JudikaturJustiz2Ob119/99k

2Ob119/99k – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Juni 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Martin B*****, vertreten durch Dr. Gerhard Rößler, Rechtsanwalt in Zwettl, wider die beklagte Partei D***** AG, ***** vertreten durch Dr. Eduard Pranz und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen S 650.000 S sA und Feststellung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 26. Jänner 1999, GZ 16 R 109/98m-44, womit das Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 22. April 1998, GZ 3 Cg 48/96p-38, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 21. 10. 1995 ereignete sich um 2.50 Uhr ein Verkehrsunfall, an dem der bei der Beklagten haftpflichtversicherte, von Herbert B***** gehaltene und gelenkte PKW Fiat Tipo beteiligt war. Der Kläger war Beifahrer in diesem Fahrzeug und wurde durch den Unfall schwer verletzt.

Der Kläger begehrte von der Beklagten unter Berücksichtigung einer bereits geleisteten Teilzahlung von insgesamt S 50.000 ein Schmerzengeld von S 450.000 und eine Verunstaltungsentschädigung von S 200.000 sowie die Feststellung der Haftung für künftige Unfallsfolgen und brachte dazu unter anderem vor, er habe im Fond des Wagens Platz genommen und sei nicht angegurtet gewesen, weil die Sicherheitsgurten im Fond nicht funktioniert hätten.

Die Beklagte wendete unter anderem ein, daß den Kläger ein Mitverschulden von 40 % deshalb treffe, weil er nicht angegurtet gewesen, sondern auf der Rückbank gelegen sei, was zu wesentlich schwereren Verletzungen geführt habe; er habe gewußt, daß im Fond des Wagens die Gurten nicht funktionierten und dennoch dort Platz genommen.

Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger S 510.000 sA zu bezahlen; das Leistungsmehrbegehren und das Feststellungsbegehren wies es ab. Dazu traf es unter anderem folgende Feststellungen:

Am 20. 10. 1995 fand im Betrieb, in dem der Kläger und Herbert B***** beschäftigt waren, eine Betriebsfeier statt; aus Anlaß dieser Feier hatten die beiden vereinbart, daß B***** den Kläger nach Abschluß der Feier und diversen Lokalbesuchen nach Hause bringen werde. Der Kläger nahm (auf der Heimfahrt) am Rücksitz hinter dem Fahrersitz Platz, weil der PKW für ihn so "günstig stand". Er gurtete sich nicht an, weil er meinte, daß die Gurten (im Fond) nicht funktionstüchtig seien. Schließlich legte er sich auf die Rückbank, weil er müde war. Das Fahrzeug war sowohl vorne als auch hinten mit Sicherheitsgurten ausgestattet. Die Gurten an den Vordersitzen funktionierten. Es kann nicht festgestellt werden, ob die Gurten auf den Rücksitzen funktionstüchtig gewesen sind oder nicht. Auf der Heimfahrt kam es zum Verkehrsunfall dadurch, daß B***** mit seinem Fahrzeug in alkoholisiertem Zustand zu schnell und unaufmerksam eine starke Linkskurve durchfuhr und gegen eine Hausmauer stieß. Der Kläger wurde auf der Rückbank liegend durch den Anprall nach vorne geschleudert und prallte dabei mit dem Gesicht auf die Hinterkante der Sitze. Dadurch zog er sich schwere Verletzungen im Bereich des Mittelgesichtes und der vorderen Schädelbasis zu. Wäre der Kläger am Rücksitz sitzend angegurtet gewesen, hätte er mit Sicherheit die festgestellten Verletzungen nicht erlitten. Wenn er welche erlitten hätte, wären es Weichteilverletzungen gewesen.

In rechtlicher Hinsicht hielt das Erstgericht ein Schmerzengeld von insgesamt S 500.000 und eine Verunstaltungsentschädigung von S 200.000 für angemessen. Der Kläger habe nicht erkennen können, daß B***** alkoholisiert sei, weil dieser weder verwaschen gesprochen habe noch schwankend gegangen sei, als er das Lokal verlassen habe. Wegen der Alkoholisierung B*****s treffe den Kläger kein Mitverschulden. Allerdings wäre der Kläger verpflichtet gewesen, auch am Rücksitz die vorhandenen Gurten zu verwenden. Es habe nicht festgestellt werden können, ob die Gurten auf dem Rücksitz funktioniert hätten oder nicht, jedenfalls sei der Kläger der Meinung gewesen, daß die Gurten nicht funktionierten. Deshalb wäre er verpflichtet gewesen, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen, auf dem die Gurten funktionierten, und sich anzugurten. Dieses Fehlverhalten sei dem Kläger als "Mitverschulden von 20 %" zuzurechnen. Er habe sich daher eine Kürzung seiner Ansprüche insgesamt um 20 % gefallen zu lassen.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß dem Zahlungsbegehren im Umfang von S 525.000 sA und dem Feststellungsbegehren stattgegeben wurde, letzterem hinsichtlich künftiger Schmerzengeldforderungen jedoch nur zu 75 %. Das Mehrbegehren wurde abgewiesen. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision - mangels erheblicher Rechtsfragen - nicht zulässig sei. Zur Gurtenanlegepflicht führte es folgendes aus:

Sei ein Sitzplatz eines Kraftfahrzeuges mit einem Sicherheitsgurt ausgerüstet, so seien Lenker und beförderte Personen, die einen solchen Sitzplatz benützten, gemäß Art III Abs 1 der 3. KFG-Novelle je für sich zum bestimmungsgemäßen Gebrauch des Sicherheitsgurtes verpflichtet. Die Verletzung dieser Pflicht begründe, jedoch nur soweit es sich um einen allfälligen Schmerzengeldanspruch handle, im Fall der Tötung oder Verletzung des Benützers durch einen Unfall ein Mitverschulden an diesen Folgen im Sinn des § 1304 ABGB. Das Mitverschulden sei soweit nicht gegeben, als der Geschädigte beweise, daß die Folge in dieser Schwere auch beim Gebrauch des Sicherheitsgurtes eingetreten wäre. Richtig sei zwar, daß unter einem Sicherheitsgurt im Sinne dieser Bestimmungen nur ein funktionstüchtiger verstanden werden könne. Nach den Feststellungen habe sich aber der Kläger nicht angegurtet, weil er gemeint habe, daß die Gurten nicht funktionstüchtig seien. Zwar habe nicht festgestellt werden können, ob die Gurten auf den Rücksitzen funktionstüchtig gewesen seien oder nicht, der Kläger habe aber in erster Instanz nicht vorgebracht, Herbert B***** hätte ihn darüber informiert, daß die Gurten nicht funktionstüchtig seien - eine Aussage könne ein Vorbringen nicht ersetzen. Habe der Kläger lediglich gemeint, daß die Sicherheitsgurten auf der Rückbank nicht funktionstüchtig seien, hätte er dies zu überprüfen gehabt. Er hätte in erster Instanz zu seiner Entlastung vorbringen müssen, daß er diese Funktionsprüfung durchgeführt habe oder daß er von Herbert B***** darüber informiert worden sei, die Gurten wären nicht funktionstüchtig. Selbst unter der Annahme dieses Vorbringens und entsprechender Feststellungen dazu bliebe noch die von der Beklagten relevierte Frage offen, ob der Kläger nach Feststellung der Funktionsuntüchtigkeit der Gurte im Fond des PKWs oder nach einer Information des Halters und Lenkers darüber zur Vermeidung der Berechtigung des Mitverschuldenseinwandes nach Art III der 3. KFG-Novelle gehalten gewesen wäre, sich einen Sitzplatz mit funktionierenden Sitzgurten zu wählen. Der Oberste Gerichtshof habe ausgesprochen, daß ein auf dem als Liegesitz ausgebildeten Beifahrersitz liegend schlafender Beifahrer nicht mehr gefährdet sei, als dies bei einem sitzenden, aber ebenfalls nicht angegurteten Beifahrer der Fall sei; eine gesetzliche Bestimmung, die das Benützen von Liegesitzen während der Fahrt grundsätzlich verbiete, existiere nicht (ZVR 1988/51). Der Oberste Gerichtshof wolle also offenbar jeden aus welchen Gründen immer nicht angegurteten Fahrzeuginsassen gleich behandeln. Es sei dem Kläger unbenommen gewesen, im Fond liegend mitzufahren. Habe er dies aber getan und sich weder von der Funktionsfähigkeit der Gurte im Fond überzeugt - daß nicht festgestellt habe werden können, ob die Gurten hinten funktionstüchtig gewesen seien, gehe bei mangelnder Prüfung und Nachfrage hier zu Lasten des Klägers - noch sich einen mit funktionierenden Gurten ausgerüsteten Sitzplatz (neben dem Fahrersitz) gewählt, müsse er sich die "Gurtenquote" abziehen lassen. Dies allerdings nur beim Schmerzengeldanspruch und nicht bei der Verunstaltungsentschädigung. Da auch die Beklagte berufen habe, habe andererseits diese Quote auf das von der Judikatur in gleichartigen Fällen angenommene Maß von einem Viertel angehoben werden können (ZVR 1985/139, 1982/101, 1979/20 und 79).

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der gänzlichen Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagten wurde die Erstattung einer Revisionsbeantwortung freigestellt; sie hat sich am Revisionsverfahren aber nicht beteiligt.

Die Revision ist zulässig, weil die Rechtslage einer Klarstellung bedarf; sie ist aber nicht berechtigt.

Der Rechtsmittelwerber macht im wesentlichen geltend, die Beweislast dafür, ob die Gurten funktioniert hätten oder nicht, und insgesamt für ein Mitverschulden des Klägers, habe die Beklagte getroffen; dieser Beweis sei aber mißlungen. Einem Fahrgast stehe das Wahlrecht zu, welchen Sitz er einnehme; es bestehe keine Pflicht zur Benützung von Plätzen mit funktionierenden Sicherheitsgurten. Ein allfälliges Mitverschulden des Klägers sei vernachlässigbar und jedenfalls mit weniger als 25 % zu bewerten.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Nach allgemeinen Grundsätzen hat der Schädiger ein Mitverschulden des Geschädigten zu behaupten und zu beweisen. Dementsprechend trifft die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Gurtenanlegepflicht den Schädiger. Ausnahmen von dieser Pflicht hat hingegen der Geschädigte darzutun (Reischauer in Rummel2 § 1304 ABGB Rz 30; ZVR 1984/88). Voraussetzung der Gurtenanlegepflicht ist unter anderem, daß der Sitzplatz mit einem Gurt ausgerüstet ist. Trifft dies zu, hat der Geschädigte zu behaupten und zu beweisen, daß der Gurt nicht funktionsfähig war, weshalb er - ausnahmsweise - nicht benutzt werden mußte (vgl Reischauer aaO Rz 25; RZ 1981/75 = ZVR 1982/62). Erklärt allerdings der Halter dem Geschädigten, daß der Gurt nicht funktioniert, darf sich der Geschädigte hierauf verlassen und muß keine weiteren Nachprüfungen vornehmen.

Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, daß der Kläger meinte, die Gurten auf der Rückbank seien nicht funktionsfähig. Da er dies wohl kaum ohne jeden Anlaß annehmen konnte, ist diese Feststellung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung des Erstgerichts dahin zu verstehen, daß die Annahme auf einer Äußerung des Halters beruhte. Dem Kläger ist dann aber aus der Nichtbenützung eines nach Angaben des Halters nicht funktionsfähigen Gurtes kein Vorwurf zu machen.

Abgesehen vom Beweislastproblem stellt sich im vorliegenden Fall aber auch die Frage der freien Platzwahl. Reischauer (aaO Rz 25) führt hiezu aus, soweit nur bestimmte Sitze in einem Kraftfahrzeug mit Gurten auszustatten und ausgestattet seien, andere jedoch nicht, werde ein Beförderter, wenn mehrere Plätze frei seien, in vielen Fällen wählen dürfen, ob er einen mit einem Gurt versehenen Sitz oder einen anderen Sitz benutzt. Selbstverständlich dürfe er auch anderen Personen den Vortritt lassen. Einen nicht mit Gurten ausgestatteten Notsitz dürfe er aber zB nicht benutzen, wenn der gesamte Platzbedarf durch mit Gurten versehene Sitze befriedigt werden könne. Auch könne es nicht sinnvoll sein, einem Mitfahrenden die Benützung des mittleren hinteren Sitzes eines PKW zu gestatten, wenn die Seitensitze mit Gurten auszustatten und ausgestattet seien, vom Platzbedarf her aber der mittlere Sitz nicht beansprucht werden müsse.

In RZ 1981/75 = ZVR 1982/62 wurde ganz allgemein ausgesprochen, daß ein Verbot, auf einem Sitzplatz mitzufahren, der vorschriftswidrig nicht mit Sicherheitsgurten ausgestattet sei, nicht bestehe. SZ 53/161 = ZVR 1982/27 bezog sich auf ein Kraftfahrzeug, dessen Rücksitze schlechthin nicht mit Gurten auszustatten waren. Von der Verletzten wurde verlangt, sie hätte entweder den Sicherheitsgurt (des Beifahrersitzes) verwenden oder einen Rücksitz wählen müssen.

Eine Einschränkung der freien Platzwahl ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des Art III Abs 1 der 3. KFG-Novelle. Nach Ansicht des erkennenden Senates gebietet aber der Zweck der gesetzlichen Gurtenanlegepflicht (vgl Apathy, Zivilrechtliche Folgen der Nichtverwendung von Sicherheitsgurten, JBl 1985, 641 [642]) eine solche Einschränkung jedenfalls in zivilrechtlicher Sicht. Sind also die Sitzplätze in einem Kraftfahrzeug teilweise mit funktionierenden Gurten ausgerüstet und teilweise nicht, so hat ein Mitfahrer einen gesicherten Sitzplatz zu wählen, wenn ein solcher noch frei ist.

Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, daß der Kläger, wenn er schon meinte, die Gurten der Rücksitze würden nicht funktionieren, den mit einem funktionsfähigen Gurt ausgestatteten freien Beifahrersitz hätte benützen müssen. Wenn er es demgegenüber vorzog, sich quer auf die Rückbank zu legen, weil er müde war, so hat er sich in eigener Angelegenheit sorglos verhalten. Gegen die vom Berufungsgericht bei der Schmerzengeldkürzung angenommene Mitverschuldensquote von einem Viertel bestehen in einem solchen Fall keine Bedenken (vgl die Nachweise bei Reischauer aaO Rz 27).

Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen.

Rechtssätze
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