001, wobl 2002, 1 ) führt aus, zum einen werde Menschen, die – aus unterschiedlichen Gründen – zur eigenständigen, sozial integrierten Organisation ihres Lebens nicht oder nicht mehr vollständig in der Lage seien, zur Befriedigung des Grundbedürfnisses „Wohnen“ und gleichsam als Ankerstelle der weiteren Lebensführung Wohnraum zur Verfügung gestellt. Zum anderen werde dies mit der Betreuung des Klienten „auf einem durch Kontinuität der sozialpädagogischen Begleitung, Beziehungsarbeit, Möglichkeit der Krisenintervention, integrative gemeinwesenorientierte Arbeit bzw Rehabilitation und multiprofessionelle Teams umschriebenen Standard verknüpft“. In concreto gehe es dabei um Unterstützung in unterschiedlichen Problemlagen, um die realitätsnahe Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Gegebenheiten und um das Einüben eigenverantwortlichen Lebens. Ziel des betreuten Wohnens sei es, die Klienten durch die sozialpädagogische Betreuung zu befähigen, in Selbständigkeit und Verantwortung für sich selbst und ihr Umfeld eine eigene Lebensperspektive zu planen und umzusetzen; die betreuten Menschen sollten lernen, ihren Alltag zu organisieren und zu bewältigen. Es könne nicht genügen, wenn der Vermieter einen Sozialarbeiter einstelle und vorbringe, dieser kümmere sich um die Bewohner der vermieteten Wohnungen. Vielmehr müsse zur Bejahung dieser Ausnahmevoraussetzung ein Betreuungsverhältnis gegeben sein, das dem umrissenen Anforderungsprofil durchgängig entspreche.

[25] Nach Vonkilch (Die Neuerungen der MRG Novelle 2001 und ihr Beitrag zur Konsolidierung des Wohnrechts, immolex 2002, 39) könnten Kriterien zur inhaltlichen Anknüpfung, zu denen sich die Materialien mit einem Verweis auf jene Charakteristika begnügten, die nach den Sozialwissenschaften für ein spezifisches Betreuungsverhältnis für maßgeblich gehalten würden, nicht verbreitert werden. Aus spezifisch rechtsdogmatischer Sicht, konkret aufgrund einer systematischen Interpretation, erscheine aber eine nähere Charakterisierung des notwendigen Betreuungsverhältnisses jedenfalls insofern bis zu einem gewissen Grad möglich, als seine Eigenheiten nicht so sehr im Vorliegen der für Heime unter anderem als charakteristisch erachteten gemeinsamen Infrastruktur für die Mieter liegen dürften und dieses Betreuungsverhältnis wohl auch nicht die Intensität der in Heimen aufgebrachten Betreuung erreichen müsse.

[26] Jüngst meint Vonkilch (in Hausmann/Vonkilch , Österreichisches Wohnrecht 4 § 1 MRG Rz 66), es liege von vornherein kein reiner Mietvertrag, sondern ein gemischtes Vertragsverhältnis mit mietrechtlichen Elementen vor; es bleibe abzuwarten, inwieweit die Praxis die von Stabentheiner dargelegten groben Determinanten mit Leben erfüllen werde.

[27] Illedits-Lohr (in Illedits/Reich Rohrwig , Wohnrecht TaKomm 3 [2018] § 1 MRG Rz 35) vertritt, es könne nur dann von einer Vollausnahme ausgegangen werden, wenn neben der Zurverfügungstellung einer Wohnmöglichkeit noch weitere Betreuungspflichten erfüllt würden. Aus der Sicht des Vermieters werde es daher sinnvoll sein, die angebotenen Betreuungsleistungen auch im Mietvertrag ausdrücklich zu erwähnen, „schon auch um damit dem Missbrauch der Vollausnahme für normale Mietverhältnisse vorzubeugen“.

[28] Würth (in Rummel ABGB 3 § 1 MRG [2003] Rz 8a) und Würth/Zingher/Kovanyi (Miet- und Wohnrecht 23 [2015] § 1 MRG Rz 45) erachten es als wesentlich, dass die karitative oder humanitäre Organisation neben der Beistellung von Wohnraum „typische Betreuungsaufgaben“ leiste.

[29] Kothbauer (Mietrecht Österreich Praxishandbuch Kap II.6 [2021] Rz 247) verweist auf die Materialien, wonach es sich um ein gemischtes Vertragsverhältnis handle, sowie darauf, dass „das Vorhandensein eines spezifischen Betreuungsverhältnisses“ zum Tatbestand gehöre.

[30] Auch H. Böhm ( Die Mietrechtsnovelle 2001, bbl 2002, 95 ) sieht das Vorliegen eines neben das Mietverhältnis tretenden Betreuungsverhältnisses als eines der im Streitfall vom Gericht zu beurteilenden Tatbestandsmerkmale.

[31] 3. Im vorliegenden Fall steht fest und wird auch vom Beklagten selbst so vorgebracht, dass seine sozialpädagogische Betreuung nicht an der Klägerin scheiterte, sondern aufgrund seiner eigenen Weigerung nicht stattfand. Weiters hat der damalige Erwachsenenvertreter des Beklagten selbst um eine Verlängerung der Krisenwohnmöglichkeit angesucht; die Klägerin stimmte dem vorerst nur bis Jahresende zu, lehnte eine darüber hinausgehende Verlängerung ausdrücklich ab, bemühte sich vorerst vergeblich um einen Auszug des Beklagten, und einigte sich aber in der Folge mit ihm auf eine Mietvertragsverlängerung bis 30. 6. 2021 zu im Übrigen gleichen Bedingungen wie zuvor.

[32] 4.1. Nach Auffassung des Senats kommt es für die Erfüllung der Voraussetzung des § 1 Abs 2 Z 1a MRG auf die Ausstattung und das Angebot des karitativen oder humanitären Vermieters an, die ihn in die Lage versetzen, das Wohnangebot mit sozialpädagogischen Betreuungsleistungen für den konkreten Mieter zu verbinden. Kommt dann das Betreuungsverhältnis aus in der Sphäre des Mieters liegenden Gründen faktisch nicht zustande oder erreicht es aus nicht vom Vermieter zu verantwortenden Gründen nicht oder nicht vollständig sein Ziel, steht dies der Annahme einer nicht in den Anwendungsbereich des MRG fallenden Vermietung iSd § 1 Abs 2 Z 1a MRG nicht entgegen.

[33] 4.2. Dies gilt umso mehr in einem Fall wie hier, in dem ein Anwalt als gerichtlicher Erwachsenenvertreter durch sein Verhalten Vertrauen auf das Bestehen einer bestimmten Sach- oder Rechtslage, nämlich die Krisenwohnung zu den bisherigen Bedingungen iSd § 1 Abs 2 Z 1a MRG kurzfristig für den Betroffenen erhalten zu wollen, erweckt hat. Nunmehr den Standpunkt einzunehmen, dass Absicht und Äußerungen des Beklagten darauf gerichtet gewesen wären, einen „normalen“ Untermietvertrag abzuschließen, gerade weil er sich nicht an die vertraglich übernommenen Verpflichtungen halte, die sozialpädagogischen Betreuungsleistungen anzunehmen, wäre in diesem Lichte als widersprüchliches und damit im Ergebnis rechtsmissbräuchliches Verhalten (venire contra factum proprium) anzusehen (vgl eingehend 2 Ob 214/11a mwN).

[34] 4.3. Dies bedeutet, dass die nach dem Scheitern der Versuche, den Beklagten zum Auszug zu bewegen, getroffene Verlängerungsvereinbarung ungeachtet des Umstands, dass zu diesem Zeitpunkt eine sozialpädagogische Betreuung des Beklagten faktisch nicht stattgefunden haben mag, der Vollausnahme nach § 1 Abs 2 Z 1a MRG unterliegt.

[35] 4.4. Warum aus dem Umstand, dass mit der Verlängerungsvereinbarung der vertragslose Zustand ab 1. 1. 2021 rückwirkend saniert wurde, folgen sollte, dass der Ausnahmetatbestand nicht vorliege, erschließt sich nicht.

[36] 5. Soweit die Revision ins Treffen führen will, dass bereits vor der Vertragsverlängerung vom 1. 2. 2021 ein Mietvertrag zustande gekommen wäre, ist dem das Folgende zu erwidern:

[37] 5.1. Bei der Annahme der Schlüssigkeit eines Verhaltens ist im Hinblick auf einen rechtsgeschäftlichen Willen gemäß § 863 ABGB Vorsicht geboten und ein strenger Maßstab anzulegen (RS0014146; RS0014157; RS0013947; RS0014420).

[38] 5.2. Nach § 569 ZPO („Stillschweigende Erneuerung des Bestandvertrages“) sind Bestandverträge, welche durch den Ablauf der Zeit erlöschen, ohne dass es behufs Auflösung des Vertrags oder Verhinderung seiner stillschweigenden Erneuerung einer Aufkündigung bedarf, dadurch, dass der Bestandnehmer fortfährt, den Bestandgegenstand zu gebrauchen oder zu benützen, und der Bestandgeber es dabei bewenden lässt, nur dann als stillschweigend erneuert anzusehen, wenn binnen vierzehn Tagen nach Ablauf der Bestandzeit weder vom Bestandgeber eine Klage auf Zurückstellung, noch vom Bestandnehmer auf Zurücknahme des Bestandgegenstands erhoben wird.

[39] Nach § 1115 ABGB geschieht eine stillschweigende Erneuerung des Bestandvertrags unter den nämlichen Bedingungen, unter welchen er vorher geschlossen war. Es wird dadurch somit kein neuer Vertrag abgeschlossen, sondern der alte Vertrag ohne inhaltliche Änderung des Vertragsverhältnisses verlängert, und die ursprünglichen Vertragsbestimmungen bleiben weiter gültig (vgl RS0020837; RS0020864 ; Höllwerth in GeKo Wohnrecht I § 1115 ABGB [2017] Rz 3 f mwN ).

[40] Diese Vermutung über die Erneuerung des Bestandvertrags wird aber durch jeden Vorgang widerlegt, durch den ein Vertragspartner seinen Willen, die stillschweigende Erneuerung des Vertrags zu verhindern, durch unverzügliche, nach außen erkennbare eindeutige Erklärungen oder Handlungen so deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass bei objektiver Würdigung kein Zweifel an einer ernstlichen Ablehnung der Vertragserneuerung aufkommt und für den Bestandnehmer in unzweideutiger Weise zum Ausdruck gebracht wird, dass der Bestandgeber nicht gewillt sei, das Bestandverhältnis über einen bestimmten Termin hinaus fortzusetzen ( RS0020790 ; RS0033050 ; RS0020804 ). Es bedarf auch nicht der Einbringung einer Klage, um eine stillschweigende Erneuerung des befristeten Bestandverhältnisses hintanzuhalten, wenn der betreffende Vertragspartner seinen Willen so deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass bei objektiver Würdigung kein Zweifel an seiner ernstlichen Ablehnung einer Vertragserneuerung aufkommen kann (vgl RS0033050 [T2]).

[41] 5.3. Hier hat die Klägerin in hinreichendem zeitlichen Zusammenhang zum ersten Endtermin im November 2020 (vgl RS0020804) vorerst unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, dass ihr an einer Fortsetzung des bisherigen Vertrags nicht gelegen sei (vgl RS0020764 [T6, T7]), dass sie aber aufgrund der Ausnahmesituation des Beklagten einer Verlängerung bis Jahresende zustimme; weiters durfte sie erwarten, dass der Beklagte der Zusage seines Erwachsenenvertreters gemäß am 12. 1. 2021 die Wohnung räume.

[42] Dies kann nach dem objektiven Erklärungswert keinesfalls dahin verstanden werden, dass damit ein neuer Bestandvertrag zustande gekommen wäre. Bei objektiver Würdigung des Verhaltens der Klägerin besteht kein Zweifel an ihrer ernstlichen Ablehnung einer Vertragserneuerung (vgl RS0020764 [T8]), womit sich auch die Deutung ihres Verhaltens iSd §§ 1114 f ABGB, § 569 ZPO verbietet (vgl 4 Ob 190/20z ; Höllwerth in GeKo Wohnrecht I § 1114 ABGB [2017] Rz 21 mit weiteren Beispielen aus der Rsp; vgl auch Lovrek in Rummel/Lukas , ABGB 4 § 1115 [2017] Rz 17 f [zu § 575 Abs 2 ZPO]).

[43] 5.4. Daran ändert auch nichts, dass die Klägerin ab Jänner 2021 oder nach dem 30. 6. 2021 die Zahlung eines Betrags in Höhe des vereinbarten Mietzinses entgegennahm:

[44] Ein Bestandnehmer, der entgegen § 1109 ABGB mit der Rückstellung des Bestandobjekts säumig ist, hat nämlich für die vertragswidrig und daher rechtswidrig in Anspruch genommene Objektbenützung aus dem Rechtsgrund des § 1041 ABGB – ohne Rücksicht auf Verschulden – als angemessenen Geldausgleich ein Benützungsentgelt in Höhe des Bestandzinses zu leisten ( RS0030282 ; RS0019909 ; RS0019883 ua). Da – wie oben bereits erörtert – keine sonstigen Umstände feststehen, aus denen auf einen schlüssigen Vertragsabschluss geschlossen werden könnte, ist auch hier für den Standpunkt der Revision nichts zu gewinnen.

[45] 6. Zusammengefasst unterliegt der hier gegenständliche, mit 30. 6. 2021 endende Vertrag der Vollausnahme nach § 1 Abs 2 Z 1a MRG. Ein anderer Bestandvertrag ist nicht zustande gekommen. Fragen der Zulässigkeit der Befristung stellen sich nicht.

[46] Die Vorinstanzen haben daher den Übergabsauftrag zum 30. 6. 2021 zu Recht für rechtswirksam erkannt. Der Revision war nicht Folge zu geben.

[47] 7. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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