JudikaturJustiz2Ob4/22k

2Ob4/22k – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Juni 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende und den Senatspräsidenten Dr. Musger sowie die Hofräte Dr. Nowotny, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö* AG, *, vertreten durch Dr. Martin Wandl und Dr. Wolfgang Krempl, Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagte Partei V*, vertreten durch Dr. Martin Neuwirth und Dr. Alexander Neurauter, Rechtsanwälte in Wien, wegen 16.110 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 12.925 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. Oktober 2021, GZ 15 R 116/21w 29, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 16. Juli 2021, GZ 6 Cg 47/20x 25, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das in seinem abweisenden Teil rechtskräftig gewordene Urteil des Erstgerichts in seinem stattgebenden Teil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 9.750,68 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin 1.081,78 EUR Umsatzsteuer, 3.260 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin betreibt ein Eisenbahn Infrastrukturunternehmen. Bei einem Unfall an einem Bahnübergang, für dessen Folgen der beklagte Verband haftet, wurde ein ihr gehörendes Wartehäuschen beschädigt. Die vordere senkrechte Kante wurde nahezu komplett herausgebrochen; das seitliche Mauerwerk wies zumindest einen starken Riss über die gesamte Höhe der Mauer auf. Die Klägerin entschloss sich, das Wartehäuschen nicht zu reparieren, sondern ersetzte es durch eine Neukonstruktion.

[2] Die Klägerin begehrte Schadenersatz von 16.110 EUR. Dieser Betrag wäre für eine (bloße) Reparatur erforderlich gewesen und stehe ihr daher auch nach der Neuerrichtung zu, die zumindest doppelt soviel gekostet habe.

[3] Der Beklagte wandte ein, dass die Klägerin keinen Anspruch auf „fiktive Reparaturkosten“ habe, weil das Wartehäuschen nicht repariert worden sei. Das Begehren sei auch in der Sache überhöht. Das Vorbringen der Klägerin zu den (höheren) Kosten der Neuerrichtung bestritt der Beklagte nicht.

[4] Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 12.925 EUR und wies das Mehrbegehren ab. Es stellte fest, dass die Reparatur den zugesprochenen Betrag gekostet hätte. Dies verpflichte den Beklagten zum Ersatz dieses Betrags.

[5] Das nur von der Beklagten angerufene Berufungsgericht wies das Begehren zur Gänze ab und ließ die Revision zunächst nicht zu.

[6] Fiktive Reparaturkosten seien nur zu ersetzen, wenn eine Reparatur beabsichtigt sei. Sonst bestehe nur ein Anspruch auf die objektive Wertminderung, und zwar deswegen, weil der Geschädigte in diesem Fall bei einem Zuspruch (höherer) fiktiver Reparaturkosten bereichert wäre. Im vorliegenden Fall habe sich die Klägerin für den Abriss des Gebäudes und eine Neuerrichtung entschieden, was schon begrifflich keine Reparatur sei. Daher könne sie nur den Ersatz der Wertminderung begehren. Ein solches Begehren habe sie aber trotz des diesbezüglichen Einwands der Beklagten nicht erhoben.

[7] Mit ihrer Revision strebt die Klägerin die Wiederherstellung des Ersturteils an. Da das Wartehäuschen nur für sie von Interesse gewesen sei und daher keinen Marktwert gehabt habe, sei der Ersatz nach den für eine Reparatur notwendigen Kosten zu bestimmen. Diese Kosten seien auch nicht „fiktiv“, weil ohnehin eine Reparatur stattgefunden habe. Dass diese Reparatur – durch Neuerrichtung – aufwändiger gewesen sei als unbedingt erforderlich, könne den Beklagten nicht entlasten.

[8] Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich zu, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, in welcher Form Schadenersatz bei Beschädigung eines Gebäudes als Teil einer Eisenbahnanlage zu ermitteln sei, wenn die Eisenbahnanlage unter Neuerrichtung eines Ersatzgebäudes instandgesetzt werde.

[9] Der Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben. Ein Reparaturkostenvorschuss stehe nur zu, wenn tatsächlich repariert werde.

[10] Die Revision der Klägerin ist zulässig und berechtigt .

Rechtliche Beurteilung

[11] 1. Das Berufungsgericht hat die – insbesondere im Zusammenhang mit der Beschädigung von Kraftfahrzeugen entwickelte – Rechtsprechung zu „fiktiven“ Reparaturkosten an sich zutreffend wiedergegeben.

[12] Es handelt sich dabei um den Anspruch auf das Deckungskapital für eine beabsichtigte Reparatur, also um einen Reparaturkostenvorschuss (RS0031088; zuletzt etwa 5 Ob 4/22g). Der Anspruch setzt Reparaturabsicht voraus und ist in diesem Fall nicht auf die objektive Wertminderung beschränkt; vielmehr kann der Geschädigte auch wirtschaftlich vertretbare höhere Kosten verlangen (2 Ob 213/19s [Rz 37]; 2 Ob 150/20b [Rz 12]; RS0030106).

[13] Da es sich um einen Vorschuss handelt, muss der Geschädigte aber die entsprechende Verwendung nachweisen. Tut er das nicht oder kann er die Reparaturabsicht von vornherein nicht beweisen, ist der Anspruch auf die objektive Wertminderung beschränkt (4 Ob 42/15b mwN; RS0022844, RS0115059), und es entsteht gegebenenfalls ein Rückforderungsanspruch (1 Ob 105/19a mwN). Der Grund liegt darin, dass ein voller Ersatz bloß fiktiver Kosten bei geringerer Wertminderung zu einer Bereicherung des Geschädigten führe, die mit dem Ausgleichsgedanken des Schadenersatzrechts (RS0022586, RS0023471) unvereinbar wäre (4 Ob 42/15b mwN; RS0022844; 1 Ob 105/19a).

[14] 2. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.

[15] Die Klägerin hatte von vornherein die Absicht, den realen Schaden zu beseitigen, und sie hat diese Absicht durch Neuerrichtung eines Wartehäuschens auch tatsächlich umgesetzt . Dabei ist unstrittig, dass dies zumindest den doppelten Aufwand erforderte als eine bloße Reparatur. Von einer Bereicherung bei Zuspruch der Kosten dieser Reparatur kann daher nicht einmal ansatzweise die Rede sein.

[16] 3. Der vom Berufungsgericht herangezogene Abweisungsgrund trägt daher nicht. Vielmehr ist der Anspruch der Klägerin nach allgemeinen Grundsätzen des Schadenersatzrechts berechtigt.

[17] 3.1. Ein Schaden ist nach § 1323 ABGB in erster Linie durch Zurückversetzen in den vorigen Stand auszugleichen ist. Nur wenn das nicht möglich oder untunlich ist, ist der gemeine Wert zu ersetzen (5 Ob 23/17v mwN). Naturalrestitution scheidet wegen Untunlichkeit nur dann aus, wenn sie einen unverhältnismäßig hohen Aufwand an Kosten und Mühe erfordert (RS0030117). Das gilt in besonderem Maß bei Liegenschaften und Gebäuden (RS0053282). Bei Beschädigung solcher Güter ist – ähnlich wie bei Sachen ohne Verkehrswert – auf die Sichtweise eines wirtschaftlich vernünftig handelnden Menschen, der den Schaden selbst zu tragen hätte, abzustellen (4 Ob 86/08p, 5 Ob 23/17v). Allenfalls ist ein Abzug „neu für alt“ vorzunehmen (RS0030246), wobei die Behauptungs- und Beweislast den Schädiger trifft (RS0022849 [T3]).

[18] 3.2. Untunlichkeit der Reparatur hat der Beklagte nicht eingewendet; sie ist auch nicht erkennbar. Einen konkreten Einwand, dass sich die Lebensdauer des Wartehäuschens durch eine Reparatur verlängert hätte (Abzug „neu für alt“), hat der Beklagte ebenfalls nicht erhoben. Hätte die Klägerin daher das Wartehäuschen nur repariert, so hätte sie nach der dargestellten Rechtsprechung zweifellos einen Anspruch auf Ersatz des dafür erforderlichen Aufwands – also des hier noch strittigen Betrags – gehabt.

[19] 3.3. Dieser Anspruch entfällt nicht dadurch, dass die Klägerin den realen Schaden (Unbrauchbarkeit des Wartehäuschens) nicht durch Reparatur im engeren Sinn, sondern durch einen Neubau beseitigt hat.

[20] Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 4 Ob 47/01t für den Ersatz des vertraglichen Erfüllungsinteresses ausgesprochen, dass der Geschädigte den Verbesserungsaufwand auch dann ersetzt verlangen kann, wenn er den Mangel nicht dadurch behebt, dass er den vertragsgemäßen Zustand herstellt, sondern stattdessen eine bessere Lösung wählt. Sein Anspruch ist dann aber mit jenen Aufwendungen begrenzt, die entstanden wären, hätte er (nur) den vertragsgemäßen Zustand hergestellt. Denn er ist nur so zu stellen, wie er stünde, wenn der Werkunternehmer die Leistung vertragsgemäß erbracht hätte.

[21] Diese Erwägungen sind zumindest insofern auf den vorliegenden Fall zu übertragen, als die Klägerin durch die Wahl einer besseren Ausführung – hier also durch Neuerrichtung – nicht den Anspruch auf jenen Aufwand verliert, der zur Beseitigung des Schadens jedenfalls erforderlich gewesen wäre. Vielmehr kann sie nach § 1323 ABGB (zumindest) verlangen, so gestellt zu werden, als hätte sie die Wiederherstellung auf das unbedingt Notwendige beschränkt.

[22] Eine sachliche Rechtfertigung für das gegenteilige Ergebnis des Berufungsgerichts ist nicht erkennbar: Abgesehen davon, dass die „Wertminderung“ des Wartehäuschens angesichts von dessen fehlenden Marktwert ohnehin nur durch die erforderlichen Reparaturkosten ermittelt werden könnte, kann der bloß „begriffliche“ Unterschied zwischen „Reparatur“ und „Neuherstellung“ dieses Ergebnis keinesfalls tragen. Auch eine Bereicherung der Klägerin liegt, wie bereits ausgeführt, nicht vor.

[23] 4. Aus diesen Gründen hat die Revision Erfolg. Die angefochtene Entscheidung ist dahin abzuändern, dass das Urteil des Erstgerichts auch in seinem stattgebenden Teil wiederhergestellt wird.

[24] 5. Aufgrund dieser Entscheidung ist die Beklagte zum Ersatz der Kosten aller drei Instanzen verpflichtet.

[25] Für das erstgerichtliche Verfahren gründet sich die Kostenentscheidung auf § 43 Abs 2 ZPO. Dabei war wegen der Wiederherstellung des Ersturteils auch auf die Berufung des Beklagten im Kostenpunkt Bedacht zu nehmen (RS0036047). Die darin erhobenen Einwände sind allerdings nicht berechtigt: Die Höhe des Zuspruchs beruhte auf der Ermittlung der für die Reparatur erforderlichen Kosten durch einen Sachverständigen; eine Überklagung lag nicht vor. Die Anwendung von § 43 Abs 2 ZPO hängt auch nicht davon ab, dass der Kläger sein Begehren nach Vorliegen des Gutachtens einschränkt.

[26] Für das Rechtsmittelverfahren gründet sich die Kostenentscheidung auf die §§ 50, 41 ZPO. Bei der Höhe der Kosten war zu berücksichtigen, dass die Klägerin für die Revision keine Barauslagen verzeichnet hat.

Rechtssätze
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