JudikaturJustiz2Ob20/13z

2Ob20/13z – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. April 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch den Hofrat Dr. Veith, die Hofrätin Dr. E. Solé und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Siegfried J*****, vertreten durch MMMag. Dr. Franz Josef Giesinger Rechtsanwalt GmbH in Götzis, gegen die beklagten Parteien 1. Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17 19, 1011 Wien, 2. U***** Sachversicherungs AG, *****, vertreten durch Mag. Johannes Luger, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen 10.745,20 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 9. November 2011, GZ 4 R 172/12v 20, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 7. Juli 2012, GZ 7 Cg 22/12y 14, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 373,32 EUR und der zweitbeklagten Partei die mit 447,98 EUR (darin enthalten 74,66 EUR USt) bestimmten Kosten der jeweiligen Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Am 7. 11. 2011 ereignete sich in Dornbirn gegen 17:00 Uhr bei Dämmerung im Bereich der Kreuzung der Lustenauerstraße mit der Raiffeisengasse/Brückengasse ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger mit seinem PKW und ein von der Erstbeklagten gehaltenes und bei der Zweitbeklagten haftpflichtversichertes Polizeifahrzeug beteiligt waren.

Der Kläger näherte sich der Kreuzung in der Lustenauerstraße und beabsichtigte sie geradeaus in Richtung Dornbirn-Zentrum zu überqueren. Er fuhr mit ca 50 km/h auf die grüne Ampel zu. Im Fahrstreifen links daneben befanden sich stehende Fahrzeuge bis über den Zebrastreifen hinaus in die Kreuzung hinein. Ebenso standen die auf der Lustenauerstraße aus Richtung Dornbirn-Zentrum entgegen kommenden Fahrzeuge. Auch in der Brückengasse (in Fahrtrichtung des Klägers gesehen links) und in der Raiffeisenstraße (deren Gegenrichtung) standen die Fahrzeuge. Obwohl also sämtliche Fahrzeuge im Kreuzungsbereich im Stillstand waren, fuhr der Kläger, ohne seine Geschwindigkeit zu verringern, weiter.

Zur gleichen Zeit lenkte Inspektor K***** das Polizeifahrzeug in der Brückengasse und beabsichtigte, die Kreuzung geradeaus in Richtung Raiffeisenstraße zu überqueren. Ca 150 m vor der Kreuzung schaltete er Blaulicht und Folgetonhorn als Dauerton ein. Die Ampel zeigte in seine Fahrtrichtung „rot“. Inspektor K***** nahm die sich aus der Lustenauerstraße aus Richtung Dornbirn-Zentrum nähernden stehenden Fahrzeuge ebenso wahr wie die stehenden Linksabbieger und nahm daher an, die Kreuzung gefahrlos überqueren zu können, obwohl ihm die Sicht auf den hinter der Linksabbieger Kolonne liegenden, vom Kläger benutzten Fahrstreifen verstellt war. Er brachte daher das Polizeifahrzeug nicht zum Stillstand, sondern fuhr mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h etwa zeitgleich mit dem weiter 50 km/h fahrenden Kläger in die Kreuzung ein.

Der Kläger hatte das Folgetonhorn nicht gehört, weil er das Radio eingeschalten hatte, aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens abgelenkt war und sich nicht ausreichend konzentrierte. Bei entsprechender Aufmerksamkeit hätte er das Folgetonhorn wahrnehmen können. Das Blaulicht hat der Kläger ebenfalls nicht wahrgenommen.

Beide Fahrzeuglenker hatten ca 0,5 Sekunden vor der Kollision erstmals ungehinderte Sicht aufeinander und konnten in diesem Zeitpunkt nicht mehr unfallverhindernd reagieren. Für Inspektor K***** wäre die Kollision nur vermeidbar gewesen, wenn er seine Geschwindigkeit bis zur Höhe des letzten sichtbehindernden Fahrzeugs auf der Linksabbiegespur auf 10 km/h verringert hätte. Der Kläger hätte den Unfall verhindern können, wenn er bei entsprechender Aufmerksamkeit das Folgetonhorn gehört und seine Geschwindigkeit auf etwa 10 km/h verringert hätte.

Durch den Unfall entstand am Klagsfahrzeug ein Reparaturschaden in Höhe von 12.024,74 EUR. Der Wiederbeschaffungswert belief sich auf 9.760 EUR. Ein Restwertangebot in Höhe von 1.200 EUR lag vor.

Die Reparaturkosten des Beklagtenfahrzeugs hätten sich auf 22.715,10 EUR belaufen. Sein Wiederbeschaffungswert betrug 21.140 EUR, sein Restwert 2.000 EUR. Aufgrund der Vereinbarung der Erstbeklagten mit ihrer Leasinggeberin erfolgt bei vorzeitigem Abbruch des Leasingvertrags aufgrund wirtschaftlichen Totalschadens eine kostenfreie Auflösung auf Basis der Abzinsung zum Außenzinssatz. Die Leasinggeberin verrechnete daher dem Bundesministerium für Inneres aufgrund der durch den Totalschaden erfolgten Auflösung des Leasingvertrags einen Betrag von 12.318,76 EUR, der compensando eingewendet wurde.

Das Erstgericht ging von einer Verschuldensteilung 1:1 aus und wies im Hinblick auf das Zurechtbestehen der Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung das Klagebegehren insgesamt ab.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung über Berufung der klagenden Partei unter Zugrundelegung einer Verschuldensteilung 1:2 zu Gunsten des Klägers dahingehend ab, dass es aussprach, das Klagebegehren bestehe mit 6.336,80 EUR zu Recht, die eingewendete Gegenforderung dagegen nicht, und die beklagten Parteien daher zur Zahlung des genannten Betrags verpflichtete.

Bei der Gegenforderung handle es sich um einen mittelbaren Schaden aus dem obligatorischen Vertragsverhältnis zwischen Leasinggeberin und nehmerin.

Soweit der Kläger geltend mache, dass es sich bei dem in der Mahnklage angeführten Schaden am Fahrzeug von 11.250 EUR um den Neuwert handle, könne ein derartiger Ersatz bei neuwertigen Fahrzeugen zwar grundsätzlich in Frage kommen. Es sei dazu aber von Klagsseite kein Vorbringen erstattet worden, weshalb es gemäß § 1323 ABGB bei der objektiv abstrakten Schadensberechnung zu bleiben habe und die Vorgangsweise des Erstgerichts, nicht den Neuwert sondern den Wiederbeschaffungswert der Schadensberechnung zugrunde zu legen, nicht zu beanstanden sei.

Die Revision sei zulässig, weil das Berufungsgericht von der Entscheidung 2 Ob 30/93 abgegangen sei und oberstgerichtliche Entscheidungen zur Frage des Schadenersatzes des Leasingnehmers bei Restwertabrechnung bereits länger zurücklägen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, dem Klagebegehren mit 10.695,20 EUR sA stattzugeben. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagten Parteien erachten die Revision als unzulässig bzw unberechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig , weil keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt wird:

1. Soweit der Kläger meint, die Höhe des von ihm geltend gemachten Fahrzeugschadens hätte deshalb zugrunde gelegt werden müssen, weil sie von Beklagtenseite nicht substanziiert bestritten wurde und er insofern auf RIS Justiz RS0039927 verweist, ist zu sagen, dass nach eben diesem Rechtssatz die Frage der Wertung des fehlenden substanziellen Bestreitens als schlüssiges Tatsachen-geständnis im Sinne des § 267 ZPO immer von den Umständen des Einzelfalls abhängt (vgl T9 und T13). Im Übrigen bedürfen nach der Judikatur Tatsachen, die nicht zugestanden aber auch nicht ausdrücklich bestritten worden sind, des Beweises und ist nicht die ausdrückliche Bestreitung sondern der Mangel eines Zugeständnisses maßgeblich. Ein „unsubstanziiertes Bestreiten“ kann daher nur dann als Zugeständnis gewertet werden, wenn im Einzelfall gewichtige Indizien dafür sprechen (RIS Justiz RS0039955 [T2]; RS0039941).

Die Frage, ob § 267 ZPO zutreffend angewendet wurde oder nicht, ob also ein schlüssiges Tatsachengeständnis vorlag oder nicht, ist eine Verfahrensfrage und die Überprüfung dieses Ermessens daher nur im Rahmen der Verfahrensrüge möglich (RIS Justiz RS0040078). Ein derartiger Verfahrensfehler wurde aber bereits vom Berufungsgericht verneint (Berufungsurteil S 7). Ein Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens ist mit Revision nicht mehr anfechtbar (RIS Justiz RS0042963).

2. Der Kläger meint weiter, das Berufungsgericht sei von der Entscheidung 2 Ob 30/93 abgewichen, in der bei einem ähnlichen Sachverhalt eine Verschuldensteilung 1:3 zu Gunsten des bei Grünlicht einfahrenden Fahrzeuglenkers ausgesprochen und dem Lenker nicht eine Verletzung des § 26 Abs 5 StVO, sondern ein verspätetes Bremsen angelastet wurde. Das Berufungsgericht habe dagegen das Mitverschulden des Klägers auf einen Verstoß gegen § 26 Abs 5 StVO gegründet und sich daher mit dieser Entscheidung im Widerspruch gesetzt.

Dem kann im Ergebnis nicht gefolgt werden:

Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof in dem der Entscheidung 2 Ob 30/93 zugrunde liegenden Fall davon ausgegangen ist, dass dem Kläger dort eine Verletzung des § 26 Abs 5 StVO nicht anzulasten sei, weil er für seine Fahrtrichtung grünes Licht hatte und davon ausgehen konnte, dass selbst Einsatzfahrzeuge das Rotlicht beachten und den Querverkehr abwarten würden. Es wurde ihm daher dort nur der verspätete Bremsentschluss zum Vorwurf gemacht. Allerdings war dort die Unfallsituation derart, dass in Annäherung an die Kreuzung für den dortigen Kläger Rotlicht herrschte. Vor der Haltelinie hatte daher auch ein Fahrzeug im Fahrstreifen rechts neben dem Kläger angehalten. Während der Annäherung des Klägers sprang die Ampel auf „grün“ um, zu einem Zeitpunkt als das Folgetonhorn hörbar war. Der Kläger beschleunigte sein Fahrzeug und fuhr in die Kreuzung ein, ohne dem Folgetonhorn Beachtung zu schenken. Alle anderen Fahrzeuge, die nunmehr ebenfalls „grün“ hatten, blieben dagegen stehen. Der Lenker des Einsatzfahrzeugs fuhr seinerseits ebenfalls ohne anzuhalten bei Rotlicht in die Kreuzung ein.

Hier dagegen näherte sich der Kläger der Kreuzung, deren Ampel für seine Fahrtrichtung bereits „grün“ zeigte. Dennoch standen sowohl die in seine Fahrtrichtung fahrenden Linksabbieger in der Kreuzung als vor allem auch die Fahrzeuge im Gegenverkehr. Ungeachtet dessen fuhr der Kläger, ohne darauf oder auf das Folgetonhorn zu achten oder das Blaulicht wahrzunehmen, in die Kreuzung ein. War daher für den Kläger im Falle der Entscheidung 2 Ob 30/93 die Situation an der Kreuzung insofern „unverdächtig“, als das vor ihm befindliche Fahrzeug bei „rot“ im Stillstand war, lag im vorliegenden Fall, selbst wenn man vom Folgetonhorn (und Blaulicht) absieht, eine Verkehrssituation vor, die ob ihrer Ungewöhnlichkeit besondere Aufmerksamkeit erheischte.

Da der Kläger dies nicht wahrnahm bzw auf keinen dieser „verdächtigen“ Umstände in irgendeiner Weise reagierte, ist ihm die vorgeworfene mangelnde Aufmerksamkeit (ON 8) anzulasten, wobei die vom Berufungsgericht getroffene Verschuldensteilung im Einzelfall vertretbar (und jedenfalls nicht zum Nachteil des Klägers) ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Da die Beklagten in ihren Revisionsbeantwortungen auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen haben, dienten ihre Schriftsätze zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

Rechtssätze
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