JudikaturJustiz2Ob8/85

2Ob8/85 – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Februar 1985

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Michael W*, vertreten durch Dr. Peter Kaupa, Rechtsanwalt in Baden, wider die beklagten Parteien 1) Franz L*, 2) Bruno S*, 3) W* Versicherungsgesellschaft, Ringturm, 1011 Wien, alle vertreten durch Dr. Joachim Wagner, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, wegen Schadenersatzes und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 30. November 1984, GZ 16 R 234/84-35, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 17. Juli 1984, GZ 3 Cg 547/83-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Soweit das angefochtene Urteil das Feststellungsbegehren betrifft, wird es dahin abgeändert, daß die Entscheidung als Teilurteil zu lauten hat:

„Es wird den beklagten Parteien gegenüber festgestellt, daß sie dem Kläger zur ungeteilten Hand zu einem Drittel für die künftig eintretenden Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 8. November 1981 zu haften haben, wobei die Haftung der drittbeklagten Partei durch die Höhe der sich aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag mit dem Erstbeklagten ergebenden Versicherungssumme begrenzt ist. Das darüber hinausgehende Feststellungsbegehren, soweit also die Haftung für ein weiteres Sechstel, eine betragsmäßig unbegrenzte Haftung auch gegenüber der Drittbeklagten und für bereits eingetretene Schäden festgestellt werden soll, wird abgewiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.“

Hinsichtlich des Leistungsbegehrens sowie im Kostenpunkt werden die Urteile des Berufungsgerichtes und des Erstgerichtes aufgehoben. In diesem Umfang wird die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Berufungs und Revisionsverfahrens gleich weiteren Verfahrenskosten erster Instanz Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 8. November 1981 ereignete sich bei Dunkelheit auf der Kottingbrunner Straße im Ortsgebiet von Bad Vöslau ein Verkehrsunfall. Der Zweitbeklagte hatte einen vom Erstbeklagten gehaltenen, bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten LKW-Zug am rechten Rand der 8,1 m breiten Fahrbahn abgestellt, ohne die Fahrzeugbeleuchtung einzuschalten. Der LKW-Zug stand allerdings im Licht einer öffentlichen Straßenbeleuchtung, und zwar befand sich der Beleuchtungskörper (20 Watt Leuchtstoffröhre) im Bereich der linken Fahrbahnseite. Der Kläger näherte sich mit seinem Motorfahrrad mit einer Geschwindigkeit von 30 km/h dem LKW-Zug von hinten. Aus einer Entfernung von 35 m zur Rückseite des Anhängers hätte er die Abhebung des linken Teiles des Anhängeraufbaues gegenüber dem helleren Umfeld wahrnehmen können; ebenso hätte er auf diese Entfernung die Reflexion des vom Beleuchtungskörper ausgehenden Lichtes in den Rückstrahlern erkennen können. Da sich das Visier des von ihm benützten Sturzhelms durch die Atemluft innen beschlagen hatte, nahm der Kläger den LKW-Zug zu spät wahr und zwar erst auf eine Entfernung von 19,7 m. Es gelang ihm nicht mehr, eine Kollision zu vermeiden. Der Kläger erlitt schwere Verletzungen, die eine Amputation des rechten Beines notwendig machten. Die Erkennbarkeit des LKW-Zuges wäre besser gewesen, wenn er auf der Straßenseite, auf der sich die öffentliche Beleuchtung befand, abgestellt gewesen wäre; eine eigene Lichtquelle am LKW-Zug hätte die Erkennbarkeit ebenfalls gefördert. Zu dem Unfall kam es „aber letztlich ausschließlich“ deshalb, weil sich das Visier des Sturzhelms beschlagen hatte und aus diesem Grund der Kläger das auf der Fahrbahn vorhandene Hindernis zu spät wahrnahm. Der Kläger hätte den LKW-Zug kollisionsfrei passieren können, hätte er 21 m vor der Rückfront des Anhängers sein Motorfahrrad nach links auszulenken begonnen. Die Reaktion des Klägers hätte bereits 27,7 m vor der Rückfront des Anhängers erfolgen müssen.

Der Kläger fordert Ersatz der Hälfte seines Schadens und zwar begehrt er einen Kapitalsbetrag von S 164.550,07 und eine monatliche Rente von S 1.000,-. Außerdem begehrte er die Feststellung, daß ihm die drei beklagten Parteien zur ungeteilten Hand für alle weiteren Ansprüche und Folgen und für alle zukünftigen Ersatzansprüche aus dem Unfallsereignis vom 8. 11. 1981 zur Hälfte haften.

Die Beklagten wendeten ein, der Kläger habe den Unfall allein verschuldet. Aus diesem Grund sei nicht nur das Leistungsbegehren (dieses wurde zum Teil auch der Höhe nach bestritten), sondern auch das Feststellungsbegehren, für welches die Voraussetzungen an sich gegeben wären, nicht berechtigt. Im übrigen würde die Drittbeklagte nur mit der Versicherungssumme haften.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, der Zweitbeklagte habe weder gegen § 23 Abs 1 noch gegen § 24 Abs 1 lit h StVO verstoßen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, daß der Gesamtstreitwert S 300.000,- übersteige. Das Gericht zweiter Instanz führte aus, die Annahme eines natürlichen Kausalzusammenhanges zwischen einzelnen Geschehnissen sei eine Tatsachenfeststellung. Mit der bekämpften Feststellung, daß die Sichtbehinderung des Klägers durch das Beschlagen seines Visierhelms zum übersehen des LKW-Zuges geführt habe, werde ein derartiger Geschehnisablauf als erwiesen angenommen. Aber selbst wenn das Erstgericht in die Tatsachenfeststellungen auch eine rechtliche Beurteilung aufgenommen hätte, würde dies keinen Berufungsgrund darstellen. Im übrigen erweise sich die bekämpfte Feststellung als unbedenklich. Dem Sachverständigengutachten sei zweifelsfrei zu entnehmen, daß die öffentliche Straßenbeleuchtung für eine ausreichende Beleuchtung und damit Auffälligkeit des LKW-Zuges gesorgt habe. Auch die Rechtsrüge versage. Eine Gefährdung des Klägers durch den auf eine Entfernung von 35 m deutlich erkennbaren LKW-Zug sei nicht vorgelegen. Der Kläger hätte sich bei gehöriger Aufmerksamkeit bzw Sorgfalt bei Benützung des Visierhelms auf das am rechten Fahrbahnrand abgestellte Hindernis einstellen können. Da nach den unbedenklichen Feststellungen des Erstgerichtes die Straße im Unfallsbereich durch die vorhandene Straßenbeleuchtung hinreichend ausgeleuchtet gewesen sei, könne dem Zweitbeklagten auch keine Übertretung der Vorschrift des § 60 Abs 3 StVO angelastet werden. Möge auch die Sicht auf den LKW-Zug nicht ganz auf die im Gesetz genannten „ungefähr“ 50 m gereicht haben, so habe im konkreten Fall eine Wahrnehmungsmöglichkeit von 35 m durchaus genügt, um bei den herrschenden Sichtverhältnissen und bei der Fahrgeschwindigkeit des Motorfahrrades eine völlig gefahrlose Vorbeifahrt an dem LKW-Zug zu gewährleisten.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers. Er macht den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt das angefochtene Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Auf Grund der Feststellungen ist davon auszugehen, daß das Beschlagen des Visiers des Sturzhelms für den Unfall ursächlich war. Daß sich der Unfall ebenso ereignet hätte, wenn der LKW-Zug durch die eingeschaltete Fahrzeugbeleuchtung besser erkennbar gewesen wäre, kann den Feststellungen aber nicht entnommen werden.

§ 60 Abs 3 StVO ist eine Schutzvorschrift im Sinne des § 1311 ABGB (ZVR 1981/187, S 237 uva). Daß die Vorschrift, stillstehende Fahrzeuge zu beleuchten, dazu dient, Teilnehmer des fließenden Verkehrs auf ein Hindernis aufmerksam zu machen, kann nicht zweifelhaft sein. Entgegen der in der Revisionsbeantwortung vertretenen Meinung ist der Rechtswidrigkeitszusammenhang daher zu bejahen. Fällt dem Zweitbeklagten ein Verstoß gegen § 60 StVO Abs 3 zur Last, dann wäre es Sache der Beklagten gewesen, einen Nachweis dafür zu erbringen, daß der Schaden auch bei vorschriftsmäßigem Verhalten eingetreten wäre (ZVR 1956/132, S 183; ZVR 1983/227, S 277 uva). Einen derartigen Beweis haben die Beklagten nicht erbracht. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, daß dem Kläger durch das Anlaufen des Visiers nicht jede Sicht genommen war, sondern daß die Sicht lediglich beeinträchtigt war, was sich daraus ergibt, daß er auf eine Entfernung von 19,7 m den LKW-Zug wahrnahm. Daß er eine Lichtquelle, wie die Rücklichter eines Fahrzeuges, früher wahrgenommen hätte, ist durchaus möglich, aus den Feststellungen ergibt sich jedenfalls nichts Gegenteiliges.

Entscheidend ist daher, ob der Zweitbeklagte verpflichtet gewesen wäre, die Beleuchtung am abgestellten LKW-Zug einzuschalten. Nach § 60 Abs 3 StVO muß ein stehendes Fahrzeug bei Dunkelheit nur dann nicht beleuchtet werden, wenn die sonstige Beleuchtung ausreicht, um es aus einer Entfernung von ungefähr 50 m zu erkennen. Diesem Erfordernis ist dann entsprochen, wenn die Umrisse des abgestellten Fahrzeuges leicht und ohne Mühe erkannt werden können (2 Ob 88/81). Im vorliegenden Fall konnte man auf eine Entfernung von 35 m die Abhebung des linken Teiles des Anhängeraufbaues gegenüber dem helleren Umfeld wahrnehmen. Ob dies die Annahme des Berufungsgerichtes, der LKW-Zug sei aus 35 m deutlich erkennbar gewesen, rechtfertigen kann, braucht nicht erörtert zu werden. Auf eine größere Entfernung als 35 m war der LKW-Zug jedenfalls nicht wahrnehmbar. Aus diesem Grund hätte er gemäß § 60 Abs 3 StVO beleuchtet werden müssen.

Somit ist dem Zweitbeklagten ein Verschulden am Unfall anzulasten. So schwerwiegend wie das Verschulden des Klägers, der trotz sichtbehindernd angelaufenem Visier fuhr, ist das Verschulden des Zweitbeklagten allerdings nicht. Aus diesem Grund ist eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 2 : 1 zu Lasten des Klägers vorzunehmen.

Da im Hinblick auf die Amputation eines Beines die Voraussetzungen für ein Feststellungsurteil nicht zweifelhaft sein können und auch von den Beklagten nicht bestritten werden, war mit Teilurteil die Haftung der Beklagten für ein Drittel der künftigen Ansprüche des Klägers auszusprechen. Allerdings haftet die Drittbeklagte nur im Rahmen des Versicherungsvertrages. Teilweise war das Feststellungsbegehren daher abzuweisen.

Hinsichtlich des Leistungsbegehrens, dessen Höhe bisher nicht geprüft wurde, mußten die Urteile der Vorinstanzen hingegen aufgehoben werden.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.