JudikaturJustiz23Ds3/19x

23Ds3/19x – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Januar 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 16. Jänner 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Mag. Brunar und Dr. Konzett sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf in Gegenwart der Schriftführerin Kolar in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Beschuldigten wegen Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 15. Jänner 2019, AZ D 2/18, 5/18, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller, des Vertreters des Kammeranwalts Dr. Mandl sowie des Beschuldigten und seines Verteidigers Mag. Harg zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

***** wird von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe dadurch gegen § 9 RAO und §§ 1 und 2 RL BA 2015 verstoßen, dass er am 2. Februar 2018 im Rahmen eines Rekurses im Verfahren AZ ***** des Landesgerichts Feldkirch ausführte, bei der Richterin Mag. ***** S***** liege „der gleiche Kapitalfehler vor wie bei jenem Tiroler Richter, der nach Presseberichten am 24. November 2017 beim Landesgericht Feldkirch strafrechtlich wegen Amtsmissbrauchs verurteilt worden ist, weil er in einer Verhandlung selbst auf Englisch gedolmetscht hat, anstatt einen Dolmetscher beizuziehen“, gemäß § 38 Abs 1 erster Fall iVm § 54 Abs 3 DSt freigesprochen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt ***** der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.

Danach hat er dadurch, dass er im Verfahren AZ ***** des Landesgerichts Feldkirch im Rahmen des Rekurses vom 2. Februar 2018 ausführte, bei Richterin Mag. ***** S***** liege „der gleiche Kapitalfehler vor wie bei jenem Tiroler Richter, der nach Presseberichten am 24. November 2017 beim Landesgericht Feldkirch strafrechtlich wegen Amtsmissbrauches verurteilt worden ist, weil er in einer Verhandlung selbst auf Englisch gedolmetscht hat, anstatt einen Dolmetscher beizuziehen“, gegen § 9 RAO sowie §§ 1 und 2 (offenbar gemeint: § 1 Abs 2) RL-BA verstoßen.

Über den Beschuldigten wurde hiefür eine Geldbuße von 2.000 Euro verhängt.

Nach den wesentlichen Feststellungen vertrat ***** die beklagten Parteien in einem beim Landesgericht Feldkirch geführten Zivilverfahren. In diesem erließ die Richterin eine einstweilige Verfügung gegen die Mandanten des Beschuldigten, ohne einen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Lebensmittelchemie beizuziehen. Im Rahmen seines Mandats bekämpfte der Beschuldigte diese Entscheidung mit Rekurs und lehnte zudem die Richterin als befangen ab. Letzteren Antrag wies der zuständige Senat ab. Gegen diesen Beschluss erhob der Beschuldigte namens seiner Mandanten Rekurs, in dem er – unter Bezugnahme auf die Unterlassung der Beiziehung eines Sachverständigen – die inkriminierte Formulierung verwendete. In der Folge führte er ua auch aus, dass seitens der Parteien kein Wert darauf gelegt werde, „der Richterin Amtsmissbrauch vorzuwerfen“, es solle aber sichergestellt werden, ihr „in diesem Prozess nicht mehr zu begegnen“ (ES 5 f).

Zum – in tatsächlicher Hinsicht allein maßgebenden (vgl RIS-Justiz RS0092437 [T4]) – Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerung konstatierte der Disziplinarrat (wenngleich disloziert erst im Rahmen der rechtlichen Beurteilung), der Beschuldigte habe das Verhalten der Richterin „in die Nähe zum Amtsmissbrauch gerückt“ und ihr „Inkompetenz unterstellt“ (ES 11).

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS Justiz RS0128656 [T1]) und Strafe (§ 49 letzter Satz DSt). Sie ist im Recht.

Zutreffend zeigt die Berufung (der Sache § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) auf, dass vorliegend die – im Licht des Art 10 MRK verfassungskonform auszulegende – Grenze des § 9 RAO (noch) nicht überschritten wurde.

Gemäß § 9 Abs 1 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Er ist befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, sein Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten.

Unsachliche oder beleidigende Äußerungen sind – dem Gebot redlichen und ehrenhaften Verhaltens (§ 1 Abs 2 RL-BA 2015) entsprechend – weder unter dem Gesichtspunkt gewissenhafter Vertretung (RIS-Justiz RS0055897 [T9]) noch unter jenem der Meinungsfreiheit (RIS-Justiz RS0056168 [T11]) zulässig. Zwar steht das Recht auf freie Meinungsäußerung dem Rechtsanwalt wie jedem anderen Staatsbürger zu, er muss sich allerdings mit seiner Kritik im Rahmen des Gesetzes halten und sie sachlich, ohne beleidigendes Beiwerk vortragen (vgl RIS-Justiz RS0073088 , RS0055003 ).

Jedoch können in einem Ablehnungsantrag auch schwerwiegendere und weitergehende Angriffe gegen Gerichtspersonen enthalten sein als in Rechtsmitteln (RIS Justiz RS0107020), zumal nur gewichtige Gründe die Unbefangenheit des abgelehnten Richters nachhaltig in Zweifel ziehen. Der Versuch, diese Gründe entsprechend darzustellen, kann die Grenzen des Zulässigen selbst bei objektivstem Vortrag schnell erreichen. Eine Beschränkung des in einem Ablehnungsantrag zulässigen Vorbringens durch disziplinäre Maßnahmen würde zu einer Beschränkung des Ablehnungsrechts führen (RIS Justiz RS0046059, [insb T2]; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 10 , § 1 DSt Rz 54).

Demnach erfordert das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung (Art 10 Abs 1 MRK) gerade in einem solchen Fall besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung einer Äußerung als strafbares Disziplinarvergehen eines Rechtsanwalts (vgl RIS Justiz RS0056168).

Vorliegend hat der Beschuldigte – nach dem vom Disziplinarrat angenommenen Bedeutungsinhalt der Äußerung – der Richterin nicht (den Vorwurf dolosen Verhaltens beinhaltenden) Missbrauch der Amtsgewalt, sondern nur (bereits durch objektives Fehlverhalten verwirklichbare) „Nähe zum Amtsmissbrauch“ vorgeworfen, und ihr „Inkompetenz“ lediglich im Zusammenhang mit der Nichtbestellung eines Sachverständigen aus dem Bereich der Lebensmittelchemie, sohin erkennbar nicht in Bezug auf ihre juristischen Fachkenntnisse unterstellt (ES 6). Dies erfolgte überdies nicht im Rahmen der – persönlichen Bezug entbehrlich machenden – Bekämpfung einer Sachentscheidung der Richterin, sondern eines gegen sie gerichteten – und damit in der Regel Personenbezug erfordernden – Ablehnungsantrags.

Mit Blick auf den Bedeutungsinhalt des im Rahmen eines Ablehnungsantrags vom Beschuldigten – mit hinreichendem Tatsachensubstrat (vgl 15 Os 106/10t) – geäußerten Werturteils liegt daher kein Verstoß gegen § 9 Abs 1 RAO (iVm § 1 Abs 2 RL-BA 2015) und damit weder eine Verletzung von Berufspflichten noch eine Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes vor. Es war daher der Schuldspruch aufzuheben und der Beschuldigte freizusprechen (vgl zum Ganzen auch EGMR 21. 3. 2002, Bsw 31611/96, Nikula/Finnland , ÖJZ 2003/21 [MRK], 430; EGMR 23. 4. 2015 [GK], Bsw 29369/10, NL 2015, 153).

Rechtssätze
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