JudikaturJustiz2Ob556/55

2Ob556/55 – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. Oktober 1955

Kopf

SZ 28/213

Spruch

Spruchrepertorium Nr. 43 neu.

Das Judikat Nr. 58 neu findet auch dann Anwendung, wenn das Berufungsgericht seine Entscheidung über die Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsklage den Parteien nicht im Wege des Erstgerichtes, sondern unmittelbar zugestellt hat.

Entscheidung vom 5. Oktober 1955, 2 Ob 556/55.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Im Vorprozeß 49 C 58/54 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien wurde die Verlassenschaft nach Rudolf B. gemäß § 19 Abs. 2 Z. 5 und 11 MietG. aufgekundigt. Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf, das Berufungsgericht erklärte sie nach einer Beweiswiederholung für rechtswirksam. Die Revision der Verlassenschaft blieb ohne Erfolg (Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 16. Februar 1955, den Parteien zugestellt am 20. April 1955).

Am 1. Juli 1955 erhob die so unterlegene Verlassenschaft eine auf § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO. gestützte Wiederaufnahmsklage, die sie zu 41 R 764/55 beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien als dem im Vorprozeß eingeschrittenen Berufungsgericht anbrachte, weil sie lediglich die von diesem Gericht getroffenen Tatsachenfeststellungen zu bekämpfen versuchte. Das Rechtsmittelklagegericht wies die Klage aus mehrfachen Gründen mit Beschluß vom 18. August 1955 gemäß § 538 Abs. 1 ZPO. als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet zurück. Es bediente sich nicht des im Vorprozeß eingeschrittenen Erstgerichts, sondern stellte selbst seinen Zurückweisungsbeschluß den Parteien zu, der Wiederaufnahmsklägerin am 30. August 1955.

Der Oberste Gerichtshof verwarf den Rekurs der klagenden Partei.

Rechtliche Beurteilung

Begründung:

Die Wiederaufnahmsklägerin bekämpft den Zurückweisungsbeschluß mit Rekurs. Sie hat ihn am 7. September 1955 erhoben, jedoch nicht beim Vorprozeßgericht erster Instanz, sondern beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien, dessen Entscheidung sie anficht. Das Rechtsmittelklagegericht hat den Rekurs dem Obersten Gerichtshof vorgelegt.

Das Rechtsmittel erweist sich als verspätet.

Nach dem Plenarbeschluß des Obersten Gerichtshofes vom 6. Juni 1953, EvBl. 1953 Nr. 468, sind Rechtsmittel gegen die im Verfahren über eine Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsklage ergehenden Entscheidungen stets bei jenem Gericht einzubringen, das im Vorprozeß in erster Instanz eingeschritten ist; dies auch dann, wenn im Einzelfall das Berufungsgericht des Vorprozesses die erste Entscheidung über die Rechtsmittelklage zu treffen hat (Judikat Nr. 58 neu). Der gegenständliche Rekurs hätte daher beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien erhoben werden müssen. Tatsächlich wurde er jedoch bei dem hiefür unzuständigen Gerichtshof eingebracht. Beim allein zuständigen Bezirksgericht ist er bisher nicht eingelangt und könnte diesem auch nicht mehr rechtzeitig übermittelt werden, weil die Rechtsmittelfrist inzwischen längst verstrichen ist. Der Rekurs war daher gemäß § 526 Abs. 2 ZPO. zu verwerfen (vgl. z. B. JBl. 1954 S. 122).

Da der Oberste Gerichtshof gelegentlich die Meinung vertreten hat, über den Mangel einer verfehlten, gegen das Judikat Nr. 58 neu verstoßenden Rechtsmittelanbringung (beim Berufungsgericht statt beim Erstgericht des Vorprozesses) könne dann hinweggesehen werden, wenn die angefochtene Entscheidung des Berufungs- als Rechtsmittelklagegerichtes - wie im gegenständlichen Fall - nicht im Wege des Erstgerichtes zugestellt worden sei (so 1 Ob 322/54, 1 Ob 624/54 und 1 Ob 429/55), muß der erkennende Senat noch hinzufügen, daß er diese Auffassung nicht zu teilen vermag. In ihrem Ergebnis führt sie nämlich, zumindest fallweise, zu jener Annahme einer wahlweisen Zuständigkeit, die das Judikat Nr. 58 neu für mit dem Gesetz unvereinbar hält und auch aus Gründen der Rechtssicherheit ausgeschlossen wissen will. Überdies kennt die gesetzliche Verteilung der funktionellen Zuständigkeit im Rechtsmittelverfahren und damit der Zwang zur Erhebung eines jeden Rechtsmittels beim Prozeßgericht erster Instanz keine Ausnahme (§§ 465 Abs. 1, 505 Abs. 1, 520 Abs. 1 ZPO.). Im gewöhnlichen Verfahren würde daher wohl nie daran gezweifelt werden, daß eine Revision selbst dann beim Prozeßgericht erster Instanz zu überreichen wäre, wenn das Berufungsgericht sein Urteil den Parteien ausnahmsweise nicht im Wege des Erstgerichtes, sondern unmittelbar zugestellt hätte. Das muß aber nach den Grundsätzen des Judikates Nr. 58 neu auch für alle im Rechtsmittelklageverfahren erhobenen Rechtsmittel gelten. Strittig war ja vordem nur die Frage, ob sich an der gesetzlichen Verteilung der funktionellen Zuständigkeit etwas ändern sollte, wenn das im Vorprozeß eingeschrittene Berufungsgericht als Rechtsmittelklagegericht erster Instanz zu entscheiden hat; diese Frage wurde vom Judikat Nr. 58 neu mit ausführlicher Begründung verneint. Der erkennende Senat findet daher die vorangeführte mildere Auffassung durch das Judikat Nr. 58 neu nicht gedeckt.

Zugleich hat der zweite Senat beschlossen, folgenden Rechtssatz unter Nr. 43 in das Spruchrepertorium einzutragen:

Das Judikat Nr. 58 neu findet auch dann Anwendung, wenn das Berufungsgericht seine Entscheidung über die Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsklage den Parteien nicht im Wege des Erstgerichtes, sondern unmittelbar zugestellt hat.