JudikaturJustiz3Ob50/21f

3Ob50/21f – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. April 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden die Hofräte Hon. Prof. Dr. Brenn und Hon. Prof. PD Dr. Rassi sowie die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei Republik Österreich, Finanzamt *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17–19, gegen die verpflichtete Partei H***** S*****, vertreten durch Mag. Lukas Friedl, Rechtsanwalt in Lambach, wegen 643.100 EUR sA, über den Revisionsrekurs der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr als Rekursgericht vom 8. Februar 2021, GZ 1 R 121/20t 7, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Kirchdorf an der Krems vom 26. August 2020, GZ 1 E 1145/20w 3, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die betreibende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

[1] Die betreibende Partei beantragte die Bewilligung der Exekution zur Sicherstellung einer Forderung von 643.100 EUR durch bücherliche Vormerkung eines Pfandrechts auf drei dem Verpflichteten gehörenden Liegenschaftsanteilen (verbunden mit Wohnungseigentum), bei denen zu Gunsten von B***** L***** – dem Sohn des Verpflichteten (im Folgenden nur: Sohn) – jeweils ein Veräußerungs und Belastungsverbot einverleibt ist.

[2] Als Exekutionstitel führte sie an: „Sicherstellungsauftrag und Beschwerdevorentscheidung des Finanzamts ***** vom 22. Juli 2020 zu St.Nr. *****“. Nach dem von ihr vorgelegten Exekutionstitel wurde vom Finanzamt eine Sicherstellung von näher aufgegliederten Abgaben von insgesamt 754.100 EUR in das Vermögen des Verpflichteten nach § 232 Abs 1 BAO angeordnet und ausgesprochen, dass die Sicherstellung der Abgaben sofort vollzogen werden könne. Nach der Begründung dieses Titels wird dem Verpflichteten Abgabenbetrug vorgeworfen und auf ein laufendes Finanzstrafverfahren verwiesen. Er habe demnach vorsätzlich eine Verkürzung an Umsatz- und Einkommensteuer bewirkt bzw zu bewirken versucht, indem er (ua) zu Unrecht Betriebsausgaben geltend gemacht und seine Einnahmen nicht vollständig erklärt habe.

[3] Die betreibende Partei legte hinsichtlich des Sohnes eine Entscheidung des Finanzamtes ***** vom 22. Juli 2020, St.Nr. *****, vor (Beschwerdevorentscheidung und Sicherstellungsauftrag). Darin wurde (gesondert vom Exekutionstitel) gegen den Sohn als Beitragstäter des Verpflichteten (wegen des gegen ihn geführten Finanzstrafverfahrens) die Sicherstellung der näher aufgegliederten Abgaben von insgesamt 643.100 EUR nach § 232 Abs 3 BAO verfügt und ebenfalls ausgesprochen, dass diese Sicherstellung sofort vollzogen werden könne. Der Sohn hat bereits einen Betrag von 112.700 EUR hinterlegt. Die in dieser Entscheidung enthaltene Begründung deckt sich hinsichtlich der Ausführungen zum Verpflichteten („Primärschuldner“) mit der Begründung des Exekutionstitels. Nach den weiteren Feststellungen zum Beitrag des Sohnes („Haftungsschuldner“) wird davon ausgegangen, dass dieser die strafbaren Handlungen des Verpflichteten mitgetragen habe. Der Sohn sei nicht in der Lage, „ die ihn als Haftungsschuldner (§ 11 BAO) betreffenden Abgabenforderungen des H***** S***** (des Verpflichteten) im Ausmaß von 643.100 EUR zu bedienen “.

[4] Die Betreibende führte im Exekutionsantrag aus, dass der Verpflichtete und sein Sohn Gesamtschuldner der sicherzustellenden Abgabenforderung von 643.100 EUR seien, für den im Exekutionstitel darüber hinausgehenden (nicht betriebenen) Betrag hafte nur der Verpflichtete. Personen, die nach den Abgabenvorschriften für eine Abgabe haften, würden nach § 7 BAO durch Geltendmachung dieser Haftung zu Gesamtschuldnern. Der Sohn sei mit Beschwerdevorentscheidung und Sicherstellungsauftrag vom 22. Juli 2020 zur Haftung herangezogen worden und damit zum Gesamtschuldner geworden. Die Betreibende schlüsselte die betriebenen Abgabenansprüche näher auf, für die nach ihrem Standpunkt auch der Sohn hafte.

[5] Das Erstgericht bewilligte die beantragte Exekution zur Sicherstellung antragsgemäß.

[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Verpflichteten Folge und wies den Exekutionsantrag ab. Aus dem Spruch der vom Betreibenden vorgelegten Urkunden gehe eine Solidarverpflichtung des Liegenschaftseigentümers mit der Verbotsberechtigten nicht hervor. Das einverleibte Veräußerungs und Belastungsverbot stehe daher einer Bewilligung der zwangsweisen Pfandrechtsvormerkung entgegen.

[7] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu, weil die Rechtsfrage im Sinne der Judikatur gelöst worden sei.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der dagegen von der betreibenden Partei erhobene Revisionsrekurs ist zur Klarstellung zulässig. Das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

[9] 1.1 Nach § 232 Abs 1 BAO kann die Abgabenbehörde, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den die Abgabenvorschriften die Abgabepflicht knüpfen, selbst bevor die Abgabenschuld dem Ausmaß nach feststeht, bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit an den Abgabepflichtigen einen Sicherstellungsauftrag erlassen, um einer Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Einbringung der Abgabe zu begegnen. Das gilt nach Abs 3 leg cit sinngemäß ab der Anhängigkeit eines Strafverfahrens gegen einen […] Verdächtigen hinsichtlich jenes Betrags, um den die Abgaben voraussichtlich verkürzt wurden.

[10] Der Sicherstellungsauftrag ist ein Bescheid (vgl 3 Ob 201/97y; 3 Ob 56/94; Höllwerth in Deixler-Hübner § 1 EO Rz 103) und nach § 233 Abs 1 BAO die Grundlage für das finanzbehördliche und gerichtliche Sicherungsverfahren. Aufgrund eines Sicherstellungsauftrags hat das Gericht auf Antrag der Abgabenbehörde ohne Bescheinigung der Gefahr und ohne Sicherheitsleistung die Exekution zur Sicherstellung des Abgabenbetrags bis zu dessen Vollstreckbarkeit zu bewilligen (§ 233 Abs 2 BAO).

[11] 1.2 Für die beantragte Exekution zur Sicherstellung kommt damit nach § 233 Abs 2 BAO iVm § 374 Abs 1 EO als Exekutionstitel ein Sicherstellungsauftrag in Betracht. Ein solcher wurde in der vorgelegten Entscheidung des Finanzamts in Punkt 1 (im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung) über 578.400 EUR und in Punkt 2 des Bescheids über 175.700 EUR erlassen. Es ist im Anlassfall unschädlich, dass die betreibende Partei im Formfeld 07 („Exekutionstitel – Hereinzubringende Forderung“) bei Art des Titels die Worte „Sicherstellungsauftrag und Beschwerdevorentscheidung“ angeführt hat, weil damit keine Zweifel über den Exekutionstitel ausgelöst werden (vgl 3 Ob 201/97y; Jakusch in Angst/Oberhammer , EO 3 § 54 EO Rz 18), zumal der eigentliche Exekutionstitel (Sicherstellungsauftrag) im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung erging. Zudem hat die betreibende Partei in weiterer Folge (Formfeld 11, weiteres Vorbringen) klarstellend ohnedies auf die im Sicherstellungsauftrag genannten Abgabenansprüche Bezug genommen und diese auch näher aufgeschlüsselt.

[12] 2. Werden mit einem einheitlichen Exekutionsantrag – gleichgültig, ob sie auf demselben oder auf unterschiedlichen Exekutionstiteln beruhen – mehrere Forderungen betrieben, so sind die einzelnen Beträge in der Umschreibung des betriebenen Anspruchs auch dann, wenn sie jeweils zur Gänze und nicht nur in Teilbeträgen betrieben werden, einzeln so anzuführen, dass sie den einzelnen titulierten Ansprüchen zugeordnet werden können ( Jakusch in Angst/Oberhammer , EO 3 § 54 EO Rz 11/1). Auch dieser Anforderung entspricht der Exekutionsantrag. Die betriebene Forderung wurde exakt nach Art der Abgaben, Datum und Höhe aufgeschlüsselt, sodass problemlos erkannt werden kann, welche im Exekutionstitel genannten Abgabenforderungen in welchem Umfang nach dem Antrag der betreibenden Partei im Exekutionsverfahren sichergestellt werden sollen.

[13] 3.1 Nach der vom Rekursgericht zutreffend wiedergegebenen Rechtsprechung steht ein auf einer Liegenschaft einverleibtes Belastungs und Veräußerungsverbot der exekutiven Bewilligung der Belastung und Veräußerung nicht entgegen, wenn der Verpflichtete und der Verbotsberechtigte die betriebene Forderung nach dem Exekutionstitel als Gesamtschuldner zu leisten haben (RS0010734).

[14] 3.2 Sofern sich aus dem Titel keine Gesamtforderung ergibt, haftet jeder der Schuldner (zu seinen Gunsten) nur anteilig, also nach Kopfanteil (RS0000451). Diesem Rechtssatz liegt der Regelfall zugrunde, dass ein Titel vorliegt, nach dem mehrere Schuldner eine Forderung zu begleichen haben. Diese Rechtsprechung ist aber entgegen der Ansicht des Rekursgerichts bei getrennten Exekutionstiteln über dieselbe Forderung nicht anzuwenden (3 Ob 255/06f; 3 Ob 202/17b; 10 Ob 56/18k). Das trifft auch auf den Anlassfall zu, weil zwei gesondert ausgefertigte Sicherstellungsaufträge (Bescheide) vorliegen, nach denen die Sicherstellung von Abgabenansprüchen einerseits gegen den Verbotsberechtigten und andererseits gegen den Liegenschaftseigentümer angeordnet wurden. Der Exekutionstitel und der gegen den Sohn ergangene Bescheid sind (im Zusammenhang mit dem Vorbringen einer solidarischen Haftung) daher im jeweiligen Spruch dem Wortsinn nach auslegungsbedürftig, wozu ausnahmsweise auch die den Entscheidungen beigegebene Begründung herangezogen werden darf (vgl 3 Ob 61/04y mwN; 3 Ob 202/17b; RS0000296 [T1]; RS0000300 [T20]).

[15] 3.3 Allein die im Spruch des gegen den Sohn ergangenen Bescheids fehlende ausdrückliche Bezugnahme auf die Solidarhaftung spricht daher nicht gegen die behauptete Gesamtschuld, wenn (sonst) unzweifelhaft ist, dass der Sohn als Gesamtschulder haftet.

[16] 4.1 Die Betreibende stützte die Solidarhaftung des Verpflichteten und seines Sohnes ausdrücklich auf § 7 Abs 1 BAO.

[17] Nach § 7 Abs 1 BAO werden Personen, die nach Abgabenvorschriften für eine Abgabe haften, (erst) durch Geltendmachung dieser Haftung (§ 224 Abs 1 BAO) zu Gesamtschuldnern.

[18] 4.2 Im Anlassfall kommt eine persönliche Haftung des Sohnes nach § 11 BAO in Betracht. Nach dieser Bestimmung haftet der an einem vorsätzlichen Finanzvergehen Beteiligte für den Betrag, um den die Abgaben verkürzt wurden. Allerdings wird der Beitragstäter eines vorsätzlichen Finanzvergehens nicht schon mit dessen Vollendung zum Gesamtschuldner der Republik Österreich. Vielmehr setzt dessen Haftung für die Abgabenschuld nach § 11 BAO zunächst eine rechtskräftige Verurteilung im Finanzstrafverfahren voraus (vgl Ellinger/Iro/Kramer/Urtz , BAO 3 § 11 Anm 2). Erst dann kann die Haftung mit konstitutiv wirkendem Haftungsbescheid (§ 224 BAO; VwGH 85/17/0062; VwGH 2010/16/0014) geltend gemacht werden, wodurch die Schuldnerstellung des Haftungspflichtigen erst bewirkt und die davon betroffene Abgabenschuld fällig und vollstreckbar wird (14 Os 19/18b; vgl auch RS0053185, RS0116853 [T1]). Erst durch Geltendmachung dieser Haftung werden Personen, die nach Abgabenvorschriften für eine Abgabe haften zu Gesamtschuldnern (§ 7 Abs 1 BAO). Im Haftungsbescheid ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten (§ 224 Abs 1 BAO).

[19] 4.3 Bereits vor Rechtskraft des Haftungsbescheids kann ein Sicherstellungsauftrag erlassen werden (VwGH 99/13/0220). Im Anlassfall wurde gegenüber dem Sohn ein Sicherstellungsauftrag nach § 232 Abs 3 BAO erlassen. Ein solcher setzt nur die Anhängigkeit eines Finanzstrafverfahrens, nicht aber eine rechtskräftige Bestrafung voraus. Gemäß den Materialien zu Abs 3 wird damit dem Umstand Rechnung getragen, dass insbesondere die Spruchsenats bzw Gerichtsverfahren länger dauern und entsprechende Mittel, die zur Abdeckung der Abgabe dienen, bis zur Verurteilung nicht mehr vorhanden sind. Mit der Sicherstellung ist gewährleistet, dass im Fall eines Schuldspruchs ein entsprechender Haftungsbescheid vollstreckt werden kann. Wird der Verdächtige nicht verurteilt, so sind die Sicherstellungsmaßnahmen von Amts wegen aufzuheben (ErläutRV 38 BlgNR 24. GP 12). § 232 Abs 3 BAO ist insbesondere für Personen einschlägig, die als Haftende nach § 11 BAO in Betracht kommen könnten ( Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz , BAO 3 § 232 Anm 23).

[20] 4.4 Die Zulässigkeit eines solchen Sicherstellungsauftrags ist aber von der hier maßgeblichen Frage der Gesamtschuld zu trennen. Der Umstand, dass die Erlassung eines Sicherstellungsauftrags gegenüber dem Sohn im Anlassfall (bereits vor Rechtskraft einer allfälligen Strafe und eines Haftungsbescheids) möglich war, ändert nichts daran, dass eine Gesamtschuld nach der BAO von den oben zu 4.2 dargelegten Voraussetzungen abhängt. Für das Bestehen einer Gesamtschuld ist (neben der rechtskräftigen Bestrafung) entscheidend, dass die Person, die für Abgaben, die im Rahmen des Sicherstellungsauftrags sichergestellt werden sollen, auch zur Haftung herangezogen wurde , weil (erst) durch die Heranziehung des potentiell Haftungspflichtigen die für ihn aktuelle Abgabenschuld als Gesamtschuld entsteht (VwGH 96/13/0048; VwGH 99/13/0220). Die Heranziehung zur Haftung hat aber nach § 224 BAO mittels Haftungsbescheids zu erfolgen.

[21] 4.5 Die Existenz eines solchen Haftungsbescheids wurde von der Betreibenden weder behauptet noch ergibt sich diese (ebensowenig wie eine im Fall des § 11 BAO erforderliche rechtskräftige Bestrafung) aus den vorgelegten Urkunden. Rechtsirrig geht die Betreibende unter Bezugnahme auf VwGH 97/16/0006 davon aus, dass der Sohn bereits mit der Beschwerdevorentscheidung und Sicherstellungsauftrag des Finanzamts ***** vom 22. Juli 2020, St.Nr. *****, „zur Haftung herangezogen und damit zum Gesamtschuldner wurde“. Der gegen den Sohn ergangene Sicherstellungsauftrag ist aber kein Haftungsbescheid iSd § 224 BAO, zumal der Sohn darin weder zur Zahlung der Abgabenschuld in einer bestimmten Höhe binnen der gesetzlichen Frist aufgefordert noch auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, hingewiesen wurde. Die Ansicht der Betreibenden kann auch nicht auf die von ihr zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH 97/16/0006) gestützt werden. Der dortige Beschwerdeführer wurde vielmehr eines Finanzstrafdelikts schuldig gesprochen und danach mit Bescheid nach § 11 BAO zur Haftung herangezogen. Beides liegt hier nicht vor.

[22] 5. Damit hat das Rekursgericht das Vorliegen einer Gesamtschuld im Ergebnis zutreffend verneint, sodass dem Rechtsmittel keine Folge zu geben war.

[23] 6. In Exekutionsrechtssachen ist das Rechtsmittelverfahren auch in dritter Instanz an sich einseitig, was auch für das Bewilligungsverfahren gilt (jüngst 3 Ob 232/19t ), sofern nicht der Oberste Gerichtshof im Einzelfall eine Rechtsmittelbeantwortung für geboten hält (RS0118686; RS0116198 [T6]). Im vorliegenden Fall hatte der Verpflichtete bereits Gelegenheit, sich zur Frage der Gesamtschuld zu äußern, sodass es keiner Freistellung der Revisionsrekursbeantwortung bedurfte.

[24] 7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 EO iVm §§ 40 und 50 ZPO.