JudikaturJustiz1Ob75/06w

1Ob75/06w – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Juli 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) Johanna W*****, 2) Maria S*****, 3) Christine F*****, 4) Maria M*****, 5) Mag. Karl-Franz F*****, 6) Herbert S*****, 7) Dr. Herwig F*****, 8) Gundlinde F*****, beide *****, alle vertreten durch Dr. Erich Portschy, Rechtsanwalt in Feldbach, wider die beklagten Parteien 1) Erich U*****, und 2) Erika U*****, beide *****, vertreten durch Dr. Barbara Jantscher, Rechtsanwältin in Feldbach, wegen Unterlassung (Streitwert EUR 7.267,28), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 27. Oktober 2005, GZ 5 R 210/03v-81, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Feldbach vom 19. Juni 2003, GZ 6 C 259/02k-59, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Kläger brachten vor, ein von einer öffentlichen Straße abzweigender Privatweg habe seit Menschengedenken zur Aufschließung ihrer Grundstücke gedient. Sie seien immer davon ausgegangen, dass der Privatweg zur Gänze auf dem Grundstück 460/1 verlaufe, welches im Eigentum der Erstklägerin stehe. Auf wessen Grund und Boden der Privatweg tatsächlich verlaufe, sei für den gegenständlichen Rechtsstreit letztlich unerheblich, da den Klägern jedenfalls das Recht zukomme, den Privatweg zu nutzen. Dieses Nutzungsrecht hätten die Beklagten eingeschränkt, indem sie im Zuge einer Neuvermessung der öffentlichen Straße im Jahr 1995 die Markierung eines Grenzverlaufs, welcher sich inmitten des Weges befinde und die Wegbreite nunmehr einschränke, veranlasst hätten. Im Jahr 1997 hätten die Beklagten entlang der neuen Markierungspunkte eine weiße Bodenmarkierungslinie aufgetragen. Da diese Linie von den Klägern „überfahren" worden sei, hätten die Beklagten im Jahr 2000 entlang der Linie eine Absperrung errichtet, wodurch das Befahren des Weges in seiner ursprünglichen Breite letztendlich unmöglich geworden sei. Sie begehrten, die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig zu erkennen, es zu unterlassen, den Privatweg in seiner bisherigen - detailliert angeführten - Breite einzuschränken; dies insbesondere durch Unterlassung der Aufstellung von Absperrvorrichtungen entlang der von ihnen angebrachten weißen Markierung.

Die Beklagten beantragten Klagsabweisung. Die weiße Linie stelle die Grundgrenze dar. Der Weg habe sich stets nur östlich der weißen Bodenmarkierung befunden und sei nie westlich dieser Markierungslinie, also auf ihrem Grundstück, verlaufen. Eine Einschränkung des Weges bzw Störungshandlungen hätten daher nicht stattgefunden. Selbst wenn der Weg jemals auf ihrem Grundstück verlaufen sein sollte, hätte auf Grund der am Weg aufgestellten Tafel „Derweilen freiwillig gestatteter Fahr- und Fußweg" mangels Gutgläubigkeit niemand ein Wegerecht zu Lasten ihres Grundstücks ersitzen können. Die Kläger seien nicht berechtigt, ihr Grundstück - zu welchem Zweck auch immer - zu benützen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und legte seiner Entscheidung zusammengefasst folgende Feststellungen zu Grunde:

Der Weg wurde von den Klägern und deren Rechtsvorgängern zumindest seit Mitte der Fünfziger-Jahre als Zufahrt zu deren Liegenschaften genützt. Er war ursprünglich rund 2,5 m breit, im Laufe der Zeit wurde er in Richtung Osten unter Inanspruchnahme der Grundstücke 460/1 (der Erstklägerin gehörig) und 460/2 (dessen Eigentümer je zur Hälfte der Siebentkläger und die Achtklägerin sind) verbreitert. Zu Beginn des Weges war auf dem Grundstück 460/1 eine Tafel mit der Aufschrift „Dermalen freiwillig gestatteter Fahr- und Fußweg" angebracht. 1977 entfernten die Beklagten einen Holzzaun, um Parkmöglichkeiten zu schaffen. Ende der Siebiger-Jahre wurde ein Parkplatz errichtet. Die Parkplatzmarkierungen ragen minimal in den ursprünglichen Wegbereich hinein. Am 23. 10. 1995 wurde durch „das Amt der steiermärkischen Landesregierung" die öffentliche Straße neu vermessen, wobei die Beklagten den Vermesser ersuchten, entlang der gemeinsamen Grundgrenze zwischen den Grundstücken 459/4 (dessen Eigentümer sie damals noch je zur Hälfte waren) und dem im Eigentum der Erstklägerin stehenden Grundstück 460/1 eine Grenzvermessung durchzuführen. Die Erstklägerin wurde hievon nicht in Kenntnis gesetzt. Der Vermesser setzte (allein) auf Grund der Angaben der Beklagten Markierungspunkte, welche direkt auf dem Weg lagen, sodass die Grundstücksgrenze „mitten durch den Weg" verlaufen würde. Im September 1997 zogen die Beklagten entlang dieser Markierungspunkte eine weiße Linie, um damit den von ihnen behaupteten Grenzverlauf zu dokumentieren. Würde man die weiße Markierung in Richtung Westen zum Grundstück des Beklagten hin nicht überfahren, wäre dies mit einer Einschränkung des bisher benutzten Weges verbunden. Die Kläger nützten den Weg jedoch weiterhin in der gewohnten Breite. Im Jahr 1998 stellten die Beklagten entlang der Markierung Schragen auf, wodurch das „Überfahren" der Straßenmarkierung und die Nutzung des Weges in der bisherigen Breite unmöglich wurden. Anstelle der Schragen wurden entlang der Markierungslinie auch etwa 1 m hohe Stützen, verbunden mit Ketten, aufgestellt. Diese Absperrungen wurden während des Buschenschankbetriebes der Beklagten wieder entfernt, im Herbst 2000 jedoch neuerlich angebracht. Zum Zeitpunkt der Klagseinbringung war der Erstbeklagte noch Hälfteeigentümer des Grundstücks 459/4.

In der rechtlichen Beurteilung hielt das Erstgericht fest, dass die Tafel „Dermalen freiwillig gestatteter Fuß- und Fahrweg" nicht für Anrainer und deren Rechtsnachfolger gegolten habe. Die Wegeanrainer hätten das Recht auf Benutzung des Weges in der ursprünglichen Form, wie von ihnen regelmäßig mehr als 30 Jahre lang unwidersprochen ausgeübt, ersessen, und zwar unabhängig davon, auf welchen Grundstücken der Weg verlaufe. Die Beklagten würden durch das Aufstellen von Absperrungen entlang der Bodenmarkierungen in das Servitutsrecht der Kläger eingreifen und die Benützung des Weges massiv behindern.

Das Berufungsgericht bestätigte im ersten Rechtsgang diese Entscheidung, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000, nicht aber 20.000 EUR übersteige, und ließ letztlich die Revision zu. Ob die Kläger zur Benützung des Weges auf Grund vertraglicher oder ersessener Servitut legitimiert seien, sei bedeutungslos, weil der Weg unstrittig immer auf dem Grundstück der Erstklägerin verlaufen sei. Eine Servitutsersitzung sei somit nicht Gegenstand des Verfahrens. Die Aktivlegitimation sämtlicher Kläger sei ebenso zu bejahen wie die Passivlegitimation des Erstbeklagten, hinsichtlich dessen das - von der Eigentümereigenschaft unabhängige - Setzen von Störungshandlungen behauptet worden sei. Der Oberste Gerichtshof hob diese Entscheidung auf und trug dem Berufungsgericht eine neuerliche, nach Ergänzung des Berufungsverfahrens zu fällende Entscheidung auf. Das Berufungsgericht habe - ohne dass eine entsprechende Feststellung getroffen worden sei - zu Grunde gelegt, der Weg sei immer auf dem Grundstück der Erstklägerin verlaufen. Auf Grundlage dieses urteilsfremden Sachverhalts sei es davon ausgegangen, die Ersitzung einer Servitut in Ansehung des der Zweitbeklagten gehörigen Grundstücks 459/4 sei „nicht Gegenstand dieses Verfahrens", weswegen es auf das Vorbringen der Beklagten, eine allfällige Ersitzung des Wegerechts westlich der weißen Markierungslinie zu Lasten des Grundstücks 459/4 habe schon zufolge der Tafel „Dermalen freiwillig gestatteter Fuß- und Fahrweg" nicht stattgefunden, nicht eingegangen sei und die diesbezügliche Rüge unerledigt gelassen habe. Auf wessen Grund der strittige Weg verlaufe, sei durchaus von entscheidender Bedeutung, insbesondere im Fall der möglichen Ersitzung eines allfälligen Servitutsrechts. Das Berufungsgericht werde schließlich auch zu den weiteren, von den Revisionswerbern aufgerufenen Fragen (der Schlüssigkeit des Klagebegehrens und der Freiheitsersitzung) Stellung nehmen müssen.

Auch mit seiner neuerlichen Entscheidung bestätigte das Berufungsgericht die Entscheidung des Erstgerichts, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000, nicht aber 20.000 EUR übersteige, und ließ die Revision zu. Es beurteilte den Sachverhalt nunmehr rechtlich dahingehend, dass die Erstklägerin - sollte sich der ursprüngliche Grenzverlauf tatsächlich so darstellen, wie ihn die Beklagten behaupten - jedenfalls Eigentum an der strittigen Wegfläche ersessen habe. Aus diesen Überlegungen heraus erübrige sich die Feststellung des tatsächlichen Grenzverlaufs zwischen den Grundstücken 459/4 und 460/1. Auf Grund der Annahme der Ersitzung von Eigentum sei ferner nicht entscheidungswesentlich, für wen die Tafel mit der Aufschrift „Dermalen freiwillig gestatteter Fahr- und Fußweg" gelten sollte, weil dieser Frage nur im Zusammenhang mit einer allfälligen Servitutsersitzung Bedeutung zukäme. Insoweit die Schlüssigkeit des Klagebegehrens angezweifelt werde, gingen die Beklagten nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, wenn sie behaupten, der Weg sei nie 3,6 m breit, geschweige denn 5,6 m breit gewesen. Im Hinblick auf die Ersitzung des Eigentums durch die Erstklägerin sei auf die Frage der Freiheitsersitzung nicht mehr einzugehen.

Die Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Erstklägerin hätte Eigentum ersessen, wird vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt:

Für die Ersitzung von Eigentum wäre der Alleinbesitz der Erstklägerin bzw deren Rechtsvorgänger (§ 1493 ABGB; 8 Ob 645/93 mwN; Mader/Janisch in Schwimann, ABGB³, § 1468 Rz 3 und § 1493 Rz 2) an jenen Teilen des Weggrundstücks notwendig gewesen, die nicht ohnedies in ihrem Eigentum stehen; dieser Alleinbesitz hätte in der Form ausgeübt werden müssen, dass anderer Besitz durch mindestens 30 Jahre ausgeschlossen gewesen wäre. Diese Ersitzung hätte auch gegen den im Grundbuch eingetragenen Eigentümer gewirkt (Mader/Janisch aaO § 1460 Rz 7; Meissel in KBB, Kommentar zum ABGB, § 1460 Rz 2; je mwN). Nun ist einerseits nicht nachvollziehbar, warum die Erstklägerin Alleineigentum ersessen haben sollte, zumal den Feststellungen nach auch die anderen Kläger Besitzhandlungen im fraglichen Ersitzungszeitraum und auf dem strittigen Wegteil gesetzt haben (siehe hiezu nur Meissel aaO mwN). Andererseits haben nach den Feststellungen aber auch die Beklagten im Laufe der vermeintlichen Ersitzungszeit Handlungen gesetzt, die sich als Ausübung ihres Eigentumsrechts darstellten, nämlich Ende der 70iger Jahre einen Parkplatz errichtet, dessen Markierungen jedenfalls - wenn auch nur geringfügig - in die „ursprüngliche Wegbreite" hineinragten. Geht man von der Feststellung aus, die Kläger bzw deren Rechtsvorgänger hätten „zumindest seit Mitte der 50iger Jahre" den Weg als Zufahrt zu ihren Liegenschaften genutzt, dann fällt dieses Ereignis in die 30-jährige Ersitzungszeit. Dies hindert die Ersitzung (Meissel aaO mwN). Schon infolge dieser Handlungen der Beklagten ist eine Ersitzung von Eigentum durch die Erstklägerin zu verneinen.

Sollte man die auf Unterlassung der Störungen gerichtete Klage als Eigentumsfreiheitsklage verstehen wollen, wäre der wahre und von den Klägern zu beweisende Grenzverlauf als Vorfrage zu klären, da Voraussetzung für die Berechtigung eines Unterlassungsbegehrens der Eingriff in ein bestehendes Eigentumsrecht ist (1 Ob 295/03v). Bisher haben die Kläger den Nachweis des von ihnen behaupteten Grenzverlaufs - maßgeblich sind dabei die Naturgrenzen (SZ 69/187) - nicht erbracht. Ließen sich entsprechende Feststellungen über den Grenzverlauf nicht treffen, wäre ihr Klagebegehren angesichts der sie treffenden Behauptungs- und Beweislast mangels Verletzung ihres Eigentumsrechts abzuweisen.

Zu beurteilen bliebe aber jedenfalls, ob die Kläger ihr Nutzungsrecht am Weg aus einem Servitusrecht ableiten können. Zwar hat das Berufungsgericht nunmehr die Beweisrüge betreffend die von der Rechtsvorgängerin der Erstklägerin aufgestellte Tafel erledigt, dennoch ist die Rechtssache nicht entscheidungsreif:

Wie der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Vorentscheidung zum Ausdruck gebracht hat, ist die Frage, auf wessen Grund der strittige Weg verläuft, insbesondere im Fall der möglichen Ersitzung eines Servitutsrechts von entscheidender Bedeutung. Dazu hat das Berufungsgericht aber - ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht - keine Feststellungen getroffen. Auf Grund seiner Rechtsmeinung ließ das Berufungsgericht zudem neuerlich die Frage der Freiheitsersitzung nach § 1488 ABGB und die damit in Zusammenhang stehenden Berufungsausführungen unerörtert.

Letztlich bleibt anzumerken, dass das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstgerichts zur Gänze übernommen und dadurch zu erkennen gegeben hat, es halte an den in seiner ersten - aufgehobenen - Entscheidung enthaltenen Ausführungen zur Tatsachenrüge fest. Das Berufungsgericht hat aber verabsäumt, diese Ausführungen in seine nunmehrige Entscheidung aufzunehmen bzw diese zu wiederholen, was von den Revisionswerbern zu Recht als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens aufgezeigt wird.

Die neuerliche Aufhebung des Berufungsurteils ist sohin unumgänglich.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.