JudikaturJustiz1Ob72/08g

1Ob72/08g – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. Mai 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, Wien 4., Prinz Eugen Straße 20 22, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Raiffeisenkasse P*****, vertreten durch Dr. Werner Posch, Rechtsanwalt in Gloggnitz, wegen 2.470,03 EUR sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 16. Jänner 2008, GZ 18 R 200/07a 17, womit das Urteil des Bezirksgerichts Neunkirchen vom 23. August 2007, GZ 3 C 171/07s 13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Zwischen der Beklagten und einem Verbraucher wurde am 10. 7. 1995 ein „Abstattungskreditvertrag (Einmalkredit)" über 600.000 S (= 43.603,70 EUR) abgeschlossen. Die Verzinsung wurde mit 7 % pa festgelegt. Weiters wurde vereinbart, dass der Kredit in 216 gleichbleibenden Raten für Kapital und Zinsen in Höhe von je 5.505 S (= 400,06 EUR) zurückzuzahlen sei. Die Beklagte behielt sich vor, den Zinssatz anzupassen. Die Zinsanpassungsklausel lautete wie folgt:

„Der Kreditgeber ist berechtigt, die vereinbarten Konditionen entsprechend den jeweiligen Geld , Kredit- oder Kapitalmarktverhältnissen zu ändern. Eine solche Änderung kann eintreten zum Beispiel durch Erhöhung der Einlagenzinssätze oder der Bankrate oder der Kapitalmarktrendite oder durch kredit- oder währungspolitische Maßnahmen hinsichtlich der Zahlungsbereitschaft, des Kreditvolumens oder der Mindestreserven oder durch Änderung der Bestimmungen über die Verzinsung von geförderten Krediten."

Nach Verlangen des Kreditnehmers wurde der Zinssatz am 1. 4. 1997 auf 6,375 % und per 14. 7. 1997 auf 6 % reduziert. Am 2. 4. 2002 wurde der Kredit mit einer Restzahlung von 4.843,75 EUR vorzeitig getilgt.

Die Klägerin ist ein Verband im Sinne des § 29 Abs 1 KSchG, dem der Kreditnehmer Ansprüche im Zusammenhang mit der Kreditabwicklung zum Inkasso und zur klageweisen Geltendmachung abgetreten hat.

Mit der am 25. 1. 2007 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin - gestützt auf Schadenersatz, Bereicherung „und jeden sonst in Betracht kommenden Rechtsgrund" - die Rückzahlung von überhöht geleisteten Kreditzinsen im Betrag von 2.470,03 EUR. Sie brachte vor, die von der Beklagten verwendete Klausel sei unwirksam, weil sie § 6 Abs 1 Z 5 KSchG (aF) sowie § 21 Abs 2 KWG widerspreche und sittenwidrig sei. Die Beklagte sei bei der Anpassung des Zinssatzes nach nicht nachvollziehbaren Kriterien vorgegangen; sie habe auf ein Absinken des allgemeinen Zinsniveaus auf dem Geld- und/oder Kapitalmarkt mit Verspätung und/oder in zu geringem Ausmaß, viel häufiger aber überhaupt nicht reagiert. Anstelle der unwirksamen Klausel bzw anstelle der durch die Beklagte vorgenommenen Abrechnung hätten Zinsanpassungen nach objektiven und nachvollziehbaren Parametern zu treten.

Die Beklagte stellte das Klagebegehren der Höhe nach dahin außer Streit, „dass sich die Klagssumme rechnerisch richtig ergibt, wenn man das von der Klägerin angewendete Anpassungsmodell heranzieht". Die Zinsanpassungsklausel sei bloß versehentlich nicht gestrichen worden. Sollte diese doch gelten, sei das Klagebegehren dennoch unbegründet, weil nach dieser der Beklagten Konditionsänderungen „als eine Berechtigung freigestellt" gewesen seien. Sie habe somit ohne Verpflichtung mit dem Kreditnehmer in zwei Fällen Einigung über Senkungen erzielt, was sich als rechtsgeschäftliche Regelung darstelle, sodass es dem Kreditnehmer und der Klägerin verwehrt sei, nachträglich auf andere Berechnungen zurückzugreifen. Im Übrigen sei der Rückforderungsanspruch verjährt, weil die Klagsführung fast fünf Jahre nach der letzten Geldleistung des Kreditnehmers erfolgt sei. Jedenfalls sei der anspruchsbegründende Sachverhalt „dem Kläger spätestens seit Mitte Dezember 2002 so weit bekannt gewesen, dass er schon damals zumindest eine Feststellungsklage erheben hätte können".

Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Kreditvertrag könne nur dahin interpretiert werden, dass die Beklagte zur Änderung der Konditionen berechtigt, jedoch nicht verpflichtet gewesen sei.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne einer Klagestattgebung ab und erklärte die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage für nicht zulässig. Eine bereicherungsrechtliche Rückforderung sei wegen des Ablaufs der ab Kredittilgung laufenden dreijährigen Verjährungsfrist ausgeschlossen. Nicht verjährt seien Schadenersatzansprüche, weil die für den Beginn der Verjährung maßgebliche Kenntnis des Kreditnehmers von Schaden und Person des Ersatzpflichtigen erst im Juni 2004 und somit keinesfalls mehr als drei Jahre vor Einlangen der Klage bei Gericht gegeben gewesen sei. Die gegenständliche Zinsanpassungsklausel verstoße gegen § 6 Abs 1 Z 5 KSchG idF vor der KSchG Novelle 1997, woraus die Teilnichtigkeit des Vertrags ex tunc resultiere. Es habe daher eine Vertragsanpassung im Sinne dessen, was redliche und vernünftige Parteien vereinbart hätten, zu erfolgen. Im Ergebnis seien sich die Parteien darin einig, dass die von der Klägerin verwendete Berechnungsmethode dem entspreche, was „sich" für den gegenständlichen Kreditvertrag unter möglichster Berücksichtigung der Interessen beider Parteien „gehöre". Die Verwendung einer Klausel, die dem Bestimmtheitsgebot nicht entspreche, habe schon unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehenden Gesetzeslage, Rechtsprechung und Lehre „Verschulden dargestellt". Diesbezüglich gelte die Beweislastregel des § 1298 ABGB. In der zweimaligen „Zurücknahme" des Zinssatzes durch die Beklagte, nachdem der Kreditnehmer Zinssenkungen begehrt hatte, liege kein Verzicht dessen auf die Geltendmachung weiterer Ansprüche.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten ist unzulässig.

Die Beklagte wirft dem Berufungsgericht eine Falschbeurteilung „bei der nach § 863 ABGB gebotenen Schlüssigkeitsprüfung" im Zusammenhang mit der erstgerichtlichen Feststellung, wonach der Kreditnehmer angenommen habe, dass bei Zinsschwankungen nach oben oder unten der vereinbarte Zinsfuß von 7 % ebenso korrigiert werden würde, vor. Der Kreditnehmer sei nämlich nicht von einem Ermessen der Beklagten, sondern davon ausgegangen, dass Zinserhöhungen und -senkungen die Folge von „Zinsschwankungen" und sohin das jeweilige Ergebnis einer die Beklagte treffenden Anpassungspflicht sein werde. Aus dem Gesamtgeschehen gehe schlüssig die Übereinkunft zumindest des Inhalts hervor, dass mit der zweimaligen Zinssenkung die Anwendung der Zinsänderungsklausel für die Zeit bis 14. 7. 1997 einvernehmlich geregelt sei. Im Übrigen habe die Beklagte die Zinsanpassungsklausel gar nicht „verwendet" und sei für eine - wie hier - 1995 vereinbarte Zinsanpassungsklausel das sog. Zweiseitigkeitserfordernis nicht erkennbar gewesen, weshalb es am Verschulden der Beklagten fehle.

Dazu ist auszuführen:

1. Die Beurteilung der Konkludenz von Willenserklärungen im Einzelfall stellt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar; ebensowenig die Frage, ob nach den Umständen des Einzelfalls ein Verzicht anzunehmen ist oder nicht (vgl RIS Justiz RS0043253; RS0107199). Die Auslegung des Berufungsgerichts, wonach schon mangels Dartuung konkreter Umstände einer konstitutiven Vereinbarung des Verzichts auf weitere Ansprüche durch die Beklagte und mangels Hervorkommens entsprechender Tatumstände ein solcher Verzicht nicht erschließbar sei, ist jedenfalls vertretbar und stellt keine krasse Fehlbeurteilung dar, die vom Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste.

2. Bereits vor der durch die KSchG Novelle 1997, BGBl I 1997/6, erfolgten Neufassung des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG wurde in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs für Kreditverträge allgemein - ohne Beschränkung auf ein Verbrauchergeschäft - die Auffassung vertreten, dass eine Zinsanpassungsklausel „zweiseitig" ausgestaltet sein müsse, das heißt dass die Bank nicht nur zur Erhöhung des Zinssatzes berechtigt, sondern auch zu dessen Herabsetzung verpflichtet ist, wenn zB das Zinsniveau sinkt oder sich die Refinanzierungsmöglichkeiten verbessern. Diese Ansicht wird damit begründet, dass es sich hiebei um eine gebotene (ergänzende) Auslegung des Kreditvertrages nach dem hypothetischen Willen redlicher Vertragsparteien handle. Es entspreche daher dem Gedanken der Vertragssymmetrie, dass die Bank zur Senkung der Zinsen in derselben Relation verpflichtet sei, wie sie umgekehrt Erhöhungen vornehmen dürfe. Eine in allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Klausel, die dem Kreditgeber bloß das Recht zur Erhöhung des Zinssatzes einräumt, ohne ihn auch bei Veränderung der Umstände zu einer entsprechenden Senkung zu verpflichten, wäre daher gemäß § 879 Abs 3 ABGB unwirksam. Eine solche Zinsanpassungsklausel ist daher im Zweifel im Wege ergänzender Vertragsauslegung (§ 914 ABGB) so zu verstehen, dass auch für den Fall des Sinkens der preisrelevanten Faktoren eine entsprechende Preissenkungspflicht besteht (1 Ob 145/05d mwN).

Die Verwendung einer mit § 6 Abs 1 Z 5 KSchG unvereinbaren (weil unbestimmten) Zinsänderungsklausel durch die beklagte Bank im Rahmen von Verbraucherkreditverträgen stellt ein durchaus rechtswidriges Verhalten dar, das geeignet ist, eine Schadenersatzpflicht der Bank zu begründen, wenn dem Kunden durch dieses Verhalten ein Schaden entsteht. Es liegt nämlich die Verletzung einer vorvertraglichen Verhaltenspflicht, „bei der Aufstellung von AGB auf die berechtigten Interessen der künftigen Vertragspartner Rücksicht zu nehmen, insbesondere keine sittenwidrigen, grob unbilligen oder sozialschädlichen Klauseln aufzustellen", vor (RIS Justiz RS0119840).

Die gegenteilige Rechtsansicht der Beklagten, wonach ihr kein Verschulden anzulasten sei, wirft im Lichte der ständigen Judikatur und der herrschenden Lehre keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf. Die Verjährungsfrage wird in der Revision nicht mehr releviert, sodass sich Ausführungen hiezu erübrigen.