JudikaturJustiz4Ob160/06t

4Ob160/06t – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Oktober 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Dr. Lothar Wiltschek, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei E***** Handelsgesellschaft mbH, *****, vertreten durch DDr. Meinhard Ciresa, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung eines Gebrauchmustereingriffs, Rechnungslegung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren: 61.771,91 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 26. Juni 2006, GZ 2 R 31/06b-31, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 9. Jänner 2006, GZ 10 Cg 142/01i-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.646,80 EUR (darin 607,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist Inhaberin des österreichischen Gebrauchsmusters AT 2755. Mit der Behauptung, das von der Beklagten vertriebene Präsentationssystem falle in den Schutzbereich ihres Gebrauchsmusters, begehrte die Klägerin die Unterlassung der Feilhaltung und des Inverkehrbringens von Präsentationsvorrichtungen durch die Beklagte, die Merkmale von Anspruch 1 des Gebrauchsmusters AT 2755 aufweisen. Sie stellte ein inhaltsgleiches Sicherungsbegehren, das rechtskräftig abgewiesen worden ist. Auf Grund des Einspruchs der Beklagten gegen das dem Gebrauchsmuster AT 2755 im Wesentlichen entsprechende Europäische Patent 1 078 349 der Klägerin unterbrach das Erstgericht das Hauptverfahren mit Beschluss vom 8. 8. 2002 gemäß § 156 Abs 3 PatG iVm § 12 PATV-EG bis zur rechtskräftigen Beendigung des Einspruchsverfahrens. Die Einspruchsabteilung wies den Einspruch mit Entscheidung vom 11. 3. 2005 zurück; das Verfahren über die von der Beklagten dagegen erhobene Beschwerde ist noch anhängig. Am 2. 7. 2002 brachte die Beklagte bei der Nichtigkeitsabteilung des österreichischen Patentamts einen Antrag auf Teilnichtigerklärung des Gebrauchsmusters AT 2755 im Umfang der Ansprüche 1 bis 3 ein. Die Nichtigkeitsabteilung gab dem Antrag mit Endentscheidung vom 30. 3. 2004 statt. Der Oberste Patent- und Markensenat gab der Berufung der Klägerin mit Erkenntnis vom 12. 1. 2005, OGM 1/04 (= PBl 2005, 39), teilweise Folge und bestätigte die Endentscheidung der Nichtigkeitsabteilung in ihrem Ausspruch über die Nichtigerklärung des angefochtenen Gebrauchsmusters im Umfang des Anspruchs 1 sowie des Anspruchs 3, soweit er auf Anspruch 1 rückbezogen ist; im Übrigen wurde die Entscheidung dahin abgeändert, dass der Antrag, das Gebrauchsmuster auch im Umfang der Ansprüche 2 bis 3 für nichtig zu erklären, abgewiesen wird. Der Oberste Patent- und Markensenat sprach aus, dass die Ansprüche 1 bis 3 des Gebrauchsmusters AT 2755 nunmehr - neu nummeriert - wie folgt zu lauten haben:

„1) Präsentationsvorrichtung mit einem Sockel, mit durch eine Querstrebe verbindbaren bzw verbundenen Stäben für einen mit dem Sockel über eine Steckverbindung verbindbaren bzw verbundenen flexiblen Ständer, und mit einer Halteeinrichtung für ein Plakat, eine Folie odgl Präsentationsträger zu dessen Verbindung mit dem Sockel und dem Ständer, dadurch gekennzeichnet, dass der Ständer (2) Einzelstäbe (3), die an sich bekannter Weise zusammensteckbar bzw zusammengesteckt sind, sowie zumindest zwei Querstreben (4) zur Erzielung einer Doppel-H-Struktur des Ständers (2) aufweist, wobei die Querstreben (4) an ihren Enden mit T-Stücken (36) zum Einstecken von Ständer-Stäben (3) versehen sind.

2) Präsentationsvorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass durch einen oberen Querstab (9) der Halteeinrichtung T-Stücke

(40) mit ihren Querstreben aufgeschoben sind, wobei in ihren Schenkeln (43) Bohrungen (37) zum Einstecken der oberen Ständer-Stäbe

(3) vorgesehen sind.

3) (entfällt)".

Mit Schriftsatz vom 19. 9. 2005 (ON 20) verwies die Klägerin auf die Entscheidung des Obersten Patent- und Markensenats und die damit erfolgte Änderung des Anspruchs 1 ihres Gebrauchsmusters. Sie brachte vor, die Beklagte vertreibe nach wie vor Präsentationsvorrichtungen, die die Merkmale des nunmehrigen Anspruchs 1 aufwiesen. Die Fortsetzung des unterbrochenen Hauptverfahrens könne noch nicht beantragt werden, weil das Verfahren über den Einspruch noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei; die Unterbrechung hindere aber die Einbringung eines Sicherungsantrags nicht. Die Klägerin modifiziere ihr Unterlassungsbegehren daher entsprechend dem nunmehrigen Anspruch 1 dadurch, dass dem bisherigen Antrag ein weiteres Merkmal hinzugefügt werde, dass nämlich die Querstreben an ihren Enden mit T-Stücken zum Einstecken von Ständer-Stäben versehen sind. Die Abweisung des ersten Sicherungsantrags hindere den neuen Antrag nicht, weil sich der Sachverhalt seither erheblich geändert habe. Das modifizierte Unterlassungsbegehren überschreite das ursprüngliche Klagebegehren nicht, sondern schränke es ein. Die nunmehr beantragte einstweilige Verfügung könne daher erlassen werden, weil sich der neue Sicherungsantrag im Rahmen des ursprünglichen Hauptbegehrens halte und diesem gegenüber ein Minus sei.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des zweiten Sicherungsantrags. Eine einstweilige Verfügung dürfe nur im Rahmen des Hauptbegehrens erlassen werden. Das modifizierte Verfügungsbegehren sei gegenüber dem ursprünglichen Verfügungsbegehren kein Minus, sondern ein Aliud. Eine Klageänderung sei erst mit dem mündlichen Vortrag in der Streitverhandlung wirksam. Solange das Hauptverfahren unterbrochen sei, könne das Unterlassungsbegehren nicht modifiziert und die einstweilige Verfügung nicht erlassen werden.

Das Erstgericht wies auch den zweiten Sicherungsantrag ab. Das nunmehrige Verfügungsbegehren sei gegenüber dem ursprünglichen Verfügungsbegehren ein Aliud und halte sich nicht im Rahmen des Hauptbegehrens; dieses könne infolge Unterbrechung des Hauptverfahrens nicht rechtswirksam geändert werden. Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Der Oberste Patent- und Markensenat habe den ursprünglichen Anspruch 1 des Gebrauchsmusters durch Aufnahme des ursprünglichen Anspruchs 2 als sechstes Merkmal nicht eingeschränkt, sondern die Aufhebung wegen Nichtigkeit des Anspruchs 1 bestätigt und ausgesprochen, dass Anspruch 1 nicht bestandfähig sei. Das im Sicherungsbegehren nun zusätzlich angeführte Merkmal, dass nämlich die Querstreben an ihren Enden mit T-Stücken zum Einstecken von Ständer-Stäben versehen sind, bewirke, dass die Klägerin ein neues Verfügungsbegehren stelle, das in ihrem ursprünglichen Klagebegehren keine Deckung finde. Da die Klägerin ihren Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung ausdrücklich auf das anhängige Verfahren gestützt und keinen neuen Antrag eingebracht habe, sei zutreffend keine Rechtfertigungsfrist gem § 391 Abs 2 EO zur Einbringung einer Klage bestimmt worden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Fortentwicklung der Rechtsprechung zur Frage der Deckung des Sicherungsantrags durch das Klagebegehren notwendig; das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt. Die Klägerin vertritt den Standpunkt, sie strebe im Sicherungsverfahren ein weniger weites Verbot an als im Hauptverfahren; das neue Sicherungsbegehren umfasse nämlich alle im Unterlassungsbegehren des Hauptverfahrens angeführten Merkmale des Anspruchs und ein zusätzliches weiteres Merkmal, weshalb es sich völlig im Rahmen des Begehrens im Hauptverfahren halte und diesem gegenüber ein Minus sei.

1. Dass das Hauptverfahren unterbrochen ist, hindert im Regelfall die Entscheidung über einen Sicherungsantrag nicht (König, Einstweilige Verfügungen² Rz 3/62; Zechner, Sicherungsexekution und einstweilige Verfügung, § 378 Rz 1; 4 Ob 17/89; RIS-Justiz RS0005214).

2. Nachträgliche Änderungen im Anspruchs- oder Gefährdungssachverhalt ermöglichen einen neuen Sicherungsantrag (König aaO Rz 3/534 Ob 333/00z = SZ 74/16; RIS-Justiz RS0114774 [T3]). Diese Bedingung ist hier durch die Neufassung der Ansprüche des Gebrauchsmusters durch den Obersten Patent- und Markensenat und die behauptete neue Eingriffshandlung der Beklagten im April 2005 erfüllt.

3. Nach ständiger Rechtsprechung hat sich der mit einer während eines Rechtsstreits zu erlassenden einstweiligen Verfügung zu sichernde Anspruch im Rahmen des mit der Klage erhobenen Anspruchs zu halten (RIS-Justiz RS0004861; RS0004815 [T2]. Der gefährdeten Partei dürfen Maßnahmen, auf die sie auch bei einem Erfolg im Hauptverfahren keinen Anspruch hätte, nicht bewilligt werden (3 Ob 216/01p = SZ 2002/12 mwN).

4. Ein Sicherungsbegehren hält sich dann im Rahmen des Begehrens in der Hauptsache, wenn es letzteres weder quantitativ überschreitet, noch qualitativ ein anderer Anspruch als das Klagebegehren ist. Dazu genügt es nicht, dass die Zahl der vom Sicherungsbegehren umfassten möglichen Eingriffsgegenstände die Menge von möglichen Eingriffsgegenständen, die unter das Hauptbegehren fallen, nicht überschreitet; zusätzlich müssen die Ansprüche im Haupt- und Sicherungsverfahren ihrer Art nach deckungsgleich sein.

5. Die unter das Unterlassungsbegehren des Hauptverfahrens fallenden Präsentationsvorrichtungen sind durch fünf Merkmale gekennzeichnet, die gemeinsam vorliegen müssen. Das nunmehr zu beurteilende - zweite - Sicherungsbegehren umfasst Präsentationsvorrichtungen mit einem zusätzlichen sechsten Unterscheidungsmerkmal, nämlich T-Stücken zum Einstecken von Ständer-Stäben. Unter das Sicherungsgebot fallen demnach nur Gegenstände, die sämtliche sechs Merkmale aufweisen. Das angestrebte Verbot der einstweiligen Verfügung geht damit zwar - gemessen an den möglichen Eingriffsgegenständen - weniger weit als das Hauptbegehren, hält sich aber qualitativ nicht in dessen Rahmen:

Die im Hauptverfahren eingeklagte Ausführungsform des geschützten Gebrauchsmusters - ohne T-Stücke - unterscheidet sich nämlich ihrer Art nach von einer Ausführungsform mit einem zusätzlichen sechsten Unterscheidungsmerkmal, wie sie Gegenstand des Sicherungsverfahrens ist. Als Geschmacksmuster geschützte Präsentationsvorrichtungen mit T-Stücken können Präsentationsvorrichtungen ohne solche Teile in ihrem Wesen und Schutzbereich nicht gleichgehalten werden. Ein auf ein fünf Merkmale umfassendes Gebrauchsmuster gestütztes Unterlassungsbegehren kann daher auch nicht durch eine einstweilige Verfügung gesichert werden, die auf einem sechs Merkmale umfassenden Gebrauchsmuster beruht.

6. Ist demnach der (Schutz )Gegenstand des Gebrauchsmusters, wie er dem Hauptverfahren zugrunde liegt, ein qualitativ anderer als jener des Sicherungsverfahrens, sind auch die jeweils verfolgten Ansprüche nicht deckungsgleich. Das durch einstweilige Verfügung angestrebte Verbot hält sich somit nicht im Rahmen des Urteilsbegehrens.

7. Die Rechtsmittelwerberin macht geltend, ihr - zweiter - Sicherungsantrag hätte zumindest als „Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung vor Einleitung des Prozesses" behandelt und unter Erteilung einer angemessenen Frist für die Einbringung der Klage (§ 391 Abs 2 EO) im stattgebenden Sinn erledigt werden müssen. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Klägerin ihren Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung (ON 20) in einem laufenden Verfahren unter Bezugnahme auf dieses und unter gleichzeitiger (wenn wegen der Unterbrechung des Verfahrens auch derzeit wirkungsloser) Modifikation des bisherigen Unterlassungsbegehrens gestellt hat. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 391 Abs 2 ZPO („... vor Einleitung des Prozesses ...") liegen daher nicht vor. Dem Rechtsmittel kann daher auch unter diesem Aspekt kein Erfolg beschieden sein.

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
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