JudikaturJustiz3Ob45/08a

3Ob45/08a – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. April 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon.-Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef B*****, vertreten durch Dr. Alexander Puttinger, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis als Verfahrenshelfer, wider die beklagte Partei Engelbert S*****, vertreten durch Dr. Manfrid Lirk und DDr. Karl Robert Hiebl, Rechtsanwälte in Braunau am Inn, wegen 26.179,65 EUR sA, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 29. Jänner 2008, GZ 3 R 101/07d-26, womit der Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 11. Mai 2007, GZ 1 Cg 90/06f-13, in dessen Punkt 2. abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 erster Satz ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 zweiter Satz ZPO und § 521a Abs 2 ZPO abgewiesen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht erließ antragsgemäß gegen den Beklagten einen bedingten Zahlungsbefehl über 26.179,65 EUR sA, der am 6. Dezember 2006 durch Hinterlegung zugestellt wurde.

Der Rückscheinbrief wies die Adresse T***** 19/5 auf. Da dem zuständigen Postbediensteten jedoch bekannt war, dass der Beklagte vor etwa einem Jahr aus der Wohnung der Hannelore J***** in T***** 19/5 in die Wohnung T***** 19/2 umgezogen „und somit an dieser Abgabestelle anwesend" war, hinterlegte er beim Nichtantreffen des Beklagten in seiner Wohnung sowohl die Verständigung zur nochmaligen Ankündigung eines zweiten Zustellversuchs als auch die Verständigung zur Hinterlegung des Schriftstücks im Hausbrieffach T***** 19/2. Er wurde jedoch nach Hinterlegung des Zahlungsbefehls beim zuständigen Postamt bei einem zufälligen Zusammentreffen mit Hannelore J*****, der Nachbarin des Beklagten, über seine Rückfrage darauf aufmerksam gemacht, dass sie bis Mitte Jänner 2007 die Post für den Beklagten entgegennehme. Am nächsten Tag öffnete der Postbedienstete deswegen das Hausbrieffach des Beklagten und warf die gesamte dort eingelegte Post in das Hausbrieffach T***** 19/5. Es befand sich dort Post von etwa fünf bis sechs Tagen, darunter auch die Verständigungsscheine. Überdies war - was der Zusteller bei den beiden Zustellversuchen am

5. und 6. Dezember 2006 zunächst ignorierte - ein vom Beklagten handschriftlich angefertigter Zettel im Brieffach 19/2 angebracht, wonach sämtliche Zustellungen über das unmittelbar daneben liegende Hausbrieffach 19/5 erfolgen sollten. Eine Abholung des bei der Post hinterlegten RSa-Briefs samt Klage und Zahlungsbefehl nahm der Beklagte im Weiteren nicht vor; die Briefsendung wurde dem Gericht als „nicht behoben" retourniert.

Das Erstgericht wies zu Punkt 2. seines Beschlusses ON 13 den Antrag des Beklagten ab, die Vollstreckbarkeitsbestätigung vom 17. Jänner 2007 (zum Zahlungsbefehl ON 2) aufzuheben. Nach seiner Rechtsansicht seien Klage und Zahlungsbefehl gesetzeskonform zugestellt worden. Die Nachbarin des Beklagten sei von ihm wirksam bevollmächtigt worden; § 13 Abs 2 ZustG verlange keine förmliche Postvollmacht. Das Gericht zweiter Instanz gab auch im zweiten Rechtsgang - nunmehr nach Einholung einer Rekursbeantwortung - dem Rekurs des Beklagten dahin Folge, dass es die Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls aufhob. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Das Rekursgericht stellte ergänzend fest, dass der Beklagte vom 3. Dezember 2006 bis zum 19. Jänner 2007 in einer deutschen Justizvollzugsanstalt inhaftiert gewesen sei.

In rechtlicher Hinsicht sei die Adresse T***** 19/2 wegen der Ortsabwesenheit des Beklagten keine taugliche Abgabestelle gewesen. Die Zustellung an die angeblich Bevollmächtigte hätte nur dann wirksam erfolgen können, wenn sie eine (schriftliche) Spezial-(Post )Vollmacht gehabt hätte, eine allgemein zur Empfangnahme aller Poststücke erteilte Vollmacht hätte nicht genügt. Schon aus § 106 Abs 1 ZPO ergebe sich, dass eine Spezialvollmacht (arg: „zur Übernahme von Klagen ... ermächtigten Vertreters") erforderlich sei. Die vom Kläger behauptete Vollmacht der Hannelore J***** in Form des vom Beklagten an seinem Brieffach 19/2 angebrachten Zettels entspreche nicht den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Briefdienst Inland) der „Post". Andere Umstände, aus denen sich eine Ermächtigung der Genannten zur Empfangnahme von RSa-Briefen ergäbe, seien aus der Aktenlage nicht ersichtlich. Anhaltspunkte für ein tatsächliches Zukommen der Sendung iSd § 7 Abs 1 ZustG gebe es nicht.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers ist nicht zulässig. Dieser macht geltend, das Rekursgericht sei von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen, wonach eine Vollmacht zur Entgegennahme von RSa-Briefen mündlich und/oder konkludent erteilt werden könne (7 Ob 234/05w = SZ 2005/151 mwN); weiters fehle eine solche Rechtsprechung zur Frage, ob aus § 106 Abs 1 ZPO ein Schriftlichkeitsgebot abzuleiten sei.

Diese als iSd § 528 Abs 1 ZPO als wesentlich angesehenen Rechtsfragen sind aber in Wahrheit aus nachstehenden Gründen nicht präjudiziell, es hängt die Entscheidung von deren Lösung nicht ab. Das ZustG, dessen Regeln nach § 87 ZPO für gerichtliche Zustellungen im Zivilprozess gelten, unterscheidet die eigentliche „Zustellung" von der Hinterlegung iSd § 17 ZustG. Nach dessen Abs 3 dritter Satz gelten (rechtmäßig) hinterlegte Sendungen als mit dem ersten Tag der Abholfrist zugestellt. (Postalische) Zustellung iSd ZustG an den Empfänger ist die Übergabe eines „Dokuments" (§ 2 Z 2 ZustG) an diesen (Stumvoll in Fasching/Konecny² § 87 ZPO [§ 13 ZustG Rz 6]; N. Raschauer in Raschauer/Sander/Wessely, Österreichisches Zustellrecht § 2 Rz 3), wozu nach Stumvoll auch die Übernahme durch diesen gehört. Im vorliegenden Fall wurde nun die Sendung mit der Klage und dem gerichtlichen Zahlungsbefehl (einem nach § 247 Abs 2 ZPO mit der Klage und daher iSd § 106 Abs 1 ZPO wie eine solche zuzustellenden Schriftstück) der angeblich Bevollmächtigten des Beklagten nicht ausgefolgt; vielmehr erfolgte eine Hinterlegung beim zuständigen Postamt (das die Sendung letztlich als nicht behoben an das Erstgericht zurücksandte); dessen Zusteller legte nur die Verständigung von der Hinterlegung in das Hausbrieffach derselben. Diese Vorgangsweise widersprach - ungeachtet der Frage einer wirksamen Bevollmächtigung zur Entgegennnahme von Klagen und von wie solche zuzustellenden Schriftstücken - dem ZustG.

Nach § 13 Abs 2 ZustG darf ua durch Organe der Post auch an eine dieser gegenüber bevollmächtigte Person zugestellt werden, sofern dies nicht (wofür es hier keine Anhaltspunkte gibt) durch einen Vermerk auf der Sendung ausgeschlossen ist. Dass dies durch Ausfolgung des Schriftstücks zu erfolgen hat, ergibt sich zweifelsfrei aus dem Zusammenhang des ZustG, insbesondere auch aus dessen § 17. Aus diesem erhellt, dass bei Abwesenheit des Empfängers, also der in der Zustellverfügung bezeichneten Person (§ 2 Z 1 ZustG), oder eines - hier nicht in Frage kommenden - Vertreters iSd § 13 Abs 3 (nicht: 2) ZustG zu hinterlegen und davon der Empfänger schriftlich zu verständigen ist. Die vorübergehende Abwesenheit des nach § 13 Abs 2 ZustG Bevollmächtigten ist somit nach dem klaren Gesetzeswortlaut, der auch dem Zweck der Hinterlegungs- und Vertretungsregeln des Zustellrechts entspricht, kein Hinterlegungsgrund. Die iSd § 13 Abs 2 ZustG bevollmächtigte Person tritt eben nicht in jeder Hinsicht an die Stelle des Empfängers, sondern kann ihn nur bei einer eigentlichen Zustellung durch Ausfolgung iSd § 13 leg cit vertreten. So hat auch der VwGH klargestellt, dass der nach § 13 Abs 2 ZustG Bevollmächtigte - anders als der Zustellungsbevollmächtigte nach § 9 ZustG - nicht Empfänger iSd des ZustG ist (AZ 92/16/0116; 2005/16/0184).

Demgemäß hat auch bereits der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass die Zustellung an den Postbevollmächtigten durch Ausfolgung des Schriftstücks erfolgen kann (3 Ob 116/95 = RZ 1996/74; 10 Ob 351/97h = immolex 1998, 12 [Pfiel] = MietSlg 49.707 - konkret beim Postamt nach dem früheren § 187 PostO, damals nach diesen Entscheidungen gedeckt durch § 13 Abs 5 ZustG, der mittlerweile durch das E-GovG mit Wirkung vom 1. März 2004 aufgehoben [Art 3 Z 6 BGBl I 2004/10] und durch den im Wesentlichen gleichen § 4 Abs 5 erster Satz ZustG ersetzt wurde [§ 40 Abs 4 ZustG]; RIS-Justiz RS0079244; ebenso Stumvoll in Fasching/Konecny² § 87 ZPO [§ 13 ZustG Rz 9]; Gitschthaler in Rechberger³ § 87 ZPO [§ 17 ZustG Rz 2]; Wessely in Raschauer/Sander/Wessely aaO § 13 Rz 2c und 5 ["tatsächlich übergeben"]). Auch in § 4 Abs 5 erster Satz ZustG ist allerdings nur von der Zustellung an den Empfänger und nicht von einer an seinen Bevollmächtigten die Rede. Dass eine Hinterlegung nach § 17 ZustG für den Fall der vorübergehenden Abwesenheit trotz regelmäßigen Aufenthalts eines Bevollmächtigten iSd § 13 Abs 2 ZustG zulässig wäre, verneinen zumindest implizit zu Recht auch Stumvoll (aaO § 87 ZPO [§ 17 ZustG Rz 4]), Wessely (aaO § 17 Rz 4) und Gitschthaler (aaO § 87 ZPO [§ 13 ZustG Rz 3]).

Im Übrigen war eine Hinterlegung auch schon deshalb nicht zulässig, weil es sich bei der angegebenen Zustelladresse nicht mehr um die des Beklagten, also des Empfängers, handelte (Gitschthaler aaO § 87 ZPO [§ 17 ZustG Rz 2]; anders für den Fall der Zustellung oder Hinterlegung an der richtigen Abgabestelle des Empfängers trotz unrichtiger Zustellverfügung und Anschrift auf der Sendung Stumvoll aaO § 87 ZPO [§ 13 ZustG Rz 9]). Auch nach Stumvolls Ansicht wäre aber die ursprüngliche Hinterlegung mit Verständigung im richtigen Brieffach 19/2 - abgesehen von der Ortsabwesenheit des Beklagten - schon deshalb unwirksam, weil § 17 Abs 4 ZustG nicht das bewusste Entfernen der Verständigung durch den Zusteller selbst am Tag nach deren Einlegen deckt, wodurch der Empfänger an deren Kenntnisnahme gehindert wird.

War somit die Zustellung an den Beklagten in jedem Fall unwirksam, kommt es auf die Lösung der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen nicht an. Sein Rechtsmittel ist daher zurückzuweisen. Dem Beklagten steht für seine ohne Freistellung erstattete Revisionsrekursbeantwortung ein Kostenersatz nicht zu.