JudikaturJustiz26Os7/14w

26Os7/14w – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Dezember 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 11. Dezember 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Angermaier und Dr. Hofmann sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Danzl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Tagwerker als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen Dr. ***** wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 8. Jänner 2013, AZ D 202/02, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss wurde der Antrag des Dr. ***** auf Wiederaufnahme des gegen ihn beim Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien zu AZ D 202/02 geführten Disziplinarverfahrens abgewiesen.

Dr. ***** war mit in der Folge in Rechtskraft erwachsenem Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 15. Oktober 2004 der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt worden.

Danach hat er als Bevollmächtigter der „T*****“ HandelsgesmbH und der Geschäftsführerin M***** ab 30. Juni 1999 bis zumindest 30. April 2003 in den beim Handelsgericht Wien anhängigen Firmenbuchverfahren AZ 72 ***** an ihn und/oder seine Mandantschaft ergangene Vorerledigungen des Firmenbuchgerichts nicht bzw nicht zielführend erfüllt, somit die Eintragung von anmeldungspflichtigen Tatsachen in das Firmenbuch vereitelt und dadurch seine Mandantschaft der Festsetzung von Zwangsstrafen ausgesetzt.

Mit Eingabe an den Disziplinarrat vom 26. Mai 2009 beantragte Dr. ***** unter Vorlage einer in englischer Sprache verfassten Erklärung der M***** vom 3. Dezember 2008 die Wiederaufnahme des Verfahrens. Mit Verbesserungsauftrag vom 26. August 2009 wurde ihm auferlegt, den Antrag zu begründen sowie die Urkunde in beglaubigter Übersetzung vorzulegen. Mit am 29. September 2009 bei der Rechtsanwaltskammer Wien eingelangtem Schriftsatz begründete der Wiederaufnahmewerber seinen Antrag und führte aus, dass er mit M***** im Deliktszeitraum eine Liebesbeziehung unterhalten habe und es in ihrem Interesse gelegen sei, in dieser Zeit nicht ins Firmenbuch eingetragen zu werden. Zum Nachweis dieses Vorbringens legte er eine beglaubigte Übersetzung der Erklärung vom 3. Dezember 2008 vor.

Mit Ablauf des 31. Jänner 2010 verzichtete Dr. ***** auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft.

Mit Schreiben vom 14. Jänner 2011 und vom 12. September 2011 urgierte er die Behandlung seines Wiederaufnahmeantrags. Mit Schreiben vom 28. September 2011 teilte der Präsident des Disziplinarrats dem Wiederaufnahmewerber mit, dass er im Hinblick auf seinen Verzicht auf Ausübung der Rechtsanwaltschaft nicht mehr der Berufsaufsicht der Rechtsanwaltskammer Wien unterstehe, sodass die Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens ausgeschlossen sei. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss der Obersten Berufungs und Disziplinarkommission vom 13. April 2012 zu AZ 2 Bkd 1/12 zurückgewiesen, dem Disziplinarrat jedoch der Auftrag erteilt, über den Antrag inhaltlich zu entscheiden.

In der Begründung des angefochtenen Beschlusses vertrat der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer die Ansicht, dass sich selbst unter Zugrundelegung der neu vorgebrachten Tatsachen an der disziplinarrechtlichen Beurteilung des Verhaltens des Beschuldigten nichts ändern würde.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt in Übereinstimmung mit der Ansicht der Generalprokuratur keine Berechtigung zu.

1. Der Beschwerdeführer rügt zu Unrecht, dass ihm die Äußerung des Kammeranwalts zum Wiederaufnahmeantrag nicht zugestellt worden sei. Gemäß der nach § 77 Abs 1 DSt hier anzuwendenden Bestimmung des § 357 Abs 2 zweiter Satz StPO ist der Wiederaufnahmeantrag dem Kammeranwalt zur Gegenäußerung zuzustellen. Eine Verpflichtung, die Gegenäußerung dem Wiederaufnahmewerber zu übermitteln, sieht das Gesetz nicht vor.

Das Recht auf angemessenes rechtliches Gehör im Wiederaufnahmeverfahren ist durch § 357 Abs 2 dritter Satz und sechster Satz letzter Fall StPO gewährleistet. Im vorliegenden Fall sah sich der Disziplinarrat zutreffend zu keinen weiteren Erhebungen veranlasst (vgl RIS Justiz RS0117043). Es lagen daher hier keine Ermittlungsergebnisse vor, die dem Wiederaufnahmewerber und dem Kammeranwalt zur Äußerung zuzustellen gewesen wären.

Die Gegenäußerung des Kammeranwalts zum Wiederaufnahmeantrag wurde dem Beschwerdeführer übrigens am 30. Juli 2013 ohnedies nach Fassung des angefochtenen Beschlusses und seiner entsprechenden Verfahrensrüge im Rechtsmittel übermittelt. Der Beschwerdeführer hat am 10. Oktober 2013 nochmals eine Äußerung erstattet. Darin hält er an der genannten Verfahrensrüge fest, ohne dass aus seinem Vorbringen oder dem Akteninhalt eine Benachteiligung ersichtlich ist.

2. Bei der im angefochtenen Beschluss auf S 5 genannten „im Verfahren ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 23. September 2008“ handelt es sich richtig um den Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 29. August 2002, AZ 6 Ob 163/02t (vgl S 10 des Erkenntnisses der Obersten Berufungs und Disziplinarkommission von 15. Juni 2009, AZ 2 Bkd 4/05, im Disziplinarverfahren gegen den Wiederaufnahmewerber). Diese ist noch vor Ende des Deliktszeitraums ergangen. Hier liegt ein offenkundiger Tippfehler vor.

3. Die Verantwortung des Beschuldigten, wonach seine Mandantin der deutschen Sprache nicht mächtig sei, dass sie gerichtliche Aufträge und Entscheidungen nicht verstanden habe, dass er ihr keine Übersetzungen übermittelt habe und dass er die von ihm gesetzten Schritte mit ihr nicht besprochen habe, findet sich in der Niederschrift zur mündlichen Disziplinarverhandlung vom 15. Oktober 2004 und wurde dem Rechtsmittelvorbringen zuwider im angefochtenen Beschluss auch richtig wiedergegeben.

4. Auch die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Frage mangelnder Gefährdung seiner Mandantin, weil die im Zusammenhang mit dem Firmenbuch über sie verhängte Geldstrafe von ihm bezahlt worden sei, unter Hinweis auf AZ 6 Ob 43/05z gehen ins Leere. Er wurde der eingangs genannten Disziplinarvergehen schuldig erkannt, weil er seine Mandantin der Festsetzung von Zwangsstrafen ausgesetzt hat. In der von ihm zitierten Entscheidung sprach der Oberste Gerichtshof lediglich aus, dass von der Einhebung einer bereits festgesetzten Zwangsstrafe unter gewissen Bedingungen wieder abzusehen ist.

5. Vom Wiederaufnahmewerber wurde vorgebracht, dass er mit M***** bis zum Jahr 1999 eine Liebesbeziehung gehabt hätte und sie die Anteile an der HandelsgesmbH gefälligkeitshalber für ihn übernommen habe. Nach Ende der Beziehung habe sie diese Anteile rasch wieder abgeben wollen. Sie habe kein Interesse am Inhalt der im Firmenbuchverfahren ergangenen Beschlüsse gehabt, es sei ihm überlassen gewesen, eine Übernahme oder Verwertungsmöglichkeit für die HandelsgesmbH zu finden. Bis zu diesem Zeitpunkt habe sie nicht in das Firmenbuch eingetragen werden wollen.

Daraus ergibt sich keine Eignung, zu einer anderen disziplinarrechtlichen Beurteilung zu kommen.

Gemäß § 353 Z 2 StPO iVm § 77 Abs 1 DSt kann der rechtskräftig Verurteilte die Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens verlangen, wenn er neue Tatsachen oder Beweismittel beibringt, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet erscheinen, seinen Freispruch zu begründen (25 Os 8/14k).

Der Verurteilung liegt zugrunde, dass der Wiederaufnahmewerber als damaliger Anwalt und Vertreter der „T*****“ HandelsgesmbH und deren Geschäftsführerin seit 30. Juni 1999 bis zumindest 30. April 2003 insgesamt zwölf an ihn und seine Mandantschaft ergangene Vorerledigungen des Firmenbuchgerichts nicht bzw nicht zielführend erfüllt, dadurch die Eintragung von anmeldungspflichtigen Tatsachen in das Firmenbuch vereitelt und seine Mandantschaft der Festsetzung von Zwangsstrafen ausgesetzt hat.

Der Erklärung der M***** vom 3. Dezember 2008 ist zunächst gar nicht zu entnehmen, dass die vom Beschuldigten konkret gewählte Vorgangsweise von seiner Mandantin auch tatsächlich so gebilligt oder gar gewollt war. Denn sie war aufgrund ihrer mangelnden Deutschkenntnisse und der fehlenden Information durch den Beschuldigten gar nicht in der Lage, die Beschlüsse und Aufträge des Firmenbuchgerichts sowie die von ihrem Rechtsanwalt gesetzten Schritte und die damit verbundenen Konsequenzen zu verstehen.

Im Übrigen könnte auch ein allfälliges Einverständnis der Mandantin mit dem Verhalten ihres Anwalts nichts daran ändern, dass dieser Jahre hindurch sachdienliche Verbesserungs und Ergänzungsaufträge des Firmenbuchgerichts ignoriert hat und dadurch dem Ansehen der Rechtsanwaltschaft bei der Vielzahl der fallbezogen durch Jahre befasst gewesenen Gerichtsorgane einen beträchtlichen Schaden zugefügt hat.

6. Demnach fehlt dem neuen Tatsachenvorbringen und dem beigebrachten Beweismittel die Eignung, allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen den Freispruch des Wiederaufnahmewerbers zu begründen. An diesem Maßstab (§ 353 Z 2 StPO, § 77 Abs 1 DSt; 25 Os 8/14k) hat sich die Entscheidung zu orientieren, auch wenn es im Fall der Wiederaufnahme angesichts des vorliegenden Verzichts Dris. ***** auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft zu keiner Sachentscheidung mehr käme (RIS-Justiz RS0054824). Der Beschwerde war daher nicht Folge zu geben.

7. Bemerkt wird, dass der Disziplinarrat einen Kostenersatzausspruch nach § 390a Abs 2 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt unterließ. Einem amtswegigen Nachholen durch das Beschwerdegericht (RIS Justiz RS0129437) steht vorliegend das Verschlechterungsverbot des § 89 Abs 2b letzter Satz StPO iVm § 77 Abs 3 DSt entgegen (25 Os 8/14k).