JudikaturJustiz2Ob126/03y

2Ob126/03y – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Juni 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Katja B*****, geboren am 4. April 1999, *****, vertreten durch Dr. Günter Tews, Rechtsanwalt in Linz, infolge Rekurses der Pflegebefohlenen gegen den Beschluss des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 11. Februar 2003, GZ 6 R 21/03k 47, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Schärding vom 3. Dezember 2002, GZ P 69/01x 42, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichtes wird als nichtig aufgehoben und die Pflegschaftssache zur neuerlichen Entscheidung an dieses zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht verpflichtete mit einstweiliger Verfügung vom 3. 12. 2002 die Mutter der Pflegebefohlenen gemäß § 382a EO zur Leistung eines vorläufigen Unterhaltes. Es erachtete das Vorliegen der Voraussetzungen des § 382a EO als gegeben.

Dagegen erhob die Mutter Rekurs.

Ohne Anhörung der Pflegebefohlenen gab das Rekursgericht diesem Rechtsmittel Folge und wies den Antrag, sie zur Zahlung eines Unterhaltes gemäß § 382a EO zu verpflichten, ab. Das Rekursgericht sprach zunächst aus, der Revisionsrekurs sei gemäß §§ 78, 402 EO iVm § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Es vertrat die Ansicht, das Rekursverfahren sei einseitig, weil die Bestimmung des § 402 Abs 1 EO teleologisch dahin zu reduzieren sei, dass die im § 521a ZPO angeordnete Zweiseitigkeit im Rechtsmittelverfahren über Beschlüsse gemäß § 382a EO nicht gelte.

Über Antrag der Pflegebefohlenen änderte das Rekursgericht seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses dahin ab, dass dieser für zulässig erklärt wurde.

Es begründete dies damit, dass der jüngeren Judikatur des Obersten Gerichtshofes jedenfalls für gewisse Fälle eine Abkehr vom bisher vertretenen Grundsatz, wonach eine Gegenäußerung zu Rechtsmittelschriften nur in den im Gesetz ausdrücklich angeführten Fällen für zulässig zu erachten sei, zu entnehmen sei. Demnach seien in konventionskonformer Auslegung des Art 6 Abs 1 EMRK zwar anfechtbare prozessleitende Beschlüsse keinem zweiseitigen Rechtsmittelverfahren zu unterwerfen, wohl aber solche Entscheidungen, mit denen über einen materiellen oder prozessualen Rechtsschutzanspruch abgesprochen werde.

Da eine aktuelle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Zweiseitigkeit des Rechtsmittelverfahrens über Beschlüsse gemäß § 382a EO im Lichte der aufgezeigten neuesten Judikatur unter Bedachtnahme auf Art 6 Abs 1 MRK fehle, sei der Revisionsrekurs doch für zulässig zu erklären.

Gegen den antragsabweisenden Beschluss des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs der Pflegebefohlenen mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass der Beschluss des Erstgerichtes wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Mutter erstattete eine Revisionsrekursbeantwortung.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Rechtsprechung uneinheitlich ist und im Sinne seines Eventualantrages auf Aufhebung auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

In dem Rechtsmittel wird ua geltend gemacht, durch die unterbliebene Zustellung des Rekurses liege Nichtigkeit vor, weil das Parteiengehör verletzt worden sei.

Hiezu wurde erwogen:

Hat das Verfahren einen Rekurs gegen einen Beschluss über einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zum Gegenstand (was hier der Fall ist), so ist § 521a ZPO anzuwenden, es sei denn, es handelt sich um einen Rekurs der gefährdeten Partei gegen die Abweisung eines Antrages auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, und der Gegner der gefährdeten Partei wurde zu dem Antrag noch nicht einvernommen (§ 402 EO). Demgemäß wurde in der Rechtsprechung auch zunächst die Ansicht vertreten, nach § 521a ZPO sei die Rekursschrift oder eine Abschrift des sie ersetzenden Protokolles dem Gegner des Rekurswerbers zuzustellen, der eine Rekursbeantwortung anbringen könne (7 Ob 557/90 = RZ 1990/119).

In der Folge ist der Oberste Gerichtshof aber von dieser Entscheidung abgegangen und hat ausgeführt, § 402 Abs 1 EO sei teleologisch dahin zu reduzieren, dass die im § 521a ZPO angeordnete Zweiseitigkeit im Rechtsmittelverfahren über Beschlüsse gemäß § 382a EO nicht gelte (8 Ob 579/93 = JBl 1994, 481). Diese Entscheidung wurde damit begründet, dass der Gesetzgeber im Interesse der raschen Verfahrensabwicklung bewusst ein einseitiges erstinstanzliches Verfahren geschaffen habe, dessen Nachteile für den Unterhaltspflichtigen durch die auch rückwirkend geltend zu machenden Einschränkung und Aufhebungsmöglichkeiten wettgemacht würden. Zudem habe er durch die Schaffung der Bestimmungen der §§ 399a und 399b EO das bei Einseitigkeit des Rechtsmittelverfahrens sonst bestehende Rechtsschutzdefizit beseitigt. Es wäre somit offenbar mit dieser Zielsetzung des Gesetzgebers nicht vereinbar, wollte man an der Zweiseitigkeit des exekutionsrechtlichen Rechtsmittelverfahrens festhalten, weil dies zu einer nicht gewünschten Verzögerung des gesamten Unterhaltsverfahrens führen würde. Diese Rechtsansicht wurde in der Folge auch in mehreren anderen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes vertreten (s RIS Justiz RS0010757); diese Entscheidungen werden in der Literatur auch referiert (E. Kodek in Angst EO § 382a Rz 9; Zechner Sicherungsexekution und Einstweilige Verfügung § 382a Rz 2; König Einstweilige Verfügungen2 Rz 2/147).

Dagegen sind allerdings in jüngerer Zeit erhebliche Bedenken geltend gemacht worden. G. Kodek in Burgstaller/Deixler Hübner EO § 402 Rz 6) und ihm folgend Sailer (in Burgstaller/Deixler Hübner EO § 382a Rz 14) haben in einer den Senat überzeugenden Art nachgewiesen, dass das Argument der Verfahrensbeschleunigung eine teleologische Reduktion des § 402 Abs 1 EO dahin, dass die in § 521a ZPO angeordnete Zweiseitigkeit nicht gilt, nicht trägt. Gemäß § 402 Abs 2 EO ist nämlich das Rekursverfahren bei Abweisung des Antrages auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung in erster Instanz ohnehin einseitig. Wurde aber die einstweilige Verfügung erlassen, dann kommt einem dagegen erhobenen Rekurs keine aufschiebende Wirkung zu, weshalb die im Interesse des Pflegebefohlenen gebotene Verfahrensbeschleunigung der gesetzlich gebotenen Zweiseitigkeit des Rechtsmittelverfahrens nicht widerspricht. Dies gilt auch für das Revisionsrekursverfahren, weil dann, wenn die zweite Instanz die von der ersten Instanz bewilligte Verfügung ablehnt, mit der Aufhebung der Verfügung bis zur Rechtskraft zuzuwarten ist und der bereits eingeleitete Vollzug erst mit Rechtskraft der Entscheidung des Rekursgerichtes einzustellen ist (Heller/Berger/Stix, Komm z EO, 2840; G. Kodek, aaO, § 390 Rz 77).

Daraus folgt, dass das hier geltende Gebot der Zweiseitigkeit des Rechtsmittelverfahrens verletzt und der Pflegebefohlenen das rechtliche Gehör entzogen wurde. Es war daher die Entscheidung des Rekursgerichtes als nichtig aufzuheben.