JudikaturJustiz2Ob146/00k

2Ob146/00k – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Mai 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rosemarie J*****, vertreten durch den Sachwalter Mag. Martin Karbiener, Rechtsanwalt in Schwanenstadt, wider die beklagte Partei Daniel J*****, vertreten durch Dr. Maximilian Hofmaninger, Rechtsanwalt in Vöcklabruck, wegen Aufhebung eines Übergabsvertrages, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Berufungsgericht vom 10. Februar 2000, GZ 22 R 49/00p-40, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Schwanenstadt vom 9. November 1999, GZ 2 C 591/98y-35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist grundbücherliche Eigentümerin einer Liegenschaft mit einem darauf errichteten Haus.

Am 20. 12. 1996 schlossen die Streitteile einen schriftlichen Übergabsvertrag.

Die Klägerin begehrt die Aufhebung diese Vertrages mit der Begründung, es habe ihr bei Abschluss des Übergabsvertrages an der notwendigen Handlungsfähigkeit gefehlt. Überdies habe sie nicht einmal die Hälfte dessen erhalten, was sie dem Beklagten übertragen habe.

Der Beklagte wendete ein, die Klägerin sei zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses voll geschäftsfähig gewesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, wobei es im Wesentlichen folgende Feststellungen traf:

Die Klägerin ist seit vielen Jahren alkoholkrank. Die Krankheit verstärkte sich nach dem Tod ihres Mannes, dem Vater des Beklagten, am 25. 3. 1995. Dies führte zu wiederholten Krankenhausaufenthalten. Nach dem Selbstmord ihrer Schwester im Februar 1996, die ebenfalls alkoholkrank war, beschloss die Klägerin ihr Leben zu ändern. Sie trank etwa ein halbes Jahr lang keinen Alkohol und machte in dieser Zeit den Führerschein. Bei der amtsärztlichen Untersuchung war sie unauffällig. Als sie im Sommer 1996 Probleme mit einem in ihrem Haus wohnenden Mieter hatte, fing sie wieder mit dem Trinken an. Sie erzählte dem Beklagten, der Mieter müsse ausziehen. Sie einigte sich mit dem Beklagten, dass er nach Ableistung seines Präsenzdienstes in dessen Räumlichkeiten einziehe, was dann tatsächlich geschah.

Im Oktober 1996 befand sich die Klägerin in ziemlich schlechter Verfassung. Sie war depressiv, wenngleich sie auch gewisse Phasen hatte, in denen sie nichts oder weniger trank. Dazwischen konsumierte sie aber insbesondere in der Zeit von Oktober bis Dezember 1996 immer wieder exzessiv Alkohol. In der zweiten Jahreshälfte 1996 verschlechterte sich ihre Verfassung kontinuierlich.

Bereits nach dem Tod ihres Mannes hatte sie das Gefühl, die Belastungen mit dem Haus seien ihr zuviel. Sie bot dem Beklagten im November 1996 die Übergabe ihrer Liegenschaft an, wobei dieser die Rückzahlung der auf der Liegenschaft haftenden Verbindlichkeiten übernehmen und ihr selbst lediglich ein lebenslanges und unentgeltliches Wohnrecht an der von ihr bewohnten Wohnung eingeräumt werden sollte. Der Beklagte war damit einverstanden. Über sein Ersuchen sollte Dr. F***** den Übergabsvertrag errichten. Bei einem Treffen im Haus der Klägerin in der zweiten Novemberhälfte 1996 besprach Dr. F***** mit den Parteien den Inhalt des Übergabsvertrages. Er erklärte ihnen, was der Übergabsvertrag bedeute; die Parteien waren mit sämtlichen Vertragspunkten einverstanden. Bei der Vertragsunterfertigung beim Notar am 20. 12. 1996 las sich die Klägerin den Vertrag vor der Unterzeichnung durch. Sie achtete nur darauf, dass ihr ein Wohnrecht eingeräumt und die Schulden vom Beklagten übernommen wurden.

Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin durch ihre Alkoholkrankheit und deren Folgen derart beeinträchtigt, dass sie die reale Situation nicht mehr klar beurteilen konnte, sich in eine Scheinwelt zurückzog und insbesondere gegenüber dem Beklagten in einer beträchtlichen psychischen Abhängigkeit war. Sie war in ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit schwer beeinträchtigt. Sie war zwar in der Lage, den Inhalt des Vertrages richtig zu verstehen, nicht aber, den Vertrag in allen Konsequenzen richtig abzuschätzen. Sie sah in ihrer damaligen Situation nur ihre momentane und aktuelle Lage und war nicht im Stande, die Tragweite des Vertrages auch in Bezug auf ihr weiteres Leben zu beurteilen. Sie war in ihrem freien Willen durch die Abhängigkeit gegenüber dem Beklagten beeinträchtigt. Sie war zum Zeitpunkte des Vertragsabschlusses nicht alkoholisiert, allerdings fehlte ihr die Fähigkeit, die zur Verfügung stehenden intellektuellen Kapazitäten zu nützen. Rein äußerlich hielt sie eine gewisse Fassade aufrecht, weshalb ihre schlechte psychische Verfassung und die schwere Beeinträchtigung ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit nicht auffielen.

In der Folge verstärkte sich die Alkoholkrankheit. Erst nach einer Therapie im Jänner 1998 erkannte sie die Tragweite des Übergabsvertrages.

Im Rahmen der Beweiswürdigung verwies das Erstgericht ua darauf, dass die Klägerin nicht einmal die zwei Vergewaltigungen, die durch den Beklagten im November 1996 und im Februar 1997 stattfanden und derentwegen er rechtskräftig verurteilt wurde, jemandem mitteilte, was für ihre beträchtliche psychische Abhängigkeit vom Beklagten spreche.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, dem Klagebegehren sei wegen der mangelnden Geschäftsfähigkeit der Klägerin bei Abschluss des Übergabsvertrages stattzugeben.

Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht bestätigte die angefochtene Entscheidung mit der Maßgabe, dass festgestellt wurde, der zwischen den Parteien abgeschlossene Übergabsvertrag sei rechtsunwirksam. Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit S 52.000, nicht aber S 260.000 übersteigend und sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig.

In rechtlicher Hinsicht führte es aus, die Geschäftsfähigkeit sei schon dann ausgeschlossen, wenn einem Vertragsschließenden wegen einer auch nur vorübergehenden geistigen Störung die normale Freiheit der Willensentschließung fehle, möge auch noch die Fähigkeit, das Rechtsgeschäfts verstandesmäßig zu erfassen und an seiner Durchführung mitzuwirken, vorhanden sein. Es sei nämlich nur derjenige geschäftsfähig, der die Tragweite und Auswirkungen seines Handelns abschätzen und dieser Einsicht gemäß disponieren könne. Geschäftsunfähigkeit eines an geistigen Störungen leidenden Vertragsschließenden sei daher schon dann anzunehmen, wenn das in Betracht kommende Geschäft von diesen geistigen Störungen "tangiert" werde. Dies sei dann der Fall, wenn der betreffenden Person für das jeweilige Geschäft wegen ihrer psychischen Erkrankung oder geistigen Behinderung ein Sachwalter zu bestellen gewesen wäre. Entscheidend sei somit, ob die Klägerin zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch in ausreichendem Maße zur Willensentscheidung in dieser Angelegenheit in der Lage gewesen sei, was verneint werden müsse, weil sich die Klägerin unter dem Einfluss ihrer Alkoholkrankheit verbunden mit einer erheblichen Beeinträchtigung des Realitätsbewusstseins und einer schweren Beeinträchtigung ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit, ihrer schlechten psychischen Verfassung und ihrer psychischen Abhängigkeit vom Beklagten in einer Situation psychischen Zwangs zu einer Veräußerung ihrer Liegenschaft an diesen entschlossen habe. Ihr Rechtsgeschäftswille sei daher entscheidend von ihrer geistigen Störung tangiert worden. Es sei davon auszugehen, dass der Klägerin die normale Freiheit zur Willensentschließung zumindest weitgehend gefehlt habe und sie auch nicht in der Lage gewesen sei, die Tragweite des konkreten Geschäftes für ihr weiteres Leben richtig zu beurteilen.

Nach ständiger Rechtsprechung sei das von einer geschäftsunfähigen Person abgeschlossene Rechtsgeschäft absolut nichtig, weshalb das Klagebegehren auf Feststellung der Unwirksamkeit und nicht auf Aufhebung des Vertrages zu lauten habe. Für die Beurteilung des von der Klägerin gestellten Urteilsbegehrens sei aber nicht allein dessen Wortlaut ausschlaggebend, sondern habe das Gericht das Begehren seinem Sinngehalt nach zu verstehen und erforderlichenfalls von Amts wegen den Urteilsspruch dem tatsächlichen Begehren anzupassen. Ausgehend vom Vorbringen der Klägerin könne kein Zweifel bestehen, dass diese in Wahrheit primär eine Nichtigkeit des abgeschlossenen Übergabsvertrages wegen ihrer mangelnden Geschäftsfähigkeit geltend gemacht habe und nur hilfsweise Vertragsaufhebung wegen Verkürzung über die Hälfte des wahren Wertes begehrt habe. Es erscheine daher nicht unzulässig, dem erstgerichtlichen Urteilsspruch eine andere, dem klar erkennbaren Willen der Klägerin entsprechende, Fassung zu geben.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil in der Rechtsprechung mitunter darauf abgestellt worden sei, ob die geistigen Fähigkeiten des Vertragsabschließenden für die Beurteilung des konkreten Rechtsgeschäftes ausreichend waren und ob dieses auch dem damaligen Willen der betreffenden Partei entsprochen habe (6 Ob 518/88), bzw als Voraussetzung für eine Geschäftsunfähigkeit eine - offenbar völlige - Unfähigkeit zur Willensbildung gefordert worden sei (1 Ob 574/88; 1 Ob 621/91). Es erscheine im Lichte der Bestimmung des § 273 ABGB eine eindeutige Aussage des Obersten Gerichtshofes zu den Voraussetzungen einer partiellen Geschäftsunfähigkeit geboten.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der beklagten Partei nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage - der gegenteilige Ausspruch des Berufungsgerichtes ist nicht bindend - unzulässig. Es entspricht nämlich ständiger Rechtsprechung, dass die Handlungs- und Geschäftsfähigkeit schon dann ausgeschlossen ist, wenn die normale Freiheit der Willensentschließung durch eine auch nur vorübergehende geistige Störung aufgehoben ist, mag auch noch die Fähigkeit, das Rechtsgeschäft verstandesmäßig zu erfassen, vorhanden sein (RIS-Justiz RS0014623; zuletzt 7 Ob 11/00v). Es entspricht auch ständiger Rechtsprechung, dass nur der (voll)geschäftsfähig ist, der die Tragweite und Auswirkungen seines Handelns abschätzen und dieser Einsicht gemäß disponieren kann (RIS-Justiz RS0009075; RZ 1994/54). Die Geschäftsunfähigkeit eines an geistigen Störungen leidenden Vertragsschließenden ist daher schon dann anzunehmen, wenn das in Betracht kommende Geschäft von diesen geistigen Störungen "tangiert" wurde (JBl 1997, 537; RZ 1994/54).

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes entspricht dieser ständigen Rechtsprechung, weshalb die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht gegeben sind. Richtig ist, dass in der Entscheidung 6 Ob 518/88 ua ausgeführt wurde, es komme darauf an, ob die geistigen Fähigkeiten für die Beurteilung des konkreten Geschäftes ausreichend waren. Die fehlende Einsicht in die Tragweite des Geschäftes müsse sich aus der Natur des Vertrages oder aus sonstigen besonderen Umständen ergeben. Diese Ausführungen entsprechen jedoch durchaus der oben wiedergegebenen herrschenden Rechtsprechung. Auch in der Entscheidung 1 Ob 574/88 wurde nicht ausgesprochen, dass eine Geschäftsunfähigkeit nur bei völliger Unfähigkeit zur Willensbildung gegeben sei. Vielmehr wurde auch hier dargelegt, dass ein verpflichtendes Rechtsgeschäft einer durch Geisteskrankheit oder Geistesschwäche behinderten Person unwirksam sei, wenn sie zur Willensbildung unfähig sei oder die Tragweite des konkreten Geschäftes nicht richtig abschätzen könne. Auch diese Entscheidung entspricht der ständigen Rechtsprechung. Lediglich in der Entscheidung 1 Ob 621/91 wurde die Ansicht vertreten, die Ungültigkeit eines verpflichtenden Rechtsgeschäftes sei gegeben, wenn eine durch Geisteskrankheit oder -schwäche bedingte vollkommene Unfähigkeit, die Tragweite eines bestimmten Geschäftes einzusehen, vorliege. Mit dem Erfordernis einer vollkommenen Unfähigkeit, die Tragweite eines bestimmten Geschäftes einzusehen, ist diese Entscheidung aber vereinzelt geblieben, es handelte sich bei dieser Aussage auch um ein obiter dictum, weil dem Kläger diese Fähigkeit fehlte und sich die Frage, welche Rechtsfolgen eine lediglich beschränkte Fähigkeit, die Tragweite des Geschäftes einzusehen, nach sich zieht, nicht stellte.

Auch in der Revision der beklagten Partei werden keine weiteren erheblichen Rechtfragen dargetan.

Diese erblickt eine Nichtigkeit bzw Mangelhaftigkeit des Verfahrens darin, dass das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil mit der Maßgabe bestätigte, dass anstelle der von der Klägerin begehrten Rechtsgestaltung auf Aufhebung des Übergabsvertrages ein Feststellungsurteil ergangen sei, wonach der Übergabsvertrag unwirksam sei. Das Berufungsgericht habe damit gegen § 405 ZPO verstoßen, was einen in § 477 ZPO nicht genannten Nichtigkeitsgrund bzw einen erheblichen Verfahrensmangel darstelle.

Nach ständiger Rechtsprechung ist aber für die Beurteilung der Rechtsnatur einer Klage nicht das Urteilsbegehren allein ausschlaggebend, sondern hat das Gericht vielmehr das Klagebegehren seinem Sinngehalt nach zu verstehen und erforderlichenfalls von Amts wegen den Urteilsspruch dem tatsächlichen Begehren des Klägers anzupassen (RIS-Justiz RS0041254; SZ 61/222; 1 Ob 239/97x). Auch insoweit entspricht die Entscheidung des Berufungsgerichtes der ständigen Rechtsprechung, weshalb die Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig und zurückzuweisen ist.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO.

Die Klägerin hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen, weil sie auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels des Beklagten nicht hingewiesen hat.