JudikaturJustiz2Ob267/98y

2Ob267/98y – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Oktober 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter, Dr. Schinko, Dr. Tittel und Dr. Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Staatsanwaltschaft Wien, 1082 Wien, Landesgerichtsstraße 11, wider die beklagten Parteien 1. Zoran D*****, vertreten durch Dr. Otto Ackerl und Dr. Adalbert Laimer, Rechtsanwälte in Wien, und 2. Evelyn D*****, vertreten durch Mag. Dr. Oskar Wanka, Rechtsanwalt in Wien, wegen Nichtigerklärung einer Ehe, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 27. Mai 1998, GZ 45 R 973/97i-56, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 12. Juni 1997, GZ 2 C 71/96m-33, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die Republik Österreich ist schuldig, dem Erstbeklagten die mit S 15.549,92 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 1.488,32 und Barauslagen von S 6.620) sowie der Zweitbeklagten die mit S 8.959,92 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 1.488,32, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Staatsanwaltschaft begehrt die Nichtigerklärung der zwischen den Beklagten am 21. 9. 1992 geschlossenen Ehe mit der Begründung, die Zweitbeklagte habe zuvor am 27. 6. 1992 mit Dragan K*****, geborenem S*****, vor dem Standesamt Donje Komarice zur Nr. 23/92 die Ehe geschlossen, die zum Zeitpunkte der nun gegenständlichen Eheschließung noch aufrecht gewesen sei. Die gegenständliche Ehe sei gemäß § 24 EheG nichtig.

Die Beklagten wendeten ein, die am 27. 6. 1992 eingetragene Ehe der Zweitbeklagten sei ohne Rechtswirkungen gewesen. Sie sei ohne ihr Wissen und ohne ihren Willen in ihrer Abwesenheit geschlossen worden und daher wirkungslos.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen wurden:

Am 27. 6. 1992 wurde am Standesamt von Donje Komarice unter der Nr. 23/92 die zwischen der Zweitbeklagten und Dragan S***** (späterem K*****) geschlossene Ehe eingetragen. Die Zweitbeklagte war bei der Verehelichung weder persönlich anwesend noch wurde sie von einem von ihr Bevollmächtigten vertreten. Sie erfuhr von dieser Eheschließung erst, als sie von der Bundespolizeidirektion Wien am 7. 9. 1995 dazu vernommen wurde. Es fehlten ihr der Wille, diese Ehe einzugehen, und auch das Wissen, daß eine solche Ehe geschlossen wurde.

Die für die Eheschließung notwendigen Dokumente waren ihr in einer von Jugoslawen bewohnten Wohnung abhanden gekommen, als sie vorübergehend für ca 10 Tage dort wohnte. Dort hielt sich auch Dragan S***** auf. Dies war vor der Registrierung der Ehe am 27. 6. 1992.

Dragan S*****, der serbischer Staatsbürger ist, nahm nach dieser Eheregistrierung den damaligen Familiennamen der Zweitbeklagten K***** an, welcher aus der ersten Ehe der Zweitbeklagten stammt. Am 21. 9. 1992 heiratete die Zweitbeklagte den Erstbeklagten, der serbischer Staatsbürger ist, vor dem Standesamt Wien-Innere Stadt.

Die Zweitbeklagte ist österreichische Staatsbürgerin.

In rechtlicher Hinsicht verwies das Erstgericht auf § 17 Abs 1 IPRG, wonach die sachlichen Ehevoraussetzungen nach dem Personalstatut jedes Verlobten zu beurteilen seien; bei verschiedenen Sanktionen gebe die schwerere den Ausschlag.

Aus dem Vergleich des § 17 EheG, wonach die Ehe dadurch geschlossen werde, daß die Verlobten vor dem Standesamt persönlich bei gleichzeitiger Anwesenheit erklären, die Ehe miteinander eingehen zu wollen, mit § 15 EheG, welcher die Ehewirksamkeitsvoraussetzungen nenne, ergebe sich, daß die Ehekonsenserklärung vor dem Standesamt nicht Formerfordernis sei, sondern Ehewirksamkeitserfordernis. Dies führe bei Nichtvorliegen zu einer Nichtehe.

Der Mangel der gleichzeitigen persönlichen Anwesenheit der Eheleute, der hier ebenfalls gegeben sei, würde zu einer Nichtigerklärung der Ehe führen. Im speziellen Fall komme aber zu diesem Mangel noch das Nichtvorhandensein des Willens der Zweitbeklagten, mit Dragan S***** die Ehe einzugehen, weshalb eine Nichtehe vorliege.

Das serbische Eherecht sei im Gesetz über die Ehe und die Familienbeziehungen vom 5. 6. 1980 geregelt. Dieses bestimme im § 41, daß die Ehe in dem Zeitpunkt als geschlossen gelte, in dem die Ehegatten die einvernehmliche Willenserklärung zum Eheabschluß vor dem zuständigen Organ und in der durch das zitierte serbische Gesetz vorgesehenen Weise abgeben. Auch das serbische Recht verlange für die gültige Ehe die elementaren Voraussetzungen eines Vertragsabschlusses, liege hinsichtlich eines Ehegatten nicht einmal eine Willenserklärung vor, sei von einer Nichtehe auszugehen.

Sowohl nach serbischem als auch nach österreichischem Recht liege daher eine Nichtehe vor, weshalb der Tatbestand der Doppelehe durch die nachfolgende Eheschließung nicht erfüllt sei.

Das von der klagenden Partei angerufene Berufungsgericht änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, daß dem Klagebegehren stattgegeben wurde; es sprach aus, die ordentliche Revision sei nicht zulässig.

Das Berufungsgericht führte unter Hinweis auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 26. Mai 1997, 6 Ob 65/97w, aus, bei der zwischen der Zweitbeklagten und Dragan S***** abgeschlossenen Ehe handle sich nicht um eine Nichtehe; eine solche liege nur dann vor, wenn nicht einmal der Rechtsschein einer Ehe gegeben sei. Aufgrund des Umstandes, daß infolge des von der serbischen Behörde ausgestellten Auszuges aus dem Heiratsregister zumindest der äußere Anschein einer im Ausland erfolgten Eheschließung gegeben sei, liege möglicherweise Nichtigkeit vor, die Ehe habe jedoch bis zu ihrer Nichtigerklärung familienrechtliche Wirkungen.

Die zwischen den Beklagten am 21. 9. 1992 eingegangene Ehe stelle somit hinsichtlich der Zweitbeklagten eine Doppelehe dar, welche gemäß § 24 EheG für nichtig zu erklären sei. Gemäß Art 73 des (serbischen) Gesetzes über die Ehe und die Familienbeziehungen vom 5. Juni 1980 sei eine Ehe, die während der Dauer der früheren Ehe eines der Ehegatten geschlossen wurde, nichtig. Das Recht auf Klageerhebung stehe nach Art 79 leg cit ua dem Staatsanwalt zu. Komme die Sanktion nur eines der Personalstatuten der beiden Beteiligten zur Geltung und bleibe der Mangel nach dem anderen Personalstatut mangels Geltendmachung ohne Sanktion, trete keine Konkurrenz der vorliegenden Mangelfolgen ein, sondern entscheide das zeitliche Zuvorkommen, wenn die Sanktion beider Statuten, wie hier, von der Geltendmachung abhänge. Im vorliegenden Fall habe der österreichische Staatsanwalt den nach österreichischem Recht bestehenden Nichtigkeitstatbestand der Doppelehe gemäß § 24 EheG geltend gemacht. Wegen seines Zuvorkommens führe der mit der gleichen Rechtsfolge der Nichtigerklärung der Ehe ausgestattete österreichische Verletzungstatbestand zur Anwendung österreichischen Sachenrechts (gemeint wohl: Sachrechts).

Dagegen richten sich die außerordentlichen Revisionen der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, den Rechtsmitteln der Beklagten keine Folge zu geben.

Die Revisionen sind zulässig, weil zu mehreren hier zu lösenden, in der Bedeutung über den Anlaßfall hinausgehenden Rechtsfragen eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt; sie ist auch berechtigt.

Die Beklagten vertreten die Ansicht, bei der Vorehe handle es sich um eine Nichtehe, weshalb der Tatbestand der Doppelehe nicht gegeben sei.

Hiezu wurde erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Nach § 17 Abs 1 IPRG sind die Voraussetzungen der Eheschließung, der Ehenichtigkeit und der Aufhebung für jeden der Verlobten nach seinem Personalstatut zu beurteilen. Diese Bestimmung regelt nicht nur die sachlichen Ehevoraussetzungen, sondern auch die Rechtsfolgen ihrer Verletzung, und zwar alle Rechtsfolgen des maßgebenden Rechtes, die an die Mißachtung sachlicher Voraussetzungen geknüpft sind. Von der Wirkung einer derartigen Verletzung wird immer das gesamte Eheverhältnis erfaßt, unabhängig davon, ob die Verletzung beide Personalstatuten oder nur eines von ihnen betrifft (EvBl 1990/8; EFSlg 75.834 = ZfRV 1995, 35; EvBl 1997/168 = ÖA 1998, 31 = ZfRV 1997, 155). Zu den materiellen Voraussetzungen zählt auch das Fehlen einer gültigen Vorehe. Die Bestimmungen des für den Erstbeklagten maßgebenden jugoslawischen und des für die Zweitbeklagte maßgebenden österreichischen Rechtes sind daher gegenüberzustellen.

Gemäß Art 73 des serbischen Gesetzes über die Ehe und die Familienbeziehungen vom 5. Juni 1980 ist eine Ehe, die während der Dauer der früheren Ehe eines der Ehegatten geschlossen wurde, nichtig. Das Recht auf Klageerhebung steht den Ehegatten und allen anderen Personen, die an der Nichtigerklärung der Ehe ein unmittelbares rechtliches Interesse haben, sowie dem Staatsanwalt zu (Art 79 leg cit).

Ähnlich ist auch die Rechtslage in Österreich. Gemäß § 24 EheG ist eine Ehe nichtig, wenn einer der Ehegatten zur Zeit der Eheschließung mit einem Dritten in gültiger Ehe lebte, klageberechtigt sind gemäß § 28 Abs 2 EheG der Staatsanwalt und jeder der Ehegatten sowie auch der frühere Ehegatte.

Über die Folgen der Verletzung materieller Ehevoraussetzungen entscheidet das "verletzte" Recht, also jenes Personalstatut, dessen Vorschriften nicht eingehalten wurden; es bestimmt nicht nur Art und Umfang der eherechtlichen Sanktion, sondern auch die Einzelheiten ihrer Geltendmachung, insbesondere die Klageberechtigung des Staatsanwaltes. Bei Verletzung beider Personalstatuten ist zunächst zu prüfen, welche Sanktionen wirksam werden, wobei die Wirksamkeit entweder unmittelbar kraft Gesetzes oder durch gerichtliche Geltendmachung von den dazu berechtigten Personen ausgelöst werden kann. Kommt auf diese Weise die Sanktion nur eines der Personalstatuten zur Geltung und bleibt der Mangel nach dem anderen Personalstatut mangels Geltendmachung ohne Sanktion, dann tritt eine Konkurrenz der beiden an sich vorliegenden Mangelfolgen nicht ein. Hängt daher die Sanktion der beiden Statuten - wie hier - von der Geltendmachung ab, so entscheidet das zeitliche Zuvorkommen, wenn auch etwa die schwerere Sanktion einer leichteren nachfolgen kann. Zu einer echten Konkurrenz kommt es nur dann, wenn durch zweiseitige Ehehindernisse abweichende Rechtsfolgen beider Personalstatuten gleichzeitig ausgelöst werden; nur in diesem Fall gilt der Grundsatz des "ärgeren Rechtes", demzufolge das Recht mit der strengeren Sanktion den Ausschlag gibt (EFSlg 75.835 = ZfRV 1995, 35 mwN).

Im vorliegenden Fall hat der österreichische Staatsanwalt den nach österreichischem Recht bestehenden Nichtigkeitstatbestand der Doppelehe gemäß § 24 EheG geltend gemacht; für die Annahme, daß auch der jugoslawische Staatsanwalt Klage erhoben hätte, fehlen alle Anhaltspunkte. Wegen des Zuvorkommens des österreichischen Staatsanwaltes führt daher der mit der gleichen Rechtsfolge ausgestattete Verletzungstatbestand zur Anwendung österreichischen Sachrechts (EvBl 1990/8; EFSlg 75.836 = ZfRV 1995, 35).

Nach diesem ist, wie schon erwähnt, eine Ehe nichtig, wenn einer der Ehegatten zur Zeit der Eheschließung mit einem Dritten in gültiger Ehe lebte. Die erste Ehe muß im Zeitpunkt der zweiten Eheschließung mit einer anderen Person noch bestanden haben; wirksam besteht die erste Ehe selbst bei Vorliegen von Ehenichtigkeitsgründen, solange sie nicht rechtskräftig für nichtig erklärt ist. Auf den schlechten Glauben oder auf Verschulden bei Herbeiführung der Doppelehe kommt es nicht an (Schwimann in Schwimann, ABGB**2 Rz 1 zu § 24 EheG). Im Falle einer Nichtehe besteht dagegen kein Hindernis (Müller-Gindullis, MünchKommzBGB3 Rz 2 zu § 20 EheG; Heintzmann in Soergel, BGB12 Rz 3 zu § 20 EheG; Strätz in Staudinger, KommzBGB12 Rz 5 zu § 20 EheG). Die Vorfrage, ob zur Zeit der Eheschließung einer der beiden Ehegatten mit einem Dritten in gültiger Ehe lebte, ist jedenfalls für den österreichischen Ehegatten nach dessen Heimatrecht zu beurteilen (vgl BGH FamRZ 1997, 542; Coester in MünchKommzBGB3 Rz 50 zu Art 13 EGBGB). Dazu führte der Oberste Gerichtshof in der schon

mehrfach zitierten Entscheidung 6 Ob 65/97w (= EvBl 1997/187 = ÖA

1998, 33 = ZfRV 1997, 213) aus, eine Nichtehe liege nur dann vor,

wenn nicht einmal der äußere Schein einer Ehe gegeben sei. Der Auszug aus dem Eheregister vermittle aber den äußeren Schein, daß beide Ehegatten eine Ehekonsenserklärung abgegeben haben, weshalb es jedenfalls einer Nichtigerklärung einer solchen Ehe bedürfe.

Die angeführte Entscheidung befaßte sich mit der Frage des Vorliegens einer Nichtehe unter dem Gesichtspunkt, ob eine Nichtigerklärung gemäß § 23 EheG in Betracht kommt. Die darin zum Ausdruck kommende Rechtsansicht hat daher für den hier zu entscheidende Fall nicht unmittelbar Gültigkeit. Ohne Zweifel liegt - wie auch in der zitierten Entscheidung ausgeführt wurde - eine Nichtehe dann vor, wenn nicht einmal der äußere Anschein einer Ehekonsenserklärung vorliegt, was etwa dann der Fall wäre, wenn die Eheschließung von einem dafür unzuständigen (ausländischen) Organ beurkundet worden wäre. Die fehlende Beurkundung bzw Mitwirkung eines Standesbeamten bildet aber nicht den einzigen Fall einer Nichtehe. Eine Ehe kommt auch dann nicht zustande, wenn eine Konsenserklärung der Verlobten fehlt. Eine solche ist das wesentliche Element der Eheschließung. Fehlt sie, liegt eine Eheschließung nicht vor; es besteht dann nicht einmal der äußere Schein einer Ehe, und der Vorgang, wo immer und in welcher Form es sich abgespielt haben mag, ist eine Nichtehe (Schwind, Kommentar zum österr. Eherecht Rz 1 zu § 17; Hopf/Kathrein, Eherecht, Anm 1 zu § 17 EheG; Feil, Ehegesetz, Rz 3 zu § 17 EheG; Müller-Gindullis, MünchKommzBGB3 Rz 17 zu § 11 EheG; Diederichsen in Palandt57, BGB, Rz 15 zu § 11 EheG; Strätz in Staudinger12 Rz 7 zu § 16 EheG).

Nach Ansicht des erkennenden Senates liegt hier demnach eine Nichtehe vor, weil die Zweitbeklagte bei der Eheschließung weder persönlich anwesend war noch wirksam vertreten wurde (Koziol/Welser II10, 190). Aus den Feststellungen des Erstgerichtes ergibt sich nämlich, daß der allenfalls für die Zweitbeklagte anwesende Vertreter von ihr nicht zur Abgabe der für die Eheschließung erforderlichen Erklärungen ermächtigt war. Eine Nichtehe führt aber nicht zum Vorliegen des Ehenichtigkeitsgrundes des § 24 EheG, weshalb der Revision der Beklagten stattzugeben und das klageabweisende Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen war.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf § 85 1. DVEheG iVm den §§ 41, 50 ZPO.

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