JudikaturJustiz1Ob77/05p

1Ob77/05p – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. Mai 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** GesmbH Co KG, *****, vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer und Dr. Siegfried Sieghartsleitner, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei D***** GmbH, *****, vertreten durch MMag. Dr. Franz Pechmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 7.792,08 sA, infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 22. Dezember 2004, GZ 22 R 422/04x 16, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Wels vom 29. Oktober 2004, GZ 5 C 544/04z 13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der über Antrag der klagenden Partei ergangene Zahlungsbefehl wurde der beklagten Partei durch Hinterlegung zugestellt; die Abholfrist begann am 26. 3. 2004. Der von der beklagten Partei beigezogene Rechtsanwalt wies eine Mitarbeiterin an, beginnend mit 26. 3. 2004 eine Frist von 4 Wochen zu berechnen, einzutragen und den angelegten Akt zum Poststoß zu geben. Die Mitarbeiterin vermerkte als Ende der Frist - fälschlich - den 26. 4. 2004. Der beauftragte Rechtsanwalt erhielt am 13. 4. 2004 das Schriftstück aus dem Postprotokoll, ließ einen Akt anlegen und holte Informationen über den Sachverhalt ein. Ein Rechtsanwaltsanwärter, der angewiesen war, nur im Einzelfall, aber nicht generell Kontrollen „über die Frist" durchzuführen, verfasste innerhalb der letzten Woche vor dem vermerkten Fristende den Einspruch und legte ihn dem Rechtsanwalt zur Unterschrift vor. Auch dieser kontrollierte die Rechtzeitigkeit anlässlich der Unterfertigung nicht, sodass der an das Erstgericht adressierte Einspruch am 26. 4. 2004 zur Post gegeben wurde.

Der Beschluss, mit dem der Einspruch als verspätet zurückgewiesen wurde, wurde dem Prozessvertreter der beklagten Partei am 21. 5. 2004 zugestellt. Er beantragte mit einem am 2. 6. 2004 zur Post gegebenen Schriftsatz namens der beklagten Partei die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist. Durch ein unerklärliches Versehen der Mitarbeiterin sei das Fristende mit 26. 4. 2004 vermerkt worden, weshalb der Einspruch erst an diesem Tag abgefertigt worden sei. Nachdem die Mitarbeiterin bereit seit einem Jahr sehr gewissenhaft und genau gearbeitet habe, habe der Rechtsanwalt seine Kontrolltätigkeit seit Beginn des Jahres 2004 auf Stichproben beschränkt.

Das Erstgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag mit der Begründung ab, dass dem Beklagtenvertreter ein über leichte Fahrlässigkeit hinausgehendes Verschulden vorzuwerfen sei, was der Bewilligung der Wiedereinsetzung entgegenstehe. Bei einer Anweisung an den Sachbearbeiter, bei der Abfassung des jeweiligen Schriftstückes nochmals die Frist zu kontrollieren, wäre das Versäumnis auf jeden Fall zu vermeiden gewesen.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss infolge Rekurses der beklagten Partei (nur) dahin ab, dass es den Wiedereinsetzungsantrag zurückwies; den Revisionsrekurs erklärte es letztlich für zulässig. Ein Wiedereinsetzungsantrag sei nach § 148 Abs 2 ZPO innerhalb von 14 Tagen zu stellen. Diese Notfrist beginne mit jenem Tag, an dem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sei der Wegfall des hindernden Ereignisses nach den tatsächlichen Verhältnissen zu beurteilen. Das Hindernis sei jedenfalls dann weggefallen, wenn der Partei selbst unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Möglichkeiten zugemutet werden könne, die Prozesshandlung nachzuholen. Der Lauf der Frist beginne daher nicht zwingend erst mit der Aufklärung des Irrtums, sondern bereits dann, wenn die mögliche Aufklärung des Irrtums nicht nur wegen eines minderen Grads des Versehens unterblieben sei. Ein Rechtsanwalt müsse die Organisation des Kanzleibetriebs so einrichten, dass die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Vornahme von Prozesshandlungen sichergestellt werde; er habe auch der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Angestellten hinreichend nachzukommen. Es könne nicht mehr von einem minderen Grad des Versehens ausgegangen werden, wenn keine nachträgliche Kontrolle der Richtigkeit der Fristenevidenz stattfinde. Einem Rechtsanwalt müsse bei der Bearbeitung eines fristgebundenen Schriftsatzes auffallen, ob die hiefür offen stehende Frist bereits abgelaufen ist. Sei dies der Fall, dürfe er mit einem Wiedereinsetzungsantrag nicht bis zum Ablauf von 14 Tagen nach Zustellung des die verspätete Prozesshandlung zurückweisenden Beschlusses zuwarten. Den Beklagtenvertreter habe somit spätestens bei Unterfertigung des Einspruchs am 26. 4. 2003 eine derartige Handlungspflicht getroffen, sodass mit diesem Tag die 14 tägige Wiedereinsetzungsfrist zu laufen begonnen habe. Außergewöhnliche Umstände, etwa eine über das gewöhnliche Maß hinausgehende Arbeitsüberlastung ihres Rechtsanwalts, habe die beklagte Partei nicht ins Treffen geführt. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil die Frage, ob den Anwalt bei der Abfassung eines (fristgebundenen) Schriftsatzes grundsätzlich eine Überwachungspflicht bezüglich der Richtigkeit der Fristeintragung durch Kanzleiangestellte und daraus resultierend eine entsprechende Handlungspflicht treffe, eine in ihrer Bedeutung über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende erhebliche Rechtsfrage darstelle und eine generalisierende Entscheidung des Höchstgerichts zum Umfang der Überwachungspflicht eines Rechtsanwalts im Rahmen der Abfassung eines befristeten Schriftsatzes geboten erscheine.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Rechtsansicht des Rekursgerichts erweist sich der Revisionsrekurs als unzulässig, weil keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO zu lösen ist.

Die Frage, ob ein bestimmtes Fehlverhalten einer Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten über den Grad eines leichten Versehens hinausgeht, ist regelmäßig von den besonderen Umständen des jeweiligen Falls abhängig und hat keine grundsätzliche Bedeutung (RIS Justiz RS0116535, RS0036590).

Zutreffend hat das Rekursgericht auf die Judikatur des Obersten Gerichtshofs verwiesen, nach der bei einer durch einen Irrtum entstandenen Säumnis die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bereits mit dessen möglicher Aufklärung beginnt, sofern diese durch auffallende Sorglosigkeit unterblieben ist (SZ 66/51, RIS Justiz RS0036742, RS0036608). Das Hindernis ist dann als weggefallen anzusehen, wenn der Partei - bzw ihrem Bevollmächtigten - zugemutet werden kann, die Prozesshandlung nachzuholen (RIS Justiz RS0036621).

Die Auffassung des Rekursgerichts, ein Rechtsanwalt sei gehalten, bei Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes (neuerlich) zu überprüfen, ob die Frist noch offen ist, begegnet insbesondere dort keinen Bedenken, wo die erstmalige Fristberechnung Kanzleiangestellten überlassen worden war und die Unterfertigung durch den Rechtsanwalt erst am vermeintlich letzten Tag der Frist erfolgte. Je weniger Aufwand eine derartige Kontrollmaßnahme erfordert, umso eher ist deren Unterlassung als grobes Verschulden zu qualifizieren. Im vorliegenden Fall ergab sich aus einem Aktenvermerk, dass die Hinterlegung am 25. 3. 2004 erfolgt war, sodass schon auf den ersten Blick aufgefallen wäre, dass die Eintragung des letzten Tags einer vierwöchigen Frist mit 26. 4. 2004 nicht richtig sein konnte. Hat der Beklagtenvertreter eine derartig einfache Kontrollmaßnahme unterlassen, obwohl sein Rechtsanwaltsanwärter angewiesen war, nur in Einzelfällen - aber nicht generell - Fristkontrollen durchzuführen, so kann dem Rekursgericht keine grobe Fehlbeurteilung vorgeworfen werden, wenn es das Verhalten des Rechtsanwalts als über ein leichtes Versehen hinausgehende Fahrlässigkeit qualifiziert hat. Entgegen der Auffassung der Revisionsrekurswerberin geht es hier nicht um die nachträgliche Überwachung von rein manipulativen Tätigkeiten einer Kanzleiangestellten - dies wäre etwa bei der verspäteten Postaufgabe einer rechtzeitig verfassten Eingabe der Fall -, sondern um die dem Rechtsanwalt selbst obliegende Überprüfung der Rechtzeitigkeit eines fristgebundenen Schriftsatzes vor dessen Abfertigung. Warum mit einer derartigen Aufgabenverteilung „eine arbeitsteilige Organisation unmöglich gemacht" würde, ist nicht nachvollziehbar.